Als Sigmund Freud im Jahre 1897 in einem Brief an Wilhelm Fliess zum ersten
Mal den Begriff ‚Ödipus-Komplex’ benutzt, um seine an sich selbst
beobachteten Gefühle gegenüber seinen Eltern zu beschreiben1, und in den
folgenden Jahren seine Vorstellungen vom weiblichen und männlichen Ödipus-
Komplex entwickelt, die zum Dreh- und Angelpunkt seiner psychoanalytischen
Theorie2 werden sollen, hätte er sicher nicht vermutet, dass die so dargestellten
Ansichten von Weiblichkeit einen Aufschrei in den Reihen der sich in den 60er
Jahren des 20. Jahrhunderts formierenden Frauenbewegungen auslösen würden.
Doch nicht nur erklärte FeministInnen haben einen Stein des Anstoßes
gefunden, auch VertreterInnen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen
setzen sich mit seinen Entwürfen auseinander.
Auch die Kulturwissenschaftlerin Renate Schlesier geht in ihrem 1981
veröffentlichten Buch „Mythos und Weiblichkeit bei Sigmund Freud“ auf die
Konstruktionen innerhalb der Freud´schen Psychoanalyse ein und deckt die von
Freud übernommenen und nicht hinterfragten Mythen auf, um sie anschließend
einer kritischen Betrachtung zu unterziehen.
Im Folgenden werde ich Sigmund Freud und Renate Schlesier vorstellen um
dann auf Freuds Weiblichkeitsentwürfe in seiner Schrift „Über die weibliche
Sexualität“ von 1931 näher einzugehen. Anschließend schildere ich Renate
Schlesiers Kritikpunkte an den psychoanalytischen Konstruktionen im
Allgemeinen und an der Darstellung des weiblichen und männlichen
Ödipuskomplexes im Besonderen, gehe schließlich auf ihre Vorschläge ein, wie
das Wissen trotz aller Konstruiertheit genutzt werden kann, um abschließend die
Frage nach der Möglichkeit einer Weiterarbeit mit Freuds Konstruktionen wenn
auch nicht zu klären, dann wenigstens zu diskutieren. [...]
1 Seine Liebe zur Mutter und die Eifersucht, die er gegenüber seinem Vater verspürt, gelten ihm
ab diesem Zeitpunkt als allgemeine Empfindungen eines jeden (vorerst nur männlichen)
Kindes. Auf dieser Grundlage entwickelt er aus der Lehre vom pathogenen Trauma die Lehre
von der pathogenen Wunscherfüllung.
2 Da die Beschäftigung mit der psychoanalytischen Theorie und ihrer Entwicklung den hier
vorhandenen Rahmen sprengen würde, beschränke ich mich auf die Darstellung eines ihrer
zentralen Punkte, werde aber im Verlauf der Auseinandersetzung mit diesem an gegebener
Stelle auf die größeren Zusammenhänge hinweisen und bitte die günstigen LeserInnen um
Verständnis für diese Vorgehensweise.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Freuds Weiblichkeitsvorstellungen und Schlesiers Antwort auf eine nicht gestellte Frage
- Zur Person Sigmund Freuds
- Zur Person Renate Schlesiers
- Freuds Konstruktionen von Weiblichkeit am Beispiel des Ödipus-Komplexes - Zwischen Penisneid und Kastration
- Renate Schlesiers Kritik an den Freud'schen Weiblichkeitsentwürfen - Eine „Vorgeschichte des Weibes“
- Zusammenfassende Gedanken und Aussichten
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit der Kritik von Renate Schlesier an Sigmund Freuds Konstruktionen von Weiblichkeit in der psychoanalytischen Theorie, insbesondere im Kontext des Ödipus-Komplexes. Sie untersucht die von Freud übernommenen und nicht hinterfragten Mythen und analysiert deren Einfluss auf seine psychoanalytische Theorie.
- Die Darstellung der Weiblichkeit in Freuds Theorie
- Schlesiers Kritik an den Freud'schen Weiblichkeitsentwürfen
- Die Bedeutung von Mythen in der psychoanalytischen Theorie
- Die Möglichkeit einer Weiterarbeit mit Freuds Konstruktionen
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Einleitung stellt den historischen Kontext des Ödipus-Komplexes und die Bedeutung von Freuds Theorie für die Entwicklung der Frauenbewegung vor. Sie beschreibt den Hintergrund von Renate Schlesiers Kritik an Freuds Konstruktionen.
- Freuds Weiblichkeitsvorstellungen und Schlesiers Antwort auf eine nicht gestellte Frage: Dieses Kapitel stellt Sigmund Freud und Renate Schlesier als Personen vor und beleuchtet die Entwicklung von Freuds psychoanalytischen Theorien. Es geht auf Freuds Konstruktionen von Weiblichkeit im Zusammenhang mit dem Ödipus-Komplex ein und erläutert Schlesiers Kritikpunkte an den psychoanalytischen Konstruktionen.
Schlüsselwörter
Sigmund Freud, Renate Schlesier, Ödipus-Komplex, Weiblichkeit, Psychoanalyse, Mythen, Kulturwissenschaft, Gender Studies.
- Arbeit zitieren
- Carola Hoffmann (Autor:in), 2003, Zur Kritik Renate Schlesiers an den Konstruktionen von Weiblichkeit in der Freudschen Theorie des Ödipus-Komplexes, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/11692