Forschungsgegenstand dieser Arbeit ist die Frage, ob gesellschaftliche Ängste vor Terrorismus grundsätzlich Überwachung zu dessen Prävention notwendig machen oder ob jene Ängste nur latent existieren, aber zur sukzessiven Ausweitung von Überwachung politisch instrumentalisiert werden.
Im Folgenden wird eine Hypothese aus Beiträgen Cramptons zum Überwachungsdiskurs entwickelt und vor dem Hintergrund des Zusammenhangs von Terrorismus, Angst und Überwachung diskutiert. Dabei werden zuerst die Begrifflichkeiten ‚Terrorismus‘, ‚Angst‘ und ‚Überwachung‘ kurz erläutert, um anschließend diese in den Kontext der Hypothese zu setzen. Daran anknüpfend werden im letzten Teil der Arbeit Alternativen zu einem Umgang mit Terrorismus aufgezeigt, die nicht auf der Bedingung von Angst für Terrorismusprävention und -bekämpfung fußen.
INHALTSVERZEICHNIS
PROBLEMAUFRISS
POLITISCHE INSTRUMENTALISIERUNG LATENTER ÄNGSTE ZUR LEGITIMATION VON ÜBERWACHUNG
1 Begrifflichkeiten
2 Überwachung und Politisierung von Angst bei Crampton
3 Bedeutung vermeintlich latenter Ängste im Umgang mit Terrorismus
3.1 Staatliche Präventionslogik
3.2 Diskrepanz zwischen tatsächlichem und wahrgenommenem Bedrohungspotential von Terrorismus
3.2.1 Psychologische Grundlagen menschlicher Entscheidungen
3.2.2 Staatliche Adressierung subjektiver Ängste
SCHLUSSBEMERKUNGEN UND AUSBLICK
Quellenverzeichnis
PROBLEMAUFRISS
Gingen auch nach der Auflösung der bipolaren Weltordnung mit dem Zerfall der Sowjetunion Gefahren für Staaten primär von anderen Staaten aus, musste sich spätestens seit den Anschlägen auf das Pentagon und das World Trade Center am elften September 2001 (9/11) ein jeder Staat der vom (transnationalen) Terrorismus ausgehenden Bedrohung bewusst werden.1 Wurde die Terrorismusbekämpfung im Ausland fortan mit dem ,war on terror‘ verstärkt aufgenommen, kann in nahezu jedem (demokratischen) Staat eine „Zunahme der gesellschaftlichen Kontrolle“2 im Rahmen der Terrorismusprävention konstatiert werden. Letztere ging besonders in den USA durch den als Reaktion auf 9/11 verabschiedeten ,Uniting and Strengthening America by Providing Appropriate Tools Required to Intercept and Obstruct Terrorism Act of 2001‘ (PATRIOT Act) oft mit extremer Einschränkung der Freiheitsrechte der Bevölkerung einher3 und stand trotz der Brutalität und des Ausmaßes der Anschläge in keiner Relation zu dem tatsächlichen Bedrohungspotential von Terrorismus.4 Der Soziologe Jeremy Crampton bezeichnet die Intention hinter der Verabschiedung des PATRIOT Act sogar als „desire to restore many of the powers of a sovereign who operates under the state of exception“5 und schließt, dass die Angst vor Terrorismus politisch instrumentalisiert wird, um immer tiefgreifendere Überwachung in einer Gesellschaft zu etablieren, wodurch jene Ängste aber nicht effektiv beseitigt, sondern stattdessen intensiviert würden.6 Ausgehend von dieser These Cramptons nimmt damit der Forschungsgegenstand der Arbeit die Frage ein, ob gesellschaftliche Ängste vor Terrorismus grundsätzlich Überwachung zu dessen Prävention notwendig machen oder ob jene Ängste nur latent existieren, aber zur sukzessiven Ausweitung von Überwachung politisch instrumentalisiert werden.
Im Folgenden wird eine Hypothese aus Beiträgen Cramptons zum Überwachungsdiskurs entwickelt und vor dem Hintergrund des Zusammenhangs von Terrorismus, Angst und Überwachung diskutiert. Dabei werden zuerst die Begrifflichkeiten ,Terrorismus‘, ,Angst‘ und ,Überwachung‘ kurz erläutert, um anschließend diese in den Kontext der Hypothese zu setzen. Daran anknüpfend werden im letzten Teil der Arbeit Alternativen zu einem Umgang mit Terrorismus aufgezeigt, die nicht auf der Bedingung von Angst für Terrorismusprävention und -bekämpfung fußen. Das Forschungsfeld wird dabei auf demokratische Staaten, also vornehmlich auf Entwicklungen in Europa und Nordamerika, eingegrenzt, sowohl um dem Rahmen der Arbeit Rechnung zu tragen als auch besonders aufgrund der Logik, dass die zu untersuchenden Überwachungstrends in nicht demokratischen Systemen bereits Realität sind.7 Wenn Überwachung schon in demokratischen Systemen praktiziert und intensiviert wird, kann dies für autoritäre Systeme sowie für defekte Demokratien ebenfalls angenommen werden, da hier die verfassungsrechtlichen Anforderungen an Überwachung weiter ausgelegt werden bzw. individuelle Freiheitsrechte in geringerem Maße - wenn überhaupt - schützen.
POLITISCHE INSTRUMENTALISIERUNG LATENTER ÄNGSTE ZUR LEGITIMATION VON ÜBERWACHUNG
1 Begrifflichkeiten
Terrorismus
Transnationale Bemühungen um eine einheitliche Definition von Terrorismus existieren seit Gründung der Vereinten Nationen und in der Friedens- und Sicherheitsforschung erweist sich die Sammlung an Definitionen als ein Augiasstall.8 Gemein sind den meisten theoretischen Beschreibungen von Terrorismus allerdings zentrale Strukturmerkmale: die Anwendung oder mindestens Androhung physischer Gewalt9 gegen Angehörige oder Infrastrukturen einer „politische[n] Ordnung oder Weltanschauung“10 sowie die Absicht, Angst in der anvisierten Bevölkerung hervorzurufen und gleichsam einen Zugewinn an SympathisantInnen und Unterstützung innerhalb der Bevölkerung zu er- langen.11 Dass dabei das staatliche Gewaltmonopol aufgehoben wird, trennt den Terrorismusbegriff von dem des staatlichen Terrors und aufgrund der mangelnden Systemimmanenz von dem des Vigilantismus. Ferner wird einerseits der terroristischen Bedrohung ein repetitives Auftreten zur Durchsetzung von Zielen zugeschrieben,12 während andererseits Teile der Terrorismusforschung nicht die Anschläge an sich, sondern das daraus resultierende Mobilisierungspotential ins Zentrum terroristischer Aktionen stel- len.13 Zum Zwecke dieser Arbeit wird Terrorismus daher als vorsätzliche und politisch motivierte nicht-staatliche Gewalt gegen (menschliche) Ziele einer Gesellschaftsordnung zur Verbreitung von Angst und zur Mobilisierung von SympathisantInnen definiert.
Angst/Risiko
Der Begriff Angst repräsentiert laut Bude weit gefasst die Gesamtheit der Haltungen von Menschen zu bedeutenden Gütern, ihrer Hoffnung und ihrer Verzweiflung:14 „Angst zeigt, was mit uns los ist.“15 Des Weiteren sieht er Angst als Hemmfaktor für die freie Entfaltung und „Selbstbestimmung“16 und erkennt darin einen Indikator für die Richtung, in die sich eine Gesellschaft fortbewegt.17 Engert beschreibt Angst als Gefühl dafür, „was gefährlich erscheint und nicht, was gefährlich ist“18, und tangiert damit die Subjektivität und mangelnde Greifbarkeit des Konzepts. Unter Risiko versteht er “die kalkulierbare und durch das eigene Handeln (oder Nicht-Handeln) beeinflussbare Vorstellung von Unsicherheit”19. Unsicherheit bezeichnen Daase und Kessler als ‘NichtWissen', das durch empirische Erfahrungen in Risiken umgewandelt werde.20 Diese seien genau wie Angst nicht von Grund auf existent und damit auch nicht wahrnehm- bar,21 wodurch sie der individuellen menschlichen Interpretation unterlägen. Vor diesem Hintergrund würden Menschen ihren Fokus primär auf „unkalkulierbare, wenig wahrscheinliche, aber außerordentlich folgenreiche [...] Bedrohungen des Lebens und der Sicherheit“22 legen.
Überwachung
Grundsätzlich dient Überwachung der Aufmerksamkeit auf Menschen und deren zugeordneten Merkmalen und Verhaltensweisen.23 Hinsichtlich sozialer Kontrolle erweitert Marx den Überwachungsbegriff um folgende Komponenten: Technische Hilfsmittel würden genutzt, um Informationen erlangen zu können, die jenseits der Sinneswahrneh- mung und der freiwilligen Preisgabe der Überwachten liegen.24 Dabei betont er besonders die Intention der Überwachenden, sämtliche persönliche Informationen und nicht nur die notwendigen zu erlangen.25 Zudem nähmen moderne Überwachungspraktiken davon Abstand, einzelne Individuen anlassbezogen zu überwachen,26 und betrieben stattdessen „collection of group data or the aggregation of individual data into group data“27, um so Rückschlüsse über Individuen zum Zwecke der Kategorisierung ziehen, Vorhersagen von Ereignissen treffen und darauf abgestimmte Reaktionen formulieren zu können.28
2 Überwachung und Politisierung von Angst bei Crampton
Bemühungen um Sicherheit sieht Crampton als eine kontinuierliche Entwicklung der Beziehung zwischen „government, knowledge, and technologies of power“29 an, die grundsätzlich zu Kontrolle und Schutz des Staates notwendig waren und noch immer sind.30 Hierbei würden das Staatsgebiet samt Infrastruktur sowie die Bevölkerung als „at-risk resources“31 verstanden, die von der Staatsgewalt verwaltet sowie zum Schutz vor einer äußeren Bedrohung be- und zur Disziplinierung im Inneren überwacht werden müssten.32 Jedoch stellt Crampton in seinen Beiträgen zum Überwachungsdiskurs „shifts in policy“33 fest, bei denen immer häufiger Technologien zur Identifikation und Prävention möglicher Gefahren zum Einsatz kämen.34 Vor dieser “new political era”35 der Überwachung warnt er, da sie die Gefahr berge, Ängste vor bestimmten Risiken politisch zu instrumentalisieren, und so zur Legitimierung von flächendeckender Überwachung verwendet werde.36 Ein solcher Versuch einer simplifizierten Legitimation erwuchs nach seiner Ansicht besonders aus wiederauflebenden Angstdiskurs, basierend auf dem 9/11 folgenden ,war on terror‘.37 Das in der Einleitung aufgegriffene Bewusstsein eines Staates über terroristische Bedrohungen sei auch auf Mikroebene innerhalb der Bevölkerung vorhanden und diese formuliere konsequenterweise Erwartungen an den Staat, auf etwaige Bedrohungen vorbereitet zu sein.38 Dafür würden Staaten eine klare dichotome Einteilung in ,Freunde‘ und ,Feinde‘ sowie ein entsprechendes Konzept zur eindeutigen Identifizierung beider Gruppen benötigen.39
Analog dazu geschehe diese Differenzierung auch bei der Auswahl staatlicher Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit Bedrohungen: „One way fear can be politically exploited in this manner is to frame a choice between more security or being at risk.
[...]
1 In der mehrheitlichen Auffassung der interdisziplinären Literatur (u.a. Hayes (2012, S. 168), Kaufmann (2011, S. 101), Bude (2015, S. 138)) gilt 9/11 als Wendepunkt für Sicherheitsempfinden, Sicherheitspolitik und Risikodiskurse.
2 Lange (2008, S. 67).
3 Der PATRIOT Act erlaubt unter anderem die Überwachung von Internet und Telefon ohne richterlichen Vorbehalt, die anlasslose Erhebung finanzieller Daten sowie Hausdurchsuchungen gegen die Kenntnis der involvierten Personen (vgl. Wikipedia (08.04.2021), Crampton (2003, S. 145)).
4 Dass bereits in den unmittelbaren Folgejahren auf 9/11 durch die dafür verantwortliche terroristische Organisation al-Qaida eine wesentlich geringere Gefahr für menschliches Leben ausging als beispielsweise durch den Umstieg der amerikanischen Bevölkerung vom Fliegen auf Autofahrten, veranschaulichen Anderson/Smith für das Jahr 2001 (2005, S. 17), Marshall et al. (2007, S. 310) sowie in einer globalen Einordnung Lange (2019, S. 50).
5 Crampton (2008, S. 284).
6 Vgl. ibid.
7 Vgl. Hayes (2012, S. 168).
8 Vgl. Brooke & Reynolds (2009, S. 14-17).
9 Vgl. Brooke & Reynolds (2009, S. 15).
10 Hillebrandt (2007, S. 46).
11 Vgl. Brooke & Reynolds (2009, S. 15), Hillebrandt (2007, S. 46f.) sowie Schneckener (2013, S. 51).
12 Vgl. Hillebrandt (2007, S. 47).
13 Vgl. Schneckener (2013, S. 51).
14 Vgl. Bude (2015, S. 10).
15 Ibid. (S. 11).
16 Ibid. (S. 15).
17 Vgl. ibid. (S. 10).
18 Engert (2014, S. 39).
19 Ibid. (S. 34).
20 Vgl. Daase & Kessler (2007, S. 418).
21 Vgl. Hub (2010, S. 87).
22 Kaufmann (2011, S. 104).
23 Vgl. Marx (2011, S. 86).
24 Vgl. ibid. (S. 89).
25 Vgl. ibid.
26 Vgl. Bauman et al. (2014, S. 132).
27 Marx (2011, S. 89).
28 Vgl. ibid.
29 Crampton (2003, S. 137).
30 Vgl. ibid. (S. 143).
31 Ibid. (S. 145).
32 Vgl. ibid. (S. 140 und 143).
33 Ibid. (2002, S. 632).
34 Vgl. ibid. (2003, S. 135).
35 Ibid. (2002, S. 632).
36 Vgl. ibid. (2008, S. 283).
37 Vgl. ibid. (S. 284).
38 Vgl. ibid.
39 Vgl. ibid.