Die vom österreichischen Autor Robert Musil geschriebene Novelle Die Amsel wurde in Der Neuen Rundschau im Jahre 1928 veröffentlicht. Die Niederschrift der Novelle zog sich über 10 Jahre hinaus. Robert Musil schrieb Die Amsel nicht in einem Zug, sondern bearbeite sie mehrmals. In den Tagebüchern kann der Leser die Spur von in Der Amsel aufgenommenen und von Musil beliebten Themen oder gar wortwörtliche Übertragungen verfolgen; beide bieten die Basisstruktur für die Novelle. Insgesamt sind vier Fassungen entstanden: Fassung A, Fassung B, Erstdruck (in der Neuen Rundschau, Heft 39) und die Ausgabe aus letzter Hand (‚Nachlass zu Lebzeiten) . Die Amsel muss also als ein mehrfach überarbeiteter Text betrachtet werden, wo der Autor seine Persönlichkeit und sein Erlebte einfliessen lässt.
Die Novelle fängt mit der Einführung der zwei Hauptfiguren Aeins und Azwei durch einen Ich-Erzähler an, der die Jugend von den beiden Figuren in einem religiösen Institut in groben Zügen darstellt und geht sowohl auf ihre frühere Freundschaft ein, als auch auf ihre Trennung nach dem Verlassen des Instituts. In dieser kurzen Einleitung erfährt der Leser mehr über Azweis Studentenzeit und seine „beträchtliche[n] Fehlschläge[n]“ (Amsel, S.133). Die drei Geschichten, die dieser Einführung folgen, werden von Azwei selber erzählt. Der Grund dieser Erzählung ist am Anfang der Novelle nicht ganz klar aber der folgende Satz weist auf einen gewissen Befreiungs- und Verständnisbedarf von Azwei hin: „ Azwei erzählte das nun Folgende in der Art, wie man vor einem Freund einen Sack mit Erinnerungen ausschüttet, um mit der leeren Leinwand weiterzugehen“ (Amsel, S.134). Wie ein Maler, der vor der leeren Leinwand steht und nicht weiss, wie er weitergehen soll, steht Azwei vor einer leeren Leinwand, bzw. vor seiner bedeutungslosen Existenz. Obwohl er viele Bilder im Kopf hat (in Form von Erinnerungen), ist er nicht in der Lage, etwas mit ihnen anzufangen. Azwei erzählt seinem Freund Geschichten aus seinem Leben in der Hoffnung, dass sein Vertrauter dann ihren Sinn verstehen kann. Dieser Erzählsituation folgt jedoch kein Dialog zwischen den beiden Figuren, sondern nur eine Art Selbstgespräch. In seiner im Jahre 1972 veröffentlichen Analyse über Die Amsel betrachtet Friedrich Krotz dieses Selbstgespräch als eine Anamnese, die Vorgeschichte einer Krankheit. Er fährt dann mit seiner Analyse fort und stellt eine Diagnose über Azweis mögliche Krankheit.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung:
- Der andere Zustand: auf dem Weg zur Individuation:
- Definitionen: Realzustand und anderer Zustand
- Erste Schritte zur Individuation
- Azweis Flucht aus seinem monotonen Leben
- Azweis Versuch eines Individuationsprozesses
- Azweis Erlebnis mit dem Fliegerpfeil
- Azweis Schwierigkeit, die Individuation zu erreichen
- Azweis Reise zurück in die Kindheit
- Scheitern der Individuation
- Fazit:
- Bibliographie:
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Seminararbeit analysiert Robert Musils Novelle „Die Amsel“ und untersucht Azweis Flucht aus der Wirklichkeit als Versuch eines Individuationsprozesses. Die Arbeit beleuchtet die von Musil beschriebenen Zustände „Realzustand“ und „anderer Zustand“ und analysiert, wie Azwei durch die Erfahrung des „anderen Zustands“ in einen Prozess der Selbstverwirklichung einzutreten versucht.
- Die Konzepte des „Realzustands“ und des „anderen Zustands“ bei Robert Musil
- Azweis Suche nach Individuation und Selbstverwirklichung
- Die Rolle des „anderen Zustands“ im Individuationsprozess
- Die Herausforderungen und Hindernisse, die Azwei bei seiner Suche nach Individuation begegnet
- Die Bedeutung von Azweis Reise in die Kindheit für seinen Individuationsprozess
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die beiden Hauptfiguren Aeins und Azwei vor und gibt einen kurzen Einblick in ihre Vergangenheit. Azweis Erzählungen, die der Einleitung folgen, werden als eine Art Selbstgespräch interpretiert, das auf einen Befreiungs- und Verständnisbedarf von Azwei hinweist.
Der Abschnitt „Der andere Zustand: auf dem Weg zur Individuation“ definiert die beiden Zustände „Realzustand“ und „anderer Zustand“ nach Robert Musils Vorstellung. Der „Realzustand“ beschreibt die von der Gesellschaft vorgegebene, rationale und objektive Welt, während der „andere Zustand“ Raum für Irrationales und Subjektives lässt.
Im Unterkapitel „Erste Schritte zur Individuation“ wird Azweis Desillusionierung mit der Politik und seine Suche nach Selbstverwirklichung beleuchtet. Er findet keine Erfüllung im politischen Engagement und wendet sich stattdessen seiner eigenen Individualität zu.
Das Unterkapitel „Azweis Flucht aus seinem monotonen Leben“ beschreibt Azweis Versuche, einen Individuationsprozess einzuleiten. Er versucht, seinem Leben eine neue Gestalt zu geben und sich von der Massengesellschaft zu distanzieren.
Das Unterkapitel „Azweis Reise zurück in die Kindheit“ untersucht Azweis Rückblick auf seine Vergangenheit und die Auswirkungen dieser Reise auf seinen Individuationsprozess.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen Robert Musil, Die Amsel, Individuation, Selbstverwirklichung, Realzustand, anderer Zustand, Flucht aus der Wirklichkeit, Anamnese, Schizophrenie, Massengesellschaft, politisches Engagement, russische Revolution, Kindheit, Erinnerungen, Selbstgespräch.
- Quote paper
- Séverine Gonin (Author), 2007, Zu: Robert Musil 'Die Amsel', Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/112367