Feste Wortverbindungen, Kollokationen und Phraseologismen sind ein grundlegender Bestandteil einer jeder Sprache. Doch was passiert mit solchen Verbindungen, wenn Herkunftssprecher des Russischen diese auf die russische Sprache
anwenden sollen? In der folgenden Arbeit soll die Frage beantwortet werden, inwiefern Herkunftssprecher mit dem Phänomen der Phraseologismen vertraut sind, ob sie diese erkennen und deuten können und vor allem, ob solche festen
Wortverbindungen von Herkunftssprechern nicht nur erkannt, sondern auch in den korrekten semantischen Kontext gesetzt werden können.
Die Arbeit teilt sich in mehrere Teile auf, die sich jeweils mit einem anderen Thema beschäftigen. So sollen im ersten Teil die Theorie der Phraseologismen sowie die Theorie der Herkunftssprache und ihrer Sprecher erklärt werden. Dabei soll die Frage nach der Definition von Phraseologismen, Herkunftssprache und -sprechern sowie ihren Unterschied zu Muttersprachlern beantwortet werden. Im nächsten Teil werden die beiden Disziplinen, Phraseologismen und
Herkunftssprecher, einander gegenübergestellt und in Symbiose betrachtet. Hier soll vor allem auf die Schwierigkeiten eingegangen werden, welchen die Herkunftssprecher unbewusst entgegenstehen.
Der dritte Teil zeigt eine eigene empirische Studie, bei der die Theorie in der Praxis untersucht worden ist. Zwanzig Herkunftssprecher wurden hierzu aufgefordert einen Fragebogen auszufüllen. Die Fragen hierzu wurden teilweise von dem Fragebogen von Katrin Karl übernommen. Durch den Fragebogen soll erneut untersucht werden, welche Phraseologismen den Herkunftssprechern bekannt sind, ob die bekannten Bedeutungen auch den tatsächlichen entsprechen und ob die Herkunftssprecher solche Bedeutungen in ihrer Sprache verwenden. Anhand dessen soll dann entschieden werden, ob die in dem früheren Teil aufgeführten Hindernisse tatsächlich in der Praxis aufzufinden sind oder ob diese durch die Studie widerlegt werden können.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Phraseologismen und Herkunftssprache
2.1. Definition von Phraseologismen
2.2. Herkunftssprache und Herkunftssprecher
2.3. Exkurs: Mehrsprachige Sorgenkinder
3. Phraseologismen im Bereich der Herkunftssprache
4. Phraseologismen und Hekrunftssprecher: eine kleine empirische Studie
4.1. Herkunftssprecher und Kollokationen
4.2 Herkunftssprecher und Idiome
5. Zusammenfassung und mögliche Forschungsfortführungen
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Feste Wortverbindungen, Kollokationen und Phraseologismen sind ein grundlegender Bestandteil einer jeder Sprache. Doch was passiert mit solchen Verbindungen, wenn Herkunftssprecher des Russischen diese auf die russische Sprache anwenden sollen? In der folgenden Arbeit soll die Frage beantwortet werden, inwiefern Herkunftssprecher mit dem Phänomen der Phraseologismen vertraut sind, ob sie diese erkennen und deuten können und vor allem, ob solche festen Wortverbindungen von Herkunftssprechern nicht nur erkannt, sondern auch in den korrekten semantischen Kontext gesetzt werden können.
Die Arbeit teilt sich in mehrere Teile auf, die sich jeweils mit einem anderen Thema beschäftigen. So sollen im ersten Teil die Theorie der Phraseologismen sowie die Theorie der Herkunftssprache und ihrer Sprecher erklärt werden. Dabei soll die Frage nach der Definition von Phraseologismen, Herkunftssprache und -sprechern sowie ihren Unterschied zu Muttersprachlern beantwortet werden. Im nächsten Teil werden die beiden Disziplinen, Phraseologismen und Herkunftssprecher, einander gegenübergestellt und in Symbiose betrachtet. Hier soll vor allem auf die Schwierigkeiten eingegangen werden, welchen die Herkunftssprecher unbewusst entgegenstehen. Der dritte Teil zeigt eine eigene empirische Studie, bei der die Theorie in der Praxis untersucht worden ist. Zwanzig Herkunftssprecher wurden hierzu aufgefordert einen Fragebogen auszufüllen. Die Fragen hierzu wurden teilweise von dem Fragebogen von Katrin Karl übernommen. Durch den Fragebogen soll erneut untersucht werden, welche Phraseo- logismen den Herkunftssprechern bekannt sind, ob die bekannten Bedeutungen auch den tatsächlichen entsprechen und ob die Herkunftssprecher solche Bedeutungen in ihrer Sprache verwenden. Anhand dessen soll dann entschieden werden, ob die in dem früheren Teil aufgeführten Hindernisse tatsächlich in der Praxis aufzufinden sind oder ob diese durch die Studie widerlegt werden können.
2. Phraseologismen und Herkunftssprecher
2.1 Definition von Phraseologismen
Bevor man sich mit dem Thema der Phraseologismen beschäftigt, soll im Folgenden zunächst geklärt werden, wie Phraseologismen generell definiert werden. Anzumerken hierbei ist, dass der Bereich der Phraseologie einen sehr großen Umfang hat und hier nur diejenigen Punkte behandelt werden, die für das Verständnis dieser Arbeit relevant sind.1
Ein Phraseologismus tritt laut Zukov dann auf, wenn zwei oder mehrere Lexeme eine bestimmte semantische Form annehmen, die von ihrer ursprünglichen lexikalischen Bedeutung entweder zum Teil oder völlig abweicht (vgl. Zukov 2006:6) Anders formuliert sind Phraseologismen idiomatische Verbindungen von Lexemen. Phraseologismen sind dementsprechend Wortverbindungen, die des Öfteren, ohne die genaue Kenntnis der Bedeutung, nicht gedeutet werden können.
Die Idiomatizität eines Phrasems lässt sich dennoch auf verschiedene Grade aufteilen. Eckert unterscheidet hier zwischen voll- und teilidiomatischen Phrasemen (vgl. Eckert 1992:95). Zu teilidiomatischen Phrasemen gehören Wortverbindungen, die einzelne Komponenten enthalten, welche keine semantische Veränderung vollziehen (vgl. Eckert 1992:96). Ein Beispiel hierfür wäre das Teilidiom „byt‘ na druzeskoj noge“. Dieser ist immer noch idi- omatisiert, allerdings verändert sich die Semantik des Wortes „druzeskij“ in diesem Phraseologismus nicht, denn gemeint ist immer noch, dass man mit jemandem eine freundschaftliche Beziehung zu haben pflegt. Vollidiomatische Phraseme dagegen lassen sich nur durch Vorkenntnisse deuten und enthalten eine viel höhere metaphorische Semantik. Die Frage im Rahmen dieser Arbeit ist vor allem, ob Teilidiome durch die Muttersprachler besser erkannt und gedeutet werden können als Vollidiome.
Gegenüber teilidiomatisierten und vollidiomatisierten Phraseologismen stehen bestimmte feste Wortfügungen, sogenannte Kollokationen, die keine idiomatischen Verbindungen darstellen (Karl 2015:76). Kollokationen verstehen sich demnach von selbst, sind aber insofern Phraseologismen im weiteren Sinne, als dass die verwendeten Lexeme in einer bestimmten Verbindung stehen müssen, um einen bestimmten Sinn auszudrücken. Dabei bestehen solche Wortverbindungen immer aus einer Basis, also einem Lexem, welches auch andere Wortfügungen eingehen kann, und einem Kollokator, einem Lexem, welches an sich theoretisch ebenfalls frei ist, mit anderen Wortfügungen jedoch eine andere Semantik aufweist (vgl. Karl 2015:76). Die Kollokatoren „dienen (...) als Signal, dass eine entsprechende - bzw. im Extremfall eine bestimmte - Basis auftreten muss, die ihrerseits jedoch frei ist, auch andere Verbindungen einzugehen.“ (Karl 2015:76). Kollokationen können demnach als ein semantisch verständlicherer Teil der Phraseologis- men eingestuft werden. Als eine beispielhafte Kollokation im Russischen kann hier „primmat‘ resenije“ („eine Entscheidung treffen“) angeführt werden. Stehen die beiden Lexeme in einer solchen Verbindung haben sie nicht nur eine bestimmte Semantik, sondern können diese Semantik auch nur in einer solchen Verbindung darstellen. Im weiteren Verlauf der Arbeit soll festgestellt werden, ob Kollokatoren von den Herkunftssprechern als solche erkannt werden bzw. ob Kollokationen generell von Herkunftssprechern als solche eingestuft werden können.
Ein Punkt, der problematisch erscheint, ist, dass es Wortverbindungen gibt, die sowohl als Kollokationen als auch als Idiome auftreten können. Eckert (1992:101) führt ein Beispiel von Zukov an, in dem die gleiche Wortverbindung in einem Fall, eine idiomatische und in einem anderen eine nichtidiomatische Bedeutung hat. Das Beispiel hier ist das Phrasem „gladit‘ po golo- ve“, welches als Kollokation exakt das Streicheln eines Kopfes bedeutet, als Idiom jedoch „jemandem oder etwas nachgeben“ heißt. Dieser Aspekt soll ebenfalls bei Herkunftssprechern untersucht werden, ob bei solchen Verbindungen nicht nur die Kollokationen, sondern auch die idiomatischen Bedeutungen durch die Sprecher erkannt werden.
2.2 Herkunftssprache und Herkunftssprecher
Da nun die linguistischen Grundbegriffe der Phraseologie soweit ausreichend geklärt wurden, soll im Folgenden auf die Definition der Begriffe „Herkunftssprache“ und „Herkunftssprecher“ eingegangen werden.
Der Begriff der Herkunftssprache lässt sich sowohl im engeren als auch im weiten Sinne definieren. Im angloamerikanischen Bereich zählt zu der Herkunftssprache nicht nur die Sprache selbst, sondern auch die kulturelle Verbundenheit zur Sprache, die dann in dem Menschen den Wunsch auslöst, eine solche Sprache zu lernen (Brehmer/Mehlhorn 2018:17). Dies ist vor allem im angloamerikanischen Raum ein Teil des Herkunftssprachenverständnisses. Im engeren Sinne erhält der Begriff der Herkunftssprache eine etwas genauere Bedeutung. Demnach ist die Herkunftssprache eine Sprache, die „bereits im frühen Kindesalter durch die Interaktion mit Familienmitgliedern“ gelernt wird (Brehmer/Mehlhorn 2018:17). Herkunftssprecher, oder „heritage spreakers“, sind folgend Menschen, die im Kindesalter eine Sprache gelernt haben, die jedoch nicht die Sprache der Umgebung darstellt, in der sie aufgewachsen sind.
Da die Herkunftssprache nicht der Sprache des Landes bzw. der Majorität der Sprecher entspricht folgt daraus, dass eine solche Sprache nur in bestimmten Kontexten ausgelebt wird. Meist begrenzt sich das Nutzen der Sprache auf das familiäre Umfeld (Brehmer/Mehlhorn 2018:18). Durch eine solche Begrenzung unterscheiden sich Herkunftssprecher meist sehr stark von den Muttersprachlern innerhalb der Entwicklung der Sprache. Während Muttersprachler monolingual aufwachsen und die Sprache demnach in allen Bereichen ihres Lebens nutzen, übernimmt bei den Herkunftssprechern spätestens ab dem Schulalter die Mehrheitssprache. Die Mehrheitssprache wird zur dominierenden Sprache während die Herkunftssprache mit steigendem Alter oft schwächer wird (Brehmer/Mehlhorn 2018:19). Dadurch muss eine klare Grenze zwischen den Begriffen Muttersprache und Herkunftssprache gezogen werden. Zwar kommen Herkunftssprecher oft aus den Ländern, in denen ihre Herkunftssprache gesprochen wird, jedoch sind ihre Sprachfähigkeiten klar von denen der Muttersprachler abzusetzen.
Untersucht man die Herkunftssprecher etwas näher, so lassen sich diese in die Gruppen der basilektalen-, akrolektalen-, sowie mesolektalen Herkunftssprecher aufteilen.
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1 Für eine vertiefende Auseinandersetzung mit Phraseologismen empfiehlt sich die Lektüre von Zukov sowie Eckert und Burger et al. Die Lektüren behandeln grundlegende Themen, aber auch vertiefende Gebiete, die über die Einführungen hinausgehen. Eine genaue Angabe der Lektüren ist im Literaturverzeichnis zu finden, da diese auch für die folgende Arbeit benutzt wurden.