In der vorliegenden Hausarbeit wird ein Gutachterbericht inklusive einer Verhaltensanalyse und einem Behandlungsplans anhand des Beispiels von Herrn P., welcher unter einer sozialen Phobie leidet, dargestellt. Dieser Bericht umfasst unter anderem die Problembereiche des Patienten, die somatischen und psychopathologischen Befunde und die biografische Anamnese. Auf Grundlage dieser Darstellung erfolgt die Diagnose. Daraufhin wird diese anhand der Epidemiologie, der Ätiologie, des lerntheoretischen Hintergrundes, der SORKC-Analyse, Verhaltensexzesse und -defizite, sowie Ressourcen untermauert und weitergehend analysiert. Anschließend erfolgt die Darstellung der Therapieziele, der Behandlungsplan des Patienten und seine Prognose.
I Inhaltsverzeichnis
II Abbildungsverzeichnis
1 Problembereiche
2 Somatischer Befund
3 Psychopathologischer Befund
4 Biografische Anamnese
5 Diagnose
6 Epidemiologie und Ätiologie der sozialen Phobie
7 Lerntheoretischer Hintergrund
8 SORKC
9 Verhaltensexzesse
10 Verhaltensdefizite
11 Ressourcen
12 Therapieziele
13 Behandlungsplan
13.1 Aufbau der therapeutischen Arbeitsbeziehung
13.2 Psychoedukation
13.3 Kognitiv-behaviorale Therapie
13.4 Rollenspiele mit Video-Feedback
13.5 Massierte Konfrontationsverfahren in vivo
13.6 Förderung der sozialen Kompetenz
13.7 Förderung der Selbstsicherheit über positive Selbstverbalisation
13.8 Entspannungsverfahren
13.9 Rückfallprophylaxe
14 Prognose
III Literaturverzeichnis
II Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Teufelskreis der Angst (In-Albon & Margraf, 2011, S. 921)
Abb. 2: Das kognitive Modell zur Aufrechterhaltung der sozialen Phobie nach Clark und Wells (Berking & Rief, 2012a, S. 81)
Abb. 3: Erklärungsmodell sozial (in-)kompetenten Verhaltens. (Berking & Rief, 2012b, S. 97)
1 Problembereiche
Herr P. kam auf Anraten seiner Familie in die Praxis. Insbesondere seine Frau hatte ihn darin bestärkt, sich professionelle Hilfe zu suchen. Während des Erstgesprächs berichtet der 31-jährige Versicherungsmakler einer großen Agentur von Ängsten, die sich seit seinem damaligen berufsbegleitenden Studium verstärken würden. Ihm falle es schwer in Anwesenheit anderer seine Meinung zu vertreten, geschweige denn, ein Wort herauszubringen. Sobald er reden müsse, fange er an zu schwitzen, bekomme zittrige Hände und erröte. Er habe Angst inkompetent zu wirken oder sich zu blamieren. Als prototypisch beschrieb Herr P. eine Situation, in der er vor seinen Teammitgliedern die neuesten Zahlen berichten sollte und er vor Sorge kaum ein Wort herausbrachte. Der Patient habe diesbezüglich ebenfalls angefangen zu zittern. Darüber hinaus habe er ein flaues Gefühl im Magen, Herzklopfen und dringenden Harndrang verspürt. Zusätzlich habe er dysfunktionale Gedanken, was seine Kolleg:innen nun von ihm halten würden. Er sei davon überzeugt, dass andere seine Reaktionen bemerken würden und die Unsicherheit in seiner Stimme hören würden. Auch diese Gedanken seien für solch eine Situation üblich. Da Herr P. in seinem Beruf häufig mit vielen Teammitgliedern und mit Kund:innen in Kontakt sei, versuche er sich aufgrund seiner Probleme immer mehr zurückzuziehen und viele seiner Termine an einen Kollegen abzugeben. Ihm sei jedoch bewusst, dass sein Verhalten möglicherweise dazu führen könne, dass er nicht nur seine Kund:innen, sondern auch seine Anstellung verlieren könne. Jedoch überwiege seine Angst sich lächerlich zu machen. Herr P. habe bereits eigenständig versucht seine Probleme zu kontrollieren. Diesbezüglich habe er sich sowohl YouTube-Videos zu „freierem Reden“ und „Moderationstechniken“ angesehen als auch autogenes Training angewandt. Herr P. gibt an, dass sowohl sein Schlaf als auch sein Appetit von seinen Ängsten nicht negativ betroffen wären und er keine Veränderungen diesbezüglich festgestellt habe. Zwangssymptome, Halluzinationen und Wahn konnten bei Herrn P. ebenfalls nicht festgestellt werden. Seine bisherigen Versuche bezüglich Bewältigungsstrategien waren jedoch bislang nicht zielführend. Die von Herrn P. beschriebene Symptomatik tritt hauptsächlich im beruflichen Kontext auf. Jedoch neigt er inzwischen dazu, Feiern, bei denen er auf viele unbekannte Menschen treffen könnte, zunehmend zu meiden. Innerhalb seines privaten familiären Umfeldes zeigen sich seine Probleme hingegen nicht. Insbesondere seine Ehefrau gebe ihm viel Sicherheit und Halt. Da seine bisherigen Versuche bezüglich Bewältigungsstrategien nicht erfolgreich gewesen seien und Herr P. sich nicht mehr zu helfen wisse, erhoffe er sich nun mit Hilfe einer Therapie, selbstsicherer zu werden und mit anderen Menschen wieder besser interagieren zu können.
2 Somatischer Befund
Im Erstgespräch erwähnte Herr P. keine vorherigen Arztbesuche. Zunächst muss ein Konsiliarbericht eines Arztes erstellt werden, ehe eine Therapie durchgeführt werden kann. Im Rahmen dieses Berichts müssen organische Ursachen (F0) der sozialen Phobie ausgeschlossen werden.
3 Psychopathologischer Befund
Der folgende psychopathologische Befund bezieht sich zunächst nur auf das Erstgespräch mit dem Patienten. Um einen umfassenden psychopathologischen Befund erstellen zu können, müssen zusätzlich zum Erstgespräch diagnostische Instrumente eingesetzt werden. Bei Herrn P. sind keine Hinweise auf Wahnvorstellungen, Wahrnehmungsstörungen wie Halluzinationen und Zwangssymptome festzustellen. Die Symptome sind folglich nicht durch eine Schizophrenie, eine Suchterkrankung, eine Zwangsstörung oder eine affektive Störung, wie Depression oder bipolare Störung zu erklären. Konsummuster bezüglich psychotroper Substanzen konnten bei Herrn P. zunächst nicht festgestellt werden.
4 Biografische Anamnese
Herr P. wurde als jüngstes von zwei Kindern eines Anwalts und einer Steuerfachangestellten geboren. Er habe eine unauffällige Kindheit und Jugend genossen und sei recht konservativ erzogen worden. Außerdem musste der Patient sich stets sehr gewählt und bedacht ausdrücken. Daraus resultierend hätten seine Eltern ihn und seinen drei Jahre älteren Bruder zu wissbegierigen jungen Menschen erzogen. Sein Bruder habe stets bessere schulische Leistungen erbracht und Herr P. habe sich infolgedessen von seinen Eltern oftmals kritisiert gefühlt. Die Beziehung zu seinem Bruder habe dies jedoch nicht geschadet. Sie sei schon immer recht gut gewesen und noch heute habe er häufig Kontakt zu ihm. Insbesondere seinen Vater beschreibt der Patient als eher streng. Er habe recht viel Leistung von seinen beiden Söhnen erwartet und habe für, in seinen Augen, dumme Antworten kleine Extraaufgaben verteilt. Die Mutter von Herrn P. sei im Gegensatz zu seinem Vater eher ängstlich und zurückhaltend. Seine schulische Laufbahn verlief verhältnismäßig unauffällig. Er habe sich damals nie richtig blamiert oder sei in Situationen gekommen, in denen er sich stark geschämt habe. Ähnlich zu seiner Mutter war Herr P. jedoch stets eher unsicher gewesen und habe sich häufig bei seinem Bruder oder seinen Freunden rückversichert. Nach seiner Ausbildung habe er ein berufsbegleitendes Studium begonnen. Dieses musste er aufgrund der zu dieser Zeit entstehenden Ängste jedoch abbrechen. In dieser Zeit lernte er seine jetzige Ehefrau kennen, die er vor zwei Jahren heiratete. Herr P. beschreibt sie als gütig und zuversichtlich. Des Weiteren gebe sie ihm viel Sicherheit und Halt. Er könne ihr seine Ängste anvertrauen und sie habe ihn darin bestärkt sich professionelle Unterstützung zu suchen.
5 Diagnose
F40.1 Soziale Phobie
Starke Angst und Unsicherheit in interaktions- oder leistungsbezogenen Situationen, unter denen die betroffenen Personen leiden, zeichnen die soziale Phobie aus. Insbesondere die Befürchtung vor negativen Bewertungen oder Ablehnung durch andere Personen steht hier im Fokus. Prototypische Situationen, die Angst auslösen können, sind unter anderem Vorträge oder Gespräche mit Vorgesetzten. Bei der sozialen Phobie kann entweder von einer spezifischen Form oder einer generalisierten Ausprägung der Störung gesprochen werden. Die spezifische soziale Phobie begrenzt sich auf eine oder wenige ähnliche Situationen. Die Art und Stärke der Symptomatik kann ebenfalls interindividuell ausfallen. Manche Menschen leiden eher unter subjektiv erlebter Angst, die von ihrem Umfeld kaum wahrnehmbar ist. Jedoch kann sich die Angst bis hin zu Panikattacken mit auffälligen körperlichen Reaktionen, wie Zittern, Herzklopfen oder starkes Erröten steigern (Berking & Rief, 2012a; Margraf & Schneider, 2009). In der Regel haben die Patienten Angst davor Fehler zu begehen oder die genannten Angstsymptome zu zeigen. Sie befürchten, dass andere Personen diese wahrnehmen könnten und sie infolgedessen negativ bewerten würden. Demnach werden solche Situationen, die Angst auslösen könnten, oftmals vermieden. Diese vermeintlichen Bewältigungsstrategien bewirken jedoch lediglich eine kurzfristige Angstreduktion. Langfristig gesehen sind diese eher kontraproduktiv, da sie die vorhandene Problematik aufrechterhalten beziehungsweise oftmals geradezu verstärken (Berking & Rief, 2012a).
Eine Komorbidität kann auf Grundlage der Angaben des Patienten ausgeschlossen werden. Jedoch kann eine Nichtbehandlung der sozialen Phobie im weiteren Verlauf der Störung in einer Depression gipfeln. Im Folgenden werden die diagnostischen Kriterien nach ICD-10, die Herr P. erfüllt, dargelegt (Margraf & Schneider, 2009).
A. Deutliche Vermeidung, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, oder Vermeidung von Situationen, in denen die Angst besteht, sich peinlich oder beschämend zu verhalten. Diese Ängste treten in folgenden sozialen Situationen auf: Sprechen in der Öffentlichkeit, Hinzukommen/Teilnahme an kleinen Gruppen, z.
B. Partys oder Treffen
B. Mindestens zwei Angstsymptome in den gefürchteten Situationen, mindestens einmal seit Auftreten der Störung, zusätzlich mindestens eines von:
(1) Erröten & Zittern
(2) Miktionsdrang
C. Deutliche emotionale Belastung durch Angstsymptome/Vermeidungsverhalten. Einsicht in die Übertriebenheit/Unvernünftigkeit der Symptome/des Vermeidungsverhaltens
D. Symptome sind vornehmlich auf gefürchtete Situationen beschränkt oder auf doe Gedanken an diese.
E. Symptome von A sind
a. nicht bedingt durch Wahn
b. nicht bedingt durch Halluzinationen
c. nicht bedingt durch andere Symptome folgender Störungsgruppen: Schizophrenie und verwandte Störungen, affektive Störungen, Zwangsstörung
d. nicht Folge einer kulturell akzeptierten Anschauung
6 Epidemiologie und Ätiologie der sozialen Phobie
Die soziale Phobie tritt bei sieben bis zwölf Prozent aller Personen im Laufe des Lebens auf und ist demzufolge die dritthäufigste psychische Störung und die häufigste Angststörung (Berghändler et al., 2007; Berking & Rief, 2012a). In der Kindheit, beziehungsweise der Adoleszenz, treten die ersten sozialphobischen Syndrome typischerweise auf. Die Hochrisikozeit an sozialer Phobie zu erkranken, liegt jedoch zwischen dem zehnten und siebzehnten Lebensjahr (Wittchen & Fehm, 2003). Im Vergleich zu anderen psychischen Störungen fällt auf, dass Männer und Frauen gleichermaßen betroffen sind (Dilling et al., 2015). Die soziale Phobie tritt am häufigsten in der Altersgruppe zwischen 30 und 44 Jahren auf. Daraufhin folgt die Gruppe der 18- bis 29-Jährigen. Nach dem 60. Lebensjahr tritt die Erkrankung jedoch seltener auf (Kessler et al., 2005). Bislang existieren wenige empirische Befunde über den Verlauf der sozialen Phobie. Die Remissionsrate für nicht behandelte Personen ist im Vergleich zu anderen Störungen gering (Margraf & Schneider, 2009).
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