„Am [2.] Juni 1821, ½ 10 Uhr abends, sticht der arbeitslose Friseur
Johann Christian Woyzeck, 41 Jahre alt, in einem Hausflur der Sandgasse in Leipzig die 46jährige Witwe Johanna Christiane Woost nieder.“ Diese Zeilen stammen aus den so genannten Clarus-Gutachten, welche Georg Büchner als Vorlage für sein Dramenfragment „Woyzeck“ dienten. Hinsichtlich Stoff- und Motivwahl orientierte sich Büchner neben dem „Fall Woyzeck“ noch an zwei weiteren historischen Fällen. Sie ähneln sich insofern, dass in allen drei Fällen ein Mann niederen soziales Status seine Geliebte mit einem Messer ermordete. Auch wurde nach der Tat stets ein gerichtsärztliches Gutachten hinsichtlich der Zurechnungsfähigkeit des Täters eingefordert. Da der „Fall Woyzeck“ die Hauptquelle Büchners darstellt, wird sich diese Arbeit allerdings ausschließlich auf diesen und die damit zusammenhängenden Clarus-Gutachten konzentrieren. Dabei gilt es zu beachten, dass die Gutachten nicht nur als bloßes Quellenmaterial verstanden werden dürfen. Denn durch die Transformation der historischen Gestalt in seine Dramenfigur „Woyzeck“ wendet sich Büchner gezielt gegen die Darstellung in den Gutachten und übt so gleichzeitig Kritik.
Wie diese Kritik im Einzelnen erfolgt, auf welche Weise Büchner durch Übernahme, vor allem aber durch Abwandlung, bestimmter Motive gegen die Clarus-Gutachten anschreibt, wird im Folgenden ausführlich untersucht. Zunächst aber soll eine kurze Gegenüberstellung von den historischen Gegebenheiten in den Clarus-Gutachten und Büchner’scher Woyzeck-Figur einen grundlegenden Überblick über die Materie ermöglichen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Historische Wirklichkeit und Büchners Drama im Vergleich
- Transformation - Mittel und Wirkung
- Prinzip der Entbrutalisierung
- Prinzip der Brutalisierung
- Kritik an Clarus' Unterstellung von Kant'scher Willensfreiheit
- Das Unterdrückungssystem
- Die Sprache Woyzecks - Zwischen Wahn und Wahrheit
- Büchners „Urteilsspruch“
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Transformation der historischen Figur Johann Christian Woyzeck in Büchners literarische Figur. Der Fokus liegt auf der Analyse der Mittel und der Wirkung dieser Transformation, insbesondere im Vergleich zu den Clarus-Gutachten, die als Vorlage dienten. Es wird geprüft, wie Büchner durch Übernahme und Abwandlung von Motiven Kritik an der Darstellung Woyzecks in den Gutachten übt.
- Vergleich der historischen Woyzeck-Figur mit der literarischen Figur Büchners
- Analyse der Mittel der Transformation (Entbrutalisierung und Brutalisierung)
- Kritik an Clarus' psychologischer Interpretation und dessen Fokus auf Willensfreiheit
- Die Rolle von Sprache und Wahnsinn in Büchners Darstellung
- Büchners „Urteilsspruch“ über die Gutachten und deren Interpretation
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung stellt die Arbeit vor und beschreibt den Fokus auf den Vergleich zwischen der historischen Figur Johann Christian Woyzeck und seiner literarischen Darstellung in Büchners Drama. Sie erläutert die Bedeutung der Clarus-Gutachten als Vorlage und die Absicht, Büchners Kritik an dieser Darstellung zu untersuchen. Der Schwerpunkt liegt auf der Analyse der Transformationsmethoden und deren Auswirkungen auf die Interpretation der Figur und des Dramas.
Historische Wirklichkeit und Büchners Drama im Vergleich: Dieses Kapitel vergleicht die historische Persönlichkeit Johann Christian Woyzeck, basierend auf den Clarus-Gutachten, mit der literarischen Figur in Büchners Drama. Es werden die Umstände des Mordes, Woyzecks sozialer Status und sein psychischer Zustand detailliert beschrieben. Der Vergleich verdeutlicht, wie Büchner die historischen Fakten selektiv verwendet und uminterpretiert, um seine eigene Aussagekraft zu verstärken. Besondere Aufmerksamkeit wird der kritischen Auseinandersetzung mit Clarus’ Schlussfolgerungen gewidmet, der Woyzecks Tat auf moralische Verkommenheit zurückführt, anstatt dessen psychischen Zustand zu berücksichtigen.
Transformation - Mittel und Wirkung: Dieses Kapitel analysiert die Methoden, die Büchner zur Transformation der historischen Figur einsetzt. Es werden die Prinzipien der „Entbrutalisierung“ und „Brutalisierung“ erläutert und anhand von Beispielen aus dem Drama veranschaulicht. Die Analyse umfasst die Kritik an Clarus’ Unterstellung von Kant'scher Willensfreiheit und die Darstellung des Unterdrückungssystems, das Woyzecks psychischen Zustand mit beeinflusst. Die Sprache Woyzecks wird als Mittel zur Darstellung seines Wahnsinns und seiner inneren Zerrissenheit untersucht. Die Kapitel betonen, wie Büchner durch subtile und gezielte Veränderungen der historischen Fakten eine deutlich andere Interpretation von Woyzecks Tat ermöglicht.
Schlüsselwörter
Georg Büchner, Woyzeck, Clarus-Gutachten, Transformation, Literatur, Drama, Historische Figur, Psychische Erkrankung, Willensfreiheit, Sozialkritik, Sprache, Wahnsinn, Unterdrückung.
Häufig gestellte Fragen zu: Analyse der Transformation der Figur Woyzeck in Büchners Drama
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert die Transformation der historischen Figur Johann Christian Woyzeck in Büchners literarische Figur. Der Fokus liegt auf dem Vergleich zwischen der historischen Person, basierend auf den Clarus-Gutachten, und der literarischen Darstellung im Drama. Die Arbeit untersucht die Mittel und die Wirkung dieser Transformation und analysiert, wie Büchner durch Übernahme und Abwandlung von Motiven Kritik an der Darstellung Woyzecks in den Gutachten übt.
Welche Quellen werden verwendet?
Die Hauptquelle ist das Drama "Woyzeck" von Georg Büchner. Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Analyse sind die Clarus-Gutachten, die als Vorlage für Büchners Drama dienten und die historische Figur Woyzecks beschreiben.
Welche Themenschwerpunkte werden behandelt?
Die Arbeit behandelt folgende Schwerpunkte: den Vergleich der historischen und der literarischen Figur Woyzecks; die Analyse der Transformationsmittel (Entbrutalisierung und Brutalisierung); die Kritik an Clarus' psychologischer Interpretation und dessen Fokus auf die Willensfreiheit; die Rolle von Sprache und Wahnsinn in Büchners Darstellung; und schließlich Büchners „Urteilsspruch“ über die Gutachten und deren Interpretation.
Wie wird die Transformation der Figur Woyzeck analysiert?
Die Analyse der Transformation erfolgt durch den Vergleich der historischen Person mit der literarischen Figur. Es werden die Prinzipien der "Entbrutalisierung" und "Brutalisierung" erläutert und anhand von Beispielen aus dem Drama veranschaulicht. Die Sprache Woyzecks wird als Mittel zur Darstellung seines Wahnsinns und seiner inneren Zerrissenheit untersucht.
Welche Kritik übt Büchner an den Clarus-Gutachten?
Büchner übt Kritik an Clarus' psychologischer Interpretation und dessen Fokus auf die Willensfreiheit. Clarus reduziert Woyzecks Tat auf moralische Verkommenheit, während Büchner den psychischen Zustand Woyzecks und das Unterdrückungssystem, das ihn beeinflusst, in den Vordergrund stellt.
Welche Rolle spielen Sprache und Wahnsinn in Büchners Darstellung?
Die Sprache Woyzecks wird von Büchner genutzt, um seinen Wahnsinn und seine innere Zerrissenheit darzustellen. Die Analyse der Sprache ist ein zentrales Element, um die psychische Verfassung Woyzecks zu verstehen und Büchners kritische Auseinandersetzung mit den Gutachten zu beleuchten.
Was ist Büchners „Urteilsspruch“ über die Gutachten?
Dieser Punkt bezieht sich auf die Gesamtaussage des Dramas im Kontext der Clarus-Gutachten. Büchner bietet durch seine literarische Gestaltung eine alternative Interpretation der Ereignisse und stellt die Schlussfolgerungen der Gutachten kritisch in Frage.
Welche Schlüsselwörter beschreiben den Inhalt der Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Georg Büchner, Woyzeck, Clarus-Gutachten, Transformation, Literatur, Drama, Historische Figur, Psychische Erkrankung, Willensfreiheit, Sozialkritik, Sprache, Wahnsinn, Unterdrückung.
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- Anonym (Autor:in), 2004, Transformation des historischen Woyzeck in die literarische Figur Büchners, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/129529