In der Arbeit geht es darum, das totalitäre Erziehungssystem der nationalsozialistischen Diktatur zu beschreiben und anhand einer Darstellung der Umstrukturierung schulpolitischer Maßnahmen und fachspezifischer Inhalte in Übereinstimmung zu bringen mit der inneren Entwicklung des Dritten Reiches.
Inhalt
1. Einleitung
2. Schulpolitische Umstrukturierung
2.1. Die Lehrerausbildung
2.2. Die Schulformen
2.3. Rassenpolitik in der Schule
3. Unterrichtsinhalte
3. 1. Hitlers Vorstellungen von Erziehung
3.2. Allgemeine Fächerinhalte
3.3. Der Deutschunterricht
3.4.Der Geschichtsunterricht
3.5. Grundzüge schulischen Lebens
4. Schlussbemerkungen
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In der schulischen Umgebung tragen Lehrer und Erzieher maßgebliche psychologische Verantwortung, ist ihr Handeln und ihre Vermittlung doch Instrument und Anregung für das weitere Leben der ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen. Das Ideal eines derartigen pädagogischen Bezuges beschreibt Hermann Nohl als „leidenschaftliche Verhältnis eines reifen Menschen zu einem werdenden Menschen und zwar um seiner selbst willen, daß er zu seinem Leben und zu seiner Form komme“.1
Diese Entobjektivierung einer erzieherischen Beeinflussung und die Akzeptanz des Kindes als subjektives Wesen ist den Erziehungsvorstellungen des Nationalsozialismus diametral entgegengesetzt. Pädagogik heißt, daß das Kind nicht bloß Selbstzweck ist, sondern auch den objektiven Gehalten und Zielen verpflichtet ist, zu denen es hin erzogen wird.2
Gerade das nationalsozialistische Verständnis von „Erziehung“ als völkisches Herrschaftsinstrument zur Durchsetzung politischer Gesinnung und Umsetzung inhumaner Ziele zeigt in vielen Dingen bereits Vorformen der späteren Katastrophe, des totalen Krieges. Es kann daher nicht sinnvoll sein, die Schulpädagogik des Dritten Reiches von den politischen Inhalten zu trennen oder in Frage zu stellen, ob es überhaupt möglich ist, diese Schulpolitik mit erziehungswissenschaftlichen Verfahren zu erfassen wie es z.B. Hans-Jochen Gamm postuliert.3
Zur Bewertung der nationalsozialistischen Schulpolitik gibt es zwei unterschiedliche methodische Grundeinstellungen. Während einerseits davon ausgegangen wird, dass die nationalsozialistische Propaganda die Fundamente der Gesellschaft durch ein geschlossenes politisch-pädagogisches Konzept untergraben hat, sind andere Interpreten der Meinung, dass die Pädagogik des Dritten Reiches durch erziehungspolitische Divergenzen gekennzeichnet war.4 Der politischen Ideologie der NSDAP standen beispielsweise Forderungen der Industrie und Wirtschaft gegenüber: „So zwang der wachsende Bedarf an hochqualifizierten Arbeitskräften zur Besinnung auf die Notwendigkeit einer soliden Allgemeinbildung (...)“.5
Im Folgenden geht es darum, das totalitäre Erziehungssystem der nationalsozialistischen Diktatur zu beschreiben und anhand einer Darstellung der Umstrukturierung schulpolitischer Maßnahmen und fachspezifischer Inhalte in Übereinstimmung zu bringen mit der innere Entwicklung des Dritten Reiches.
2. Schulpolitische Umstrukturierung
Mit dem Tag der Machtübernahme, dem 30. Januar, begann eine radikale Umorganisation des bis dahin größtenteils vom Neuhumanismus und Idealismus bestimmten Schulsystems.
Von einer einheitlichen schulpolitischen Konzeption kann zuerst jedoch keine Rede sein, zwischen 1933 und 1937 gibt es unsystematische und sporadische Erlasse und Anweisungen. Erst zwischen 1938 und 1942 wird eine entscheidende nationalsozialistische Schulpolitik durchgesetzt.6 Die in dieser Zeit vom Reichserziehungsministerium herausgegebenen Reformrichtlinien sorgten für eine Ausrichtung aller Schultypen an der nationalsozialistischen Ideologie. Ende 1940 gab es keinen unabhängigen Bildungsplan und keine unabhängige Schulart mehr, die dieser Umstrukturierung nicht zum Opfer gefallen war.7 Im Mittelpunkt dieser totalen pädagogischen Durchdringung mit totalitärem Gedankengut stand nach Meinung der Nationalsozialisten eine revolutionäre Veränderung der Gesellschaft, die mit der Machtergreifung begonnen hatte, eine „Revolution der Erziehung, die sich auf dem Boden der nationalsozialistischen Weltanschauung“ vollziehe.8 Die allumfassende Gültigkeit dieser kompletten Umformung kommt beispielsweise in politischen Mitteilungen wie folgender zum Ausdruck: „Die deutsche Jugend soll nicht mehr wie im Liberalismus in sogenannter objektiver Weise vor die Auswahl gestellt werden, ob sie materialistisch oder idealistisch, völkisch oder international, religiös oder gottlos aufwachsen will, sondern sie soll bewußt geformt werden nach Grundsätzen, die als richtig anerkannt sind und sich als richtig erwiesen haben: nach den Grundsätzen der nationalsozialistischen Weltanschauung“.9
Dieser Abschaffung einer freien Schulerziehung als sinnvoller Selbstentfaltung im Sinne einer Abkehr von einem gesellschaftlichen Pluralismus ging die drastische Reduzierung der Typenvielfalt der Schule voraus. Durch die Gleichschaltung des Schulsystems sollte der Einfluss des Staates auf Schüler und Eltern verstärkt werden. Konfessions- und Privatschulen wurden untersagt, die in annähernd 70 Typen differenzierte Oberschule auf drei Grundtypen reduziert, nämlich auf die neusprachliche und die naturwissenschaftliche Oberschule sowie das humanistische Gymnasium.10
2.1. Die Lehrerausbildung
Einen weiteren zentralen Machtfaktor stellte die Indoktrination der Lehrerschaft dar, die mit den politischen Anforderungen des Systems konfrontiert wurden. Neben veränderten Ausbildungs- und Prüfungsvorschriften wurde die Arbeit an den Hochschulen durch die Einführung der politisch-weltanschaulichen Grundfächer im Sinne des Nationalsozialismus umgestaltet.11 Neue Prüfungsvorschriften wurden erlassen, neue Studienfächer eingeführt. Zu diesen neuen Studiengängen gehörten Vererbungslehre, Rassen- und Volkskunde, ferner Wehrwissenschaft und Grenzlandkunde. Die sogenannte bürgerliche Pädagogik verlor fast völlig an Bedeutung.12 Für junge Referendare war die weltanschauliche Grundlage der nationalsozialistischen Erziehung bindend und Prüfungsthema. Im ersten Jahr war die Lektüre von „Mein Kampf“ und Rosenbergs „Mythos des 20. Jahrhunderts“ vorgesehen. In der pädagogischen Prüfung hatten Referendare nach 1935 die Aufgabe, die Weltanschauung des Nationalsozialismus sachgemäß und wirkungsvoll zur Anwendung zu bringen.13
Mit größter Intensität begann eine weltanschauliche Umerziehung der Lehrerschaft. Zuständig für diese Fortbildungsarbeit waren das Reichserziehungsministerium, das Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht sowie der Nationalsozialistische Lehrerbund (NSLB).14 Schon zu Beginn des Jahres 1933 hatte es der NSLB als seine Hauptaufgabe betrachtet, dem Dritten Reich ein „geschultes Erzieherkorps“ bereitzustellen.15 In den folgenden Jahren sollten alle Lehrkräfte im Rahmen einer politischen Belehrung erfasst und gleichzeitig gleichgeschaltet werden. Von einer berufsgemäßen Ausbildung oder der Erziehung der Lehrer in vom NSLB durchgeführten Fortbildungsveranstaltungen kann jedoch keine Rede sein. Ziel war vielmehr eine bewusste Verhaltensmanipulation in Haltung, Gesinnung und Leistung an den Ideen des Dritten Reiches.
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1 Nohl, Hermann: Die pädagogische Bewegung in Deutschland und ihre Theorie, 4. Aufl., Frankfurt/Main 1957, S. 134.
2 Vgl. Lingelbach, Karl-Christoph: Erziehung und Erziehungstheorien im nationalsozialistischen Deutschland, Winheim u.a. 1970, 38.
3 Gamm, Hans-Jochen: Führung und Verführung. Pädagogik des Nationalsozialismus, München 1964, S. 30.
4 Ein kurzer Abriß dieser unterschiedlichen Ansätze findet sich in: Lingelbach, a.a.O., S. 16-21.
5 Ebd., a.a.O., S. 17.
6 Vgl. Flessau, a.a.O., S. 19.
7 Vgl. Eilers, a.a.O., S. 14
8 vgl. v. Schirach, B.: Revolution der Erziehung, München 1939
9 Hansen, Henrich: Die Presse des NSLB, Frankfurt/Main 1937, S. 1.
10 Vgl. Flessau, Kurt: Schule der Diktatur, München 1977, S. 14,
11 Schemm, H., Deutsche Schule und deutsche Erziehung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Stuttgart 1934, S. 342.
12 Vgl. Eilers, Rolf: Die nationalsozialistische Schulpolitik, Köln und Opladen 1963, S. 10.
13 Vgl. ebd., S. 8.
14 Vgl. B. Rust, in: Germany speaks, S. 97 ff., London 1938.
15 Vgl. Feiten, Willi: Der Nationalsozialistische Lehrerbund, Weinheim und Basel, 1981, S. 173.