Die Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und das Völkerrecht durch internationale Tribunale hat eine lange Geschichte. Prominente historische Beispiele sind die Prozesse von Nürnberg und Tokio. Später folgten die internationalen Straftribunale in Ruanda und im ehemaligen Jugoslawien. Doch noch viel länger ist die Liste der Völkermorde und Verbrechen, die ungesühnt blieben. Eine effektive, internationale Strafverfolgung wurde oft mit dem Hinweis auf die Unverletzbarkeit der nationalen Souveränität abgelehnt. Um die Straflosigkeit der Verantwortlichen zu beenden, äußerte der damalige Außenminister Fischer in einer Rede im deutschen Bundestag im Jahre 2000 den Wunsch nach einem effektiven, unabhängigen internationalen Strafgerichtshof.
„Wie oft haben wir uns angesichts millionenfachen Leids gewünscht und gefordert, dass die Verantwortlichen für Krieg, Vertreibung und Völkermord für ihre Verbrechen vor einem unabhängigen Gericht zur Rechenschaft gezogen werden“ (Fischer 2000: Rede im dt. Bundestag)
Der neu geschaffene internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat im Sommer 2002 seine Arbeit aufgenommen. Doch wie weit reicht die Zuständigkeit des IStGH? Wird der IStGH in der Lage sein, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und gegen das Völkerrecht effektiv zu verfolgen? Die Strafverfolgung des internationalen IStGH steht in einem stetigen Spannungsverhältnis zu der einzelstaatlichen Souveränität der Mitgliedsstaaten des IStGH und der Nichtmitgliedsstaaten. Wie gestalten sich hier die Machtverhältnisse zwischen dem Wunsch nach einer effektiven Strafverfolgung durch den IStGH und dem Anspruch der Staaten auf Souveränität?
Inhaltsverzeichnis
0 Einleitung
1 Der internationale Strafgerichtshof
1.1 Der IStGH als internationale Organisation
1.2 Einführung in das Spannungsfeld zwischen internationaler Gerichtsbarkeit des IStGH und nationaler Souveränität
2 Übersicht über die Reichweite der Gerichtsbarkeit des IStGH
2.1 Gerichtsbarkeit ratione materiae
2.1.1 Übergangsregelung des Art. 124
2.2 Gerichtsbarkeit ratione temporis
2.3 Gerichtsbarkeit ratione personae
2.4 Gerichtsbarkeit rationae loci
3 Die Zuständigkeit des IStGH im Spannungsfeld zur nationalen Souveränität der Mitgliedsstaaten
3.1 Komplementaritätsprinzip
3.2 Eingriff in die Souveränität der Mitgliedsstaaten
3.3 Eingriffe in die Souveränität von Nichtvertragsstaaten
3.3.1 Völkerrechtliche Rechtfertigung für die Verletzung der Souveränität von Nichtvertragsstaaten
3.3.2 Übertragung der Jurisdiktionsgewalt auf den IStGH
3.4 Ausnahmen der Strafverfolgung durch den IStGH von Personen aus Drittstaaten
3.5 Zuständigkeit des IStGH per Zuweisung durch den UN- Sicherheitsrat
3.5.1 Eingriff in die Souveränität der betroffenen Staaten
3.5.2 Rechtfertigung des Eingriffs in die Souveränität von Nichtvertragsstaaten
3.6 Die Gefährdung der Effektivität des IStGH durch machpolitisches Agieren im UN-Sicherheitsrat
4 Schlussbetrachtung
5 Literaturverzeichnis
0 Einleitung
Die Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und das Völkerrecht durch internationale Tribunale hat eine lange Geschichte. Prominente histori-sche Beispiele sind die Prozesse von Nürnberg und Tokio. Später folgten die internationalen Straftribunale in Ruanda und im ehemaligen Jugoslawien. Doch noch viel länger ist die Liste der Völkermorde und Verbrechen, die ungesühnt blieben. Eine effektive, internationale Strafverfolgung wurde oft mit dem Hin-weis auf die Unverletzbarkeit der nationalen Souveränität abgelehnt. Um die Straflosigkeit der Verantwortlichen zu beenden, äußerte der damalige Außen-minister Fischer in einer Rede im deutschen Bundestag im Jahre 2000 den Wunsch nach einem effektiven, unabhängigen internationalen Strafgerichtshof.
„Wie oft haben wir uns angesichts millionenfachen Leids gewünscht und gefordert, dass die Verantwortlichen für Krieg, Vertreibung und Völkermord für ihre Verbrechen vor einem unabhängigen Gericht zur Rechenschaft gezogen werden“ (Fischer 2000: Rede im dt. Bundestag)
Der neu geschaffene internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat im Sommer 2002 seine Arbeit aufgenommen. Doch wie weit reicht die Zuständigkeit des IStGH? Wird der IStGH in der Lage sein, Verbrechen gegen die Menschlich-keit und gegen das Völkerrecht effektiv zu verfolgen? Die Strafverfolgung des internationalen IStGH steht in einem stetigen Spannungsverhältnis zu der ein-zelstaatlichen Souveränität der Mitgliedsstaaten des IStGH und der Nichtmit-gliedsstaaten. Wie gestalten sich hier die Machtverhältnisse zwischen dem Wunsch nach einer effektiven Strafverfolgung durch den IStGH und dem An-spruch der Staaten auf Souveränität?
Dieses Spannungsverhältnis darzustellen und zu problematisieren ist Anspruch dieser Arbeit. Dafür wird zunächst der IStGH als internationale Organisation klassifiziert und kurz vorgestellt. Eine Darstellung der materiell-rechtlichen, der zeitlichen, der personalen und örtlichen Zuständigkeit des IStGH soll einen Eindruck über die Reichweite der Jurisdiktionsgewalt des IStGH bieten. Im Hauptteil der Arbeit wird das Spannungsverhältnis zwischen der Reichweite der Zuständigkeit des IStGH und der einzelstaatlichen Souveränität untersucht und problematisiert.
Es ist nicht das Anliegen dieser Arbeit die Entstehungsgeschichte, die Organisation und die Arbeit des IStGH vollständig darzustellen. Aus der Notwendig-keit der Beschränkung auf die wesentlichsten Elemente der Zuständigkeit des IStGH stellen die Zulässigkeit einer Klage und die Anfechtbarkeit der Ge-richtsbarkeit des IStGH keine Untersuchungsgegenstände dieser Arbeit dar. Die Notwendigkeit des Antrags zur Verfahreneinsleitung durch einen Mit-gliedsstaat, den UN-Sicherheitsrat oder ex officio durch den Ankläger des IStGH wird ebenfalls nur für die Einleitung des Verfahrens durch den UN-Sicherheitsrat dargestellt und problematisiert.
Als Primärquellen wurden das „Rome Statute of the International Criminal Court“ und das „Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwi-schen Staaten und internationalen Organisationen“ genutzt. Als Sekundärquel-len haben insbesondere die Werke von Jörg Meißner, Philipp Stempel und der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) einen besonderen Einfluss auf diese Arbeit.
In der Literatur haben sich weder die Bezeichnung ICC, International Criminal Court, noch die deutsche Übersetzung IStGH, Internationaler Strafgerichtshof, umfassend durchgesetzt. In dieser Arbeit wird ausschließlich die Bezeichnung IStGH benutzt werden. Alle folgenden nicht im besonderen gekennzeichneten Artikel, sind Artikel des Rome Statute of the International Criminal Court.
1 Der internationale Strafgerichtshof
Das erste Kapitel dieser Hausarbeit soll in die Arbeit des IStGH als internatio-nale Organisation einführen und einen ersten Eindruck des Spannungsfeldes zwischen einzelstaatlicher Souveränität und effektiver Arbeit des IStGH ver-mitteln.
1.1 Der IStGH als internationale Organisation
Prof. Dr. Schubert definiert in seinem Politiklexikon von 2006 internationale Organisationen als
„Zusammenschlüsse von Staaten, die durch völkerrechtliche Verträge gegründet worden und mit eigenen Organen und eigenen Zuständigkeiten ausgestattet sind. I.O. dienen da-zu, die konkret vereinbarten (und insofern begrenzten) politischen, militärischen, wirt-schaftlichen oder sozialen Aufgaben zu erfüllen, ohne die Souveränität der Mitglieds-staaten zu beieinträchtigen“ (Schubert 2006: 147).
Durch die folgende Subsumtion wird deutlich, dass es sich bei dem IStGH um eine unabhängige internationale Organisation handelt, die der obigen Definition entspricht.
Der IStGH wurde 1998 durch einen internationalen völkerrechtlichen Ver-trag in Rom gegründet. Heute haben mehr als 94 Staaten (vgl. Kaul 2005: 9) das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshof ratifiziert. Durch die Ratifizierung des 60. Mitgliedsstaats am 1. Juli 2002 wurde die Min-destzahl an Ratifizierungen erreicht. Der IStGH ist seit dem Jahre 2002 handlungsfähig. Ansässig ist der IStGH in Den Haag. Durch das Römische Statut wurde die Schaffung von eigenen Organen des IStGH vereinbart, sowie die Zuständigkeiten ebendieser benannt und begrenzt. Die Aufgabe des IStGH ist es über Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zu urteilen.
1.2 Einführung in das Spannungsfeld zwischen internationaler Ge-richtsbarkeit des IStGH und nationaler Souveränität
Fraglich ist, ob eine Ausübung der Gerichtsbarkeit durch den IStGH erfol-gen kann „ohne die Souveränität der Mitgliedsstaaten zu beinträchtigen“ (Schubert 2006: 147). Bezüglich dieses Punktes sind die Meinungen in der Literatur gespalten. Jörg Meißner sieht durch die Arbeit des IStGH die Mit-gliedsstaaten in ihrer Souveränität im Bereich der Straf- und Gebietshoheit sowie in der Immunität des Staates und seiner Amtsträger beeinträchtigt (vgl. Meißner 2003: 7 ff). Während Meißner von einem weiten Souveräni-tätsbegriff ausgeht und darunter das Recht und die Fähigkeit eines Staates versteht „seine Angelegenheiten selbst, unabhängig und frei von äußeren Beeinträchtigungen wahrzunehmen“ (Meißner 2003: 7), unterscheidet Steffen Wirth zwischen der Souveränität der Staaten im engeren Sinne und dem Bereich der domaine réservé. Der Bereich der domaine réservé ist nach dem Völkerrecht der alleinigen Regelung durch den einzelnen Staat überlassen (vgl. Dahm 2002: 804 ff). Unter Souveränität im engeren Sinne versteht Wirth, dass „der Staat über sich keine andere Autorität hat, als das Völker-recht“ (Wirth 2005: 47). Internationale Strafgerichte würden die souveräne Jurisdiktionsgewalt der Staaten nicht verletzen, „da die Staaten ihnen [den internationalen Strafgerichten] diese Jurisdiktionsgewalt in ausreichendem Umfang übertragen haben“ (Wirth 2005: 46). Des Weiteren verletzten inter-nationale Strafgerichte „auch die souveräne Strafimmunität nicht, da für internationale Verbrechen keine Immunität besteht“ (Wirth 2005: 46 ff).
An diesem Streitpunkt setzt die vorliegende Arbeit an. Es soll untersucht werden wie weit die Gerichtsbarkeit des IStGH reicht und inwieweit die einzelnen Staaten hierdurch in der souveränen Ausübung ihrer Jurisdikti-onsgewalt beschränkt werden.
2 Übersicht über die Reichweite der Gerichtsbarkeit des IStGH
Die Bestimmung des Bereichs auf den sich die Gerichtsbarkeit des IStGH erstreckt ist entscheidend, um die Bedeutung und die Durchsetzungsfähig-keit des IStGH im internationalen Staatensystem beurteilen zu können.
Zu unterscheiden ist die Gerichtsbarkeit ratione materiae (materiell-rechtlich), ratione temporis (zeitlich), ratione personae (personal) und die örtliche Gerichtsbarkeit ratione loci (vgl. Meißner 2003: 48).
2.1 Gerichtsbarkeit ratione materiae
In die inhaltliche Zuständigkeit des IStGH fallen Verbrechen, die so schwerwiegend sind, dass sie die internationale Staatengemeinschaft als Ganzes betreffen.
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- Arbeit zitieren
- Felix Hadwiger (Autor:in), 2008, Die Gerichtsbarkeit des IStGH, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/129903