In der vorliegenden Arbeit soll gezeigt werden, dass der junge Werther in den Gedankenkreisen der rousseauschen, melancholisch-empfindsamen Philosophie festhängt, und die möglichen Auswege, die Rousseau in seinem Briefroman "Julie oder Die neue Heloise" darstellt, mit Werther im Selbstmord scheitern.
Noch 1972 leitete Hans-Heinrich Reuter aus Christian Friedrich Daniel Schubarts Lob über Goethes Werther ganz intentionalistisch ab, dass "Indem Schubart auf alle subtilen Räsonnements verzichtete und sein Ton ganz auf das aus der Identifikation mit Werther entspringende leidenschaftliche Ergriffensein abstellte, bestätigte er die grundlegende konzeptionelle Intention des Dichters und machte sich zugleich zum Sprecher der Empfindungen breitester Leserkreise."
Man kann Reuter noch soweit folgen, dass Schubart als Sprecher typischer empfindsamer Leser gelten kann, aber daraus die „konzeptionelle Intention des Dichters“ abzuleiten geht zu weit. Die neuere Forschung legt zusätzlich zu dieser empfindsam-identifikatorischen Lesart nämlich eine ironisch-distanzierende Lesart nahe, die Kritik am Umgang der empfindsamen Bürger bzw. Schriftsteller mit den gesellschaftlichen Zwängen und der politischen Ohnmacht der Bürger im Feudalabsolutismus ermöglicht. Diese bürgerliche "Erfahrung der Einschränkung bildet den Ursprung jener Melancholie, die sich im 18. Jahrhundert zu einer Gesellschaftskrankheit auswächst" und "im Gefolge der Rousseau-Rezeption kommt es zu einer Sentimentalisierung des Naturerlebnisses und zur Rückwendung des Individuums von der Gesellschaft auf sich selbst und die Hinwendung zur Natur."
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Rousseaus Naturphilosophie als schlechter Ausweg aus der bürgerlich-empfindsamen Melancholie des Werther
- Werther als Rousseaujünger
- Scheitern rousseauschen Auswege aus der Heloise im Werther
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Rolle der rousseauschen Naturphilosophie in Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ und analysiert, ob sie als Ausweg aus der bürgerlich-empfindsamen Melancholie des Protagonisten dienen kann.
- Die Verbindung zwischen Werthers Melancholie und dem rousseauschen Einfluss
- Die Konfrontation der empfindsamen Ideale mit den gesellschaftlichen Zwängen
- Das Scheitern der rousseauschen Flucht in die Natur als Lösung für Werthers Leiden
- Goethes ironisch-distanzierte Haltung gegenüber dem romantischen Ideal der Natur
- Die Bedeutung der politischen Ohnmacht und der bürgerlichen Einschränkungen für Werthers Selbstmord
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die beiden Lesarten von „Die Leiden des jungen Werther“ vor: die empfindsam-identifikatorische und die ironisch-distanzierende. Sie stellt die Frage, ob Werther tatsächlich ein Verfechter der rousseauschen Ideale ist oder ob Goethe diese eher kritisiert.
Kapitel 2 untersucht die Verbindung zwischen Werthers Melancholie und dem Einfluss von Rousseau. Es betrachtet Werthers Briefroman als „Rousseaujünger“ und analysiert, ob die von Rousseau in „Julie oder Die neue Heloise“ dargestellten Auswege für Werthers Probleme praktikabel sind.
Schlüsselwörter
Rousseaus Naturphilosophie, Goethes „Die Leiden des jungen Werther“, Empfindsamkeit, Melancholie, politische Ohnmacht, Selbstmord, bürgerliche Einschränkungen, Naturerlebnis, ironisch-distanzierte Lesart.
- Arbeit zitieren
- Florian Zerhoch (Autor:in), 2017, Auswege aus den Leiden? Rousseaus Naturphilosophie und ihr Scheitern in Goethes "Die Leiden des jungen Werther", München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/1309008