Diese Arbeit erläutert die Grundlagen zum Thema User Experience, beziehungsweise zu User Experience Design. Es werden ebenfalls Messmöglichkeiten und die psychologischen Prozesse hinter UX vorgestellt.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis II
1) Theoretisch-konzeptionelle Grundlagen
(i) Definition „User Experience“
(ii) Zentrale Komponenten der User Experience
(iii) spezifische Anforderungen des Designprozesses
2) Operativ-gestaltungsbezogene Aspekte
(iv) Verfahren zur Messung der Nutzererfahrung
(iv.i) Allgemeiner Überblick
(iv.ii) Erläuterung eines Messverfahrens anhand eines Beispiels
(v) psychologische Prozesse
Literaturverzeichnis
Eidesstattliche Erklärung
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 Utility und Usability als Teilmenge der User Experience (Quelle: Weichert, Quint, & Bartel, 2021, S. 21)
Abbildung 2 Komponentenmodell der User Experience nach Thüring und Mahlke (Quelle: Gast, 2018, S. 16)
Abbildung 3 Methoden der User Experience Messung nach Sardonick und Braun (2011) (Quelle: Gast, 2018, S. 18
Abbildung 4 User Experience Questionaire Fragebogen in Deutsch (Quelle: Hinderks, Schrepp, & Thomaschewski, o.J.)
Abbildung 5 Eigene Durchführung des UEQ Fragebogens mit der App Duolingo (Quelle: Eig. Darstellung nach German UPA, o.J.)
Abbildung 6 Ergebnisse „Mean value per Item“ (Quelle: German UPA, o.J.)
Abbildung 7 Ergebnisse der sechs Scales in Form eines Säulendiagramms (Quelle: German UPA, o.J.)
Abbildung 8 Uncanny Cliff Effect verdrängt den Uncanny Valley Effect nach Mori (Quelle: Bartneck, Kanda, Ishiguro, & Hagita, 2007, S. 373)
Abbildung 9 Restorff-Effekt bei verschiedenen Abo-Modellen (Quelle: Welter, 2021)
1) Theoretisch-konzeptionelle Grundlagen
(i) Definition „User Experience“
Seit 1999 gibt es für den Themenkomplex „User Experience“ (auch UX genannt) eine internationale Normenreihe. Unter der DIN EN ISO 9241-210 „Prozess zur Entwicklung gebrauchstauglicher interaktiver Systeme“ wird User Experience wie folgt definiert: „Wahrnehmungen und Reaktionen einer Person, die aus der tatsächlichen und/oder der erwarteten Benutzung eines Produktes, eines Systems oder einer Dienstleitung resultieren.“ (Gast, 2018, S. 14). Des Weiteren gibt es in der Norm einige Anmerkungen zur inhaltlichen Abgrenzungen ähnlicher Begriffe. Unter Anmerkung 1 definiert die Norm: „User Experience umfasst sämtliche Emotionen, Vorstellungen, Vorlieben, Wahrnehmungen, physiologischen und psychologischen Reaktionen, Verhaltensweisen und Leistungen, die sich vor, während und nach der Nutzung ergeben.“. Unter der zweiten Anmerkung beschreibt die Norm User Experience des Weiteren als: „User Experience ist eine Folge des Markenbilds, der Darstellung, Funktionalität, Systemleistung, des interaktiven Verhaltens und der Unterstützungsmöglichkeiten des interaktiven Systems, des psychischen und physischen Zustands des Benutzers aufgrund seiner Erfahrungen, Einstellungen, Fähigkeiten und seiner Persönlichkeit sowie des Nutzungskontextes.“ (Martin & Ronft, 2020, S. 33).
Weichert et al. definieren, dass die User Experience eines Produktes oder einer Dienstleistung immer aus den beiden Komponenten Utility und Usability bestehe (Weichert, Quint, & Bartel, 2021, S. 21-22). Somit sind Utility und Usability wesentliche Bestandteile der User Experience und werden im nachfolgenden Kapitel weiter ausgeführt („(ii) Zentrale Komponenten der User Experience“).
Der Autor Thüring brachte zeitliche Aspekte als Rahmenbedingung mit ein, indem er den Zeiträumen vor und nach der Nutzung eine entscheidende Rolle für die Untersuchung der User Experience zusprach. Auch die Autoren Pohlmeyer, Blessings und Hecht entwickelten das „ContinUE-Modell“ nach der DIN-Norm, jedoch schenkten sie, wie Thüring, den Phasen vor und nach der Nutzung des Produkts/ der Dienstleistung eine größere Bedeutung, indem sie diese Phasen noch differenzierter betrachten und weiter untergliederten. Besonders die Phasen nach der Nutzung werden in dem Modell betrachtet und diskutiert. Allerdings formulieren die Autoren die Prämisse, dass die einzelnen Phasen keine in sich abgeschlossene Phasen darstellen, sondern, dass sie sich alle gegenseitig beeinflussen (Gast, 2018, S. 15).
Warum die Phasen vor und nach der Nutzung ebenfalls bedeutsam für die User Experience sind veranschaulicht ein Beispiel: Angenommen ein Nutzer hört von einem Produkt, welches individuell für ihn negative Eigenschaften, aufgrund von persönlichen Werten besitzt. Die Vorerfahrungen und die Erwartung an das Produkt sind schon vor der eigentlichen Nutzung negativ geprägt. Durch solch negative Vorstellungen kann es durchaus dazu kommen, dass der Nutzer das Produkt nie wirklich kaufen möchte, bzw. nutzt. Genauso wenn ein Nutzer ein Produkt oder eine Dienstleistung ausprobiert und nach der Nutzung feststellt, dass die Erwartungen an das Produkt, bzw. die Dienstleistung nicht komplett erfüllt wurden. In dieser Reflexionsphase entscheidet der Nutzer für sich, dass er dieses Produkt, bzw. diese Dienstleistung nicht mehr nutzen möchte.
Somit umfasst der Begriff User Experience alle kognitiven und emotionalen Einflüsse, die ein Produkt oder eine Dienstleistung sowohl vor der Nutzung, als auch während und nach der Nutzung, auf den Nutzer aufweist. Gerade die Faktoren Emotionen, Wahrnehmungen und Vorstellungen und die daraus resultierenden Nutzungsbewertungen der Nutzer stellen eine entscheidende Größe dar, die zu beachten ist.
Die aktuellen Theorien der User Experience in der Literatur lassen sich nach holistischen und reduktionistischen Theorien differenzieren. Die holistischen Theorien sehen die User Experience als allumfassend und wollen somit diese ganzheitlich erklären. Diese beruhen auf Konstrukten, die, wegen mangelnder Operationalisierbarkeit, die genaue Messung der User Experience erschweren, bzw. verhindern. Auf der anderen Seite seien die reduktionistischen Theorien, dessen Konstrukte sich auf wesentliche Erlebensaspekte beschränken und sich valide messen lassen können. Der zuvor genannte Autor Thüring und die Autoren Pohlmeyer, Blessings und Hecht betrachteten die User Experience in ihrem Modell als eine reduktionistische Theorie (Gast, 2018, S. 16).
Gemessen wird die User Experience durch Methoden wie Befragungen und Interviews, Eye-Tracking und viele mehr (siehe Kapitel „(iv) Verfahren zur Messung der Nutzererfahrung“). Werte werden in Metriken wie beispielsweise Success Rate, Error Rate, Clicks To Completion, usw. gemessen, um so die Performance eines Produktes einschätzen zu können. Zu dieser Bewertung zählen, wie oben erwähnt, auch die Emotionen, die bei/ vor/ nach der Nutzung aufkommen und mit dem Produkt, bzw. der Dienstleistung assoziiert werden (Van de Sand, 2017, S. 8).
(ii) Zentrale Komponenten der User Experience
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 Utility und Usability als Teilmenge der User Experience (Quelle: Weichert, Quint, & Bartel, 2021, S. 21)
Utility und Usability : Weichert et al. definieren, dass die User Experience eines Produktes oder einer Dienstleistung immer aus Utility und Usability bestehe. Die Utility beschreiben sie als den Nutzen eines Produktes/ einer Dienstleistung, welche die absolute Grundvoraussetzung für den Erfolg des Produkts/ der Dienstleistung darstelle. Denn erst wenn Utility in Form eines Mehrwerts gegeben ist, kann die Nutzerfreundlichkeit darauf aufbauen und somit eine positive User Experience entstehen. Außerdem enthält eine User Experience mit einer guten Utility alle Funktionen, die der Nutzer benötigt, um sein Ziel zu erreichen. Es gibt somit keine Funktionen, die für den Nutzer unnötig oder lästig sind. Die Usability (DIN EN ISO 9241-11 (Martin & Ronft, 2020, S. 33)) hingegen definieren Weichert et al. als einen angemessenen Aufwand, um das Ziel eines Nutzers zu erreichen (Weichert, Quint, & Bartel, 2021, S. 22). Gute Usability wäre beispielsweise gegeben, wenn der Nutzer seine gesuchte Information direkt innerhalb von zwei Klicks auf einer Webseite findet und nicht erst längere Zeit durch viele Unterseiten der Webseite scrollen muss. Auch der Weg zum Ziel sollte möglichst einfach gestaltet sein, dass jeder Nutzer intuitiv weiß, auf was und wo er genau klicken muss, um an seine Informationen zu gelangen. Werden die drei Begrifflichkeiten nun miteinander verbunden, bzw. in Beziehung gebracht, kann die User Experience als das Erreichen des Ziels des Nutzers in einem angemessenen Aufwand definiert werden, bei dem der Nutzer außerdem bestenfalls ein positives Gefühl wie Freude, Zufriedenheit oder Spaß fühlt und seine Erwartungen nicht nur gerecht werden, sondern im besten Fall übertroffen werden (Weichert, Quint, & Bartel, 2021, S. 22).
Die Werte Utility und Usability sind zentrale Komponenten der User Experience, denn fehlt einer der Werte, kann keine User Experience entstehen, bzw. im schlimmsten Fall entsteht eine negative User Experience. Ein Beispiel für fehlende Utility wäre, wenn ein Produkt zwar sehr einfach zu bedienen scheint und auch sehr stylisch aussieht, doch der Kunde, bzw. der Nutzer braucht es schlichtweg nicht. Entsteht für den Nutzer keinen Mehrwert, gibt es auch keinen Grund das Produkt zu kaufen. Die Start-up Gründer von Pinky Gloves aus der Höhle der Löwen mussten dies am eigenen Leib erfahren: Ihr Produkt – pinke Handschuhe für Menstruierende für ein „diskretes und hygienisches“ Wegwerfen der Tampons– sah zwar schön aus und war auch einfach zu benutzen, wurde wegen des fehlenden Mehrwerts und Nutzens für Menstruierende trotzdem mit Shitstorms und Hasskommentaren überschüttet, bis die Gründer die Produktion und den Vertrieb letztendlich einstellten (Stern.de Redaktion, 2021). Fehlt dem Produkt bzw. der Dienstleistung die Usability können ebenfalls Probleme für den Nutzer auftreten. Ein Beispiel wäre eine schön gestaltete App mit gut überlegten Nutzen und Mehrwert für die Kunden, doch die App lässt sich nur schwer bedienen und ist überhaupt nicht nutzerfreundlich. Liegt so ein Fall vor, ist es fast unmöglich eine positive User Experience zu erleben, da spätestens bei der Nutzung der App beim Nutzer negative Gefühle wie Ärger oder Frustration aufkommen. In der Praxis kommt dies vor, wenn der Fokus des Produkts auf dem Design oder der Sicherheit liegt und nicht auf der Nutzerfreundlichkeit (Weichert, Quint, & Bartel, 2021, S. 23). Die Benutzung dieser App wird dem Nutzer immer negativ in Erinnerung bleiben und im schlimmsten Fall löscht er die App und benutzt eine ähnliche App von einem Wettbewerber, der mehr Fokus auf Nutzerfreundlichkeit legt.
Neben den zentralen Komponenten der Usability und der Utility, ohne die keine positive User Experience entstehen könne (Weichert, Quint, & Bartel, 2021), gibt es noch weitere Komponenten, die es zu beachten gilt.
User Experience Management : Um die User Experience und die damit verbundene Usability und Utility steuern zu können, gibt es das User Experience Management, bzw. das UX Management. Weichert et al. definieren diesen Begriff als die Summe aller Führungsaufgaben, die die User Experience in einem Unternehmen, bzw. in einer Organisation ermöglicht und die damit verbundenen Basisbedingungen kontinuierlich verbessert. Um also eine erfolgreiche User Experience zustande zu bringen, müssen alle Prozesse zu diesem Thema geplant, umgesetzt und kontrolliert werden. Somit ist das Management der User Experience ebenfalls ein wesentlicher Bestandteil einer positiven User Experience.
Das User Experience Management lässt sich aus zwei Perspektiven betrachten: Die Produktperspektive und die Unternehmensperspektive. In der Vergangenheit betrachteten die meisten Unternehmen oder Organisationen User Experience Management aus der Produktperspektive, indem sie sich fragten wie das Unternehmen eine positive User Experience für ein Produkt oder eine Dienstleistung gewährleisten kann. Die Autoren verdeutlichen, dass wenn ein Unternehmen nur diese Perspektive des User Experience Managements betrachtet, die Verbesserung der User Experience irgendwann stagnieren wird. Ausreden, die in einem Betrieb oft vorkommen, wie „Es gibt kein weiteres Budget mehr“, „Wir haben eben nur dieses Personal“ oder „Zuerst muss dieses wichtige Projekt erledigt werden“ verhindern die User Experience Optimierung auf langer Ebene. Um dies zu verhindern sollte ein Unternehmen auch die andere Perspektive, die Unternehmensperspektive betrachten und sich zu Herzen nehmen. Durch die Unternehmensperspektive wird ausgearbeitet, wie die User Experience in dem kompletten Unternehmen, bzw. der Organisation verankert werden könne. Ziel dieser Perspektive sei es User Experience produkt-, abteilungs- und projektübergreifend zu managen. Erst wenn diese Perspektive im Unternehmen etabliert ist, ist es dem Unternehmen überhaupt erst möglich, Raum für Produkte und Dienstleistungen mit dauerhaft guter User Experience entstehen zu lassen (Weichert, Quint, & Bartel, 2021, S. 12-14).
Zentrale Komponente der User Experience laut Thüring und Mahlke : Laut Thüring wird jede Interaktion zwischen einem Benutzer und einer interaktiven Anwendung dadurch geprägt, dass die Erfahrung der Benutzerinteraktion die Effizienz und Effektivität der an der Anwendung durchgeführten Prozesse aktiv beeinflusst. Das „Components of User Experience Model“, welches Thüring gemeinsam mit dem Autor Mahlke 2007 entwickelte, geht davon aus, dass die User Experience kontinuierlich als qualitätsrelevante Größe einer interaktiven Anwendung gilt. Thüring und Mahlke nennen die zentralen Komponenten Wahrnehmung und Emotionen, die von Interaktionsmerkmalen abhängig sind und die Konsequenzen der Nutzung beeinflussen (siehe Abb. 2).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2 Komponentenmodell der User Experience nach Thüring und Mahlke (Quelle: Gast, 2018, S. 16)
Der Bereich Interaktionsmerkmale bildet hierbei das Äquivalent zu den in der DIN-Norm genannten Zeitabschnitten „vor der Nutzung“ und die Konsequenzen bilden das Äquivalent zu „nach der Nutzung“. Die Interaktionsmerkmale existieren schon vor der Nutzung und bilden die Grundlage für die Emotionen und Wahrnehmungen, die wiederum über Akzeptanz und Weiternutzung entscheide (Gast, 2018, S. 16).
Die drei Einflussgrößen der Interaktionsmerkmale sind System, Nutzer und Kontext. Mit System ist das „look and feel“ der zu untersuchenden Anwendung gemeint, welche alle Funktionalitäten und deren Umsetzung im Design darstellen (Gast, 2018, S. 17). Zentrale Komponenten des Designs der User Experience werden nachfolgend in diesem Kapitel erörtert.
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