Aspekte kurdischer Integration in Deutschland
Vortrag gehalten an der Fachtagung „Flucht aus Kurdistan:
Ursachen, Wirkungen, Lösungsvorschläge“ am 27. Oktober 2000 an der FU Berlin; Veranstalter Awadani e.V. - Berlin“.
Referent: ABDALLAH OSMAN, Publizist, Berlin
Integration ist das Gegenteil von Ausgrenzung und die bessere Alternative zur Assimilation. Sie dient dem Frieden und der Verständigung zwischen Menschen, Völkern und Ländern. Kurden sind in ihrer Heimat Kurdistan wie im übrigen Mittleren Osten seit langer Zeit Ausgrenzung und Assimilation ausgesetzt. Ihnen wird heute noch durch die Staaten der drei benachbarten Völker, Türken, Araber und Perser, Integration verwehrt. In Deutschland ist die Frage nach der Integration als Bedarf der rechtlichen und demokratischen Klärung der Ausländersituation entstanden. Seit kurdische Gastarbeiter mit ihren Familien nach Deutschland gekommen sind, gibt es eine Frage nach deren Lebensbedingungen, nach deren Integration. Um über das Thema der kurdischen Integration in Deutschland aspektenweise referieren zu können, bedarf es einer Aufstellung von Daten und Fakten über Kurden in Deutschland, einer Darstellung über Deutsche, Deutschland und seine Fremden, einer chronischen Darlegung des kurdischen Integrationsprozesses unter besonderer Berücksichtigung der Einflüsse politischer Ideen und Kräfte, und schließlich einiger vorausschauenden Perspektiven der weiteren kurdischen Integration in Deutschland. Integration ist möglich, man sollte sie daher nicht allzu früh aufgeben.
1. Kurden in Deutschland - Daten und Fakten:
Das Bild der Kurden und Kurdistans in Deutschland war und ist noch durch falsche oder vereinfachte Fakten und Daten befleckt. Die bisher offiziell und maßgebend verbreiteten Bevölkerungsstatistiken z. B. berücksichtigen wegen Richtlinien deutscher Innen- wie Außenpolitik keine oder nur nach unten geschätzte Angaben über Kurden bzw. Kurdistan. Das bringt Nachteile. Der Grund dafür liegt beiderseits. Das muß richtiggestellt werden. Die Funktionalität öffentlich geförderter sowie selbstständig arbeitender kurdischer Institutionen in Deutschland bedarf es hierzu ebenfalls einer Korrektur zugunsten von Kurden. Hier der Versuch einer eigenen statistischen Aufstellung kurdischer Realität in Deutschland:
Derzeit bilden die Kurden in Deutschland zahlenmäßig die zweitgrößte nationale Gruppe nach Deutschen. Die lang und viel gebrauchte Zahlenangabe mit 400.000 ist längst überholt und verfehlt die Realität in grobem Maße. Eine diesbezügliche Korrektur auf deutscher Seite ist daher dringender denn je. Die Zahl der 1998 in Deutschland lebenden Ausländer betrug 7,32 Mio., das entspricht 8,9 % der BRD-Gesamtbevölkerung (82,3 Mio.). Davon sollen nach amtlichen Angaben 2,11 Mio. Türken (28,8 %) sein. Obwohl mehr als die Hälfte der als „Türken“ bezeichneten Ausländer Kurden sind, werden Kurden in der Regel zu Türken gezählt. Die Zahl der gesamten Einwohner kurdischer Volkszugehörigkeit in Deutschland beziffere ich auf mehr als 1.385.000 Personen, das entspricht 1,7 % der Gesamtbevölkerung bzw. 18,9 % der ausländischen Wohnbevölkerung in der BRD. Davon entfallen schätzungsweise auf
1. Nord-Kurdistan (Türkei): 1.170.000 (85 %)
2. Ost-Kurdistan (Iran): 41.000 (3 %)
3. Süd-Kurdistan (Irak): 78.000 (6 %)
4. West-Kurdistan (Syrien und Libanon): 81.000 (6 %)
5. Kaukasus und andere Gebiete: 15.000 (1 %)
Die Zahl der in Berlin lebenden Einwohner kurdischer Nationalität beziffere ich auf etwa 168.000 Personen mit gleichem Verteilungsschema wie oben genannt. Die amtliche Zahl hierfür war stets 40.-50.000. Mehrheitlich leben Kurden in Ballungszentren, Industrierevieren und Großstädten wie Ruhr-Rhein-Main-Gebiete, Berlin, Stuttgart, München und Hamburg.
Der Anteil der asylgesuchten bzw. asylsuchenden unter der kurdischen Bevölkerung in Deutschland liegt insgesamt bei etwa 365.000 Personen, das entspricht 26 %. Der Aufenthalt eines jeden vierten kurdischen Einwohners Deutschlands ist also politisch begründet. Wohlgemerkt, der Anteil dieser Gruppe ist erst seit 1979/80, spürbar nach 1989/90 sprunghaft gestiegen ist. Die Mehrheit der Deutschlands Kurden waren allerdings als Gastarbeiter, Familiennachzügler und Studierende hierher gekommen und stammten anfänglich aus ländlichen Gebieten später überwiegend aus Randvierteln der Großstädte und sind mit unterschiedlichen individuellen Erwartungen, bedrängt durch die soziale Last, nationale Verfolgung und politische Hoffnung nach Deutschland gekommen. Der Anteil der Selbstständigen, das sind vorwiegend Betreiber kurdischer Läden, Imbißstuben, Marktstände, durfte ebenso wie der der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger hoch und der der qualifizierten Berufsabschlüsse, Studierenden und Auszubildenden niedrig liegen. Der Anteil der beamteten und im öffentlichen Dienst tätigen Kurden durfte unter ein Promille liegen. Kurdischsprachige Medien und Bildungseinrichtungen waren und sind in Deutschland bislang unterrepräsentiert. Die heimat- und volksgebundene kurdische politische und kulturelle Betätigung in Deutschland erreichte trotz Repressalien und Auflagen mal und wieder höheren Stand als der Fall in Kurdistan selbst.
Der Anteil kurdischer Mitglieder in deutschen politischen Parteien und anderen Organisationen ist sehr gering. Die Kurden in Deutschland werden bis heute als eigenständige Volksgruppe nicht anerkannt. Deutsche Regierungen verhinderten und lehnen heute noch eine gesamtkurdische nationale Vertretung als Ansprechpartner ab. Es gibt also keine gegenseitige Anerkennung in Form einer vereinbarten Kommunikationsstruktur wie dies mit Türken, Arabern oder Persern etwa der Fall ist. Obwohl Deutschland ein wichtiges Zentrum kurdischer politischer Aktivitäten ist und jede kurdische Partei hier Mitglieder bzw. Büros unterhält, pflegt die deutsche Regierung keine offizielle Diplomatie zu der kurdischen Seite. Das bringt Nachteile. Das Scheitern der „Kurdischen Gemeinde zu Berlin“ (1994-2000) legt Zeugnis von der politischen Unreife der kurdischen Gemeinschaft sowie der antikurdischen Politik der Berliner Republik ab. Neulich entstandenen kurdischen religiösen Einrichtungen gelingt wegen Armut und staatlicher Sanktionen keine koordinierte Erfüllung ihrer Aufgaben. Abgesehen von Asylbewerbern verfügen Kurden mehrheitleich über sicheren Aufenthaltsstatus. Die deutsche Einbürgerungspolitik ist allerdings insgesamt, also auch für kurdische Bewerber, restriktiv und reaktionär. Die Zahl der eingebürgerten Kurden schätze ich auf etwa 70.000, das entspricht nur etwa 5 %, d.h. erst jeder 20. Kurde ist also in Deutschland eingebürgert. Die Zahl der Einbürgerungsanträge müßte aber ums vielfache höher liegen. Die Verschiedenheit der Staatsangehörigkeitsgesetze der Länder (Irak, Iran, Türkei, Syrien, Libanon etc.), aus denen kurdische Bewerber herkommen, spielt hierzu eine sekundäre Rolle.
2. Deutschland und seine Fremden:
Nachdem die aus Kurdistan bzw. dem kurdischen Mittleren Osten stammenden Allemanen (auf kurdisch: Höhen-/Berg-Bewohner) west- und die Germanen (auf kurdisch: Hügeln-/Ebenen-Bewohner) nordwestwärts zogen, um dann in Mittel- bzw. Nordeuropa beheimatet zu werden, hatten sie eine lange Zeit gebraucht, um im 9. Jahrhundert sich schließlich zu deutschem Volke heranzubilden. Der nordische Protestantismus im 15. Jahrhundert löste durch den deutsch-lutherischen Bruch mit dem Papst und mit der deutschen Bibel-Übersetzung den primären deutschen Volkismus aus. Dieser Nationalismus erfuhr dann im Laufe des 18. und 19. Jahrhundert, von völkischen Kriegen gezeichnet, wissenschaftlich-theoretische Auslegung des Zusammenhangs zwischen Volk, Boden (Land), Sprache, Geschichte und Religion und mündete später als ideologische (Welt-)Anschauung in Germanismus, Pangermanismus bzw. Arismus (oder Panarismus; Ari bedeutet auf Kurdisch aus Energie erschaffend), aus denen dann im 20. Jahrhundert der Nationalsozialismus (Nazismus; auf Kurdisch: Naz, Nazi bedeutet überlegen, Überlegenheit) erging und zur Staatsideologie wurde. Die pangermanistischen und nazistischen Vorstellungen über Volk, Land, Sprache, Geschichte und Religion bilden weiterhin die Fundamente des Selbstverständnisses des heutigen deutschen Staats. Sie legitimieren automatisch jede Art des deutschen Nationalextremismus und dienen jederzeit gegen Integration der Ausländer/Fremden in Deutschland bzw. gegen die Integration Deutschlands in Europa. Vor diesem Hintergrund ist auch die kurdische Integration in Deutschland zu betrachten und bewerten. Solange es also deutscherseits keine Änderungen im bisherigen Verständnis vom Volk und Staat gesetzeskraft vorliegen, wird die viel gewollte Integration nicht wie angekündigt stattfinden. Die dann als Assimilation in Frage kommende Alternative, wird durch die grenzenlose Macht der neuen Kommunikationsmedien und den Widerstand der Benachteiligten erheblich behindert. Die West-Bindung und die europäische Integration Deutschlands haben bisher der Integration von Ausländern in Deutschland nur mittelbar genutzt. Der deutsche Nationalismus der letzten 500 Jahre mit seinem Beharren auf „Blut und Boden“ negierte sich im 3. Reich und kann den „rassen- und abstammungsverwandten“ Kurden auch keine Alternativ-Integration in Deutschland bieten. Deutsche Eigeninitiative im europäisch-demokratischen Mantel zur nationalen Integration der Kurden in Europa wie im Mittleren Osten ist nunmehr gefragter denn je. Die klassische Form der intervölkischen Integration des Fremden wird auf Deutschlands Kurden kaum übertragbar sein.
3. Kurdische Integration in Deutschland:
Die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte ab 1955 durch die Bundesrepublik Deutschland erfolgte zunächst ausschließlich aus wirtschaftlichen Interessen. Die Errichtung der innerdeutschen Mauergrenze bzw. des Eisernen Vorhanges in Mitteleuropa 1961 veranlaßte die BRD, 1964 eine Vereinbarung mit der Türkischen Republik über die Anwerbung von Arbeitskräften zu treffen; von da an kamen also auch kurdische Arbeitskräfte nach West-Deutschland. Wohlgemerkt, weder der junge westdeutsche Staat oder das dessen Kapital, noch die Türkische Republik oder die kurdischen Gastarbeiter waren auf diese Wanderung vorbereitet oder konnten deren weitere Entwicklung mit all den Folgen abschätzen, um sich entsprechend darauf einzustellen. In der Türkei hatte das NATO-Militär 1960 geputscht, die kurdische Nationalbewegung im Norden, die mit dem Barzani-Aufstand 1961 im Süden aufstieg, wurde seither durch türkische Regierungen und Militärs systematisch und brutal unterdrückt. Die BRD und die Türkei waren zwar nunmehr als NATO-Verbündete anti-kurdisch ausgerichtet; beide waren also Partner in der „Westlichen Demokratie“, aber weder in der BRD noch in der Türkei war es zu einer tatsächlichen Entnazifizierung bzw. zu einer Entmilitarisierung des politischen Denkens gekommen. In beiden politisch-militärischen Staatssystemen prägte der militaristische, ethnoistische (völkische) Rassenwahn. Dieser beginnt für Deutschland zwar erst seit dem Fall der Berliner Mauer 1989 im Zuge der europäischen Integration und für die Türkei erst mit dem Zusammenbruch des arabo-irakischen Faschismus 1991 (II. Golfkrieg) an ihrer Gefährlichkeit abzunehmen, dennoch ist es bis heute weder in der türkischen noch in der deutschen Kurden- bzw. Kurdistanpolitik eine erkennbar zeitgemäße Wende zu verzeichnen.
Die westdeutsche Anwerbung kurdischer Arbeiter erfolgte also unter dem Druck des Kalten Krieges und im Interesse des westlichen Kapitals. Kurdische Gastarbeiter hatten wegen nationaler Unterdrückung in der Türkischen Republik nun auch in der BRD wegen Belanglosigkeit und Desinteressiertheit (geht mich nicht an – Mentalität) keine gesicherte nationale Rechte und waren nunmehr den beiden archäischen national-faschistoidischen türkischen und westdeutschen Systemen ausgeliefert. Für die Zeit bis 1969 gilt jedenfalls die Feststellung, daß rechte national-konservative CDU/FDP-Regierungen an Integration kurdischer Einwohner Westdeutschlands nicht interessiert bzw. konzeptionslos waren. Die politische, soziale und kulturelle Unterdrückung der Kurden in der Türkei setzte sich in deren Mißachtung durch Westdeutschland fort.
Eine erste Wende in der kurdischen Integrationsfrage begann 1970, als es für Iraks Kurden „Autonomie-Abkommen“ erreicht war, in der Türkischen Republik zum 2. antikurdischen Militärputsch und in der BRD zur SPD/FDP-Regierung kam. Die NATO-Staaten BRD und Türkei haben am Scheitern der Autonomie für Südkurdistan aktiv mitgewirkt; sie haben gemeinsam die Diktatur Saddam-Husseins begünstigt, um den Widerstand der kurdischen Freiheitsbewegung im Mittleren Osten zu brechen. Die linksfaschistische BRD-Unterstützung für den Irak begann 1972 mit dessen Bewaffnung mit Massenvernichtungswaffen, die dann durch die rechtsfaschistische BRD-Unterstützung im (Giftgas-)Völkermord an irakischen Kurden in den Jahren 1983 bis 1991 eingesetzt worden waren. In Folge der Öl-Krise von 1973 und der dadurch entstandenen anti-orientalischen bzw. ausländerfeindlichen Ressentiments reagierte die SPD/FDP-Regierung mit einem Anwerbestopp und Rückkehr-Programm für (kurdische) Gastarbeiter aus der Türkei – angeblich wegen deren schwierige Integration und wegen zu hoher heimischer Arbeitslosigkeit. Die Erhöhung der Erdölpreise und der Verbrauchsgüter bescherte westlichen Banken großen Kapitalzufluß, der dann als Kredite in Entwicklungsländer, darunter Länder des Mittleren Ostens gingen. Die sogenannte Schuldkrise der Dritten Welt ersteigerte die Überheblichkeit Westdeutschlands. Die Türkei und später der Irak gerieten zunehmend in die westdeutsche Falle.
Die innenpolitisch problematisierte Ausländerpolitik begann als außenpolitische Antwort deutscher Bundesregierung auf die Entwicklungen im Mittleren Osten und spitzte sich seit 1978 mit dem NDP-Aufruf „Deutschland den Deutschen“ in systematischer Ausländer- bzw. Fremdenfeindlichkeit zu. Die deutsche Linke, gedrängt vom kommunistischen Osten, steuerte mit ihren demokratischen Alternativen, insbesondere der Gewerkschaften, Krichen und der späteren Grünen, dagegen und forderte seither systematische Integration und rechtliche Gleichstellung von Ausländern in Deutschland, insbesondere der hier geborenen Generation. Die ersten Integrationsansätze sind also zu Ende der sozial-liberalen Regierungszeit entstanden und brachten positive Folgen für die kurdische Integration in Deutschland z.B. in Form von Vereinsgründungen und Massenveranstaltungen. Außen- wie innenpolitisch standen die Linken und die Rechten mit ihren Entspannungs- bzw. Konfrontationskursen solange gegeneinander, bis es den letzten durch Regierungsübernahme in Bonn gelang, die deutsche Politik es so voranzutreiben, daß für die Kurden in Deutschland die Integration immer ferner, der radikale Nationalkampf aber immer näher rückte.
Eine zweite Wende in den parteipolitischen Vorstellungen über die Integration ausländischer Wohnbevölkerung in Deutschland entstand, als diese neue Linke seit 1979/80 die regierende SPD schwächte und u.a. die Partei der Grünen gründete, parallel zu einer Zeit, als es in Folge der Islamischen Revolution im Iran, dem Irakischen Krieg gegen Iran, dem antikurdischen Militärputsch in der Türkei und Umsturzversuch in Syrien zum ersten großen Zustrom aufenthalts- bzw. asylsuchender Ausländer, darunter viele Kurden die BRD erreichte. Diese Ereignisse wurden in Deutschland durch politische Parteien, rechte wie linke, entsprechend ihren Vorstellungen und ihren Wahlzielen aufgenommen und öffentlich polarisiert. Die dual geprägte politische Landschaft Deutschlands stellte sich im Laufe der Zeit entsprechend auf die ebenfalls sich dual formierende kurdische politische Bewegung ein.
In Kurdistan war der Barzani-Aufstand 1974/75 von Irak, Türkei und BRD gleichermaßen bekämpft worden. Das Pakt der regierenden deutschen und türkischen Linken schloß nunmehr die ebenfalls regierende Baath-Partei Iraks mit ein und bildete mit dem Ostblock eine lose internationale Linksfront, die für soziale, aber gegen nationale Lösung der kurdischen Frage im Mittleren Osten stand. An dieser „linken“ Grundposition hat sich bis jetzt nichts geändert. Diese Tatsache und die ebenfalls proarabische, antikurdische Position des kommunistischen Ostblocks bestärkte nur die militante, linksnationale, anti-kommunistische und anfänglich wohl auch anti-sozialdemokratische nordkurdische Erhebung, die mit der Gründung der PKK 1978 eine neue Qualität im deutsch-kurdischen Verhältnis im nachhinein erzwungen hatte. Die linksnationale Militanz der PKK umfaßte alsbald auch andere Teile Kurdistans und diente zur Abgrenzung gegenüber dem Iranischen Islamismus und dem Sowjet-Kommunismus gleichermaßen. Genau aus diesem Grunde wurde sie in Deutschland durch den Staat aufgenommen und von der konservativen Gesellschaft sporadisch unterstützt. Die stets aufsteigende PKK-Macht mündete dann 1999 in dem Versuch der Selbstaufgabe hin zu einer Integrationspartei ganz im Sinne türkischer und deutscher Linksnationalen, die gerade die Macht in ihren Ländern übernommen haben. Das Ziel und die Art der heimatgebundenen und volksbefreierischen Arbeit der PKK sowie der PDK und PUK hatten anders als die PSK mit ihren Komkar-Vereinen in Deutschland keine Integration im Sinn. Die PKK mobilisierte die kurdische Wohnbevölkerung in Deutschland ausschließlich für ihre nationale, integrationsfremde Ziele. Das paßte genau ins wahlpolitische Konzept der rechten nationalkonservativen Parteien in der BRD. Die linksnationalen Kurden und die rechtsnationalen Deutschen hatten also als die maßgebenden politischen Kräfte die kurdische Integration in Deutschland im Sinne der Sozialdemokratie und insbesondere der Partei der Grünen behindert. Das war der Hauptgrund der feindlichen Haltung der Grünen gegenüber der PKK. In den letzten 20 Jahren trimmte eigentlich nur die PSK mit ihren deutschlandweiten Komkar-Vereinen ihre kurdischen Klientel auf die Integration in die deutsche Staats- und Gesellschaftsordnung ein; ihre Arbeit wurde und wird daher ununterbrochen durch den deutschen Staat unterstützt. Die PKK sowie die PDK und die PUK schwenken erst seit Ende der 90er Jahre auf den gleichen Kurs ein – wenn auch mit anderer Qualität.
Die letzten zwei Jahrzehnte der kurdischen Integration in Deutschland standen also sowohl auf kurdischer wie auch auf deutscher Seite im Spannungsfeld zwischen Pro und Kontra. Der bisher erreichte Integrationsstand für kurdische Wohnbevölkerung in Deutschland liegt quantitativ wie qualitativ um vielfacher zurück hinter dem der Türken, der Araber oder Perser. Diese haben das Privileg, anders als Kurden zu Staatsvölkern zu gehören. Es besteht großer Nachholbedarf. Eine allseitige Neueinstellung ist dringend geboten. Die Inhaftierung Ocalans, der neue Friedenskurs der PKK und der Wahlsieg der deutschen und türkischen Linksnationalen läßt Chancen offen für neue Debatten über neue Möglichkeiten kurdischer Integration in Deutschland. Die regierenden Sozialdemokarten und Grünen könnten gemeinsam mit den türkischen und kurdischen Links- wie Rechtsnationalen zeitgemäße Konzepte zur kurdischen, sozialen wie nationalen Integration in Deutschland, Europa und Mittelosten erarbeiten und umsetzen. Eher daß diese Chance durch rechte nationalkonservative, einschließlich religiös begründeter Organisationen, die assimilatorisch oder integrationsfeindlich gesinnt sind, schon wieder bedrängt wird, und dadurch kriegerische Konflikte von neuem ausgelöst werden, müßen alsbald durch kurdische, türkische und deutsche Beteiligte Entscheidungen und Ergebnisse vorliegen, die sofort gesetzeskraft gelten müssen. Die Modifizierung des PKK-Verbotes ist hierzu notwendig.
4. Perspektive kurdischer Integration in Deutschland:
Die deutsche, insbesondere die gewerkschaftliche und kirchliche Öffentlichkeit begann sich mit dem Integrationsproblem der Ausländer zu beschäftigen, als es ab Mitte der siebziger Jahre zu vermehrter Familienzusammenführung bzw. als es zu der ersten Generation der in Deutschland geborenen Ausländer kam. Der spätere Zustrom von Asylsuchenden politisierte die öffentliche Diskussion; seither ist eine Pro- und eine Contra-Front zur Integration von Ausländern in Deutschland erkennbar, eine Situation, die bei innen- und manchmal außenpolitischer Entscheidung propagandistisch ausgeschlachtet wird – auf Kosten von Ausländern, also auch Kurden. Auf die öffentliche Forderung nach Integration reagierte der deutsche Staat seit Mitte der 80er Jahre mit vielen Maßnahmen, darunter integrationsförderende wie Vereinsgründungen, die von publizistischen und wissenschaftlichen Untersuchungen begleitet wurden. Mitte der 90er kamen Deutsche zu dem Ergebnis, daß alle Integrationsbemühungen gescheitert waren. Ich nenne dies die deutsche Integrationsthese.
Meines Versuches der Widerlegung der deutschen These über die angebliche „gescheiterte Integration“ von Ausländern bzw. Fremden in die deutsche Gesellschaft lege ich zugrunde, daß die Ausgangsposition der deutschen Thesenurheber der vorhandenen, also auch der geschichtlich entwickelten deutschen Integrationsrealität verfremdet bzw. angefeindet liegt. Es gilt im deutschen Volkshause, also im Staat Deutschland, das Grundprinzip der sozialen Bindung zwischen Staatsvolk und Bürger auf der Grundlage der Rechte und Pflichte aufrechtzuerhalten. Die zwei Komponente, Bürger und Staat bestimmen die Sozialität und Kulturität, auf deren Grundlage sich Gesetze berufen und auf deren Normen sich dann Einzelne beziehen. Der Bürger gehört dem Volk und diesem gehört der Staat (also das Land) und nach offizieller deutscher Sicht sind Volk und Staat Konstante – ein logischer Widerspruch mit der Erkenntnis über Mensch und Welt.
Ein Fremder, Ausländer, der ins deutsche Land kommt, wird hier entsprechend den Gesetzen des Staates und den Gepflogenheiten des Volkes aufgenommen. Er wird also vom Staate nach Einhaltung dessen Gesetze und vom Volke nach dessen Werten behandelt. Volk steht in Deutschland dem Staat loyal gegenüber und der Staat versucht dem Volke dienlich zu sein. Die Politisierung dieser Verbundenheit führt zur Abgrenzung nach außen (Ausländern) und Ausgrenzung (von Fremden) im Inland . Dieser Mechanismus negiert die Integration von Fremden und erkennt ausschließlich Einfügung bzw. Assimilation als Lösung an. Dauerhafte Negation vorhandener Realität erzeugt Unruhe. Solange Ausländer freiwillig, also nicht mit Zwang nach Deutschland kommen, um hier zu verbleiben, und solange Deutschland Ausländern viele Rechte und Pflichte zugesteht, die eigentlich dem Staatsvolk vorbehalten sind, findet eine Entwicklung statt, die die Voraussetzungen für die Integration legt. Ein gesamtgesellschaftlicher Zustand liegt somit vor, von dem der Fremde freiwillig Gebrauch machen kann. In diesem Sinne ist in Deutschland also ein freiwilliger Integrationsprozeß vorhanden und kann von sich aus weiterlaufen, wenn er nicht (durch Drittfaktor) gestört wird. Die soziale Integration der Kurden findet in Deutschland statt; eine nationale Integration ist im Entstehen. Die freiheitlich demokratische Grundordnung begünstigt die Entfaltung des kurdischen Nationalismus.
Der Erfolg kurdischer Integration in Deutschland ist abhängig vom Erfolg des europäischen wie auch mittelöstlichen Integrationsprozesses. Um dies zu erreichen stelle ich zum Schluß folgende Forderungen an die deutsche wie auch kurdische Seite:
1. Deutschland müßte die ausschließlich völkisch (nationalrassistisch) begründete Konstante des Staatsverständnisses eigenmächtig entkräften und relativieren. Eine Reform der Verfassung, des politischen Denkens wird folgen und das ist sehr nötig und wichtig für den Rest der Welt.
2. Die deutsche Bundesregierung muß in Familienzusammenführung und im Asylverfahren als die einzigen Möglichkeiten zur Einwanderung einsehen und diese so anerkennen oder dafür eine Einwanderungsregelung treffen.
3. Deutsche müßten einsehen, daß wenn 90 Mio. Deutschstämmige im Ausland beheimatet sind, eine Beheimatung von Ausländern, Fremden in Deutschland möglich sein muß.
4. Der deutsche Staat müßte ihre bisherige restriktive und reaktionäre Einbürgerungspraxis aufgeben bzw. liberalisieren, damit Ausländern, so auch Kurden die Mitwirkung am Staat und Gesellschaft zugänglich wird.
5. Deutschland muß die besondere Lage der im Mittleren Osten bedrohten Kurden einkalkulieren, sie innen- wie außenpolitisch als Ansprechpartner akzeptieren und ihnen in Deutschland die (nationalen) Rechte einer selbstständigen Volksgruppe zugestehen und auf den völkerrechtlich abgesicherten Nationalstatus der Kurden im Mittelosten hinarbeiten.
Deutsche Entscheidungsträger müßten die Kurdologie, eine effektive Integrationsmaßnahme, als selbstständiges wissenschaftliches Disziplin anerkennen und fördern.
Häufig gestellte Fragen zu Aspekte kurdischer Integration in Deutschland
Was ist der Hintergrund dieses Vortrags?
Dieser Vortrag wurde auf der Fachtagung „Flucht aus Kurdistan: Ursachen, Wirkungen, Lösungsvorschläge“ am 27. Oktober 2000 an der FU Berlin gehalten und vom Awadani e.V. - Berlin veranstaltet. Der Referent war Abdallah Osman.
Was ist die Hauptaussage bezüglich der Integration von Kurden?
Integration wird als das Gegenteil von Ausgrenzung und eine bessere Alternative zur Assimilation gesehen, die Frieden und Verständigung fördert. Kurden sind sowohl in Kurdistan als auch im Nahen Osten Ausgrenzung und Assimilation ausgesetzt. In Deutschland ist die Integration ein Thema, das im Zusammenhang mit der rechtlichen und demokratischen Klärung der Ausländersituation aufkommt.
Welche statistischen Angaben werden zu Kurden in Deutschland gemacht?
Der Vortrag stellt die These auf, dass offizielle Bevölkerungsstatistiken die Zahl der Kurden in Deutschland unterschätzen. Es wird geschätzt, dass es mehr als 1.385.000 Kurden in Deutschland gibt, was etwa 1,7 % der Gesamtbevölkerung entspricht. Die Mehrheit stammt aus Nord-Kurdistan (Türkei).
Wo leben die meisten Kurden in Deutschland?
Kurden leben hauptsächlich in Ballungszentren, Industriegebieten und Großstädten wie dem Ruhrgebiet, Rhein-Main-Gebiet, Berlin, Stuttgart, München und Hamburg.
Wie hoch ist der Anteil der Asylsuchenden unter den Kurden in Deutschland?
Etwa 26 % der Kurden in Deutschland sind Asylsuchende oder haben einen politisch begründeten Aufenthaltsstatus.
Wie ist die wirtschaftliche Situation der Kurden in Deutschland beschrieben?
Der Vortrag stellt fest, dass der Anteil der Selbstständigen (z. B. Betreiber kurdischer Läden), Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger hoch ist, während der Anteil qualifizierter Berufsabschlüsse, Studierender und Auszubildenden niedrig ist. Kurdischsprachige Medien und Bildungseinrichtungen sind unterrepräsentiert.
Wie ist die politische Repräsentation der Kurden in Deutschland?
Der Anteil kurdischer Mitglieder in deutschen politischen Parteien ist gering. Kurden werden nicht als eigenständige Volksgruppe anerkannt, und die deutsche Regierung pflegt keine offizielle Diplomatie mit kurdischen Vertretungen.
Wie ist die Einbürgerungsrate von Kurden in Deutschland?
Die Einbürgerungspolitik wird als restriktiv beschrieben, und die Zahl der eingebürgerten Kurden wird auf etwa 70.000 geschätzt, was nur etwa 5 % der kurdischen Bevölkerung entspricht.
Welchen historischen Hintergrund gibt es bezüglich Deutschlands Verhältnis zu Fremden?
Der Vortrag argumentiert, dass pangermanistische und nazistische Vorstellungen über Volk, Land, Sprache, Geschichte und Religion weiterhin das Selbstverständnis des deutschen Staates prägen und die Integration von Ausländern erschweren.
Welche Rolle spielte die Anwerbung von Gastarbeitern für die kurdische Integration?
Die Anwerbung kurdischer Gastarbeiter erfolgte unter dem Druck des Kalten Krieges und im Interesse des westlichen Kapitals. Kurdische Gastarbeiter hatten weder in der Türkei noch in Deutschland gesicherte nationale Rechte.
Wie haben sich die politischen Vorstellungen über die Integration im Laufe der Zeit verändert?
Es gab verschiedene Wendepunkte, darunter das Autonomie-Abkommen für Südkurdistan (1970), die Ölkrise (1973) und den Zustrom von Asylsuchenden (ab 1979/80). Die deutsche Linke forderte Integration und Gleichstellung, während rechte Kräfte Fremdenfeindlichkeit förderten.
Welche Rolle spielte die PKK in Bezug auf die Integration?
Die linksnationale Militanz der PKK mobilisierte die kurdische Wohnbevölkerung für nationale, integrationsfremde Ziele, was von rechten Parteien in Deutschland unterstützt wurde. Die PSK mit ihren Komkar-Vereinen trimmte ihre Klientel auf die Integration in die deutsche Gesellschaft ein.
Welche Perspektiven für die kurdische Integration werden genannt?
Der Erfolg der kurdischen Integration hängt vom Erfolg des europäischen und mittelöstlichen Integrationsprozesses ab. Es werden Forderungen an die deutsche Seite gestellt, wie z. B. die Relativierung des völkischen Staatsverständnisses, die Liberalisierung der Einbürgerungspraxis und die Anerkennung der besonderen Lage der Kurden im Nahen Osten.
Was ist die "deutsche Integrationsthese"?
Die "deutsche Integrationsthese" ist die Annahme, dass alle Integrationsbemühungen gescheitert sind. Der Vortrag versucht, diese These zu widerlegen und argumentiert, dass ein freiwilliger Integrationsprozess stattfindet, der jedoch gestört werden kann.
Welche Forderungen werden an die deutsche Seite gestellt, um die kurdische Integration zu fördern?
Zu den Forderungen gehören die Entkräftung des völkischen Staatsverständnisses, die Anerkennung der Familienzusammenführung und des Asylverfahrens als Einwanderungsmöglichkeiten, die Liberalisierung der Einbürgerungspraxis und die Anerkennung der besonderen Lage der Kurden im Nahen Osten.
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- ABDALLAH OSMAN (Autor:in), 2000, Aspekte kurdischer Integration in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/107835