Wenn man das englische Berufsbildungssystem mit dem deutschen vergleicht, so erscheint es einem eher als ein Berufssystem und weniger als ein Bildungssystem: Die englischen Unternehmen stellten Lehrlinge nach dem Erreichen ihrer GCSEs (General Certificate Secondary Education, vergleichbar mit der mittleren Reife in Deutschland) ein und verfolgten die Philosophie des on-the-job-training, also learning by doing am Arbeitsplatz ohne zusätzliche Ausbildung in der Schule. Nachdem die englische Berufsbildung lange Zeit unter Misserfolgen litt, sollte die
Modern Apprenticeship nun der Schlüssel zum Erfolg5 sein. Dem werde ich im Folgenden auf den Grund gehen: Kann die Modern Apprenticeship wirklich das umsetzen, was die Regierung verspricht? Oder gibt es ein Spannungsfeld zwischen Anspruch
und Wirklichkeit? Wenn ja, wie versucht die Regierung dem entgegen zu wirken?
Inhalt
1. PROBLEMSTELLUNG
2. DAS KONZEPT DER MODERN APPRENTICESHIP
2. 1 Organisation und Ablauf der Modern Apprenticeship
2. 2 Ziele und Zweck der Einführung der Modern Apprenticeship
3. DIE REALISIERUNG DER MODERN APPRENTICESHIP
3. 1 Die Realisierung von Seiten der Unternehmen
3. 2 Die Realisierung von Seiten des Staates
3. 3 Vergleich der beiden Perspektiven
4. DIE WAHRNEHMUNG IN DER ÖFFENTLICHKEIT
4. 1 Die Wahrnehmung durch die Unternehmen
4. 2 Die Wahrnehmung durch die Auszubildenden
4. 3 Vergleich der beiden Perspektiven
5. VERBESSERUNGSVORSCHLÄGE UND REFORMEN
6. SCHLUSSBETRACHTUNG
LITERATURVERZEICHNIS
1. PROBLEMSTELLUNG
Wenn man das englische Berufsbildungssystem mit dem deutschen vergleicht, so erscheint es einem eher als ein Berufssystem und weniger als ein Bildungssystem: Die englischen Unternehmen stellten Lehrlinge nach dem Erreichen ihrer GCSEs (General Certificate Secondary Education, vergleichbar mit der mittleren Reife in Deutschland) ein und verfolgten die Philosophie des on-the-job-training, also learning by doing am Arbeitsplatz ohne zusätzliche Ausbildung in der Schule.
Um dies zu ändern griff 1964 erstmals nach einer langen Phase der Nichteinmi-schung der Staat ein und schuf mit dem Industrial Training Act eine erste Grundlage, um die Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern, Staat und Gewerkschaften zu ver-bessern und somit mehr Schulabsolventen durch ein systematisches Ausbildungs-system von Schule und Betrieb zu qualifizierten Abschlüssen zu führen.1 Zu diesem Zwecke wurden berufsspezifische Industrial Training Boards (ITBs) eingeführt, die die Finanzierung der Ausbildung durch Steuern verwalteten.
Aufgrund mangelnden Erfolges beschloss die Regierung Margaret Thatchers zu Be-ginn der achtziger Jahre dann aber, die ITBs abzuschaffen und führte 1982 das Youth Training Scheme ein, das ein duales System ähnlich dem deutschen darstell-te. Diese betrieblich-schulische Ausbildung musste jeder Jugendliche absolvieren, der nach der Schule keine Arbeit fand.2 Diese Ausbildung wurde vom Staat stark subventioniert, was die Unternehmen schnell dazu brachte, die Jugendlichen ledig-lich auszubilden – und somit die Subventionen zu erhalten – und sie danach wieder zu entlassen.
Die unbefriedigenden Ergebnisse des Youth Training Scheme förderten während der neunziger Jahre die Rückkehr der Ausbildung ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, was schließlich zur Einführung der Modern Apprenticeship, die die Ausbildung wieder ins rechte Licht rücken sollte, führte.3 Im Vergleich zu seinem Vorgänger wurde hier die „obligatorische Teilnahme an der Berufsbildung“4 abgeschafft.
Nachdem die englische Berufsbildung lange Zeit unter Misserfolgen litt, sollte die Modern Apprenticeship nun der Schlüssel zum Erfolg5 sein. Dem werde ich im Fol-genden auf den Grund gehen: Kann die Modern Apprenticeship wirklich das umsetzen, was die Regierung verspricht? Oder gibt es ein Spannungsfeld zwischen An-spruch und Wirklichkeit? Wenn ja, wie versucht die Regierung dem entgegen zu wir-ken?
2. DAS KONZEPT DER MODERN APPRENTICESHIP
Um die Modern Apprenticeship genauer zu erläutern, möchte ich mich auf zwei As-pekte konzentrieren: Zum einen ist dies die genaue Organisation und der Ablauf und zum anderen die Ziele der Regierung, die sie bei Einführung der Modern Apprenticeship verfolgte.
2.1 Organisation und Ablauf der Modern Apprenticeship
Die „moderne Lehrlingsausbildung“ wurde in den neunziger Jahren in England einge-führt und begann im September 1994 in 14 Industriesektoren. 2003 war sie bereits in über 80 Sektoren vertreten.6 Die Modern Apprenticeship will gleichermaßen Männer und Frauen ansprechen und diese in einer mindestens 2-jährigen Ausbildung zu ei-nem Abschluss führen.
Zunächst gab es nur eine Form der Modern Apprenticeship, die drei Jahre dauerte sowie ein kürzeres National Traineeship Programm. 2001 gab es eine Umstrukturie-rung und Umbenennung: „Die sog. Foundation Modern Apprenticeship (Abschluss-ziel: Niveau 2 des NVQ-Systems7) ist an die Stelle des Jugendausbildungspro-gramms der achtziger Jahre getreten, während die anspruchsvollere Variante (Ni-veau 3 des NVQ-Systems) als Advanced Modern Apprenticeship firmiert.“8
Die Ausbildung in der Modern Apprenticeship9 erfolgt sowohl off-the-job in speziellen Bildungs- und Ausbildungsinstitutionen als auch on-the-job.10 Dabei ist zu beachten, dass die begleitende schulische Ausbildung (off-the-job) auch in Ausbildungszentren des Unternehmens oder durch einen externen Anbieter erfolgen kann.11
Zu den beiden Komponenten Arbeitgeber und Auszubildender ist in der Modern Apprenticeship eine dritte Komponente hinzugekommen: der Staat. So erfolgt auch die Finanzierung sowohl durch den Staat als auch durch die Unternehmen: „The government pays for all training costs covered by the framework, and the employer pays the apprentice a wage.“12 Da die meisten der „modernen Lehrlinge” Angestell-ten-Status haben, sind die Arbeitgeber verpflichtet, ihnen einen Lohn zu zahlen.13
Durch die Anbindung der Modern Apprenticeship an das NVQ-System, das auf Kom-petenzen basiert, erhält die Ausbildung eine neue Struktur: So reicht um ein NVQ-Zertifikat aus, die Arbeitsaufgaben zuverlässig zu erledigen.14 Inwieweit die gezeigte Performanz der tatsächlichen Kompetenz entspricht ist hier unklar. Dadurch variiert auch die Länge der Ausbildung je nach Lehrling: Da es keine festgeschriebene Aus-bildungsdauer gibt, ist die Ausbildung dann beendet, wenn die nötigen Qualifikatio-nen erreicht worden sind.15
2.2 Ziele und Zweck der Einführung der Modern Apprenticeship
Nach den Misserfolgen der vorangegangen Systeme sollte mit der Einführung der Modern Apprenticeship alledem ein Ende bereitet werden. Die „moderne Lehrlings-ausbildung“ sollte alles besser machen, worin ihre Vorgänge wie das Youth Training Scheme versagt haben. Vor allem sollte sie die „Qualifikationslücke im intermediär-operativen Bereich des Beschäftigungssystems, also bei den Facharbeitern und Fachangestellten, [...] schließen.“16
Die Berufsbildung hatte in England auf Grund des Versagens der Arbeitgeber hin-sichtlich der Berufsausbildung und der mangelnden Aufmerksamkeit der Regierung und Bildungsinstitutionen bezüglich der Berufsbildung einen schweren Stand neben der akademischen Bildung.17
Um dies zu ändern, musste die Regierung das Konzept der Ausbildung erst einmal wieder in den Köpfen der Bevölkerung etablieren und sein Ansehen erheblich stei-gern. Da nur wenige der Jugendlichen qualifiziert waren, beschloss die Regierung die Ausbildung zu unterstützen und zu subventionieren. Somit konnte den arbeitslosen und unqualifizierten Jugendlichen geholfen werden, was wiederum das Ansehen der beruflichen Bildung steigerte.
19 Jahren, sowohl männlich als auch weiblich, zugänglich gemacht. Die Regierung hatte den Anspruch, diese neue Form der Berufsausbildung sowohl in Sektoren, die bereits Erfahrung mit der Ausbildung Jugendlicher hatten, als auch in solchen ohne berufsbildende Tradition zu etablieren.18 Zusätzlich zu den obligatorischen NVQs sollten die Lehrlinge die Möglichkeit haben, GNVQ Kernkompetenzen (allgemeine berufliche Qualifikationen) sowie in einigen Fällen sogar BTEC Qualifikationen (Qua-lifikationen des Business and Technology Education Council) zu erreichen. Diese Eigenschaften rechtfertigen die Bezeichnung als „moderne“ Ausbildung im Vergleich zum Youth Training Scheme.
Ein weiteres Ziel der Regierung war die direkte Kopplung der Lehrling an einen Ar-beitgeber: Während das Youth Training von Ausbildungsanbietern durchgeführt wur-de, werden die Jugendliche in der Modern Apprenticeship von Beginn ihrer Ausbil-dung an einen Arbeitsgeber gebunden.19
Mit der Einführung der Modern Apprenticeship wollte die Regierung nicht nur die Be-rufsbildung reformieren, sondern auch eine arbeitsbasierte Alternative für Jugendli-che ab 16 Jahren rekonstruieren, die nicht weiter in vollzeitschulischer Bildung blei-ben möchten.20
3. DIE REALISIERUNG DER MODERN APPRENTICESHIP
Trotz der doch recht klaren Vorstellungen des Staates, wie die moderne Ausbildung auszusehen hat und besonders, was sie nicht sein sollte, sieht die Umsetzung meis-tens anders aus. In diesem Abschnitt soll daher das Augenmerk auf die zwei an der Umsetzung der Modern Apprenticeship Beteiligten gelegt werden. Zunächst wird dargestellt, wie die Arbeitgeber die Vorgaben vom Staat umsetzen, danach werden Anspruch und Wirklichkeit aus Sicht des Staates verglichen.
[...]
1 Vgl. Schmidt, 2003, S. 295
2 Vgl. ebenda, S. 296
3 Vgl. Ryan, 2001, S. 140
4 Schmidt, 2003, S. 298
5 Vgl. Fuller, 2004, S.1
6 Vgl. Fuller./Unwin, 2003a, S.7
7 National Vocational Qualifications (NVQs) sind „Bestimmungen von Kompetenzen, die eindeutig relevant für die Arbeitswelt sind.“ (Ertl, 2003, S.370)
8 Deißinger, 2004, S. 591
9 Im Folgenden wird der Begriff Modern Apprenticeship als Überbegriff für die beiden Ausprägungen Foundation und Advanced Modern Apprenticeship verwendet.
10 Vgl. Fuller/Unwin, 2003b, S. 408
11 Vgl. Ryan, 2001, S. 136
12 Fuller/Unwin, 2003a, S.7
13 Vgl. ebenda, S. 409
14 Vgl. Ryan, 2001, 136
15 Vgl. Fuller/Unwin, 2003b, S. 409
16 Deißinger, 2003, S. 174
17 Vgl. Unwin, 1999, S. 81
18 Vgl. Ryan, 2001, S. 83
19 Vgl. Unwin/Wellington, 1995, S. 342
20 Vgl. ebenda, S. 338
- Arbeit zitieren
- Katrin Bitterle (Autor:in), 2007, Die Rolle der Modern Apprenticeship in der englischen Berufsbildung, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/135659