Die Arbeit setzt sich mit der Rechtsprechung im Nationalsozialismus auseinander. Dabei betrachtet sie die dogmatischen Grundlagen des nationalsozialistischen Rechtsverständnisses und der zugrundeliegenden Rechtsphilosophie. Diese sind von der Überwindung des rationalistischen Geistes der Aufklärung, der als Überfremdungserscheinung wahrgenommenen Aufklärungsphilosophie des philosophisch-soziologischen Positivismus englisch-französischer Herkunft geprägt und müssen als Loslösung vom aufklärerisch entdeckten Naturrecht verstanden werden.
Eine höhere Begründung für geltendes Recht wird im völkischen Nationalismus gefunden. So sei das Recht eine wirkliche Macht im Leben der Völker und Menschen, Teil des Gemeinschaftslebens, sprich eine wirklich seiende Lebensform der Gemeinschaft und die Äußerung eines Gemeinschaftslebens und darum völkisch bedingt. Fortan wird die völkische Gemeinschaftsbindung zum Ideal von Rechtstheorie und -praxis erhoben.
Die ideologische Umwidmung des Rechtsverständnisses geht einher mit dem Volksgemeinschaftsprinzip sowie dem Führerprinzip, der Einheit von Recht und Sittlichkeit und der Ablehnung des Rechtspositivismus. Hierfür muss die bestehende Rechtsordnung nicht gänzlich revolutioniert, sondern lediglich ausgehöhlt und pervertiert werden. Rechtstheoretiker tun sich hervor um die Pervertierung des Rechts staatsrechtlich zu legitimieren als auch Karrieristen wie Roland Freisler. Nach dem Untergang des nationalsozialistischen Staates muss die Renaissance eines humanen rechtsphilosophischen Denkens an die seit 1933 verschütteten Traditionen der deutschen Geistesgeschichte anknüpfen.
Gliederung
I. Einleitung
Stellung der Judikative im
Reich
Schuldfrage
Fazit
Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Die Rolle der Rechtsprechung lässt sich ohne die dogmatischen Grundlagen des national- sozialistischen Rechtsverständnisses und der zugrundeliegenden Rechtsphilosophie nicht verorten. Diese sind von der Überwindung des rationalistischen Geistes der Aufklärung, der als Überfremdungserscheinung wahrgenommenen Aufklärungsphilosophie des philosophisch-soziologischen Positivismus englisch-französischer Herkunft geprägt und müssen als Loslösung vom aufklärerisch entdeckten Naturrecht verstanden werden.1 Eine höhere Begründung für geltendes Recht wird im völkischen Nationalismus gefunden. So sei das Recht eine wirkliche Macht im Leben der Völker und Menschen, Teil des Gemeinschaftslebens, sprich eine wirklich seiende Lebensform der Gemeinschaft2 und die Äußerung eines Gemeinschaftslebens und darum völkisch bedingt.3 Fortan wird die völkische Gemeinschaftsbindung zum Ideal von Rechtstheorie und -praxis erhoben.4
Die ideologische Umwidmung des Rechtsverständnisses geht einher mit dem Volksgemeinschaftsprinzip sowie dem Führerprinzip5, der Einheit von Recht und Sittlichkeit6 und der Ablehnung des Rechtspositivismus.7 Hierfür muss die bestehende Rechtsordnung nicht gänzlich revolutioniert, sondern lediglich ausgehöhlt und pervertiert werden.8 Rechtstheoretiker tun sich hervor um die Pervertierung des Rechts staatsrechtlich zu legitimieren als auch Karrieristen wie Roland Freisler. Nach dem Untergang des national- sozialistischen Staates muss die Renaissance eines humanen rechtsphilosophischen Denkens an die seit 1933 verschütteten Traditionen der deutschen Geistesgeschichte anknüpfen.9 Im Folgenden soll die Rolle die Rechtsprechung in der Zeit des Nationalsozialismus untersucht werden.
II. Stellung der Judikative
Die Politik ermächtigt sich der Kontrolle der Justiz erstmalig durch das Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich vom 24.03.1933, welches die Gewaltenteilung aufhebt und den Führer als obersten Gerichtsherrn im Staate einsetzt.10 In den Jahren 1933- 1936 sind Konflikte zwischen der NSDAP und SS einerseits und der Justiz andererseits zu verorten, da diese teilweise noch versucht mit rechtsstaatlichen Methoden zu arbeiten.11 Druck auf die Richterschaft kann durch das Staatspolizeiamt unter der Leitung Heydrichs ausgeübt werden, indem politische Urteile systematisch erfasst, ausgewertet und in Listen übertragen werden, die von einer ungenügenden Arbeit der Justiz gegenüber Staatsfeinden zeugen, inklusive des Vermerks, ob die Ursache hierin in einer negativen Einstellung des Richters zum nationalsozialistischem Staate zu sehen sei.12
Durch das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 07.04.1933, welches jüdische und ideologisch verdächtige Juristen ihrer Ämter enthebt, verändert die personelle Struktur des Justizapparats grundlegend, sodass ideologischer Widerstand weitestgehend entfernt wird.13 Fortan ist die persönliche Unabhängigkeit der Richter beschnitten, was einschüchternd auf Kritiker der nationalsozialistischen Justiz wirkt.14
Zum 01.01.1935 wird die föderale Gliederung der Justiz aufgelöst und alle 16 Landesjustizverwaltungen dem Reichsjustizministerium unterstellt, sodass sämtliche Landesrichter zu Reichsbeamten werden15 und eine Unabhängigkeit der Gerichte im Zuge ihrer Zentralisierung de facto hinfällig wird.16 Nunmehr kann von einer Verreichlichung der Justiz gesprochen werden.17 Die Justizlenkung wird durch die Richterbriefe, in welchen das Justizministerium ab 1942 Vor- und Nachschauen relevanter Urteile und den Entscheidungstenor vorgibt, weiter forciert.18
Vor 1933 befindet sich die Justiz einer schwierigen Situation, so war sie politisch apathisch, wirtschaftlich unterprivilegiert und gesellschaftlich geringgeschätzt.19 Eine neue Rolle lässt sich in der Theorie Karl August Eckhardts ausmachen. So werde die Abneigung gegen den Richter andauern, solange das Volk in diesem einen Vertreter des niemals volkstümlichen Staatsapparats sehe und so stehe der Richter im Nationalsozialismus nicht über, sondern in der Volksgemeinschaft, denn seine Gewalt leite sich unmittelbar vom Führer als dem Repräsentanten des deutschen Volkes ab.20 Er sei dessen ausführende Hand, ein Organ des obersten Gerichtsherrn und habe in seinem Sinne Recht zu sprechen.21 Hitler kritisiert deren zu formale Auffassung, der einzige Gedanke dürfe alleinig der Endsieg sein und in der Rolle stehe sie als Diener im Volksinteresse, bei Zuwiderhandlung drohe die Entlassung.22
Richterliche Unabhängigkeit hieße keineswegs Freiheit von Bindungen, denn er ist in seinem Handeln mit dem Volk unlöslich verbunden und habe einen Auftrag innerhalb der Volksgemeinschaft.23 Der unpolitische Richter werde nur dem Mehrparteiensystem gerecht, denn dort könne nicht jeder Richter nach seiner parteipolitischen Einstellung amtieren, nicht aber dem System der den gesamten Volkswillen darstellenden, einen Partei.24 Das verdrehte Verständnis einer Unabhängigen Justiz zeigt sich darin, dass es zwar vermieden werden solle, dass sich Stellen außerhalb der Justiz in die Rechtsprechung einschalten25, der Nationalsozialismus und Führerwille aber maßgeblich auf die Gesinnung des Richters und das Urteil umschlagen muss.
Wird anfänglich der Erhalt rechtsstaatlicher, weimarischer Prinzipien gewagt, gibt die Justiz fortlaufend stärker nach, bis sie durch innenpolitischen Druck zuzüglich der Kriegsbelastung, gänzlichen in den juristischen Abgrund hineinfällt.26 Beispielhaft zeigt sich durch die nationalsozialistische Revolution die Wandlung der Justiz als Organ staatlicher Machtbegrenzung, hin zu einem Instrument staatlicher Machtentfaltung.
III. Schuldfrage
Das Recht wird als lebendiger Wille der Rechtsgemeinschaft verstanden27, welches nur als ein von der Macht Getragenes und Begleitetes Bestand haben könne28, sodass die Rechtnorm ihr Dasein darin habe, dass sie ständig von den Organen der Rechtsgemeinschaft verwirklicht werde.29 Die Partei und das Volk, welche aber von rassistisch, antisemitischen Gedankenguts durchsetz sind, ethische Konzepte wie Ehre und Treue, Anständigkeit sowie sittliche Pflicht ideologisch verklären30, übertragen gelebte Moralvorstellungen auf geltendes Recht. Es solle nicht nur die formale Gesetztesverletzung geahndet werden, sondern auch der Verstoß gegen übergesetzliche Moralvorstellungen.31 Demgemäß ist das Recht mit der Parteipolitik gleichgeschaltet, denn die nationalsozialistische Weltanschauung sei der entscheidende Maßstab für die Auslegung aller Rechtsquellen.32
Im Zuge dessen werden richterliche Kompetenzen ausgeweitet.33 Dies zeigt sich in der Auslegung der Generalklauseln unter nationalsozialistischen Gesichtspunkten34, der Strafrechtsreform sowie der Abschaffung des Rückwirkungsverbots, welche das Strafrecht erstmalig durch Lex van der Lubbe machtpolitischer Opportunität unterwirft.35 Die Transformation vom tatgebundenen Strafrecht zum tätergebundenen Gesinnungsstrafrecht, in welchem der verbrecherische Wille ausschlaggebend ist36, funktioniert das Strafrecht zur politischen Waffe um.37 Treffend bezeichnet sich Freisler beim Amtsantritt zum VGH-Präsidenten als politischen Soldaten.38
Hat die Rechtsprechung als Spiegelbild einer politisch wie alltäglich gelebten Weltanschauung und Gerechtigkeitsverständnisses im Namen des Volkes gehandelt?
Zur Beantwortung kann die Stellung der Grundrechte herangezogen werden. Die Anspruchsrechte des Individuums gegen den Staat beziehungsweise Monarchen, werden als überwundenes Element der bürgerlichen Emanzipationsbewegung des liberalen Rechtsstaats betrachtet.39 Im Führerstaat gilt das kontrastierende Verhältnis Staat versus Individuum theoretisch nicht mehr, sodass die Grundrechte als nicht sinnvoll erachtet werden.40 Den Grundstein hierfür legt die Reichstagsbrandverordnung, welche Art. 48 II WRV als In- strument staatlicher Willkürherrschaft missbraucht und damit grundlegende Freiheitsrechte außer Kraft setzt.41 Den theoretischen Überbau liefern die NS-Juristen.
Vor dem Urteilsspruch steht fortan positives Recht im Konflikt mit der materiellen Gerechtigkeit. Der Mensch aber besitzt universell geltende Menschenrechte, welche nicht durch Volks- oder Klassenzugehörigkeit verliehen werden. Die Kontrolle staatlicher Eingriffe in die Freiheitssphäre ist seit der Aufklärung und französischen Revolution tief im Menschen verankert, gesetztes überpositives Recht sowie Teil eines naturrechtlichen Denkens, folglich unmöglich durch einen Unrechtsstaat außer Kraft zu setzen.
Ein gegenteiliges Rechtsverständnis liefert Carl Schmitt. Die Unabhängigkeit der Richter könne nicht grenzenlos sein, diese sei an Recht und Gesetz eines bestimmten Staatswesens gebunden und nicht an ein überstaatliches Gesetz, denn dieser Richter wäre über dem Staat.42 Überpositives Recht wäre folglich mit dem Führerprinzip unvereinbar.
Die Radbruchsche-Formel konstatiert jedoch, dass inhaltlich ungerechtes und unzweckmäßiges Recht Vorrang habe, es sei denn, dass der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, dass das Gesetz als unrichtiges Recht der Gerechtigkeit zu weichen habe.43 Folgerichtig sind Urteilssprüche im positiven Recht Unrecht.
Die Missachtung der Vernunft als Urteilsinstanz und gedankenlose Härte vieler Karrieristen lässt eine Schlussfolgerung zu: Die Justiz war bereitwillig, eingeschüchtert oder fanatisch44 aber nur wenige im Stile Kreyßigs45 zum „Martyrium“ für das (wahre) Recht bereit.
IV. Fazit
Die in sich widersprüchlichen Rechtstheorien legen den Deckmantel der Legitimität über unerträgliches Unrecht, sodass sich die Rechtstheoretiker dem Nationalsozialismus nicht lediglich unterwerfen, sondern andienen.
[...]
1 Vgl. Larenz, K., Deutsche Rechtserneuerung, 1934, S. 168.
2 Vgl. Larenz, K., Deutsche Rechtserneuerung, 1934, S. 169.
3 Vgl. Larenz, K., Deutsche Rechtserneuerung, 1934, S. 170.
4 Vgl. Christians, A., Nationalsozialistische Justiz, 2021, S. 87.
5 Vgl. Pauer-Studer, H., Rechtsdenken, 2014, S. 19.
6 Vgl. Larenz, K., Deutsche Rechtserneuerung, 1934, S. 170.
7 Vgl. Pauer-Studer, H., Rechtsdenken, 2014, S. 20.
8 Vgl. Christians, A., Nationalsozialistische Justiz, 2021, S. 92.
9 Vgl. Landau, P., Rechtsphilosophie, 2002, S. 29.
10 Vgl. Pauer-Studer, H., Rechtsdenken, 2014, S. 108.
11 Vgl. Pauer-Studer, H., Rechtsdenken, 2014, S. 109 f.
12 Vgl. Angermund, R., Deutsche Richterschaft, 1990, S. 158.
13 Vgl. Christians, A., Nationalsozialistische Justiz, 2021, S. 88 f.
14 Vgl. Holste, H., Rechtsstaat, 2009, S. 363.
15 Vgl. Christians, A., Nationalsozialistische Justiz, 2021, S. 88.
16 Vgl. Christians, A., Nationalsozialistische Justiz, 2021, S. 90.
17 Vgl. Christians, A., Nationalsozialistische Justiz, 2021, S. 89.
18 Vgl. Christians, A., Nationalsozialistische Justiz, 2021, S. 90.
19 Vgl. Koch, H. W., Volksgerichtshof, 1988, S. 45.
20 Vgl. Eckhardt, K. A., Richteramt, 1936, S. 518.
21 Vgl. Hueber, F., Justiz, 1942, S. 528.
22 Vgl. Domarus, M., Hitler, 1963, S. 1874 f.
23 Vgl. Eckhardt, K. A., Richteramt, 1936, S. 519 f.
24 Vgl. Hueber, F., Justiz, 1942, S. 525.
25 Vgl. Hueber, F., Justiz, 1942, S. 527.
26 Vgl. Wesel, U., Rechtsgeschichte, 2014, S. 487 f.
27 Vgl. Larenz, K., Deutsche Rechtserneuerung, 1934, S. 175.
28 Vgl. Larenz, K., Deutsche Rechtserneuerung, 1934, S. 171.
29 Vgl. Larenz, K., Deutsche Rechtserneuerung, 1934, S. 175.
30 Vgl. Pauer-Studer, H., Rechtsdenken, 2014, S. 23.
31 Vgl. Pauer-Studer, H., Rechtsdenken, 2014, S. 111.
32 Vgl. Eckhardt, K. A., Richteramt, 1936, S. 520.
33 Vgl. Pauer-Studer, H., Rechtsdenken, 2014, S. 23.
34 Vgl. Schmitt, C., Rechtspraxis, 1933, S. 515.
35 Vgl. Holste, H., Rechtsstaat, 2009, S. 363.
36 Vgl. Pauer-Studer, H., Rechtsdenken, 2014, S. 80 f.
37 Vgl. Christians, A., Nationalsozialistische Justiz, 2021, S. 88.
38 Vgl. Koch, H. W., Volksgerichtshof, 1988, S. 216.
39 Vgl. Pauer-Studer, H., Rechtsdenken, 2014, S. 40.
40 Vgl. Pauer-Studer, H., Rechtsdenken, 2014, S. 41.
41 Vgl. Willoweit, D., Verfassungsgeschichte, 2013, S. 107.
42 Vgl. Schmitt, C., Rechtspraxis, 1933, S. 513.
43 Vgl. Radbruch, G., Gesetzliches Unrecht, 1946, S. 16.
44 Vgl. Wesel, U., Gerechtigkeit, 2003, S. 79.
45 Vgl. Wesel, U., Rechtsgeschichte, 2014, S. 488.
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- Robin Steinwachs (Author), 2021, Die Rolle der Rechtsprechung in der Zeit des Nationalsozialismus. Ein kurzer Überblick, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/1309925