In der folgenden Arbeit steht die Frage im Fokus, ob das historische Erbe der Stadtplanung der 1950er bis 1980er Jahre einen konstitutiven Charakter für die gegenwärtige Gesellschaft ausstrahlt, der in der Lage ist, traditionelle Arbeitsteilung nach dem Leitbild des Ernährer-Modells zu begünstigen.
Im Lichte der Stadtsoziologie wird städtischer Raum in gleichem Maß als Produkt als auch als notwendige Bedingung sozialen Handelns verstanden. Die Gestalt einer Stadt wird also durch gesellschaftliche Strukturen geformt und umgekehrt. Diese „Dualität“ zeigt sich beispielsweise im Blickwinkel auf Stadt vor ihrem geschichtlichen Hintergrund. Stadtplanung stellte seit jeher die notwendige Bedingung der Menschheitsgeschichte und Kultur für die Entwicklung von Arbeitsteilung, Gütertausch, Herrschafts- und Lebensformen, Verkehrssysteme, Versorgungstechniken und jegliche Formen kulturschaffender Elemente (Schäfers, 2006, S. 14). Im Lichte dessen wird deutlich, dass durch Stadtplanung nicht nur der Raum geordnet, sondern auch die Gestaltung der gesellschaftlichen Organisation maßgeblich mitbestimmt wird. Die kommunale Stadtplanung ist vor diesem Hintergrund im weitesten Sinne also auch als Gesellschaftsplanung zu verstehen, indem der zukünftige Rahmen für die inhaltliche und infrastrukturelle Gesamtentwicklung einer Gemeinde manifestiert wird.
Bis zum Jahr 1977 galt in Deutschland die sog. „Hausfrauenehe“ und damit eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und hierarchische Machtverteilung in der Ehe als gesetzlich normiertes gesellschaftliches Leitbild, welches mit der Reform des ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts von 1976 durch das Partnerschaftsprinzip abgelöst wurde (Gerhard, 2008). Von einem emanzipatorischen Erkenntnisinteresse geleitet, beleuchten die nachfolgenden Ausführungen, inwiefern das bis 1977 gesetzlich geregelte Leitbild der „Hausfrauenehe“ – im Folgenden auch „Ernährer-Modell“ genannt - gleichsam auch in die Bestrebungen städtebaulicher Planungen übersetzt wurde und in welcher Form es sich in der Stadtgestalt vieler deutscher Städte verankert hat.
Inhalt
I. Einleitung
II. Stadtplanung und Gemeinwohl in den 1950er bis 1980er Jahren
III. Das historischen Erbe im Verhältnis zur Gegenwartsgesellschaft
IV. Fazit
V. Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Im Lichte der Stadtsoziologie wird städtischer Raum in gleichem Maß als Produkt als auch als notwendige Bedingung sozialen Handelns verstanden. Die Gestalt einer Stadt wird also durch gesellschaftliche Strukturen geformt und umgekehrt. Diese „Dualität“ zeigt sich beispielsweise im Blickwinkel auf Stadt vor ihrem geschichtlichen Hintergrund. Stadtplanung stellte seit jeher die notwendige Bedingung der Menschheitsgeschichte und Kultur für die Entwicklung von Arbeitsteilung, Gütertausch, Herrschafts- und Lebensformen, Verkehrssysteme, Versorgungstechniken und jegliche Formen kulturschaffender Elemente (Schäfers, 2006, S. 14). Im Lichte dessen wird deutlich, dass durch Stadtplanung nicht nur der Raum geordnet, sondern auch die Gestaltung der gesellschaftlichen Organisation maßgeblich mitbestimmt wird. Die kommunale Stadtplanung ist vor diesem Hintergrund im weitesten Sinne also auch als Gesellschaftsplanung zu verstehen, indem der zukünftige Rahmen für die inhaltliche und infrastrukturelle Gesamtentwicklung einer Gemeinde manifestiert wird.
Bis zum Jahr 1977 galt in Deutschland die sog. „Hausfrauenehe“ und damit eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und hierarchische Machtverteilung in der Ehe als gesetzlich normiertes gesellschaftliches Leitbild, welches mit der Reform des ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts von 1976 durch das Partnerschaftsprinzip abgelöst wurde (Gerhard, 2008). Von einem emanzipatorischen Erkenntnisinteresse geleitet, beleuchten die nachfolgenden Ausführungen, inwiefern das bis 1977 gesetzlich geregelte Leitbild der „Hausfrauenehe“ – im Folgenden auch „Ernährer-Modell“ genannt - gleichsam auch in die Bestrebungen städtebaulicher Planungen übersetzt wurde und in welcher Form es sich in der Stadtgestalt vieler deutscher Städte verankert hat.Konkret steht die Frage im Fokus, ob das historische Erbe der Stadtplanung der 1950er bis 1980er Jahre einen konstitutiven Charakter für die gegenwärtige Gesellschaft ausstrahlt, der in der Lage ist, traditionelle Arbeitsteilung nach dem Leitbild des Ernährer-Modells zu begünstigen.
Die hiesigen Ausführungen beziehen sich dabei insbesondere auf die Charta von Athen und das darin formulierte Konzept einer funktionellen Stadt, welches in der Nachkriegszeit eine wichtige Referenz deutscher Stadtplanung gewesen ist (Beckmann, 2011, S.20). Bezugspunkt der nachfolgenden Ausführungen soll ferner die Genus-Gruppe Frau im Spannungsfeld zwischen Reproduktions- und Produktionsarbeit sein.
II. Stadtplanung und Gemeinwohl in den 1950er bis 1980er Jahren
Das kommunale Stadtplanungsrecht handelt im Rahmen des geltenden Bauplanungsrechts und legitimiert sich durch das in Art. 28 grundgesetzlich verankerte Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden. Der Leitsatz, dem dieses Selbstverwaltungsrecht und damit auch die Stadtplanung unterstellt ist, ist das Gemeinwohl. So heißt es nach dem Wortlaut der Gemeindeordnung NRW in Paragraph 1, dass Gemeinden das Wohl der Einwohner in freier Selbstverwaltung durch ihre von der Bürgerschaft gewählten Organe fördern und gleichsam in Verantwortung für die zukünftigen Generationen handeln. Die grundlegende Maxime „Gemeinwohl“ wurde bereits mit dem erstmaligen Beschluss der Gemeindeordnung NRW im Jahr 1952 determiniert und erweckt Stadtplanung seither zu einem stetigen Aushandlungsprozess, der immerzu mit neuen Inhalten belebt werden kann. Denn die Definition dessen, was das angestrebte Gemeinwohl beinhaltet liegt zum einem im Geist der Zeit und zum anderen in der Perspektive der Definitionsgeber – sprich der am Stadtplanungsprozess beteiligten Personen.
Der Geist der Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts war im Hinblick auf die Stadtplanung stark durch das Aufkommen neuer Verkehrstechnologien wie Bahnverbindungen und Automobilverkehr geprägt. Die Möglichkeiten städtischen Raum neu zu entwerfen, wurden durch diese Neuerungen mannigfaltig erweitert. Das Erfordernis einen grundlegenden Umbruch zu vollziehen, sah man seinerzeit in der althergebrachten aber weitestgehend planlosen räumlich engen Verzahnung von Wohnen und Arbeiten, die durch die Industrialisierung jedoch ins „Chaos“ gestürzt wurde (Hilpert, 1988, S.62). Mit Chaos betitelte man dabei die Einbußen der Wohnqualität durch Emissionen umliegender Produktionsstätten, was nebst dem Vorteil kurzer Wegstrecken aus Planersicht überwiegte (Hilpert, 1988, S.126; Mästle, 2006, S.17). Im Zuge dessen formulierte der Architekt Jeanneret-Gris – besser bekannt unter dem Pseudonym „Le Corbusier“ – im Jahr 1943 insgesamt 95 Thesen – die sog. Charta von Athen – die in der Literatur unter dem Oberbegriff der funktionellen Stadt oder der fordistischen Stadt Anklang findet. Quell dieser Leitlinien war ein 1933 in Athen abgehaltener internationaler Kongress in dem Le Corbusier federführend agierte (Hilpert, 1988, S.62). „Aus dem Text, der als Abschlusserklärung des Kongresses über die ´Funktionelle Stadt´ verbreitet wurde, war [jedoch] vieles entfernt, was den Anschauungen Le Corbusiers über den Prozess von Stadtplanung zuwiderlief.“ (Hilpert, 2015, S.202) Nichtsdestoweniger prägte die Übersetzung der darin formulierten fordistischen Grundgedanken die Praxis der städtebaulichen Entwicklung nachhaltig. Insbesondere die städtebaulichen Leitbilder der 1950er und 1960er Jahre - „Gegliederte und aufgelockerte Stadt“ und „Autogerechte Stadt“ - führten das planerische Konzept der Charta von Athen aus (Beckmann, 2011, S.20).In der Form des Leitbilds blieben die zunächst konsensualen städtebaulichen Ziele zwar gewissen Interpretationsspielräumen offen, fanden jedoch ab den 1960er Jahren letztlich inhaltlich Einklang in den erstmals verabschiedeten Normen des Bauplanungsrechts, so wie es auch heute in weiterentwickelter Form fortbesteht (Jessen, 2018, S.1400). So „etwa das Prinzip der Funktionstrennung in die erste Fassung der Baunutzungsverordnung vom 26. Juni 1962 (BGBl.I, 429)“ (Jessen, 2018, S.1400). Das Prinzip der funktionalen Trennung teilt die Stadt in spezifische Nutzungszonen – Wohnen, Arbeiten und Freizeit - auf. Die weitläufigen Nutzungszonen galt es nach dem Leitbild der Charta von Athen durch Verkehrsadern miteinander zu verbinden. Daneben ließe sich das planerische Grundkonzept wie folgt resümieren. Das Zentrum der Stadt sollte ein Agglomerat aus Handel, Verwaltung und Kultur bilden. Die zweite Urbane Ebene war einem breitem aber strikt voneinander zu trennendem Gürtel aus Wohnen, Industrie und Gewerbe vorbehalten. Schließlich sollte der Stadtrand die aus dem Stadtkern verbannten Wohnquartiere in neu zu errichtenden Satellitenstädten vereinen, dessen alleiniger Zweck dem wohnen dienen sollte. Lebensqualität versprach man sich neben der Funktionstrennung dabei auch durch die Bauhöhe, die ausreichend Platz für Grünflächen ebnen sollte (Leggewie, 2015, S. 362). Zwei ganz wesentlichen Aspekte - die strikte Funktionstrennung mit Ausrichtung auf das Agglomerat im Stadtkern mit Verkehr als verknüpfendem Element – haben sich in der Geschichte der Stadtplanung als besonders prägend erwiesen (Beckmann, 2011, S.20). Aus jenem Grund beziehen sich die nachfolgenden Ausführungen hierauf, während weitere Wesenszüge und Produkte der Charta von Athen – wie Ästhetik oder architektonische Belange (z.B. Bauhöhe etc.) – ausgeklammert werden.
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