Ziel der Arbeit ist die Darstellung einer Übersicht über das Themengebiet der Vulnerabilität von An- und Zugehörigen von betroffenen Personen, die auf einer erwachsenen Intensivtherapiestation behandelt werden.
Während des gesamten Aufenthaltes auf der Intensivstation befinden sich die An- und Zugehörigen von Intensivpatienten in einer psychisch wie emotionalen, höchst instabilen Situation. An- und Zugehörige von schwerkranken Menschen leiden unter hohen Belastungen und weisen relevante depressive Symptome sowie Anzeichen von Angst auf. Die Gruppe der An- und Zugehörigen wird zwar in Forschungsberichten als vulnerabel eingestuft, dennoch in der geläufigen Pflegeliteratur, besonders im deutschen Sprachraum kaum als vulnerable Gruppe gesehen.
Die Symptome der An- und Zugehörigen weisen auf eine erhöhte Vulnerabilität hin und können gesundheitliche Folgen mit sich bringen. Die Vulnerabilität dieser Gruppe ist mehrdimensional zu betrachten und kann innerhalb der Dimensionen auch weiter untergliedert werden. Angehörige nehmen innerhalb der Familie verschiedene Rollen ein, auf die Pflegende unterschiedlich eingehen sollten. An- und Zugehörige entwickeln in dieser Zeit eine Reihe an Copingstrategien, um mit Angstzuständen umzugehen. Zwischen den Wünschen und Bedürfnissen der Angehörigen und den Wahrnehmungen der Intensivpflegenden konnten signifikante Unterschiede ermittelt werden.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Vulnerabilität
3 An- und Zugehörige
3.1 An- und Zugehörige als vulnerable Gruppe
3.2 An- und Zugehörige von betroffenen Menschen auf Intensivstation
4 Schlussbetrachtung
Anhang
Anlage 1 Suchprotokoll zur systematischen Literaturrecherche
Quellenverzeichnis
1 Einleitung
Bereits während der Aufnahme auf einer Intensivstation begleiten An- und Zugehörige den betroffenen Menschen.1 Sie befinden sich hier in einer psychisch wie emotionalen, höchst instabilen Situation, da diese zum Zeitpunkt der Aufnahme auf die Intensivstation meist noch keine näheren Informationen zum Zustand des betroffenen Angehörigen erhalten haben.2 Auf der anderen Seite ist die Aufnahmefähigkeit der An- und Zugehörigen oder Eltern der betroffenen Person ebenso vor allem während dem Prozess der Aufnahme auf einer Intensivstation stark eingeschränkt.3 Dennoch haben An- und Zugehörige und vor allem Eltern in dieser Situation ein starkes Bedürfnis nach detaillierten Informationen über den aktuellen Zustand des Familienmitglieds.4 Auch während des weiteren Aufenthalts im Krankenhaus bleibt dieses Bedürfnis stark verankert, vor allem bei An- und Zugehörigen, die einen betroffenen Menschen auf der Intensivstation begleiten. Diese kämpfen besonders mit Problemen vor allem im Zusammenhang mit dem Übergang von Intensivstation auf die Normalpflegestation, da ihnen hier Ansprechpartner zum Beispiel in Form einer „Liaison-Nurse“ fehlen.5
Ziel dieser Seminararbeit ist die Darstellung einer Übersicht über das Themengebiet der Vulnerabilität von An- und Zugehörigen von betroffenen Personen, die auf einer Intensivtherapiestation behandelt werden. Der Hauptfokus wurde auf An- und Zugehörige von Menschen, die auf einer erwachsenen Intensivstation behandelt werden, gelegt.
Grundlage dieser Arbeit ist eine systematische Literaturrecherche in den Datenbanken Google Scholar, PubMed, Cumulative Index of Nursing and Allied Health Literature, Cochrane Database of Systematic Reviews sowie den Verlagsangeboten Content-Select, SpringerLink, Hogrefe E-Libary sowie Thieme Certified Nursing Education. Zusätzlich wurden die Leitlinien Datenbanken der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften und des National Institute for Health and Care Excellence des Vereinigten Königreichs in die systematische Literaturrecherche eingebunden. Einige weitere Treffer konnten durch das Schneeballsystem während der Auswertung der Literatur erzielt werden. Das Suchprotokoll kann Anlage 1 dieser Arbeit entnommen werden.
Zunächst wurde in dieser Übersichtsarbeit zur Verständlichkeit auf den Begriff der Vulnerabilität eingegangen und nachfolgend eine Begriffsbestimmung zu An- und Zugehörige in deutscher und englischer Sprache vorgenommen. Denn die systematische Literaturrecherche wurde überwiegend in englischer Sprache durchgeführt, da nicht ausreichend relevante Treffer im deutschen Sprachraum erzielt werden konnten.
Im Weiteren werden im Rahmen dieser Seminararbeit ausgewählte Forschungs- und Literaturtreffer aus der durchgeführten systematischen Literaturrecherche, die eine hohe Relevanz zum Thema aufweisen, dargestellt.
2 Vulnerabilität
Vulnerabilität wird vom Pschyrembel Wörterbuch definiert als eine multifaktoriell bedingte individuelle Disposition auf Belastungen, unterschiedlich stark oder schwach zu reagieren.6 Ebenso gibt das Duden Wörterbuch die Bedeutung von Vulnerabilität als Verwundbarkeit oder Verletzlichkeit wieder.7 Hingegen vulnerabel als verwundbar, verletzlich oder störanfällig.8
Der Begriff der Vulnerabilität wird von Frau Schrems als ein sehr vielseitiger beschrieben. Vor allem versteht sie unter ihm eine Reihe von Aspekten und Bereichen zusammengefasst, die Vulnerabilität auslösen können oder die vulnerabel sind. Hier können Bereiche der Informationstechnologie, Psychologie, Pflege oder Medizin betroffen sein. Ebenso aber auch der Klimawandel, Umwelt oder Wetterphänomene, die für eine erhöhte Vulnerabilität bei den betroffenen Menschen verantwortlich sind.9
So können zum Beispiel Dürre- oder Regenperioden dazu führen, dass Menschen in strukturell schwachen Regionen der Erde schneller Probleme bekommen, an Nahrungsmittel zu gelangen, als Menschen in strukturell starken, zum Beispiel in Mittel- und Südeuropa. Daher ist Vulnerabilität ebenfalls situationsbedingt zu betrachten.10
Dieses Beispiel zeigt, dass nicht nur kranke, pflegebedürftige Menschen oder Kinder vulnerabel sind, sondern eben alle Personen eine Vulnerabilität aufweisen können.11 12
Frau Schrems teilt die Vulnerabilität in zwei grundlegende Formen ein. Zum einen in die anthropologische Vulnerabilität, die als fundamentale das Sein bestimmende Vulnerabilität bezeichnet wird, die somit allen Menschen innewohnt.13 Damit wird die Vulnerabilität als eine menschliche Eigenschaft angesehen.14 Zum anderen in die situationsspezifische Vulnerabilität, die zum Beispiel aus bestimmten Lebensumständen, Menschenrechtsverletzungen oder Umweltkatastrophen resultiert.15
Es gibt Risikofaktoren, die nachweislich die Vulnerabilität einer Person erhöhen können.16 Die typischen Risikofaktoren hierfür sind Armut, Obdachlosigkeit, Migration. Ebenso können aber auch Kombinationen aus Krankheit, Alter, Hilfsbedürftigkeit und bestimmten Lebensumständen die situationsspezifische Vulnerabilität erhöhen.17 Aber auch das Geschlecht, die Ethnie, das Bildungsniveau, soziale Strukturen, die finanzielle Situation oder komplett lebensverändernde Ereignisse sind Faktoren, die die Vulnerabilität beeinflussen.18 Von diesen Risikofaktoren sind einige beeinflussbar wie soziale Strukturen, andere sind teilweise beeinflussbar wie das Bildungsniveau und andere wie das Alter oder die Ethnie sind vom einzelnen Menschen her nicht beeinflussbar.19 Fr. Rogers sieht hier als stärkste Risikofaktoren der Vulnerabilität den finanziellen Status, das Bildungsniveau und soziale Strukturen. Diese Risikofaktoren werden als beeinflussbare eingruppiert, sodass eine Veränderung dieser Faktoren den Grad der Vulnerabilität schnell positiv, aber auch schnell negativ verändern kann.20 Außerdem können zum Beispiel Rechts- oder Gesundheitssysteme Vulnerabilität lindern, aber auch erhöhen.21
Wie Frau Rogers mit ihrem Modell der Vulnerabilität skizziert, ist der Grad der jeweiligen Vulnerabilität von Umweltfaktoren aber auch von persönlichen Ressourcen abhängig. Je mehr Unterstützung extrinsisch dem jeweiligen Menschen zugeführt wird oder je mehr persönliche Ressourcen zum Beispiel in Form von Copingstrategien die jeweilige Person entwickelt, desto niedriger ist die Vulnerabilität. Durch dieses Modell der Vulnerabilität von Frau Rogers wird verständlich, dass Vulnerabilität nicht statisch ist, sondern als ein Kontinuum anzuerkennen ist.22
Eine Personengruppe als vulnerable Gruppe zu definieren, kann helfen, Schutzmaßnahmen einzuleiten.23 Jedoch kann dies aber auch gegenteilig dazu führen, dass Personen aus dieser Gruppe durch eine über protektive Haltung „etikettiert“ werden und so eine Stereotypisierung dieser Personengruppe erfolgt.24 Andererseits kann es auch vorkommen, dass Menschen durch unpräzise Formulierungen als vulnerabel eingestuft werden und so zum Beispiel bei Forschungen fälschlicherweise zum Schutz ausgeschlossen werden.25 Deshalb empfiehlt Frau Schrems, nicht Vulnerabilität allein nach allgemein angenommenen Merkmalen der einzelnen Person zu definieren, sondern die individuellen Gegebenheiten zu berücksichtigen.26
Zwar ist zum Beispiel ein Mensch mit einer degenerativen Erkrankung vulnerabler im Gegensatz zu einer Person ohne eine solche Erkrankung, dennoch gibt es verschiedene Formen, Schweregrade und Verlaufsformen, die berücksichtigt werden müssen.
Das Team um Herr Egle berichtet, das psychosoziale Belastungen in der Kindheit, gesundheitliche Langzeitfolgen nach sich ziehen können.27 Unter Einbeziehung von Querschnittsstudien, aber auch prospektiver Forschungen der letzten zehn Jahre konnte das Team Zusammenhänge zwischen Langzeitfolgen stressbezogener Umwelteinflüsse in der Kindheit und einer späteren Vulnerabilität für psychische und physische Erkrankungen bestätigen.28 Ebenso untersuchte das Team um Frau Fiddler im Vereinigten Königreich mögliche psychologische Mediatoren zwischen Widrigkeiten in der Kindheit und häufigen medizinischen Konsultationen bei neuen ambulant betroffenen (erwachsenen) Personen in neurologischen, kardiologischen und gastroenterologischen Kliniken. Die Ergebnisse des Forschungsteams zeigen, dass schwere Widrigkeiten in der Kindheit mit häufigen medizinischen Konsultationen verbunden sind.29 Zudem zeigte die Studie, dass bei Symptomen, die medizinisch nicht erklärbar waren, Menschen mit schwierigen Situationen in der Kindheit sich signifikant häufiger in medizinische Behandlung begaben als die Kontrollgruppe.30 Daher hat die Weltgesundheitsorganisation aufgrund der somit einhergehenden ökonomischen Auswirkungen sowie dem Aspekt der gesundheitlichen Langzeitfolgen, die Thematik der Gewalt gegen Kinder zu den zentralen Themen der weltweiten Gesundheitspolitik etabliert.31 32 Durch die Berichte von Herrn Egle und Frau Fiddler kann demnach geschlossen werden, dass eine erhöhte Vulnerabilität (vor allem in der Kindheit) ein Risikofaktor für gesundheitliche Langzeitfolgen ist.
3 An- und Zugehörige
Der Begriff des Angehörigen wird definiert als eine mit dem betroffenen Menschen verwandte Person, die die Eigenschaft als Angehöriger durch natürliche Abstammung oder durch abstammungsrechtliche Bestimmungen wie zum Beispiel Ehe oder Adoption erworben hat.33
Jedoch ist es häufig so, dass die Angehörigen nicht unbedingt die engen Bezugspersonen des betroffenen Menschen sind. Oft sind es eben die nicht verwandten Personen wie Freunde oder Nachbarn, die für den betroffenen Menschen eine starke Bedeutung haben.34 Daher müssen neben den Angehörigen auch diese zugehörigen Personen bei weiteren Überlegungen zur Vulnerabilität berücksichtigt werden.
Neben den Begriffen Angehörige oder Zugehörige und deren Kombination wird in der Literatur auch der Begriff der Bezugsperson angegeben. Jedoch wird dieser Begriff sehr allgemein verwendet und wird durch das Duden Wörterbuch definiert als eine Person, an der eine andere Person ihr Denken und Verhalten orientiert.35 Andere wissenschaftlich Publizierende fassen unter den Begriff des Angehörigen auch die Zugehörigen mit ein.36
Für die systematische Literaturrecherche musste zudem der Begriff der An- und Zugehörigen noch in die englische Sprache übersetzt werden. Denn die systematische Literaturrecherche innerhalb der Metaanalyse zeigte schnell, dass die Suche in deutscher Sprache nicht genügend Ergebnisse generieren kann. Bei der nachfolgenden orientierenden Literaturrecherche hat sich gezeigt, dass im englischen der Begriff der family auch das Umfeld der Familie beinhalten kann und somit dem Begriff der An- und Zugehörigen nahekommt.37 Wohingegen relatives von der Bedeutung her mit Angehörigen übersetzt werden kann.38 Während der orientierenden Literaturrecherche konnte zusätzlich der Begriff der family caregivers gefunden werden.
Mit diesen Erkenntnissen wurden daher für die Suchsyntax der systematische Literaturrecherche die Suchbegriffe relatives, family caregivers und family in Kombination mit dem Boole‘schen Operator OR verwendet.39
3.1 An- und Zugehörige als vulnerable Gruppe
An- und Zugehörige von schwerkranken Menschen leiden unter hohen Belastungen und weisen relevante depressive Symptome sowie Anzeichen von Angst auf.40 Ebenso müssen An- und Zugehörige Rollen in sich vereinen, die der betroffene Mensch nicht mehr ausüben kann und diesen gleichzeitig unterstützen.41 Jedoch zeigte die systematische Literaturrecherche, dass zwar An- und Zugehörige in den Forschungsberichten als vulnerabel eingestuft werden,42 dennoch in der geläufigen Pflegeliteratur, besonders im deutschen Sprachraum kaum als vulnerable Gruppe gesehen werden.43
3.2 An- und Zugehörige von betroffenen Menschen auf Intensivstation
An- und Zugehörige von betroffenen Menschen auf Intensivstation zeigen typische Symptome von Vulnerabilität. Wie die Forschung des Teams um Melissaki zeigt, wiesen die Versuchspersonen der Studie, welche Angehörige ersten Grades zum betroffenen Menschen waren, hohe Werte auf der Center for Epidemiological Studies Depression Scale auf.44 Die von Melissaki erhobenen Werte von 29.8 ± 8.9 zeigen nach den Angaben der American Psychological Association ein hohes Risiko für Depressionen auf. Die Fachgesellschaft gibt ab einem Wert von 16 auf der Center for Epidemiological Studies Depression Scale ein Risiko für Depressionen an, welches weiter untersucht werden sollte.45 Ebenso zeigte die Forschung, dass Angehörige von Menschen auf einer Intensivstation auch Symptome von Angst aufzeigen. Dies wurde mit dem Spielberger’s State-Trait Anxiety Inventory erhoben. Hier konnten mit 39.8 ± 9.0 mittels des Assessmentinstruments Werte erhoben werden, die für eine mittelstarke Angst der Angehörigen spricht.46
Die qualitative Studie des Teams um Frau Wåhlin zeigte ähnliche Ergebnisse auf. Hier gaben die Versuchspersonen an, dass sie manchmal zuhause ängstlich wurden und die Angst bekämpfen konnten, indem sie in das Krankenhaus gefahren sind und dort auch zu jeder Zeit willkommen waren, um den betroffenen Menschen zu besuchen und ihm nahe zu sein.47 Die Versuchspersonen gaben in den Interviews der Studie an, dass sie die Zeit der Intensivtherapie als eine der schrecklichste in ihrem Leben betrachten, jedoch in dieser Zeit aber auch einige der besten Erfahrungen ihres Lebens machten. Weiter gaben die Versuchspersonen an, dass ihnen eine fürsorgliche Atmosphäre sowie kontinuierliche, unkomplizierte und ehrliche Informationen über den betroffenen Menschen sehr geholfen haben.48 Außerdem konnte das Forschungsteam während der Interviews mit den An- und Zugehörigen ermitteln, dass für diese die Erfahrung sehr essenziell war, ob ein echter Wille zu helfen und zu entlasten vonseiten der Pflegenden da war oder nicht.49 Das Team um Frau Wåhlin kommt zum Ergebnis, dass eine exzellente Therapie und Pflege mit den besten Maschinen und Konzepten nur ein Teil ist, an den sich An- und Zugehörige und betroffene Menschen erinnern. Ebenso wichtig ist die Art und Weise, wie die Pflege durchgeführt wurde und diese mit dem betroffenen Menschen, aber auch mit den An- und Zugehörigen kommuniziert wurde. Das Forschungsteam der Studie gibt daher die Empfehlung bei der Weiterentwicklung von intensivpflegerischen Konzepten den Fokus auf menschliche Wärme, Einstellungen sowie Verhaltensweisen zu lenken, auch in Bezug auf Personalentwicklung.50
Die Forschung um das Team von Frau Quinn zeigte die verschiedenen Rollen, die innerhalb einer Familie vorkommen können, auf. Der Bericht der ethnografischen Studie enthält die Analysenergebnisse der insgesamt 130 Versuchspersonen, welche zum therapeutischen Team gehörten, betroffene Menschen oder deren An- und Zugehörige waren. Fokus der Studie war vor allem der Entscheidungsprozess der Therapiezieländerung von kurativ zu palliativ.51 Die Analyse zeigte acht Rollen, die die An- und auch Zugehörigen annehmen können: Die Rolle des pflegenden Angehörigen, der hauptentscheidenden Person, der vertretenden Person der Familie, des Außenseiters, der fachkundigen Person über die Wünsche des betroffenen Menschen, des Beschützenden, der fachkundigen Person im Gesundheitswesen und die Rolle der vulnerablen Person.52 53 Das Forschungsteam schließt aus diesen Ergebnissen, dass es wichtig ist, die Rollen zu erkennen und gezielt auf die Wünsche und Bedürfnisse der einzelnen Personen einzugehen. Nur so können die An- und Zugehörigen optimal im Prozess der Entscheidungsfindung unterstützt und entlastet werden.54 Als vulnerabelste Rolle in dieser Systematik wird durch das Team um Frau Quinn die Rolle des Beschützenden beschrieben. Die Rolle der beschützenden Person und der Rolle der vulnerablen Person kommen innerhalb der An- und Zugehörigen oft gepaart vor. Besonders oft in Situationen, in denen erwachsene Kinder denken, sie müssten ein älteres Familienmitglied vor Entscheidungen schützen.55 Die Problematik der Rolle des Beschützenden ist aber die, dass in dem Moment, in dem die beschützende Person versucht, die vermeidlich vulnerable Person zu schützen, gleichzeitig mit der eigenen Vulnerabilität ansteigt. Aus der Sicht der vermeidlich vulnerablen Person kommt es in diesem Moment möglicherweise zu einer Überprotektion durch die beschützende Person und die Meinung der vermeidlich vulnerablen Person wird möglicherweise nicht gehört. Dies könnte zu Konflikten innerhalb der An- und Zugehörigen führen und ebenfalls die Vulnerabilität der Einzelnen erhöhen.56
Die deskriptive Forschung des Teams um Frau Maxwell zeigt einen Vergleich zwischen den Wahrnehmungen der Intensivpflegenden und den An- und Zugehörigen der betroffenen Menschen in Bezug auf die Bedürfnisse dieser. Bei 31 von insgesamt 60 erfragten Bedürfnissen, die auf denen des Wolter and Leske’s Critical Care Family Needs Inventory und des Warren’s Needs Met Inventory beruhen, konnte ein statistisch signifikanter Unterschied (p ≤ .050) zwischen den Antworten der An- und Zugehörigen und Intensivpflegenden ermittelt werden.57 Auf die offene Frage, was helfen könnte, den Bedürfnissen von An- und Zugehörigen betroffener Menschen auf Intensivstation gerecht zu werden, antworteten diese unter anderem: Mitgefühl, beantwortete Fragen, flexible Besuchszeiten, Übernachtungsmöglichkeiten, Geistliche, spirituelle und emotionale Unterstützung, Telefone, Privatsphäre, aber auch fürsorgliche Pflegende.58
[...]
1 Vgl. Brock, A.; Kany, A.; Knipfer, E. (2018), S. 12.
2 Vgl. Lauster, M. u.a. (2014), S. e1400.
3 Vgl. Messall, A.; Stein, U. (2017), S. 31.
4 Vgl. ebd. (2017), S. 31.
5 Vgl. Großbichler, T.; Nagl-Cupal, M. (2019), S. 10.
6 Vgl. Pschyrembel online (2016), s.v. Vulnerabilität.
7 Vgl. Duden online (2020), s.v. Vulnerabilität; vulnerabel; Bezugsperson.
8 Vgl. Duden online (2020), s.v. Vulnerabilität; vulnerabel; Bezugsperson.
9 Vgl. Schrems, B.M. (2020), S. 14.
10 Vgl. Rogers, A.C. (1997), S. 65.
11 Vgl. Schrems, B.M. (2020), S. 14.
12 Vgl. Huth, M. (2016), S. 281.
13 Vgl. Schrems, B.M. (2020), S. 15.
14 Vgl. Huth, M. (2016), S. 292.
15 Vgl. Schrems, B.M. (2020), S. 15.
16 Vgl. Rogers, A.C. (1997), S. 66.
17 Vgl. Schrems, B.M. (2020), S. 15.
18 Vgl. Rogers, A.C. (1997), S. 66.
19 Vgl. ebd. (1997), S. 67.
20 Vgl. ebd. (1997), S. 67.
21 Vgl. Schrems, B.M. (2020), S. 20.
22 Vgl. Rogers, A.C. (1997), S. 68.
23 Vgl. Schrems, B.M. (2020), S. 19.
24 Vgl. ebd. (2020), S. 19 f.
25 Vgl. Wild, V. (2014), S. 298.
26 Vgl. Schrems, B.M. (2020), S. 20.
27 Vgl. Egle, U.T. u.a. (2016), S. 1247 ff.
28 Vgl. ebd. (2016), S. 1252.
29 Vgl. Fiddler, M. u.a. (2004), S. 375.
30 Vgl. ebd. (2004), S. 372.
31 Vgl. Egle, U.T. u.a. (2016), S. 1247.
32 Vgl. World Health Organization (o.J.), www.who.int (Stand: 07.02.2021).
33 Vgl. Pschyrembel online (2018), s.v. Angehöriger.
34 Vgl. Feichtner, A. (2014), S. 181.
35 Vgl. Duden online (2020), s.v. Vulnerabilität; vulnerabel; Bezugsperson.
36 Vgl. Feichtner, A. (2014), S. 182.
37 Vgl. Cambridge Dictionary Online (2014), s.v. family; relative.
38 Vgl. Cambridge Dictionary Online (2014), s.v. family; relative.
39 Vgl. Simon, M. (2017), S. 190.
40 Vgl. Oechsle, K. u.a. (2019), S. 1.
41 Vgl. Münch, U. u.a. (2020), S. 307
42 Vgl. Baumhover, N.C.; May, K.M. (2013), S. 130.
43 Vgl. Lauster, M. u.a. (2014), S. e1399.
44 Vgl. Melissaki, A. u.a. (2000), S. P235.
45 Vgl. American Psychological Association (2011), https://www.apa.org (Stand: 04.03.2021).
46 Vgl. Melissaki, A. u.a. (2000), S. P235.
47 Vgl. Wåhlin, I.; Ek, A.-C.; Idvall, E. (2009), S. 2583.
48 Vgl. ebd. (2009), S. 2582.
49 Vgl. ebd. (2009), S. 2582 f.
50 Vgl. ebd. (2009), S. 2586.
51 Vgl. Quinn, J.R. u.a. (2012), S. 3.
52 Vgl. ebd. (2012), S. 4.
53 Es wurde versucht, mithilfe eines Genderwörterbuchs die beschriebenen Rollen in eine geschlechtsneutrale Sprache zu übersetzen. Jedoch ist dies für einige Rollen nicht möglich gewesen.
54 Vgl. Quinn, J.R. u.a. (2012), S. 10.
55 Vgl. ebd. (2012), S. 7 f.
56 Vgl. ebd. (2012), S. 7.
57 Vgl. Maxwell, K.E.; Stuenkel, D.; Saylor, C. (2007), S. 370.
58 Vgl. ebd. (2007), S. 373.