In dieser Arbeit soll deshalb der Fragestellung nachgegangen werden, bei welchen Störungsbildern im Kindes- und Jugendalter die Bibliotherapie geeignet ist und wirksam eingesetzt werden kann und welche therapeutischen Möglichkeiten hier das Medium Buch bietet.
Eingebettet in den geschichtlichen Hintergrund der Entstehung der Bibliotherapie, wird erst der Begriff genauer definiert und die Relevanz für die Psychologie dargestellt. Es soll außerdem ein Einblick gegeben werden, welche Ausdifferenzierungen der Bibliotherapie es gibt, was diese Ausprägungen auszeichnet, wie sich die Umsetzung gestaltet und welche Zielsetzung jede Einzelne verfolgt. Es folgen die Wirkungsmechanismen, auf die die Bibliotherapie beruht und die Vorteile, die sich im Vergleich zu anderen Therapieverfahren ergeben. Im darauffolgenden Abschnitt wird die Verbreitung und die Einsetzbarkeit beleuchtet und es werden die verschiedenen klinischen Anwendungsmöglichkeiten im Kindes- und Jugendalter untersucht. Anschließend wird die aktuelle Studienlage zur Wirksamkeit bei verschiedenen klassifizierten Störungsbildern in der Kindheit und Adoleszenz dargestellt und ein abschließendes Fazit aus den zentralen Ergebnissen gezogen, sowie ein Ausblick in mögliche zukünftige Forschungen getätigt.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Begriffserklärung und Relevanz
2.1 Geschichte der Bibliotherapie
2.2 Definition von Bibliotherapie
3 Funktionsweise und Zielsetzung
3.1 Bibliotherapie mit fiktionalen vs. didaktischen Texten
3.2 Rezeptive vs. produktive Bibliotherapie
3.3 Klinische vs. entwicklungsfördernde Bibliotherapie
4. Wirkung der Bibliotherapie
5 Vorteile der Bibliotherapie
6 Eignung und Verbreitung im Kindes- und Jugendalter
7 Studienlage zur Wirksamkeit im Kindes- und Jugendalter
7.1 Depressionen
7.2 Angststörungen
7.3 Hyperkinetische Störungen
7.4 Autismus-Spektrum-Störungen
8 Fazit
Literaturverzeichnis
"Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns."
Franz Kafka
1 Einleitung
Die Fantasie von Kindern und Jugendlichen scheint grenzenlos. Deshalb ist es wenig verwunderlich, warum sie sich von Geschichten magisch angezogen fühlen. Mit Hilfe von Büchern und Erzählungen können sie in ferne Länder reisen, in denen sie noch nie waren, oder aufregende Abenteuer erleben, die sie sich in der Realität niemals trauen würden. In einer geschützten Atmosphäre können so gedankliche Reisen angetreten werden, die den Horizont erweitern und neue Blickwinkel auf fremde Situationen, Gefühle und Herausforderungen eröffnen. Sie können jedoch auch dazu genutzt werden Parallelen zu den eigenen Bedürfnissen und Problemen zu finden, um sie so besser bewältigen zu können. Warum sollte man sich dieses Hilfsmittel also nicht auch therapeutisch zu Nutze machen?
Genau hier setzt die Bibliotherapie an, deren Ziel es ist, mit Hilfe von Büchern und Geschichten den Menschen bei psychischen Erkrankungen und Problemen zu helfen. Denn bereits viele Kinder und Jugendliche sind davon betroffen. Eine aktuelle österreichweite epidemiologische Studie (Wagner, et al., 2017) zur Prävalenz von psychischen Erkrankungen ergab, dass 23,93% der Jugendlichen in Österreich an einer psychischen Erkrankung leiden. Nicht einmal die Hälfte dieser Jugendlichen hat bisher fachgerechte Hilfe in Anspruch genommen. Die Bibliotherapie könnte gerade hier durch ihre kreative und spielerische Anwendung für Kinder und Jugendliche interessant sein und schnelle, einfache und kostengünstige Hilfe versprechen.
In dieser Arbeit soll deshalb der Fragestellung nachgegangen werden, bei welchen Störungsbildern im Kindes- und Jugendalter die Bibliotherapie geeignet ist und wirksam eingesetzt werden kann und welche therapeutischen Möglichkeiten hier das Medium Buch bietet.
Eingebettet in den geschichtlichen Hintergrund der Entstehung der Bibliotherapie, wird zuallererst der Begriff genauer definiert und die Relevanz für die Psychologie dargestellt. Es soll außerdem ein Einblick gegeben werden, welche Ausdifferenzierungen der Bibliotherapie es gibt, was diese Ausprägungen auszeichnet, wie sich die Umsetzung gestaltet und welche Zielsetzung jede Einzelne verfolgt. Es folgen die Wirkungsmechanismen, auf die die Bibliotherapie beruht und die Vorteile, die sich im Vergleich zu anderen Therapieverfahren ergeben. Im darauffolgenden Abschnitt wird die Verbreitung und die Einsetzbarkeit beleuchtet und es werden die verschiedenen klinischen Anwendungsmöglichkeiten im Kindes- und Jugendalter untersucht. Anschließend wird die aktuelle Studienlage zur Wirksamkeit bei verschiedenen klassifizierten Störungsbildern in der Kindheit und Adoleszenz dargestellt und ein abschließendes Fazit aus den zentralen Ergebnissen gezogen, sowie ein Ausblick in mögliche zukünftige Forschungen getätigt.
2 Begriffserklärung und Relevanz
In der Psychotherapie wird die Bibliotherapie im Sinne der Psychoedukation, also zur Informationsvermittlung über die psychische Störung und deren Behandlung eingesetzt, sowie in Form von schriftlich erteilten, gezielt aufeinander aufbauenden Handlungsanweisungen zur Bewältigung von Problemen. Mittlerweile liegen für eine Vielzahl psychischer Störungen Patientenratgeber und Selbsthilfeprogramme vor, sowie unzählige Literaturempfehlungen (Wittchen & Hoyer, 2011, S. 479). Doch nicht nur für klassifizierte psychische Erkrankungen, sondern auch für die Auseinandersetzung mit Lebensproblemen und Herausforderungen, wie beispielsweise dem Erwachsenwerden, Identitätsfindung, Tod und Sexualität, erwies sich die Bibliotherapie als erfolgreich. Es gibt empirische Daten für den positiven Einfluss auf intellektuelle, psychosoziale, emotionale und interpersonale Fertigkeiten (Wittchen & Hoyer, 2011, S. 480).
Die breite Einsetzbarkeit, die vielversprechende Studienlage, sowie die vergleichsweise einfache Durchführung erklären das wachsende Interesse an der Bibliotherapie und die steigende Relevanz dieser Therapieform.
2.1 Geschichte der Bibliotherapie
Geschichtliche Zeugnisse berichten, dass die Menschen seit jeher von der Heilkraft des geschriebenen Wortes wussten (Blechinger & Klosinski, 2011, S. 110). Die Wurzeln der Nutzung von Texten zu therapeutischen Zwecken reichen bis in die Antike zurück (Eichenberg, 2007, S. 59). Bibliotheken galten dort als heilsame Orte des Wissens (Petzold, Leeser, & Klempnauer, 2017, S. 67). Bereits in der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde das Lesen teilweise therapeutisch genutzt und im 19. Jahrhundert als breite Behandlungsmöglichkeit diskutiert (Wittchen & Hoyer, 2011, S. 480). Doch erst 1941 mit der Aufnahme des Begriffes „Bibliotherapie“ in ein medizinisches Wörterbuch, begannen ab den 50er Jahren erste Bemühungen um eine wissenschaftliche Fundierung (Eichenberg, 2007, S. 59). Seit den 1960er Jahren erlebt insbesondere die didaktische Literatur einen wahren Boom und es werden zunehmend Selbsthilfebücher veröffentlicht, die sich den oben genannten psychoedukativen Prinzipien zuordnen lassen (Wittchen & Hoyer, 2011, S. 480). Aufgrund der langen Geschichte der Bibliotherapie liegen eine Vielzahl von Definitionen vor.
2.2 Definition von Bibliotherapie
Der Begriff Bibliotherapie setzt sich aus den beiden griechischen Wörtern „biblion“ (Buch) und „therapeia“ (zu Diensten sein) zusammen. Man versteht darunter die therapeutische Verwendung von Büchern (Heimes, 2017, S. 13f.).
Das Klinische Wörterbuch „Pschyrembel“ definiert Bibliotherapie als eine „Form der Psycho- und Kunsttherapie, bei welcher der Patient durch Lektüre geeigneter Literatur oder die Produktion von Texten darin unterstützt werden soll, die eigene emotionale Ausdrucksfähigkeit zu fördern und verbessern" (medizinische Fachredaktion Pschyrembel, o.J.).
Wittchen und Hoyer definieren den Begriff sehr ähnlich, und zwar als den therapeutischen Einsatz von Literatur jeglicher Art zum primären Zwecke der Heilungsunterstützung. Sie schließen sowohl das Studium von Selbsthilfeliteratur in schriftlicher, auditiver oder computerunterstützter Form mit ein, als auch das Verfassen eigener Texte (Wittchen & Hoyer, 2011, S. 479).
Heimes definiert die Literatur noch spezifischer und schließt Sachtexte, Ratgeber, Aufklärungsbroschüren, autobiographische Berichte, Prosa und Lyrik mit ein (Heimes, 2010, S. 88). Sie zählt jedoch nur das Lesen zur Bibliotherapie und verwendet für das therapeutische Schreiben den Begriff der Poesietherapie (Heimes, 2010, S. 85).
Die Therapiebegriffe Poesietherapie, Schreibtherapie und Lesetherapie werden in der Forschungsliteratur zum Teil synonym verwendet, können jedoch vielmehr als unterschiedliche Teildisziplinen der Bibliotherapie verstanden werden. Festzuhalten ist, dass es keine einheitliche Definition gibt. Die Bibliotherapie ist sehr breit gefächert und umfasst keine uniformen Maßnahmen, sondern ein Spektrum sehr unterschiedlicher Therapiemaßnahmen, die in verschiedenen Stadien der klinisch-psychologischen Intervention zum Einsatz kommen (Eichenberg, 2007, S. 59f.). In dieser Arbeit werden alle Formen der Bibliotherapie behandelt, da sie in der Praxis nicht deutlich voneinander abzugrenzen sind.
3 Funktionsweise und Zielsetzung
Die Lektüre im Rahmen der Bibliotherapie kann in Gruppen, aber auch einzeln erfolgen. Sie kann angeleitet sein oder in Form der Selbstlektüre stattfinden. Der Vorteil der Gruppentherapie besteht darin, dass über das Gelesene ein Austausch erfolgen kann, eine gemeinsame Reflexion, sowohl auf affektiver als auch auf inhaltlicher Ebene (Heimes, 2010, S. 88). In der einzelnen angeleiteten Bibliotherapie können verschiedene Intensitätsgrade der Interaktion zwischen Therapeut/-in und Patient/-in unterschieden werden. Angefangen von einer geringen therapeutischen Begleitung, bei der der Erkrankte weitgehend selbstständig arbeitet, über Textempfehlungen durch den Therapierenden bis hin zur regulären Psychotherapie, in die Texte eingebunden werden, ist jede Art, Häufigkeit und Dauer denkbar und möglich (Heimes, 2017, S. 16).
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