Die Idee von der Verbindung zwischen Kriminalität und animalischen Körpern hielt Ende des 19. Jahrhunderts Einzug in mannigfaltige Wissensdisziplinen, so auch in die Kriminalanthropologie im Deutschen Kaiserreich. An diesem Punkt lassen sich die Fragen stellen, welche Strategien im kriminologischen Diskurs des 19. Jahrhunderts angewandt wurden, um einen Konnex zwischen Verbrechen und körperlicher Abnormität ziehen zu können. Inwiefern wurde der „Verbrecherkörper“ kategorisiert und auf animalischen Entwicklungsstufen zurückgeführt? Welche Bedeutung spielten dabei rassistische Überlegungen? Es bleibt zu fragen, welchen Stellenwert biologistische Theorien in der Bekämpfung von menschlichem Gefahrenpotential einnahmen.
Ziel dieser Arbeit soll es sein, herauszufinden, welche Vorstellungswelten über Delinquenz zu Ende des 19. Jahrhunderts in der Kriminalanthropologie existierten und wie sie mittels der zur Verfügung stehenden Erkenntnissysteme er-schlossen und diskursiv formierten wurden. Es soll dargelegt werden, welche Erklärungsmuster und Motivkomplexe in kriminalbiologischen Abhandlungen verwendet wurden, um ein kausales Verhältnis zwischen Kriminalität und Atavismus oder Degeneration herzustellen. Übergeordnet lassen sich die Thesen aufstellen, dass die Kriminalanthropologie des 19. Jahrhunderts kriminalistische, biologische, medizinische und sozialwissenschaftliche Diskurse über die Genese von kriminellen Identitäten vereinte. Dem zeitgenössischen Sicherheitsempfinden gemäß ermöglichte das Wissen, um die besonderen physiologischen Erscheinungen eines Menschen Aufschluss über seine delinquente Veranlagung zu geben. Die Naturalisierung der Körperlichkeit des Rechtsbrechers rückte in den Fokus der Betrachtung: Seine physische Verfasstheit konnte mittels biologistischer Systematiken erfassbar gemacht werden. Dichotome Kategorien, wie menschlich/tierisch, zivilisiert/ unzivilisiert sowie krank/gesund, wurden auf den delinquenten Leib übertragen. Sie trugen dazu bei, dass gesellschaftliche Wahrnehmungs- und Deutungsmuster von abnormen Körperbildern konstituiert und reproduziert werden konnten.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Anthropologische Erfassung des menschlichen Körpers
- Entwicklungsstränge in der Frühen Neuzeit
- Entstehung der Anthropologie und der Subdisziplin Kriminalanthropologie
- Kriminologische Diskurse im 19. Jahrhundert
- Abnorme Verbrechernaturen bei Kurella (1893) und Näcke (1899/1902)
- Ursachen der Entstehung von Delinquenz
- Physische und psychische Merkmale von Verbrechern
- Animalische Entwicklungsstufen des Delinquenten
- Homo delinquens als Rassetypus
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht, welche Vorstellungen über Delinquenz Ende des 19. Jahrhunderts in der Kriminalanthropologie existierten und wie sie mittels der zur Verfügung stehenden Erkenntnissysteme erschlossen und diskursiv formierten wurden. Es werden Erklärungsmuster und Motivkomplexe in kriminalbiologischen Abhandlungen analysiert, um ein kausales Verhältnis zwischen Kriminalität und Atavismus oder Degeneration herzustellen.
- Kriminologische Diskurse und ihre Verbindung zu körperlicher Abnormität
- Kategorisierung des "Verbrecherkörpers" und seine Zuordnung zu animalischen Entwicklungsstufen
- Rassistische Überlegungen im Kontext der Kriminalanthropologie
- Die Rolle biologistischer Theorien in der Bekämpfung von menschlichem Gefahrenpotential
- Verwissenschaftlichung von Kriminalität und die Konstruktion von "abnormen Körperbildern"
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einleitung, die den Ausgangspunkt der Untersuchung anhand eines Zitats von Émile Zola festlegt und die zentralen Fragen der Arbeit formuliert. Anschließend werden verschiedene kriminologische Diskurse des 19. Jahrhunderts umrissen. Der Hauptteil der Arbeit konzentriert sich auf die wissenschaftlichen Abhandlungen von Hans Kurella und Paul Näcke, um anhand dieser exemplarisch zeitgenössische Vorstellungen über die "Bestie Mensch" nachzuvollziehen. Dabei werden die Thesen Kurellas und Näckes zu den Ursachen der Entstehung von Delinquenz, den physischen und psychischen Merkmalen von Verbrechern, den animalischen Entwicklungsstufen des Delinquenten und dem Homo delinquens als Rassetypus beleuchtet.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit der Kriminalanthropologie im 19. Jahrhundert, insbesondere mit den Thesen von Hans Kurella und Paul Näcke. Zentrale Begriffe sind Delinquenz, Atavismus, Degeneration, Verbrecherkörper, animalische Entwicklungsstufen, Rassetypus, biologistische Theorien, Körperlichkeit, Wissenschaft, Diskurs und Verwissenschaftlichung.
- Arbeit zitieren
- Franziska Völkel (Autor:in), 2017, Abnorme Körperkonstruktionen in der Kriminalanthropologie des 19. Jahrhunderts. Vorstellungen über Zusammenhänge zwischen Delinquenz und Körpermerkmalen, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/1278788