Die Arbeit gibt einen Überblick über den Transnistrien-Konflikt. Transnistrien ein Land, das es nicht gibt. Ein Land mit einer Flagge, einem Präsidenten, einer Nationalhymne, einer Armee und einer Währung, aber offiziell gibt es das Land gar nicht, Transnistrien wird weder von der UNO noch von irgendeinem ihrer Mitgliedsstaaten anerkannt. Ein Scheinstaat also, dessen Hauptstadt Tiraspol sich seit dem Untergang der UdSSR praktisch nicht verändert hat, eine Lenin Statue vor dem Präsidentenpalast im sozialistisch klassizistischen Baustil erinnert noch heute an vergangene Zeiten.
Der Transnistrien-Konflikt als Fallbeispiel eines frozen conflicts in Europa. In über 25 Jahren entwickelte sich die Region aufgrund der unterschiedlichen Interessenssphären zum geopolitischen Spielball zwischen Ost und West. Noch heute gibt es unterschiedliche Lösungsansätze zur Schlichtung des Konflikts.
Auf der Seite des auswärtigen Amtes lässt sich nachlesen, dass im Juni 2016 die Verhandlungen nach fast zweijährigem Stillstand in einem 5+2-Format (Moldau, Transnistrien; Mediatoren: OSZE, Russland, Ukraine; Beobachter: USA, EU) wiederaufgenommen worden sind.
Inhalt
Einleitung - Transnistrien, ein Land, das es nicht gibt.
1. Das de facto-Regime
1.1 Entstehung und völkerrechtliche Stellung eines de-facto-Regimes
2. Der Transnistrien-Konflikt
2.1 Historischer Hintergrund und geopolitische Geschichte der Region
2.2 Chronologie und Zusammenfassung der Jahre 1988-1992
2.3 Die PMR
3. Postsowjetischer Separatismus auf der Krim im Vergleich zu den Geschehnissen in Transnistrien
4. Fazit
Literaturverzeichnis:
Einleitung - Transnistrien, ein Land, das es nicht gibt.
Das de facto-Regime, die Hintergründe und Geschichte des Transnistrien-Konflikts und ein Vergleich mit den russisch-separatistischen Bestrebungen auf der Krim.
Transnistrien ein Land, das es nicht gibt. Ein Land mit einer Flagge, einem Präsidenten, einer Nationalhymne, einer Armee und einer Währung, aber offiziell gibt es das Land gar nicht, Transnistrien wird weder von der UNO noch von irgendeinem ihrer Mitgliedsstaaten anerkannt. Ein Scheinstaat also, dessen Hauptstadt Tiraspol sich seit dem Untergang der UdSSR praktisch nicht verändert hat, eine Lenin Statue vor dem Präsidentenpalast im sozialistisch klassizistischen Baustil erinnert noch heute an vergangene Zeiten. Transnistrien ist ein Gebiet, das für Vladimir Putins Russland von wesentlicher Bedeutung für seine Politik der Einkreisung der Ukraine und für die Wahrung seiner Einflusssphäre gegenüber der NATO und der EU ist. Offiziell ist Transnistrien ein autonomes Gebiet der Republik Moldau, welche zwischen Rumänien und der Ukraine liegt und keinen Zugang zum Schwarzen Meer hat. In Moldawien leben ca. 3.5 Millionen Einwohner und es umfasst eine Fläche von 33.851 km[2]. Die Hauptstadt heißt Chişinău und liegt im Zentrum des Landes, außerdem gehören zu Moldawien die autonome Region Gagausien im Südosten, sowie Transnistrien im Osten, welches sich 1992 als Transnistrische-Moldauische Republik („Prednjestrovska Moldavskaja Republica“ in Eigenbezeichnung, kurz PMR) für unabhängig erklärte. Transnistrien bildet einen 3.567 km[2] großen Gebietsstreifen zwischen dem Fluss Dnjestr und der ukrainischen Grenze. Die Hauptstadt von Transnistrien ist Tiraspol und 2018 lebten auf transnistrischem Gebiet etwa 468.980 Menschen.1 In unterschiedlicher Fachliteratur weichen die prozentualen Anteile der Bevölkerungszusammensetzung leicht voneinander ab, jedoch kann man davon ausgehen, dass rumänisch stämmige, russischukrainisch stämmige und moldawisch stämmige Bürger zu etwa gleichen Teilen in der Bevölkerungsstruktur vertreten sind2. So gibt es in Transnistrien auch 3 Amtssprachen, nämlich russisch, ukrainisch und moldawisch, auch Straßennamen und die Nationalhymne sind in drei verschiedenen Sprachen ausgeschrieben.3
Die Frage nach der Identität der transnistrischen Bevölkerung ist ein entscheidender Faktor, bei der Auseinandersetzung in diesem multiethnischen Konflikt.
Die Diversität führt in gleichem Maße innerhalb der Bevölkerung als auch in den politischen Debatten der Nachbarländer immer wieder zu Streitigkeiten und schürt das Konfliktpotenzial.
Da es sich bei dem Staatskonstrukt Transnistrien offiziell nicht um einen souveränen Staat handelt, sondern um ein de facto-Regime, ist die Frage nach dem politischen System und der Verwaltung nicht eindeutig korrekt zu beantworten. Offiziell kann man von einer Präsidialrepublik sprechen, bei dem das Gebiet in 5 Rajone (Verwaltungsgebiete) aufgeteilt ist, die Städte Tiraspol und Bender bilden dabei eigene Verwaltungszonen.4
Vorwürfe aus dem Westen die PMR sei ein kommunistisches Relikt, lassen sich zu großen Teilen auf die konservierte staatliche Symbolik aus der Sowjetzeit zurückführen.
„Darauf angesprochen, reagieren die meisten Gesprächspartner etwas genervt. Ja, man sei Teil der Sowjetunion gewesen und habe die Symbole beibehalten, schließlich verstehe man sich als Erbe der Moldawischen SSR, als kommunistisch wolle man sich aber nicht bezeichnen lassen.“ 5
Obwohl man nach wie vor im engen Kontakt zu Russland und der Ukraine steht und sich geopolitisch wohl eher innerhalb der russischen Einflusssphäre verorten würde.6
„Demokratiedefizite geben die transnistrischen Offiziellen offen zu, relativieren allerdings die Probleme: „Demokratie ist in vielen Ländern Europas eine fragwürdige Sache. In monoethischen Staaten funktioniert das anders als in einem Land wie unserem, wo sich Ukrainer, Russen und Moldawier die Waage halten“, ist Vitalij Ignatiev vom Außenministerium überzeugt. „Wir wissen das diesbezüglich noch einiges getan werden muss.“ 7
Anfang der 2000er Jahren wurde der Versuch in Transnistrien demokratische Standards zu erheben immer wieder von Chişinău torpediert, die Moldauer forderten die transnistrischen Wahlen unter moldawischer Flagge abzuhalten und verhinderten so demokratische Wahlen unter internationaler Aufsicht.8
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), ein Organ der EU, befindet sich dadurch in einer Zwickmühle, sie kann die PMR als Staat nicht anerkennen und ebenso wenig die Wahlen, gleichzeitig fordert sie jedoch Transparenz und Demokratisierung.9
Der Transnistrien-Konflikt als Fallbeispiel eines frozen conflicts in Europa. In über 25 Jahren entwickelte sich die Region zum geopolitischen Spielball zwischen Ost und West. Noch heute gibt es unterschiedliche Lösungsansätze zur Schlichtung des Konflikts, doch werden jene immer wieder torpediert oder abgelehnt. Transnistrien als „frozen conflict“, von jenem unterschiedliche Eliten und Personengruppen bei Anhalten des Konflikts und der de facto-Staatlichkeit eher profitieren als bei Beilegung des Streites und einer Eingliederung der Region.
Auf der Seite des auswärtigen Amtes lässt sich allerdings nachlesen, dass im Juni 2016 die Verhandlungen nach fast zweijährigem Stillstand in einem 5+2-Format (Moldau, Transnistrien; Mediatoren: OSZE, Russland, Ukraine; Beobachter: USA, EU) wiederaufgenommen worden sind.10
In dieser Arbeit wird versucht, die Ursachen und die Komplexität dieses „frozen conflicts“ in Europa, darzulegen und zu erklären. Außerdem soll versucht werden, die politischen Bestrebungen der russischen Separatisten auf der Krim mit den Unabhängigkeitsbestrebungen in Transnistrien zu vergleichen.
1. Das de facto-Regime
Um die Rechtsstellung Transnistriens als de facto-Regime beurteilen zu können ist es an dieser Stelle erforderlich das Völkerrecht heranzuziehen, um anhand der juristischen Grundlage den Konflikt und seine Komplexität besser verstehen zu können.
1.1 Entstehung und völkerrechtliche Stellung eines de-facto-Regimes
„Die primären Rechtssubjekte des Völkerrechts sind die Staaten. Sie haben sich in der Geschichte als relative selbstständig und relativ stabile Einheiten herausgebildet. Die relative Selbstständigkeit der Rechtssubjekte voneinander ist die Voraussetzung der Entstehung einer Rechtsordnung, deren Aufgabe der Ausgleich der Interessen der Rechtssubjekte ist.“11
Das Völkerrecht als Grundlage des Interessenaustausches souveräner Staaten. Es fungiert als Richtlinie für zwischenstaatliche Diplomatie und Ordnung. Da es sich s.o. bei der PMR um ein staatliches Gebilde handelt, ist eine juristische Bewertung und Legitimation durch das Völkerrecht kompliziert.
„Das Völkerrecht, das auf einem Substrat relativ selbstständiger und relativ stabiler Gemeinwesen aufbaut, kennt bisher nur rudimentäre Ansätze für eine Regelung des Wechsels im Bestand dieser Gemeinwesen durch eine zentrale Instanz. (…) Das Völkerrecht kann nur zur Beurteilung, ob ein Staat entstanden oder untergegangen ist herangezogen werden, es enthält aber keinen Mechanismus, der Bildung und Untergang eines Staates mithilfe einer zentralen Instanz regelte, (…).“12
Da der internationalen Staatengemeinschaft keine universelle judikative Organe zu Verfügung stehen, die bei der Staatenbildung die nötige völkerrechtliche Legitimation gewährleisten, entsteht dadurch ein juristisches Vakuum im Umgang mit neugebildeten Staaten. So gesehen ist die Anerkennung der übrigen Mitgliedsstaaten (sog. Altstaaten), mangels einer richterlichen Instanz mehr oder weniger die Grundlage zur Beurteilung der erfolgreichen Neubildung eines Staates.13
„In einer Zeit, in der die bewohnte Erde, in Staaten aufgeteilt ist, können neue Staaten sich nur auf einem Gebiet bilden, das bisher einem anderen Staat zu stand.“14
Solange der Mutterstadt in seiner Souveränität die Unabhängigk eit des neu gebildeten Staates anerkennt, so werden sich die anderen Staaten ebenfalls solidarisieren und den neuen Staat anerkennen, die Anerkennung durch andere Staaten reicht aus, um den neu gegründeten Staat innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft völkerrechtlich zu legitimieren.15
Im Fall Transnistriens verhält es sich allerdings anders, der Mutterstadt, die Republik Moldau verweigert den transnistrischen Separatisten seine Anerkennung, womit wir bei den Grundlagen des völkerrechtlichen Konflikts in dieser Region angekommen sind.
„Anders ist es dagegen, wenn ein bisher zu einem Staat gehörendes Gebiet gegen dessen Willen seine Unabhängigkeit erklärt. Hier wird der Mutterstadt versuchen, eine Anerkennung des Gebildes als unabhängiger Staat zu verhindern, solange er noch den Versuch unternimmt seine Souveränität zurückzugewinnen. Es mag sein, dass ihm das vollständig gelingt und andere Staaten den Anspruch des neuen Gebildes zurückweisen. Es kann aber auch sein, dass andere Staaten das Gebilde als Staat anerkennen. (…) Während sich das Gebilde selbst als Staat ansieht und die es anerkennenden Staaten dieser Betrachtung folgen, gehen der Mutterstaat und die nichtanerkennenden Staaten von der weiteren Zugehörigkeit des Gebietes zu dem Mutterstaat aus. Ihnen gegenüber präsentiert sich das faktisch unabhängige Gebilde nicht als Staat. (…) Das Gebilde wird dabei als de facto-Regime bezeichnet.“16
Die völkerrechtliche Stellung Transnistriens als de facto-Regime wäre nach dieser Betrachtung der Fakten geklärt. Nun gestaltet sich jedoch die Beurteilung des Transnistrien-Konflikts, aufgrund verschiedener Gründe als wesentlich schwieriger als gedacht. Da Transnistrien keine monoethische Bevölkerungsstruktur aufweist, ist ein Verständnis der Bevölkerung als transnistrische Nation, nicht eindeutig gegeben, damit ist gemeint, dass es keinen eindeutig definierten von einer als transnistrisch definiertem Bevölkerungsgruppe ausgehenden und auf nationalistischen Ideen oder Identifikation beruhenden Anspruch auf das transnistrische Gebiet gibt.
Transnistrien ist dahingehend nicht mit anderen de facto Regimen zu vergleichen, die ihren Unabhängigkeitsanspruch durch nationalistische Ideale legitimieren. Es handelt sich vielmehr um ein künstliches Konstrukt eines staatlichen Gebildes. Durch die Multiethnizität der Bevölkerung gingen die Unabhängigkeitsbestrebungen längst nicht von allen Volksgruppen aus, was die Situation in diesem Konstrukt noch verkompliziert.
Die andere große Problematik abgesehen von der Zerrissenheit der Bevölkerung stellt der Anspruch des Mutterlandes dar. Die Republik Moldau erhebt völkerrechtlich legitimiert weiterhin Anspruch, auf eigenes Staatsgebiet und verteidigt seine Souveränität., doch auch für Moskau und die russische Führung unter Wladimir Putin liegen die Gebiete der ehemaligen UdSSR weiterhin im Bereich der eigenen Interessenssphäre, ähnlich wie auf der Krim erhebt Russland Anspruch, bzw. legitimiert die Wahrung der russischen Einflusssphäre, über die russischen Bevölkerungsanteile in Transnistrien und die sowjetische Vergangenheit der Region.
Ebenfalls zu beachten bei der Betrachtung und Analyse des Konflikts sind die Gagausen, ein eingewandertes Turkvolk, welche ebenfalls Gebiete innerhalb der Republik Moldau für sich beanspruchen. In der Zerrissenheit der Republik Moldau ist die autonome Region Gagausien ein weiter Konfliktherd.17
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1 https://www.citypopulation.de/de/moldova/transnistria/admin//
2 https://www.geo.de/reisen/reiseziele/8799-rtkl-transnistrien-besuch-einem-moechtegern-staat
3 Hofbauer , Hannes: Mitten in Europa – politische Reiseberichte aus Bosnien-Herzegowina, Belarus, der Ukraine, Transnistrien/Moldawien und Albanien. 2006. S.143.
4 http://en.vspmr.org
5 Hofbauer , Hannes: Mitten in Europa – politische Reiseberichte aus Bosnien-Herzegowina, Belarus, der Ukraine, Transnistrien/Moldawien und Albanien. S.139.
6 Hofbauer, ebd. S.140.
7 Hofbauer, ebd. S.140.
8 Vgl. Hofbauer, ebd. S.140.
9 Hofbauer, Mitten in Europa – politische Reiseberichte aus Bosnien-Herzegowina, Belarus, der Ukraine, Transnistrien/Moldawien und Albanien. S.141.
10 https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/moldau-node/-/
11 Frowein , Jochen: Das de facto-Regime im Völkerrecht. S. 4.
12 Frowein , ebd. S.5.
13 Vgl. Frowein , ebd. S.5.
14 Frowein , Jochen: Das de facto-Regime im Völkerrecht. S.6.
15 Vgl. Frowein . ebd. S.6.
16 Frowein , Jochen: ebd., S. 6/7.
17 Graf, Kilian: Der Transnistrien-Konflikt - Produkt spätsowjetischer Verteilungskämpe und Zerfallskonflikt der implodierten Sowjetunion. 2010. S. 64.