Inhalt
Hintergründe der Inszenierung
Erinnerung an die Aufführung vom 13.2.2004
Geräusche
Atem
Sprache
Musik
Fazit
Vorwort
Diese Aufführungsanalyse hat den speziellen Umgang mit dem Ton in der Inszenierung
„Artaud erinnert sich an Hitler und an das Romanische Café“ am Berliner Ensemble zum Thema. Die meist auf unterschwelligen Ebenen wirkende, im Theater scheinbar oft vernachlässigte subtile Geräuschdramaturgie erlangt gerade hier ihren besonderen Stellenwert einerseits durch den speziellen Aufbau des Raumes, andererseits durch das ursprüngliche Format des zugrundeliegenden Textes als Hörspiel.
Aus verschiedenen, unten genauer ausgeführten Gründen fällt eine klare inhaltliche Trennung zwischen der Person des Schauspielers Martin Wuttke und der Figur des Antonin Artaud schwer, weswegen in den beschreibenden Teilen dieser Arbeit keine exakte Differenzierung in Form einer jeweiligen Benennung stattfindet, um eine vorschnelle Einordnung zu vermeiden.
Hintergründe der Inszenierung
Der Text „Artaud erinnert sich an Hitler und an das Romanische Café“ entstand in einer Zusammenarbeit von Tom Peuckert und Martin Wuttke und war ursprünglich als Hörspiel geplant. Der Monolog basiert nicht auf biographischen Fakten aus dem Leben Artauds, sondern nimmt einen von ihm 1943 in einer Anstalt geschriebenen Brief an Hitler zum Anlass, eine fiktive Erinnerung zu konstruieren, in der er 1932 in Berlin im Romanischen Café zu einem Gespräch mit Hitler zusammentrifft. Aus einer von Martin Wuttke als „komödiantisch“ bezeichneten Perspektive entsteht ein Einblick in ein mögliches Innenleben Artauds sowie eine Auseinandersetzung mit dessen Ansicht des Verhältnisses von Kunst, Theater und (Über-) Leben.
Für Martin Wuttke ist die Inszenierung dieses Textes unter der Regie von Paul Plamper gleichzeitig eine Hommage an seine Rolle als Arturo Ui: Die Premiere am 3.10.2000 und die ersten Vorstellungen von „Artaud“ fand auf der Grossen Bühne statt, wobei der Bühnenaufbau genau an der Position von Arturo Ui während des Schlussmonologes stand. 2002 wurde die Aufführung auf die Probebühne verlegt.
Erinnerung an die Aufführung vom 13.2.2004
Beim Betreten der Probebühne fällt zuerst die einfache, provisorische Ausstattung des Raumes auf: rechts die zerlegbare Zuschauertribüne mit einfachen Stuhlreihen, links auf einem Podest ein Aufbau aus Holzlatten und Dämmplatten von den Ausmaßen eines Baucontainers. In die den Zuschauern zugewandte Breitseite des Containers ist eine große Glasscheibe eingelassen, die durchleuchtet und mit Packpapier hinterklebt ist, auf das von innen mit einem Filzstift in Spiegelschrift Artauds Brief an Hitler geschrieben wird. Die Schrift wirkt durch die großen Druckbuchstaben, die teilweise verkehrtherum entstehen, extrem kindlich. Zu beiden Seiten des Podestes stehen auf hohen Stativen Boxen, daneben und dahinter sind die hellen Wände der Probebühne mit herunterhängenden Kabeln, angestellten Leitern und unbenutzen Scheinwerfern sichtbar.
Der Brief ist fertiggeschrieben, im Publikum kehrt Ruhe ein, alle warten gespannt. In dieser Stille hört man zuerst das leise Geräusch zerreissenden Papiers, man sieht, dass das Packpapier am Rand in schmalen Streifen abgerissen wird. Plötzlich springt von innen etwas gegen die Scheibe, klammert sich fest, reisst so die Verkleidung ab und gibt den Blick in das Innere des Kastens frei: Eine Person hängt wie ein Gecko an der Scheibe, hält sich an der Decke des Kastens fest und lässt ihre Zunge hervorschnellen, als wolle sie damit eine Fliege fangen.
Die Innenwände des Containers sind aus porösem weissen Isoliermaterial, im rechten Teil des Raumes hängt eine kleine Postkarte an der Wand. Links stehen zwei Pflanzen auf dem Boden, in der Mitte ein Stuhl, und rechts ein einfacher Tisch, über dem ein brauner Lampenschirm hängt. Sitz man im Publikum ziemlich weit links, ist in der rechten Seitenwand eine weissgestrichene Tür zu sehen.
Insgesamt wirkt dieses spärlich eingerichtete Zimmer wie der Besuchsraum eines Krankenhauses oder Gefängnisses - oder eben, wenn man die in die Front eingelassene Scheibe bedenkt (die durch die Beleuchtung von innen wie ein Spiegel wirken muss), wie eine beobachtete Zelle für Verbrecher oder Geisteskranke.
Darin wird Martin Wuttke für die nächste Stunde eingeschlossen bleiben: er erzählt, wütet, leidet, spuckt und schreit, mimt eine Fliege, einen Gecko, Hitler, hört Schlager und tanzt dazu - alles in einem hermetisch abgeschlossenen Raum, sowohl luft- als auch schalldicht - bis er am Ende durch das Dach daraus hervorsteigt und sich selbst als Schauspieler in der Rolle des glamourösen Schlagersängers präsentiert.
Sämtliche Geräusche von innen werden durch ein auf dem Tisch stehendes, altmodisch wirkendes Standmikrofon nach aussen übertragen. Links oben in der Ecke der Rückwand des Raumes ist ein kleiner Lüftungsventilator eingelassen, der über eine Steckdose in der Rückwand gesteuert werden kann. Beide Elemente, das Mikrofon und der Ventilator, haben neben ihrer dramaturgischen auch eine praktische Funktion: Der Container ist durch die Verwendung von Isoliermaterial absolut luft- und schalldicht konstruiert, so dass zusätzliche Luftzufuhr und elektronische Verstärkung des Tons nötig sind, um in dieser Bühnenanordnung überhaupt eine Aufführung stattfinden zu lassen.
So wird der Eindruck eines Blicks in eine abgeschlossene Welt geschaffen, die nicht verlassen werden kann - ausser am Ende, als die Figur darin zugunsten der Darstellung einer konstruierten Show-Welt aufgegeben wird.
Die Betrachtungsweise des Containers als Zelle einer Anstalt, die durch einen einseitig durchsichtigen Spiegel beobachtet wird, funktioniert ebenso wie die Annahme des Einblicks in ein -verrücktes(?)- Gehirn.
Geräusche
Das im Kasten befindliche Mikrofon kann von innen nicht geregelt werden. Die einzige Möglichkeit, die Lautstärke oder die Tonqualität zu beeinflussen, ist die körperliche Haltung im Raum zu dem Gerät: Das Mikrofon befindet sich meistens auf dem Tisch in der rechten Hälfte des Containers, so dass die Entfernung der Quelle des Geräusches vom Tisch sich massgeblich auf die vom Zuschauer hörbare Tonqualität auswirkt. Wahrscheinlich wird am Tonpult der Probebühne das Mikrofon zusätzlich laut bzw. leise eingestellt, um diesen Effekt zu verstärken. Das Resultat daraus ist beim Zuschauer der Eindruck, direkter am Geschehen teilzuhaben, das Gesehene wird durch dieses Verfahren intensiviert. So steht hier der Einsatz des Tones im Widerspruch zur Bühnenanordnung, die durch die Abtrennung des Publikums durch eine Plexiglasscheibe eher Distanz schafft.
Zu Beginn der Inszenierung, während dem Einlass, konzentriert sich die Wahrnehmung stark auf das Akustische, da ausser dem Enstehen der Buchstaben auf dem Papier weiter nichts Sichtbares geschieht. Nachdem das Kratzen des Filzstiftes aufgehört hat und im Publikum gespannte Stille herrscht, sind aus den Boxen Geräusche zu hören: Schritte, lauter Atem, ein Möbelstück wird über den Boden geschoben, vor allem fällt aber ein leises Zischen auf, das nicht auf Anhieb einngeordnet werden kann - erst als das Innere des Containers zu sehen ist, erkennt man eine Pflanzensprühflasche. Diese Töne steigern die Neugierde auf das Geschehen Innen und schärfen durch ihre geringe Lautstärke die Konzentration des Publikums auf das Folgende.
Zusätzlich bilden sie zusammen mit dem Summen des Ventilators das akustische Gerüst des Abends:
Das Zischen der Sprühflasche wird später immer wieder auftauchen, um entweder eine Ruhepause oder einen weiteren Bruch in der Handlung oder der Stimmung der Figur einzuleiten: Nach einer hastig und laut gesprochenen Textpartie z. B. scheint der Vorgang der Pflanzenpflege sie zu beruhigen: völlig gelassen werden die Theater-Plastikpflanzen besprengt. Auch dem eigenen Körper wird durch ins Gesicht gesprühtes Wasser Kühlung verschafft - woraus die Entdeckung folgt, das mit nun nassen Haaren und schmierigem Gesicht die eigene Erscheinung zu einer Parodie Hitlers einläd. Hier kippt die Handlung aus einem gehetzen, hasserfüllten Monolog über das Theater in eine ironische Betrachtung Hitlers Physiognomie anhand eines
Häufig gestellte Fragen
Was ist der Inhalt der Aufführungsanalyse "Artaud erinnert sich an Hitler und an das Romanische Café"?
Die Aufführungsanalyse beschäftigt sich mit dem speziellen Umgang mit dem Ton in der Inszenierung "Artaud erinnert sich an Hitler und an das Romanische Café" am Berliner Ensemble. Sie untersucht die subtile Geräuschdramaturgie, die durch den speziellen Raumaufbau und das ursprüngliche Format des Textes als Hörspiel besondere Bedeutung erlangt.
Wer hat den Text "Artaud erinnert sich an Hitler und an das Romanische Café" geschrieben?
Der Text entstand in Zusammenarbeit von Tom Peuckert und Martin Wuttke.
Worauf basiert der Monolog?
Der Monolog basiert nicht auf biographischen Fakten aus dem Leben Artauds, sondern nimmt einen von ihm 1943 in einer Anstalt geschriebenen Brief an Hitler zum Anlass, eine fiktive Erinnerung zu konstruieren.
Was geschieht in der fiktiven Erinnerung?
In der fiktiven Erinnerung trifft Artaud 1932 in Berlin im Romanischen Café zu einem Gespräch mit Hitler zusammen.
Was ist die Perspektive der Inszenierung laut Martin Wuttke?
Laut Martin Wuttke ist die Inszenierung aus einer "komödiantischen" Perspektive entstanden, die einen Einblick in ein mögliches Innenleben Artauds sowie eine Auseinandersetzung mit dessen Ansicht des Verhältnisses von Kunst, Theater und (Über-) Leben bietet.
Welche Hommage beinhaltet die Inszenierung für Martin Wuttke?
Für Martin Wuttke ist die Inszenierung eine Hommage an seine Rolle als Arturo Ui, da die ersten Vorstellungen auf der Grossen Bühne am selben Ort wie Arturo Uis Schlussmonolog stattfanden.
Wie war die Ausstattung der Probebühne bei der Aufführung vom 13.2.2004?
Die Ausstattung war einfach und provisorisch: eine zerlegbare Zuschauertribüne, ein Aufbau aus Holzlatten und Dämmplatten (ähnlich einem Baucontainer) mit einer Glasscheibe, auf die Artauds Brief an Hitler in Spiegelschrift geschrieben war. Zudem gab es Boxen auf Stativen, sichtbare Kabel und Scheinwerfer.
Was war im Inneren des "Containers" zu sehen?
Im Inneren befanden sich poröse weisse Isoliermaterialwände, eine Postkarte, zwei Pflanzen, ein Stuhl und ein Tisch mit einem Lampenschirm. Das Zimmer wirkte wie ein Besuchsraum eines Krankenhauses oder Gefängnisses, oder eine beobachtete Zelle.
Welche Rolle spielte Martin Wuttke?
Martin Wuttke wurde in diesem Raum eingeschlossen und erzählte, wütete, litt, spuckte, schrie, mimte eine Fliege und Hitler, hörte Schlager und tanzte, bis er am Ende durch das Dach stieg und sich als Schauspieler in der Rolle eines glamourösen Schlagersängers präsentierte.
Welche Funktion hatten das Mikrofon und der Ventilator?
Das Mikrofon übertrug sämtliche Geräusche nach aussen, und der Ventilator sorgte für zusätzliche Luftzufuhr, da der Container luft- und schalldicht war. Beide Elemente waren sowohl dramaturgisch als auch praktisch notwendig.
Wie wurde der Ton in der Inszenierung eingesetzt?
Das Mikrofon konnte von innen nicht geregelt werden, die Lautstärke und Tonqualität wurden durch die körperliche Haltung im Raum beeinflusst. Dies erzeugte den Eindruck direkter Teilnahme am Geschehen und intensivierte das Gesehene.
Welche Geräusche waren zu Beginn der Inszenierung zu hören?
Zu Beginn waren Schritte, lauter Atem, das Verschieben eines Möbelstücks und ein leises Zischen (von einer Pflanzensprühflasche) zu hören.
Welche Rolle spielte das Zischen der Sprühflasche?
Das Zischen der Sprühflasche tauchte immer wieder auf, um Ruhepausen oder Brüche in der Handlung oder der Stimmung der Figur einzuleiten.
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- Antonia Joseph (Author), 2004, Aufführungsanalyse: Artaud erinnert sich an Hitler und an das Romanische Café - Tom Peuckert - seit 2000 am Berliner Ensemble, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/109357