Obgleich sich heute einige Arbeiten insbesondere der Fragen widmen, welche Bedeutung dem Internet für zivilgesellschaftliche Akteur*innen zukommt und ob das Internet als demokratieförderlich angesehen werden
sollte, wird die besondere Stellung von Frauen und feministischen Anliegen innerhalb dieser Gefüge weitestgehend
vernachlässigt. Geht es in Artikeln um Feminismus und Zivilgesellschaft, wie beispielsweise bei Sauer (2008) und Phillips (2002), so werden dort die Veränderungen seit der Digitalisierung ausgeklammert. Geht es in Arbeiten konkreter um das Verhältnis von Feminismus und Digitalisierung, so begrenzen sich diese häufig jedoch auf spezifische Internetphänomene. Gegenstand sind meist die zunehmenden aggressiven Attacken gegen Frauen und das Erstarken antifeministischer Bewegungen oder aber konkrete Strategien des feministischen Online-Aktivismus. Solche Beiträge bewegen sich in der Regel nur an der Oberfläche oder konzentrieren sich lediglich auf einzelne Aspekte, ohne dabei deren Zusammenhänge und oft zugrunde liegende, strukturbedingte Ursachen zu untersuchen. Nur wenige gehen darüber hinaus.
An dieser Stelle soll diese Arbeit ansetzen. Es wurde bereits deutlich, dass eine große Diskrepanz zwischen dem emanzipatorischen Potential des Internets und seiner tatsächlichen Ausgestaltung existiert. Doch stellt sich darüber hinaus die Frage, ob durch das Internet nicht vielmehr patriarchale Strukturen reproduziert und manifestiert, statt feministische Bestrebungen unterstützt werden. Und stellt eine digitalisierte Zivilgesellschaft aus feministischer Perspektive demnach nicht eine Verschlechterung dar?
Um diesen Fragen nachzugehen, werde ich ausgewählte positive Eigenschaften, die dem Internet zugeschrieben
werden, aus feministischer Perspektive diskutieren. Diese Eigenschaften fasse ich unter den Kategorien Offenheit, Gleichheit, Pluralismus und Konfliktivität, Permeabilität sowie Beschleunigung und Progress zusammen. Die Argumentation wird sowohl technische Merkmale des Internets, Aspekte der Ressourcen- und Wissensverteilung als auch gesellschaftliche und ökonomische Dynamiken mit einbeziehen. Dabei soll, wenn möglich, jeweils ein Vergleich mit der ‚analogen‘ Zivilgesellschaft stattfinden, um beurteilen zu können, ob es sich um eine positive oder negative Entwicklung der Zivilgesellschaft aus einer feministischen Argumentationsposition heraus handelt.
Inhalt
1 Einleitung
Digitalisierung der Zivilgesellschaft
Feminismus in einer digitalisierten Zivilgesellschaft
Fragestellung und Vorgehen
2 Feminismus und die (analoge) Zivilgesellschaft
Feminismus und der Begriff der Zivilgesellschaft
Feminismus und zivilgesellschaftliches Engagement
3 Offenheit
Freier Zugang aller zum Netz
Digital Gender Divide, die technische Exklusion
Offenheit gegenüber feministischen Themen und Zugang zu Informationen
Fehlende Filter: Antifeminismus, Hate Speech und Fake News
4 Gleichheit
Teilhabe aller zu gleichen Bedingungen und eine horizontale Machtverteilung
Digital Gender Divide, die technische Führung ist männlich
5 Pluralismus und Konfliktivität
Plurale Öffentlichkeit(en) als Chance für feministische Gegenöffentlichkeiten
Teilöffentlichkeiten als Triebfeder gesellschaftlicher Fragmentierung und Polarisierung
6 Permeabilität
Auflösen der Grenzen zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit
Auflösen der Grenzen zwischen Staat und Zivilgesellschaft
Auflösen der Grenzen zwischen Markt und Zivilgesellschaft
7 Beschleunigung und Progress
Eine dynamische und progressive digitalisierte Zivilgesellschaft
Die Flüchtigkeit und Oberflächlichkeit des digitalen Raums
Fazit
Literatur
1 Einleitung
Digitalisierung der Zivilgesellschaft
Spätestens seit dem Web 2.0 und der Etablierung von Social Media-Plattformen hat sich ein großer Teil der öffentlichen Kommunikation ins Netz verlagert (Fotopoulou 2016: 37). In Blogs, auf Websites, durch Social Media-Profile, via Videos oder auch Live-Streams können Informationen von allen in Sekundenschnelle öffentlich zugänglich gemacht und in Echtzeit rezipiert werden. Gleichzeitig lassen Kommentarspalten und Buttons prompte Reaktionen zu. Die Möglichkeiten der Sichtbarmachung und Diskussion von Inhalten scheinen dabei personal, thematisch sowie territorial unbegrenzt und die „inhärent egalitäre[] technische[] Grundstruktur des Internets“1 (Zimmermann 2006: 22) verspricht eine reizvolle Gleichheit aller Beteiligten.
Gerade in den Anfangszeiten der Digitalisierung2 kamen daher euphorische Ankündigungen einer emanzipatorischen, interaktiven, super-demokratischen und damit der analogen Welt überlegenen „digitalen“ (Borucki/Oswald 2020: 6), „virtuelle[n] Agora“ (Drü- eke 2015: 27) oder auch „E-Gora“ (Borucki/Oswald 2020: 5) auf. Ein Ort, zu dem jede*r Zugang hat und jede*r sich beteiligen kann, frei von institutionalisierter Diskriminierung.
Das Netz stellt dabei vor allem zivilgesellschaftlichen Akteur*innen neue Instrumente der Vernetzung, Wissensbeschaffung und Partizipation an öffentlichen Diskursen bereit (vgl. Fotopoulou 2016: 37) - und das über Ländergrenzen und Regierungssysteme hinaus (vgl. Borucki/Oswald 2020: 5). Gerade marginalisierte Gruppen profitieren vom Vorhandensein mannigfaltiger Mittel und Wege zum Empowerment (vgl. OECD 2018: 5), für die sie weder besonders vieler Ressourcen noch eines hohen Grades an Institutionalisierung bedürfen (vgl. Zimmermann 2006: 22; vgl. Borucki/Oswald 2020: 5). Eine solche digitalisierte Zivilgesellschaft3 4 , deren Handlungsfeld durch den digitalen Raum erweitert und verändert ist, scheint damit selbst inklusiver, informierter, gerechter und handlungsfähiger.
Feminismus in einer digitalisierten Zivilgesellschaft
Auch feministische Bewegungen haben das Potential des Internets für sich erkannt. Hashtag-Kampagnen wie #BringBackOurGirls (s. z.B. Olson 2016), #JusticeforLiz (s. z.B. Higgs 2015) oder vor allem #Metoo (s. z.B. Nenoff 2020), die auf großen Plattformen wie Facebook, Twitter oder Instagram geteilt wurden, erlangten weltweit große Aufmerksamkeit und rückten Debatten über Sexismus und Gewalt gegen Frauen in den Fokus der globalen Öffentlichkeit - zunächst online, dann auch offline. Solche Hashtags machen deutlich, „how the increased use of digital media has altered, influenced, and shaped feminism in the twenty-first century by giving rise to changed modes of communication, different kinds of conversations, and new configurations of activism across the globe, both online and offline" (Baer 2016: 18). Die Entstehung zahlreicher neuer feministischer Aktivismusfor- men lässt manche bereits von einer ,vierten Welle' des Feminismus sprechen (s. z.B. Munro 2013; Chamberlain 2017). „Netzfeminismus“5 (Lenz 2019: 238f.) oder auch „Cyberfemi- nismus“6 (Thiessen 2004: 37f.) besteht jedoch keinesfalls nur aus Hashtags, Posts oder Tweets. Feministische Webseiten, Blogs, Veröffentlichungen, Online-Veranstaltungen, Austauschforen oder die Gründung digital agierender NGOs sind weitere Beispiele, wie feministische Anliegen im Netz vertreten sind.
Die weitverbreitete Annahme, Digitale Medien seien „a new source of empowerment for feminist activism” (Jouët 2018: 134) und hätten „largely contributed to its revival.” (ebd.), verwundert demnach nicht, ebenso wenig Titel wie „Nirgendwo ist die Chance auf Gleichberechtigung so groß wie im Internet.“ (taz 07.02.2008). Doch die anfängliche Euphorie weicht wachsender Desillusion. Das Internet wird den ursprünglichen Vorstellungen einer idealen Öffentlichkeit nicht ansatzweise gerecht (vgl. Borucki/Oswald 2020: 5) und führt heute zu deutlich nüchterneren Betrachtungen (vgl. Klaus/Drüeke 2012: 53). Besonders Frauen sind von Online-Phänomenen wie Hate Speech7 oder Hacking betroffen und feministische Debatten im Netz werden zunehmend von Internettrolls8 manipuliert (vgl. Lumsden 2019). Andere Herausforderungen unter Schlagworten wie „Digital Divide“9 und „Fragmentierung der Öffentlichkeit“ (vgl. Kaya 2020: 60) stellen die vielfach proklamierte Offenheit, Gleichheit und Fortschrittlichkeit des Internets sowie die Vorstellung der digitalen Öffentlichkeit als verbessertes Territorium für zivilgesellschaftliches Engagement zusätzlich infrage.
Fragestellung und Vorgehen
Obgleich sich heute einige Arbeiten dieser letztgenannten Problemfelder und dabei insbesondere der Fragen widmen, welche Bedeutung dem Internet für zivilgesellschaftliche Akteur*innen zukommt und ob das Internet als demokratieförderlich angesehen werden sollte (s. z.B. Ritzi/Zierold 2020; Kaya 2020; Borucki/Oswald 2020), wird die besondere Stellung von Frauen und feministischen Anliegen innerhalb dieser Gefüge weitestgehend vernachlässigt. Geht es in Artikeln um Feminismus und Zivilgesellschaft, wie beispielsweise bei Sauer (2008) und Phillips (2002), so werden dort die Veränderungen seit der Digitalisierung ausgeklammert. Geht es in Arbeiten konkreter um das Verhältnis von Feminismus und Digitalisierung, so begrenzen sich diese häufig jedoch auf spezifische Internetphänomene. Gegenstand sind meist die zunehmenden aggressiven Attacken gegen Frauen (s. z.B. Lumsden 2019) und das Erstarken antifeministischer Bewegungen (s. z.B. Rothermel 2020), oder aber konkrete Strategien des feministischen Online-Aktivismus (s. z.B. Baer 2016). Solche Beiträge bewegen sich in der Regel nur an der Oberfläche oder konzentrieren sich lediglich auf einzelne Aspekte, ohne dabei deren Zusammenhänge und oft zugrunde liegende, strukturbedingte Ursachen zu untersuchen. Nur wenige gehen darüber hinaus (s. z.B. Megarry 2020).
An dieser Stelle soll mein Artikel ansetzen. Es wurde bereits deutlich, dass eine große Diskrepanz zwischen dem emanzipatorischen Potential des Internets und seiner tatsächlichen Ausgestaltung existiert. Doch stellt sich darüber hinaus die Frage, ob durch das Internet nicht vielmehr patriarchale Strukturen reproduziert und manifestiert, statt feministische Bestrebungen unterstützt werden. Und stellt eine digitalisierte Zivilgesellschaft aus feministischer Perspektive demnach nicht eine Verschlechterung dar? Um diesen Fragen nachzugehen, werde ich ausgewählte positive Eigenschaften, die dem Internet zugeschrieben werden, aus feministischer Perspektive diskutieren. Diese Eigenschaften fasse ich unter den Kategorien Offenheit, Gleichheit, Pluralismus und Konfliktivität, Permeabilität sowie Beschleunigung und Progress zusammen . 10 Die Argumentation wird sowohl technische Merkmale des Internets, Aspekte der Ressourcen- und Wissensverteilung als auch gesellschaftliche und ökonomische Dynamiken miteinbeziehen. Dabei soll, wenn möglich, jeweils ein Vergleich mit der ,analogen‘ Zivilgesellschaft stattfinden, um beurteilen zu können, ob es sich um eine positive oder negative Entwicklung der Zivilgesellschaft aus einer feministischen Argumentationsposition heraus handelt.
2 Feminismus und die (analoge) Zivilgesellschaft
Feminismus und der Begriff der Zivilgesellschaft
Betrachten wir also zunächst das Verhältnis zwischen Feminismus und Zivilgesellschaft vor der Digitalisierung und setzen bei der Theorie der beiden Begriffe an, denn sie sind in dem, was sie beschreiben, weder eindeutig noch unumstritten. Spreche ich beispielsweise von „feministischer Perspektive“, so ist darunter keine den gesamten Feminismus vertretende homogene Meinung zu verstehen. Denn Feminismus ist in sich pluralistisch und dient als Oberbegriff aller Strömungen, die sich z.B. auf Basis politischer oder religiöser Überzeugungen, gemeinsamer zum Teil intersektionaler Diskriminierungserfahrungen oder im Zuge einzelner Aktionen zusammengeschlossen haben (vgl. Phillips 2002: 71). Dementsprechend unterschiedlich fallen ihre Positionen und Lösungsansätze aus. Uneinigkeit herrscht sogar über die Frage nach einem übergeordneten Ziel des Feminismus, nämlich „whether women should be claiming equality with men (which might suggest they accept the superiority of "male" practices and goals) or pursuing a world better attuned to the values of female culture (which might suggest the two sexes really are "naturally" different and distinct)” (ebd.: 71). Sie alle konstatieren jedoch eine wie auch immer geartete Ungleichbehandlung von Frauen und einen generellen Handlungsbedarf (vgl. ebd.). Ich gehe hier von einem Feminismus aus, der insbesondere gesellschaftliche Strukturen als Ursache von Geschlechterungleichheiten in vielen Lebensbereichen verantwortlich macht. Er fordert hinsichtlich seines Verhältnisses zur Zivilgesellschaft einen gleichen Zugang, gleiche Teilhabe und gleichen Schutz, die, wenn sie nicht vorhanden sind, von allen gesellschaftlichen, politischen oder ökonomischen Akteur*innen hergestellt werden müssen. Die Mittel und Wege können dabei variieren.
Parallel zum Feminismus immanenten Pluralismus gestaltet sich auch die Auslegung des Konzeptes Zivilgesellschaft in feministischen Theorien heterogen (vgl. ebd. 72). Frauen gelten in westlichen Demokratien als besonders stark in zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Vereinen, Kirchengruppen, Nachbarschaftszusammenschlüsse und ähnlichen vertreten (vgl. ebd.: 73). Während ihnen lange Zeit politische Beteiligung versagt blieb, standen ihnen freiwillige Organisationen in der Regel offen (vgl. ebd.; vgl. Ishka- nian/Lewis 2007: 408f.). Für Feminist*innen stellten diese nichtstaatlichen Organisationsformen daher früh einen Bereich dar, „that promises female autonomy and agency, selforganization without hierarchies, solidarity, gender democracy, and justice.“ (Sauer 2008: 285) trotzdem spielte der Begriff der Zivilgesellschaft für sie lange Zeit kaum eine Rolle (vgl. ebd.; vgl. Dean 1992: 379; vgl. Phillips 2002: 71). Das änderte sich zwar in den letzten Jahrzehnten (vgl. Sauer 2008: 285), sodass heute vermehrt auf ihn Bezug genommen wird, dennoch bezeichnet Anne Phillips (2002: 72) ihn beispielsweise als keine relevante Kategorisierung für feministische Theorien. Das liegt unter anderem daran, dass Frauen aus den theoretischen Auseinandersetzungen sowie aus der praktischen Zivilgesellschaft im Sinne öffentlich sichtbarer Diskurse größtenteils ausgeschlossen wurden (vgl. ebd.). Ergebnis ist ein weitverbreitetes, klassisches Verständnis von Zivilgesellschaft als eine Sphäre zwischen Markt, Staat und Familie bzw. dem Privaten (s. z.B. Pollack 2004: 28; Strachwitz/Priller/Triebe.: 4f.), das aus Sicht vieler Feminist*innen Frauen konzeptuell bereits ausschließt.
Der größte Kritikpunkt feministischer Demokratietheorien sowohl an den klassischen Definitionen von Zivilgesellschaft wie auch von Öffentlichkeit, bezieht sich auf die Dichotomie zwischen dem, was als privat (v.a. Familie), und dem, was als öffentlich (v.a. Zivilgesellschaft, Markt und Staat) gilt (vgl. Dean 1992: 280; vgl. Köpl 2008: 38; uvm.). Frauen wurden traditionell der Familie, dem Privaten zugeordnet und somit aus dem Öffentlichen bzw. Politischen ausgeschlossen (vgl. ebd.; vgl. Klaus/Drüeke 2012: 56; vgl. Phillips 2002: 72). Frauenbewegungen seit den 1970ern transportierten schließlich unter dem Motto „Das Persönliche ist politisch” oder „Das Private ist politisch” vormals als rein privat angesehene Themen wie Erziehung, Sexualität oder vor allem (häusliche) Gewalt gegen Frauen erfolgreich in die politische Öffentlichkeit (vgl. Köpl 2008: 38). So kann man feststellen, dass „[o]n the descriptive or empirical level, the distinction between the public and private spheres has already broken down.” (Dean 1992: 392). Dennoch prägt diese Trennung bis heute die gesellschaftliche Realität, in der Frauen in der Politik unterrepräsentiert und immer noch stärker der Familie und dem Haushalt zugeordnet werden als es bei Männern der Fall ist.
Einige Feminist*innen plädieren daher für eine Neukonzeption des Begriffs der Zivilgesellschaft, der Frauen miteinschließen und ohne eine Segregation des Privaten vom Öffentlichen auskommen soll. Sauer (2008) schlägt z.B. ein gendergerechtes Konzept von Zivilgesellschaft vor, das Staat, Markt, Familie bzw. Privatsphäre nicht als getrennte Sphären versteht, „but as different discourses and interactions among social actors - actors who have different resources and access to power.” (ebd.: 288). So bleiben die Begriffsbestimmungen von Zivilgesellschaft weiterhin diffus und eine einheitliche feministische Definition fehlt. Für diese Arbeit greife ich daher auf eine etwas weiter verbreitete, allgemeinere Arbeitsdefinition zurück, die den gesellschaftlichen Teil einschließt, der weder ein institutionalisiertes politisches Amt innehat, noch primär ökonomische Ziele verfolgt. Darunter fallen freiwillige Assoziationen wie NGOs, loser verbundene soziale Bewegungen bis hin zum individuellen Aktivismus einzelner Personen, die sich nur begrenzt einer größeren Bewegung zuordnen. Ihr Ziel ist es, gesellschaftliche Themen öffentlich zu debattieren, und gesellschaftliche Veränderungen zu bewirken. Öffentlichkeit hier bedeutet ein Umfeld, das über das eigene alltägliche Umfeld von Beruf, Freunden oder Familie hinausgeht, diese aber nicht ausschließt und auch Personen aktiven oder passiven Zugang gewährleistet, zu denen keine persönliche Beziehung besteht. Ich werde nichtsdestotrotz an verschiedenen Stellen auf alternative feministische Konzeptionen der Zivilgesellschaft und deren Kritikpunkte am klassischen Konzept zurückgreifen, um die Aspekte des Internets zu diskutieren.
Feminismus und zivilgesellschaftliches Engagement
Während die theoretische Auseinandersetzung des Feminismus mit der Zivilgesellschaft noch vergleichsweise jung ist, trifft dies - wie bereits erwähnt - nicht auf die Praxis zu. Noch bevor Frauen in westlichen Demokratien Zugang zu politischen Entscheidungen hatten, war ihnen zivilgesellschaftliches Engagement und damit mittelbare politische Partizipation möglich (vgl. Phillips 2002: 73; vgl. Ishkanian/Lewis 2007: 408f.).
[...]
1 Wenn von „Internet“, „Netz“ oder „Web“ gesprochen wird, ist darunter der weltweite Verbund dezentraler Computernetze zu verstehen (vgl. Brockhaus: Internet).
2 Der Begriff „Digitalisierung“ hat im Grunde zwei Bedeutungen. Die erste bezieht sich auf den konkreten Prozess der Signalumwandlung von analogen in digitale Daten. Die zweite, die diesem Artikel zugrunde liegt, ist der damit einhergehende umfassende Wandel der Lebens- und Gesellschaftsbereiche (vgl. Brockhaus: Digitalisierung).
3 Wie im weiteren Verlauf des Textes deutlich werden wird, ist eine Definition von der Zivilgesellschaft kaum möglich. Ein Versuch der Begriffseingrenzung wird im folgenden Kapitel vorgenommen.
4 Ist hier von „digitalisierter Zivilgesellschaft“ oder „digitalisierten Öffentlichkeit“ die Rede, so ist damit die durch die Digitalisierung beeinflusste Zivilgesellschaft begriffen, bei der „digitalen Zivilgesellschaft“ oder „digitalen Öffentlichkeit“ geht es hingegen um den Teil der zivilgesellschaftlichen Aktivitäten, die ausschließlich im Internet stattfinden.
5 Netzfeminismus umfasst einerseits feministische Aktionen, Bewegungen und Organisationen, die im Internet aktiv sind, andererseits Netzfeminismus auch als alternativer Begriff zur sogenannten dritten Welle des Feminismus, die sich die neu entstandenen Kommunikationsmittel des Internets zu Nutze macht. Unter dem Netzfeminismus gruppieren sich viele progressive Gruppen, die sich „intersektional, heteronormativitätskritisch und queer“ (Lenz 2019: 239).
6 Cyberfeminismus fasst in vielen seiner Verwendungen ebenso jene Gruppierungen mit ein, die bereits unter Netzfeminismus definiert wurden. Seine primäre Verwendung ist jedoch eine philosophische und subsumiert „theoretische oder künstlerische Ansätze, die digitale Techniken sowie (Bio)Technologien unter feministischen Prämissen formulieren“ (Thiessen 2004: 38). Es geht bei diesen Ansätzen um die kritische Hinterfragung von gesellschaftlich etablierten Geschlechterzuschreibungen, die sich auch in virtuellen Räumen reproduzieren (vgl. ebd.: 38).
7 Hate Speech, oder Deutsch Hassrede, ist kein reines Internetphänomen. Es bezeichnet zunächst einmal alle Formen der sprachlichen Herabwürdigung anderer Personen oder Gruppen. Der Begriff wird im deutschsprachigen Raum jedoch heute vor allem für die ansteigenden Fälle von Hassrede auf OnlinePlattformen verwendet (vgl. Kaspar/Gräßer/Riffi 2017).
8 Polak/Trottier (2020: 11) definieren Trolling als „sowing discord on the internet by starting quarrels or upsetting people, by posting inflammatory, extraneous, or off-topic messages in an online community with the intent of provoking readers into an emotional response or of otherwise disrupting normal, on- topic discussion.”
9 Digital Divide oder auch Digitale Spaltung beschreiben den vollständigen Ausschluss sozial-benachteiligter Personengruppen aus dem Internet sowie soziale Ungleichheiten in der Nutzung digitaler Technologien aufgrund von ungleicher Wissens- und Ressourcenverteilung (vgl. Marr/Zillien 2019: 283ff.).
10 Die Kategorien Offenheit, Gleichheit und Konfliktivität sind den „Merkmale[n] politischer Öffentlichkeit“ nach Ritzi/Zierold (2020) entnommen.