Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, wie weit die demokratische Entwicklung in der Türkei hinsichtlich des Einflusses des türkischen Militärs vorangeschritten ist und ob die Türkei hinsichtlich dieser Fragestellung als Demokratie westlichen Musters oder aufgrund des Enklavencharakters des türkischen Militärs als defekte Demokratie einzuteilen ist.
An kaum einem Land scheiden sich die Geister in den Mitgliedsstaaten der europäischen Union in einem Maße wie der Türkei. Nicht nur in der häufig äußerst emotional geprägten öffentlichen Auseinandersetzung, auch in der wissenschaftlichen Diskussion werden die Demokratisierungserfolge der Türkei der letzten zehn bis zwanzig Jahren, vor allem hinsichtlich eines möglichen EU-Beitritts der Türkei, heftig diskutiert. Ein Thema, das in dieser Diskussion immer wieder fällt, ist die Rolle des Militärs. Dieses spielte und spielt im politischen System der Türkei eine zentrale soziopolitische Rolle und war in der Geschichte der Türkei immer ein bedeutender Akteur, der Einfluss auf andere politische Institutionen und Akteure nahm und an der Ausgestaltung des politischen Systems der Türkei bedeutend beteiligt war. Schon im Osmanischen Reich war das Militär eine bedeutende, durch die Gründung der Republik phasenweise die bedeutendste Institution der Türkei. Bis heute tritt die türkische Armee als Bewahrer dieses Staates und der kemalistischen Reformen, welche diesen Staat begründeten, auf. Am offensichtlichsten ist dies bei den vier Putschen von 1960, 1971, 1980 und 1997 ersichtlich geworden, bei der das Militär erfolgreich intervenierte. Die Putsche des türkischen Militärs sind jedoch nur der augenscheinlichste Ausdruck des Einflusses des Militärs auf die Politik, denn das Militär in der Vergangenheit nutzte. Daneben nutzte es seine Stellung im politischen System und beeinflusste Entscheidungen mittels formeller und informeller Möglichkeiten. Dennoch ist das Interventionsverhalten des türkischen Militärs eher selten anzutreffen, denn es interveniert nicht und verfestigt sich dann an der Macht, sondern zieht sich nach erfolgreichen Interventionen und der perzipierten Wiederherstellung der Ordnung in die Kasernen zurück und überlässt demokratisch legitimierten Akteuren die politische Macht. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Problemstellung
- Forschungsstand
- Enklavendemokratie als Konzept
- Selbsteinschätzung und Aktionsverhalten des türkischen Militärs
- Historische exklusive Stellung und Rolle des türkischen Militärs
- Der Kemalismus als Grundgerüst der Weltanschauung des Militärs
- Elitenherrschaft statt Volksherrschaft: Das Militär und die Erziehungsdiktatur
- Das Militär in der Wächterfunktion
- Sozialer Kontext: Positive Perzeption in der Bevölkerung als Legitimitätsquelle
- Der Einfluss des türkischen Militärs im politischen System
- Der Staatspräsident als Statthalter des Militärs?
- ,,Konditionierung“ der demokratischen Repräsentanten?
- Der Nationale Sicherheitsrat (NSR) als Zentrum der Beeinflussung der Politik
- Außerhalb juristischer Kontrolle?
- Armeeführung: zwischen Hardlinern und Softlinern
- Informelle Machtausübung
- Enklavenbereiche: Sicherheitspolitik und Außenpolitik
- Putsche
- Putsche von 1960 und Putschdrohung von 2007 im Vergleich
- Der Ergenekon-Fall: Bedrohung oder Chance?
- Eindämmung des Enklavenproblems?
- Das Selbstverständnis: Vom kemalistischen Elitismus zum souveränen Bürger
- Die Gesellschaft als Gegenkraft zum türkischen Militär
- Einfluss der Weltordnung: externe Akteure
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der Frage, inwieweit die demokratische Entwicklung in der Türkei hinsichtlich des Einflusses des türkischen Militärs vorangeschritten ist. Sie analysiert, ob die Türkei aufgrund des Enklavencharakters des türkischen Militärs als defekte Demokratie einzuteilen ist oder als Demokratie westlichen Musters betrachtet werden kann. Das Konzept der defekten Demokratie dient als theoretisches Fundament.
- Der große Einfluss des türkischen Militärs im politischen System und in der Gesellschaft.
- Die Art und Weise, wie das Militär seinen Einfluss ausübt und ob es einen Enklavencharakter gegenüber dem demokratischen System besitzt.
- Die Frage, ob das Militär in bestimmten Bereichen außerhalb der Kontrolle demokratisch legitimierter Akteure liegt.
- Die Akteure und politischen Entscheidungsträger, die den Einfluss des Militärs einschränken könnten.
- Die Rolle der Türkei in der derzeitigen Weltordnung als Schlüsselpartner der NATO und als potenzieller EU-Beitrittskandidat.
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beleuchtet die Problemstellung und den Forschungsstand. Es wird dargelegt, warum die Rolle des Militärs in der Türkei ein relevantes Thema ist und welche wissenschaftlichen Arbeiten sich bereits mit diesem Thema beschäftigt haben. Im zweiten Kapitel wird die Selbsteinschätzung und das Aktionsverhalten des türkischen Militärs untersucht. Es werden die historischen Wurzeln und die Rolle des Militärs in der türkischen Geschichte, sowie seine Weltanschauung, die Erziehungsdiktatur und die Wächterfunktion des Militärs beleuchtet. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit dem Einfluss des türkischen Militärs im politischen System. Themen wie die Rolle des Staatspräsidenten, die „Konditionierung“ der demokratischen Repräsentanten, der Einfluss des Nationalen Sicherheitsrates, die Frage der juristischen Kontrolle, die unterschiedlichen Strömungen innerhalb der Armeeführung, die informelle Machtausübung und die Enklavenbereiche Sicherheitspolitik und Außenpolitik werden behandelt. Das vierte Kapitel widmet sich den Putschen in der Türkei und vergleicht die Putsche von 1960 und 2007. Darüber hinaus wird der Ergenekon-Fall untersucht. Das fünfte Kapitel beleuchtet die Frage der Eindämmung des Enklavenproblems. Es werden die Entwicklungen im Selbstverständnis des Militärs, die Rolle der Gesellschaft als Gegenkraft und der Einfluss der Weltordnung auf die Situation des Militärs untersucht.
Schlüsselwörter
Die Arbeit behandelt zentrale Themen wie die Rolle des Militärs in der Türkei, Enklavendemokratie, das zivil-militärische Verhältnis, das türkische politische System, die Türkei als EU-Beitrittskandidat, der Kemalismus, Putsche, Ergenekon-Fall und die Eindämmung des Einflusses des Militärs.
- Quote paper
- Anonym (Author), 2009, Die Türkei und das Militär. Zwischen Enklavendemokratie und Eindämmung des militärischen Einflusses im politischen System, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/1319655