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Hausarbeit, 2021
19 Seiten
1 Hinführung
2 Autismus - Spektrum - Störungen
2.1 Historie des Störungsbildes Autismus
2.2Diagnostik von Autismus-Spektrum-Störungen
2.3 Symptomatik von Autismus-Spektrum-Störungen
3 Lebensweltorientierte Soziale Arbeit
3.1 Lebenswelt und Alltag
3.2 Dimensionen Lebensweltorientierter Sozialer Arbeit
3.3 Strukturmaxime Lebensweltorientierter Sozialer Arbeit
4 Lebensweltorientierte Soziale Arbeit mit Menschen mit Autismus
4.1Zeit, Raum und soziale Bezüge im Erleben von Menschen mit Autismus
4.2Folgen für Organisationen für Menschen mit Autismus
4.2.1 Partizipation von Menschen mit Autismus
4.2.2 Dezentralisierung, Regionalisierung und Netzwerk für Menschen mit Autismus
4.2.3 Inklusion und Integration von Menschen mit Autismus
5 Fazit
6 Literaturverzeichnis
Diese Hausarbeit befasst sich mit dem Störungsbild von Autismus-Spektrum-Störungen und dem Konzept der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit. Dem Leser soll ein umfassender Überblick über die Krankheit, die Historie, die Diagnostik und die Symptomatik gegeben werden. Anschließend wird das Konzept der Lebensweltorientierung nach Hans Thiersch erläutert. Neben den Begriffen „Alltag“ und „Lebenswelt“ werden die Dimensionen so wie die Strukturmaxime dieses Ansatzes dargelegt. Schließlich wird das Konzept der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit auf das Störungsbild von Autismus-Spektrum-Störungen angewandt. Es werden die Besonderheiten in der Wahrnehmung bezogen auf erlebte Zeit, erlebter Raum und soziale Bezüge der Betroffenen herausgearbeitet und Folgen für Organisationen, welche mit autistischen Menschen arbeiten, beleuchtet. Im Fazit wird die Leitfrage beantwortet und es werden Prämissen für eine vollständige Integration von Menschen mit Autismus-SpektrumStörungen aufgestellt.
This paper deals with the disorder of autism spectrum disorders and the concept of lifeworld-oriented social work. The reader will be given a comprehensive overview of the disorder, its history, diagnosis and symptoms. The concept of lifeworld orientation according to Hans Thiersch is then explained. In addition to the terms "everyday life" and "lifeworld", the dimensions as well as the structural maxims of this approach are presented. Finally, the concept of lifeworld-oriented social work is applied to the disorder of autism spectrum disorders. The particularities of perception in relation to experienced time, experienced space and social relations of those affected are elaborated and consequences for organisations working with autistic people are highlighted. In the conclusion, the main question is answered and premises for a complete integration of people with autism spectrum disorders are established.
Abbildung 1. Das Stufenmodell der Partizipation
In der Öffentlichkeit wird das Bild von Autismus jenseits der wissenschaftlichen Erkenntnisse geprägt. „Dazu gehören Berichte in Funk und Fernsehen, Zeitschriften und Tageszeitungen, aber vor allem Verkörperungen in Filmen, in der Literatur sowie die - meist posthumen - Diagnostizierungen von bekannten Persönlichkeiten“ (Bölte, 2009, S. 13). Im Jahr 2009 gab es ungefähr 60 Kino- und Fernsehfilme, die das Thema Autismus beinhalteten. Zu diesen Produktionen zählen „Rain Man“ (1988), „Forrest Gump“ (1994), „The other sister“ (1999) und „Mozart and the Wale“ (2005). In diesen Filmen wird der autistische Protagonist nicht in seiner natürlichen Lebenswelt, gesellschaftlich integriert und als selbstständiges Individuum porträtiert. Meistens wird das Schicksal der Betroffenen mit anschließender Heilung, bzw. Rettung erzählt oder sie werden als Genies dargestellt. Oft werden in älteren Filmen noch die Spekulationen vertreten, dass Autismus nur im Kindheitsalter auftritt und vor Beginn des Erwachsenenalters wieder verschwindet oder geheilt werden kann (vgl. Bölte, 2009, S. 14). Nach dem aktuellen Forschungsstand ist bekannt, dass Autismus nicht geheilt werden kann und auch keine Krankheit ist, von der ausschließlich Kinder betroffen sind. Der erwachsene Asperger-Autist Rainer Döhle bezeichnet sich selbst als „Chinese im Abendland“, der die gleichen Wörter benutzt und denkt wie alle Menschen und trotzdem eine andere Sprache spricht (vgl. Bölte, 2009, S. 529). In der Sozialen Arbeit gibt es verschiedene Konzepte und Ansätze, die sich mit der Krankheit und Symptomatik von Autismus-Spektrum-Störungen beschäftigen. Eines dieser Konzepte ist die Lebensweltorientierte Soziale Arbeit nach Hans Thiersch. Diese betrachtet den/die Adressaten*in in seiner/ihrer natürlichen Lebenswelt und versucht daraufhin Strategien für einen gelingenden Alltag zu entwickeln. In dieser Hausarbeit soll die Frage beantwortet werden, inwiefern die Dimensionen und Strukturmaxime der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit in Hinblick auf Menschen mit Autismus anzuwenden sind und was die Erkenntnisse über diese Krankheit für die Organisationen der Behindertenhilfe bedeuten. Um die Leitfrage zu beantworten, werden zu Beginn der Hausarbeit die Historie des Störungsbildes, die Diagnostik und die Symptomatik von Autismus-Spektrum-Störungen erklärt. Daraufhin werden die Ausgangspunkte lebensweltorientierter Soziale Arbeit vorgestellt. Zu diesen zählen die Begriffe des Alltags und der Lebenswelt, die Dimension und die Strukturmaxime des Konzeptes. Schließlich werden die Grundlagen lebensweltorientierter Sozialer Arbeit auf das Störungsbild der Autismus-Spektrum-Störung angewandt und die Folgen für Organisationen für Menschen mit Autismus dargelegt. Die Beantwortung der Leitfrage und alle gewonnen Erkenntnisse werden im Fazit zusammengefasst.
Autismus-Spektrum-Störungen stehen seit einiger Zeit im Zentrum der Forschung und der Wissenschaft so wie in der öffentlichen Diskussion. Der Begriff „Autismus“ kommt aus dem griechischen und teilt sich in die zwei Worte autos (=selbst) und ismos (=Zustand, Orientierung) und bedeutete ursprünglich einen „egozentrischen Rückbezug in sich selbst und die eigene Gedankenwelt, bei gleichzeitigem Abschied von der Außenwelt, im Rahmen schizophrener Störungen“ (Kabsch, 2017, S. 27)
Die Bezeichnung des „Autismus“ wurde das erste Mal im Jahr 1911 von Eugen Bleuler in Bezug auf seine Schizophrenie-Forschung verwendet (vgl. Kabsch, 2017, S. 28). Eugen Bleuler bezeichnete ein führendes Symptom der Schizophrenie als autistisch und bis in die 70er Jahre wurde Autismus als sehr früh beginnende Form der Schizophrenie gesehen. In den Jahren 1943 und 1944 diagnostizierten der Wiener Kinderarzt Hans Asperger und der aus Baltimore stammende Kinderpsychiater Leo Kanner Kinder mit ausgeprägter Störung im Sozialkontakt als autistisch. Kanner fasste Kinder mit den Symptomen der Kontaktablehnung, des Nicht-Sprechens und der Verwendung von Echolalie unter dem bis heute geläufigen Begriff „Frühkindlicher Autismus“ auf. Asperger untersuchte Kinder mit auffälligem Sozialverhalten und Problemen in der interpersonellen Kommunikation und prägte anhand dieser Symptome das „Asperger-Syndrom“ (vgl. Kabsch, 2017, S. 28). „In den 1970er Jahren lag der Fokus der Erklärungsansätze auf der 1967 erstmals von Bruno Bettelheim beschriebenen tiefenpsychologischen Blickrichtung innerhalb der Entwicklungspsychologie“ (Kabsch, 2017, S. 29). Man ging davon aus, dass der Auslöser für Autismus eine unterlassene Entwicklungsaufgabe oder eine Reduzierung der emotionalen Entwicklung im Heranwachsen des Kindes war. Als Schuldige sah man die Eltern an, die den Kindern nicht genug Aufmerksamkeit schenkten oder abgestumpft im Umgang waren. Zu dieser Zeit wurde auch der Begriff „Kühlschrankmutter“ geprägt. Seit den 1980er Jahren ist man von dieser Ansicht abgekommen. Seitdem werden die multigenetischen Faktoren untersucht und die Anteile der somatoformen Störungsart innerhalb des Gehirns erforscht (vgl. Kabsch, 2017, S. 29). „Geblieben sind von der tiefenpsychologischen Sicht die Fragen nach den Auswirkungen auf die soziale Interaktion allgemein und im Speziellen mit den Eltern sowie die tiefenpsychologischen Auswirkungen auf die Betroffenen durch die veränderte Wahrnehmung der Lebenswelt und des Körperschemas“ (Kabsch, 2017, S. 29).
Wie man dem vorherigen Kapitel entnehmen konnte, wurden und werden verschiedene Ansatzpunkte untersucht, um die Ursachen für Autismus-Spektrum-Störungen herauszufinden. Ein Konsens besteht darin, dass es sich bei Autismus-SpektrumStörungen um tiefgreifende Entwicklungsstörungen handelt, die angeboren und nicht heilbar sind und die Wahrnehmung und Wahrnehmungsverarbeitung beeinflussen (vgl. Kabsch, 2017, S. 29). Diesem Konsens liegen wissenschaftliche Erkenntnisse zugrunde, die aus Untersuchungen an postmortalen Gehirnen von Menschen mit ASS und weiteren Verfahren in der Hirnforschung hervorgehen. Die Gehirne von Menschen mit ASS sind im Vergleich zu den Gehirnen von Menschen ohne Autismus physiologisch verändert (vgl. Kabsch, 2017, S. 30). „Betroffen sind Gehirnzellen in vier verschiedenen Hirnregionen, vor allem im Frontal- und Temporallappen, die für die soziale Kognition, Emotionen, Imitation, das Erkennen von Gesichtern und die Verarbeitung von mimischen Signalen zuständig sind“ (Kabsch, 2017, S. 30).
In der für Deutschland geltenden internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandten Gesundheitsprobleme, kurz ICD-10, werden verschiedene Subtypen der Autismus-Spektrum-Störung in F48 unter tiefgreifende Entwicklungsstörungen eingeordnet (vgl. Kabsch, 2017, S. 30). Die verschiedenen Autismusformen sind Frühkindlicher Autismus, Atypischer Autismus, Rett-Syndrom, andere desintegrative Störung des Kindesalters, Überaktive Störung mit Intelligenzminderung und Bewegungsstereotypien, Asperger-Syndrom und sonstige tiefgreifende Entwicklungsstörungen (vgl. IDC-10, 2021). Das ICD-11, welches ab dem Jahr 2022 gültig sein wird, enthält keine Subtypen mehr, sondern nur noch die Klassifizierung Autismus-Spektrum-Störung (ASS). Grund hierfür ist die Erkenntnis, dass wissenschaftlich keine klare Abgrenzung zwischen den Unterformen möglich ist. Ein Spektrum ist per Definition ein „Band in den Regenbogenfarben, das entsteht, wenn weißes Licht durch ein gläsernes Prisma fällt und so in die einzelnen Wellenlängen zerlegt wird, aus denen es sich zusammensetzt“ (Duden, 2021). Und dieses Band in Regenbogenfarben steht symbolisch für den fließenden Übergang zwischen den Formen und die Spannweite der Symptome und Ausmaße (vgl. Kabsch, 2017, S. 31.).
„Die autistische Symptomatologie lässt sich durch die Symptomtrias aus Beeinträchtigung der sozialen Interaktion, der Kommunikation und der eingeschränkten, stereotypen und repetitiven Interessen und Verhaltensmuster definieren“ (Freitag, Kitzerow, Medda, Soll, Cholemkery, 2017, S. 2). Die Ausprägungen der Symptome variieren von Fall zu Fall. Bei einem Großteil der Betroffenen zeigen sich die ersten Entwicklungsauffälligkeiten in der frühen Kindheit. Bei der Hälfte der Fälle liegt zudem eine Intelligenzminderung vor und viele sind von weiteren Verhaltensproblemen so wie somatisch komorbiden Erkrankungen betroffen (vgl. Bölte, 2009, S. 34). Trotzdem muss die Diagnose einer Autismus-SpektrumStörung unabhängig von einer kognitiven Beeinträchtigung oder anderen somatischen Erkrankungen erfolgen (vgl. Freitag, et. al., S. 2).
Beeinträchtigungen sozialer Interaktionen zeigen sich in nonkonformen Verhalten in Bezug auf die Gestik, den Blickkontakt, das Grußverhalten, die soziale Reziprozität, die emotionale und kognitive Empathie, das Teilen von Freude und Aktivitäten sowie das Verständnis der Gedanken, Affekte und Überzeugungen anderer und einer angemessenen Reaktion. Durch das Fehlen von sozialen Kompetenzen, werden Menschen mit AutismusSpektrum-Störung oft als unhöflich oder aggressiv wahrgenommen (vgl. Bölte, 2009, S. 34).
Beeinträchtigungen der Kommunikation zeigen sich in Auffälligkeiten der sprachlichen Fertigkeiten. Oft ist die sprachliche Entwicklung verzögert. Es wird selten versucht, sprachliche Mängel durch nonverbale Handlungen zu ersetzen. Ein typisches Merkmal ist die stereotype, repetitive und idiosynkratische Verwendung von Sprache. Bei autistischen Menschen mit fließender Sprache finden sich zudem Neologismen und Wortrituale im Sprachgebrauch. Beim Frühkindlichen Autismus äußern sich die Beeinträchtigungen der Kommunikation in Echolalien und dem Vertauschen von Personalpronomina (vgl. Freitag, et. al., S.3). „Beim Asperger-Syndrom sehen wir häufig einen sehr pedantischen, elaborierten sprachlichen Ausdruck und Schwierigkeiten beim Verständnis von Metaphern und Ironie bzw. Sarkasmus“ (Freitag, et. al., S. 3). Für Menschen mit ASS ist schwierig, eine wechselseitige, gleichberechtigte Konversation zu führen, da Sprache wortwörtlich verstanden wird und Zynismus, Sprichwörter, Ironie und andere Abstraktionen nicht aufgefasst werden können (vgl. Bölte, 2009, S. 34).
Eingeschränkte, stereotype und repetitive Interessen und Verhaltensmuster beinhalten „wiederkehrende ungewöhnliche Bewegungen, z. B. Jaktieren (Oberkörperschaukeln), Hand- und Fingermanierismen, Flattern, Erstarrungen und Verdrehungen des Körpers“ (Bölte, 2009, S. 34). Des Weiteren beschäftigen sich Menschen mit ASS ausgiebig mit Teilaspekten von Gegenständen oder haben ein besonderes Interesse an Geräuschen oder Lichteffekten. Zudem ist für den Großteil der Betroffenen ein routinierter Alltag mit gleichförmigen Abläufen und einer unveränderten Umwelt essenziell. Veränderungen in der Routine können Widerstand, reaktives auto- oder fremdaggressives Verhalten hervorrufen. In der frühen Kindheit entwickeln autistische Menschen oft enge Bindungen zu ungewöhnlichen Objekten, z.B. zu Legoteilen (vgl. Freitag, et. al., S. 3).
Der Ansatz der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit wurde besonders von Hans Thiersch Ende der 1970er Jahre geprägt. Im Mittelpunkt dieses Konzeptes stehen der Alltag und die Lebenswelt der Adressat*innen der Sozialen Arbeit. Thiersch erklärt den Ansatz der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit wie folgt: „Das Konzept betont, dass der Ausgang aller Sozialen Arbeit in den alltäglichen Deutungs- und Handlungsmustern der Adressat*innen und in ihren Bewältigungsanstrengungen liegt, dass - zum zweiten - dieser Alltag in Bezug auf seine Stärken, seine Probleme und seine Ressourcen im Horizont des Projekts sozialer Gerechtigkeit verstanden und im Hinblick auf einen gelingenderen Alltag stabilisiert, verändert und neu strukturiert werden muss und dass - zum dritten - Soziale Arbeit von hier aus ihre wissenschaftlich, insbesondere sozialwissenschaftlich gestützten institutionellen und methodischen Konzepte entwirft“ (Grunwald & Thiersch & Köngeter, 2012, S. 24). Das bedeutet konkret, dass nicht nur Probleme, Beeinträchtigungen, abweichendes Verhalten oder Krankheiten der Klienten*innen in den Fokus genommen werden, sondern jeder einzelne Aspekt der Lebenswelt der Betroffenen. Um den Adressaten*innen gezielt helfen zu können, werden die Ressourcen und individuellen Bewältigungsstrategien als Grundlage zu alltagsverbessernden Maßnahmen gesehen. Im Folgenden werden die Begriffe Lebenswelt und Alltag, die Dimensionen und die Handlungsmaxime einer Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit vorgestellt (vgl. Kabsch, 2017, S. 77).
Im Mittelpunkt der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit stehen zwei Topoi: Lebenswelt und Alltag. Hierbei ist anzumerken, dass Thiersch die beiden Begriffe synonym verwendet. Erstmal wurde der Ausdruck „Lebenswelt“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts von dem Physiker und Philosophen Ernst Mach verwendet. Dieser betrachtete die Welt nicht nur aus einem naturwissenschaftlichen Verständnis, sondern auch aus einer individuellen und phänomenologischen Sicht und der individuellen Interpretation der eigenen Psyche. Auch der Mathematiker, Physiker und Astronom Edmund Husserl lehnte eine Wirklichkeitsauffassung, welche nur wissenschaftlich und mathematisch erforsch- und berechenbar war, ab (vgl. Weinbach, 2016, S. 23). Dieser stellte fest: „Eine absolute Realität gilt genau so viel wie ein rundes Viereck“ (Weinbach, 2016, S. 23). Jedes Individuum erfährt Wirklichkeit und Realität subjektiv, beruhend auf Erfahrungen, Sozialisation und vielen weiteren Kriterien. Individuelle Prägungen, Stärken, Schwächen und Bewältigungsstrategien ergeben sich aus der unmittelbaren Lebenswelt (Weinbach, 2016, S. 23). Des Weiteren geht der Ansatz der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit davon aus, dass jeder Mensch einen Alltag hat. Alle Lebensfelder und Lebensbereiche, also Familie, Schule oder Arbeit, Freundesgruppen, Sportvereine, Konsum, Arztbesuche, Schlaf, Freizeit, kulturelle Betätigungen und vieles mehr sind geknüpft an „verschiedenen Gesetzmäßigkeiten und darin enthaltenen Handlungs- und Deutungsmustern, die für [das Individuum] verschiedene Aspekte und Gestaltungsspielräume für seine Persönlichkeitsstruktur bieten“ (Kabsch, 2017, S. 82). Alle diese Lebensräume und - aspekte bilden mithilfe von Routinen zusammen einen Alltag, der auf der einen Seite verlässlich, überschaubar und selbstverständlich für den Einzelnen ist. Auf der anderen Seite ist Alltag aber auch geprägt von Ambivalenzen und Schwierigkeiten für den darin lebenden Menschen. Bei diesen Schwierigkeiten und Ambivalenzen versucht die Lebensweltorientierte Soziale Arbeit anzusetzen und gemeinsam mit dem / der Adressat*in individuelle Ressourcen und Bewältigungsstrategien zu generieren (vgl. Kabsch, 2017, S. 82).
Der Alltag ist von den individuell erfahrbaren Dimensionen der erlebten Zeit, des erlebten Raums und der erlebten sozialen Bezüge geprägt. „Soziale Arbeit, und damit auch Lebensweltorientierte Soziale Arbeit, agiert in diesen Dimensionen und versucht, sie in Form eines gestaltgebenden Hintergrunds als Bühne sozialer Interaktion wahrzunehmen und zu berücksichtigen“ (Kabsch, 2017, S. 85).
Zeit ist festgelegt und unterteilt in Stunden, Minuten und Sekunden. Dennoch ist sie aufgrund von Zeitverschiebung und Zeitwahrnehmung relativ. Die erlebte Zeit wird von jedem Individuum unterschiedlich registriert und interpretiert. Aufgrund dessen kann Zeit positiv und negativ bewertet werden und in der Lebensweltorientierung als chaotisch oder strukturiert aufgefasst werden. Eine Aufgabe der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit ist es, das individuelle Zeiterleben zu verbessern und somit einen gelingenderen Alltag zu schaffen. Wichtig zu betonen ist, dass es sich hierbei nicht um eine zukunftsorientierte Maßnahme handelt, sondern um eine gegenwärtige. Die aktuelle Zeit soll im Hier und Jetzt angenehm gestaltet werden und somit einen Grundstein für eine zukünftige positive erlebbare Zeit legen (vgl. Kabsch, 2017, S. 86).
Der Raum stellt die zweite wichtige Dimension der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit dar. „In dem Begriff ,Sozialraum‘ ist der Raum als Bezugsgröße bereits enthalten und verweist auf die Notwendigkeit, den Bereich, in dem Alltag stattfindet und Menschen ihre Lebenswelt haben, sinnvoll und konstruktiv zu hinterfragen und zu füllen“ (Kabsch, 2017, S. 86). Räume können geschlossen oder offen gestaltet sein und somit einengend oder befreiend wirken. Mithilfe von Farben oder unterschiedlichen Oberflächenbeschaffenheiten kann das Allgemeinbefinden vor allem bei Menschen mit Autismus gesteigert werden. Besonders wichtig zu betonen ist, dass der/die Klient*in seinem/ihrem sozialen Raum Zuhause ist und Vertreter der Sozialen Arbeit nur zu Gast sind (vgl. Kabsch, 2017, S.87).
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