In dieser Hausarbeit wird die Zusammensetzung des Ambraser Korallenkabinetts, seine Verbindung zum Meer und die Rolle des Sammelstücks in der Kunst- und Wunderkammer genauer beleuchtet. Dazu ist es nötig, das Werk in seiner materiellen Zusammensetzung sowie auf seine ikonischen Inhalte zu untersuchen. Das Ambraser Korallenkabinett ist ein wunderbares Beispiel für die Sammelleidenschaft der Renaissance und Frühen Neuzeit. Kunstkammern und Raritätenkabinette wurden von Adel und Bürgertum angelegt. Auch Schätze aus dem Meer wurden dabei verarbeitet. Korallen, Perlen und Muscheln als gezähmte Teile eines unbezwingbaren Elements. Welche Verbindung hat das Korallenkabinett des Ambraser Schlosses zum Meer?
In Kapitel Zwei wird zunächst das Kunstobjekt mit den darin befindlichen Elementen beschrieben und seine Materialien analysiert. Im Anschluss daran wird die Entstehungsgeschichte des Ambraser Korallenkabinetts erörtert und die Veränderungen des Objekts von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zu seinem heutigen Zustand untersucht, wobei die Werkelemente genauer beschrieben werden und eine erste Deutung erfolgt. Im dritten Kapitel wird das Hauptmaterial, die Koralle, in ihrer mythologischen wie auch ikonographischen Bedeutung betrachtet, während in Kapitel Vier der Zusammenhang von den Kunst- und Wunderkammern, der Weltanschauung der Renaissance und des Sammelns von Korallen eruiert werden soll. Im fünften Kapitel erfolgt die Verknüpfung des Werkes und seiner einzelnen Bestandteile mit der frühneuzeitlichen Wahrnehmung des Meeres.
Inhalt
1. Einleitung
2. Das Ambraser Korallenkabinett
2.1 Beschreibung des Werkes
2.2. Entstehungstheorie
2.3. Veränderungen und Inhalte des Kabinetts
3. Die Koralle zwischen Mystik und Christentum
4. Korallen in der Wunderkammer Erzherzog Ferdinands II. zu Tirol
4.1 Wunderkammern der Renaissance
4.2 Die Faszination Koralle
5. Das Kabinett und das Meer
6. Fazit
Abbildungsverzeichnis
Abbildungen
Literatur
1. Einleitung
Beim ersten Blick auf das wunderlich anmutende Ambraser Korallenkabinett kann man unmöglich alle Eindrücke des Kunstwerkes auf einmal verarbeiten, zu viele Details sind darin verarbeitet, als dass sie alle gleichzeitig vom Betrachter wahrgenommen werden könnten. Schillerndes Perlmutt, strahlendes Gold und intensives Rot wollen vom Auge nicht nur gesehen, sondern auch erkannt werden. Denn das auf Schloss Ambras in Tirol ausstehende Kabinettschränckchen ist mehr als ein detailreiches Sammelstück der Frühen Neuzeit, welches verschiedene, kunstvoll drapierte Materialen aus dem Meer zu einem Kunstwerk vereint: Es ist ein Stück Geschichte, welches durch seine tiefsinnigen Inhalte die Gesellschaft der Renaissance im deutschsprachigen Raum verkörpert. Die künstlerisch bearbeiteten Muscheln und Korallen bilden den genau untersuchten Hauptteil des Jahrhunderte altem Kabinettkastens, dessen Herkunfts- und Entstehungsgeschichte bis heute nicht mit Sicherheit geklärt werden konnte. Ebenso ist nicht zu sagen, welches mythologische Programm die Korallen einst wiedergaben und welche Bedeutung das Kabinett zu Zeiten Ferdinands II zu Tirol in sich trug. Der Erzherzog von Österreich errichtete mit seiner Sammlung in der Kunst- und Wunderkammer ein bedeutendes, frühes Museum auf dem Wohnsitz seiner Ehefrau Phillipine Welser und den gemeinsamen Kindern, das heute ein Sinnbild der frühneuzeitlichen Naturanschauung und Forschungslust ist.1 Mehrere seiner Exponate beinhalten Meeresmaterialien oder sind einzelne Objekte aus den Tiefen der See. In dieser Hausarbeit wird die Zusammensetzung des Ambraser Korallenkabinetts, seine Verbindung zum Meer und die Rolle des Sammelstücks in der Kunst- und Wunderkammer genauer beleuchtet. Dazu ist es nötig, das Werk in seiner materiellen Zusammensetzung sowie auf seine ikonischen Inhalte zu untersuchen. In Kapitel Zwei wird daher zunächst das Kunstobjekt mit den darin befindlichen Elementen beschrieben und seine Materialien analysiert. Im Anschluss daran wird die Entstehungsgeschichte des Ambraser Korallenkabinetts erörtert und die Veränderungen des Objekts von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zu seinem heutigen Zustand untersucht, wobei die Werkelemente genauer beschrieben werden und eine erste Deutung erfolgt. Im dritten Kapitel wird das Hauptmaterial, die Koralle, in ihrer mythologischen wie auch ikonographischen Bedeutung betrachtet, während in Kapitel Vier der Zusammenhang von den Kunst- und Wunderkammern, der Weltanschauung der Renaissance und des Sammelns von Korallen eruiert werden soll. Im fünften Kapitel erfolgt die Verknüpfung des Werkes und seiner einzelnen Bestandteile mit der frühneuzeitlichen Wahrnehmung des Meeres. Die aktuelle Forschungslage zum Werk selbst bietet dabei einen einseitigen und eingefahrenen Blick auf das Ambraser Korallenkabinett, nur wenig Literatur befasst sich mit dem Werk allein und noch weniger Schriften gehen auf die tiefere Bedeutung der Komposition und ihrer einzelnen Bestandteile ein. Die Verbindungen zum Meer, welche sich in dieser Arbeit als zahlreich ergeben, wurden in der zu Rate gezogenen Literatur nicht vertieft, Deutungsansätze beziehen sich stofflich und inhaltlich häufiger auf christliche Verbindungen und das mythologische Programm in seiner Reinform. Im Folgenden soll nun ein Blick auf die Bedeutung des Meeres in der Kunst und seine Wahrnehmung in der Frühen Neuzeit anhand des Ambraser Korallenkabinetts geworfen und die Frage beantwortet werden, was das Korallenkabinett mit dem Meer verbindet und welche Bedeutung das Meer im Werkkontext einnimmt. .
2. Das Ambraser Korallenkabinett
Zwischen den zahlreichen Ausstellungsstücken in der Wunderkammer auf Schloss Ambras scheint das Korallenkabinett auf den ersten Blick kein herausragendes Einzelobjekt zu sein, reiht es sich doch in eine Vielzahl von kostbaren und fein gearbeiteten Werken ein. Bei genauerer Betrachtung ist es jedoch ein detailreiches Gesamtkunstwerk mit liebevoller Gestaltung und handwerklicher Raffinesse, welches auch den Sinn von Kunst- und Wunderkammern verständlich macht.
2.1 Beschreibung des Werkes
Das Korallenkabinett (Abb.1) wurde vermutlich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Süddeutschland mit Materialien aus Genua gefertigt. Der 66cm hohe, 55cm breite und 56,2cm tiefe Holzkasten besitzt eine Glasfront und schützt das kunstvolle Sammelsurium aus Muscheln, Korallen, Glas, Gold, Bronze und Perlen in seinem Inneren. Ausgeschlagen ist der Kabinettkasten mit goldgefasstem schwarzem Samt, welcher die Rück- und Seitenwände verkleidet. Vor diesem dunklen Hintergrund befindet sich eine aus perlmuttenen und teilweise in Gold gefassten Muscheln drapierte Landschaft. Vordergründig umschließen Muscheln eine bühnenartige Glasfläche, auf welcher verschiedene Korallenschnitzfiguren platziert sind. Dahinter erhebt sich ein Muschelberg, welcher mittig eine Grotte beherbergt und auf dessen Gipfel ein prominenter Edelkorallenast mit einem geschnitzten Kruzifix des gleichen Materials thront. Dieses wird an den Seiten von zartrosafarbenen Korallenästen, sogenannten Engelshäuten, gerahmt. Seitlich von diesen säumen weitere Edelkorallen die Ausläufer des Muschelberges in Richtung der Grotte, neben welcher sich wiederum pro Seite ein kleinerer Korallenast befindet. Jeweils vor diesen beiden Edelkorallen ist ein aus grünem Glas gefertigtes grasähnliches Gewächs platziert. An den Schrankseiten, über jeweils einem Spiegelglas, sind Muschelbalkone mit je einem Edelkorallenast angebracht. Auf der umrahmten Glasfläche befindet sich mittig die Schale einer Nautilusschnecke mit einer Frauenfigur aus Edelkoralle, welche eine Perlenkette um den Hals trägt. Hinter dieser sind ein Zentaur und ein Kind platziert, als würden sie gerade aus der Grotte heraustreten. Um diesen Mittelpunkt herum befinden sich weitere korallene Schnitzfiguren, die allesamt dem Thema Meer verhaftet sind. Neben und vor der Muschel schwimmen Delphine, drachenartige Meereswesen mit teilerhaltenen Reitern und zur Front gerichtete Hippokampen. Auf dem linken Muschelvorsprung sitzt eine bronzene Eidechse, auf dem rechten eine korallene Amphore, ebenso mittig auf dem Muschelberg. Die detailreiche Landschaft wird durch die seitlichen Spiegel noch vergrößert, eine ozeanische Weite soll angedeutet und das Element Wasser simuliert werden, was ebenfalls durch die Glasschicht unter den Figuren erfolgt. Der bühnenartige Aufbau und die wie Logen anmutenden Muschelbalkone vermitteln den Eindruck eines Theaters. Dieser Eindruck wird durch die seitliche Betrachtung des Kabinetts noch verstärkt, erscheint die muschelumrandete Glasfläche doch wie eine Bühne (Abb.2) und die Grotte im Hintergrund wie ein großangelegtes Bühnenbild. Wahrscheinlich sollte eine Belebung der Wasserwelt durch die in dynamischen Posen geschnittenen Korallenfiguren erreicht werden.
Die Optik des Kabinetts ist wesentlich durch das schillernde Perlmutt und die vergoldeten Muschelränder geprägt. Das Einfassen von Naturmaterialien in Gold oder andere Edelmetalle war in der Renaissance und vor allem im späteren Barock sehr beliebt, es galt als Zeichen der Könnerschaft des Kunsthandwerkers, zudem wurde durch dieses Verfahren eine enorme Wertsteigerung bloßer oder verarbeiteter Materialien erreicht.2 Die Inspiration zur Darstellung einer Grotte kam wahrscheinlich von den begehbaren italienischen Grotten3, die im 16. und 17. Jahrhundert bei der Gartengestaltung errichtet wurden. Sie dienten als künstlerisch gestalteter Erholungsort und wurden unter anderem mit Naturmaterialien wie Muscheln geschmückt. Auch im nicht mehr erhaltenen Renaissancegarten Ferdinands II. auf Schloss Ambras wurde eine Grotte errichtet, die Erste ihrer Art nördlich der Alpen.4
2.2. Entstehungstheorie
Die in der Renaissance verarbeiteten Korallen stammen weitestgehend aus dem Mittelmeer, viele aus dem sizilianischen Trapani, einer Hochburg des Korallenschnitts und der Fertigung christlicher Korallenfiguren. Anders ist es mit den Korallen Ferdinands, die höchstwahrscheinlich in Genua erstanden wurden. Für Korallen mit Kreuzigungsszenen wiederum kommt auch ein Steinschneider aus Landshut in Frage, der für verschiedene Werke die Korallenfiguren beigesteuert haben soll. Diese Annahme stützt sich auf das Inventar Herzog Wilhelms V. von Bayern, der wie Ferdinand zahlreiche Korallen, Artificialia und Kabinette besaß. Für das Ambraser Korallenkabinett selbst liegen allerdings keine konkreten Schriftbelege für Erwerb oder Künstleraufträge vor. Es gilt jedoch als gesichert, dass die Zusammenfügung der einzelnen Werkstoffe im süddeutschen Raum stattfand. Für Nürnberg sprechen die bronzene Eidechse, welche dem Nürnberger Jamnitzerkreis zuzurechnen ist, sowie ein 1577 entstandenes Werk des in Nürnberg ansässigen Goldschmiedes Elias Lenker, welches auf dieselbe Weise vergoldete Perlmuttmuscheln und Naturalien nutzt, wie das Korallenkabinett von Ambras. Ein anderer möglicher Entstehungsort ist Innsbruck selbst, was durch die Glasgewächse gestützt wird, welche in ähnlicher Form auf den Innsbrucker Glasbildern von Schloss Ambras vorkommen. Ein Vergleich mit dem Inventar Wilhelms V. unterstützt diese Annahme.5
2.3. Veränderungen und Inhalte des Kabinetts
Der heutige Zustand des Kabinetts entspricht nicht mehr dem Original, welcher im Inventar von 1596 festgehalten wurde. In diesem sind sieben Kabinettschränke notiert. Den Notizen ist zu entnehmen, dass sich früher um die Frau in der Nautilusschale vier weitere Figuren befanden, welche im heutigen Objekt nicht mehr erhalten sind. Hinzugefügt wurden hingegen der Zentaur und das Kind vor der Grotte sowie der Korallenast mit Kruzifix. Sie stammen möglicherweise aus anderen, aufgelösten oder zerstörten Kabinettschränken und wurden vor dem zweiten Inventar 1788 integriert. Die ursprüngliche Bedeutung der Figuren im Korallenkabinett ist daher heute nicht mehr nachzuvollziehen. Für die mythologische Besetzung des Kabinetts sind zwei Szenarien denkbar, die im Original dargestellt gewesen sein könnten. Einerseits die Schaumgeborene Venus, andererseits der Triumphzug der Galatea.6 Dieses mythologische Programm scheint im Vergleich mit der bekannten Umsetzung des Themas durch Raffael im Jahre 1514 (Abb.3) durchaus realistisch. Wie man im Korallenkabinett erkennen kann, ist ein nach hinten wallender Schleier der weiblichen Figur ersichtlich, was in der Darstellungstradition der Galatea verankert ist. Vielfach nutzt sie den Schleier als Segel, während sie von einem oder mehreren Delphinen davongetragen wird. Raffael malte sie im von Delphinen gezogenen Muschelwagen und umstellt sie mit Hippokampen, Nereiden und Zentauren7. Das mehrere Jahrzehnte später erstellte Kabinett weist Teile dieser Figurenkombination auf und deutet mit der Positionierung der Frauengestalt in der Nautliusschnecke, flankiert von Delphinen, durchaus einen Muschelwagen an. Der Darstellungsoption der Galatea steht die der Venus Marina oder Aphrodite Anadyomene gegenüber. Die aus dem Meer schaumgeborene Venus kann ebenfalls auf Fahrt über die Wellen dargestellt werden, oftmals auf einer Muschel stehend oder liegend, wie auch Botticelli es um 1488 (Abb.4) malte. In der Darstellungskonvention werden der Nackten zudem verschiedene Meeres- und Mythenwesen zur Seite gestellt, die zusätzlich auf das Meer verweisen.8 Nicht vergessen werden darf jedoch, dass die Frauengestalt nicht immer allein in der Nautilusschale stand. Wie bereits erwähnt, wurden 1596 noch vier weitere Gestalten in der Muschel erwähnt. Ob es sich dabei um Staffagefiguren oder Bedeutungsträger handelte, ist nicht bekannt.9 Bei Betrachtung des heutigen Zustandes haben beide Interpretationen des Programms im Ambraser Korallenkabinett ihren Anspruch auf Korrektheit, bisher konnte die Forschung jedoch nicht eindeutig klären, ob die Galatea oder die Venus dargestellt ist und welche Bedeutung das Szenario auf den zeitgenössischen Betrachter hatte. Sicher ist jedoch, dass das in der Frühen Neuzeit aufblühende Antikenstudium das Interesse an mystischen Inhalten befeuerte und sich über viele Lebensbereiche der Bildungsschichten ausbreitete. Die Götter und Heroen der Antike dienten manchen Herrschern als neue Identifikationsfiguren, mit denen sie sich auch öffentlich in Verbindung brachten. Dabei sollten die mythischen Attribute auch auf den Herrscher übertragen werden, was Respekt einflößte und Macht darstellte. Auch die drapierte Grotte verdient einen zweiten Blick, sie wird im heutigen Zustand, in Verbindung mit dem Kruzifix, oft als ein Hinweis auf das Christentum gelesen, waren diese unterirdischen Räume doch Treff- und Rückzugspunkte der ersten Christen. Da das Kruzifix jedoch nachträglich eingefügt wurde, scheint eine andere Erklärung plausibler. Es ist von einer bewussten Hinwendung zum Grottenmotiv auszugehen, wahrscheinlich in Bezug auf das Verborgene, was in der Erde und der Dunkelheit der Grotte wartet. Damit war der Grotte möglicherweise eine inhaltliche Bedeutung über die des Bühnenbildes hinaus gegeben, welche heute nicht mehr klar zu erkennen ist.10
Das später hinzugefügte, erhöht positionierte Kruzifix lässt sich möglicherweise als Triumph des Christentums über die heidnischen Mythen der Antike verstehen, hierzu brachte die zu Rate gezogene Literatur jedoch keine Aufklärung.
3. Die Koralle zwischen Mystik und Christentum
Korallen haben über die Grenzen der Kulturen hinaus eine über Jahrtausende hinweg bestehende Faszination und Bedeutung für die Menschheit, welche sich in der Antike und erneut in der Renaissance hoher Beliebtheit erfreute. Diese geht auf den Entstehungsmythos und die daraus resultierenden Zuschreibungen zurück. Nach der griechischen Mythologie ist die Koralle das versteinerte Blut Medusas. Als Perseus der Gorgo, deren Blick alles versteinert, das Haupt abschlug, fielen Blutstropfen ins Meer und wurden augenblicklich zu den roten Korallen.11 Ein anderer Entstehungsmythos besagt, dass Meeresgewächse, auf welche Perseus das abgeschlagene Medusenhaupt legt, augenblicklich versteinerten.12 Medusa selbst war eine Tochter der Meeresgottheiten Phorkys und Keto, was den Bezug der Koralle zum Meer über den bloßen Lebensraum hinaus anhebt.13 Durch die versteinernde Wirkung des Medusenblicks soll die Koralle als Aprotopäum gegen den bösen Blick, Zauberei und Unheil schützen. Da sie auch mit Leben signalisierendem Blut verknüpft ist, werden ihr zudem belebende und heilende Kräfte zugesprochen. Vor allem bei Kindern wurde diese Schutzfunktion genutzt, durch Schmuckstücke und Spielzeuganhänger aus dem kostbaren Material sollte ihr wachsender Körper vor Krankheiten geschützt werden und ihr junges Leben Stärkung erfahren. So finden sich neben zarten Armbändern und Ketten auch Korallenrasseln (Abb.5) für die Kleinsten.14 Dieser Brauch hat sich auch im Christentum erhalten. Die Blutmetapher wurde christlich umgedeutet, die rote Farbe der Korallen war eine Verbindung zum Blute Christi. Ihre in der Antike zugesprochenen Schutz- und Heilwirkungen behielt die Koralle auch für die Christen des Mittelalters und der Renaissance bei. Sogar das Jesuskind selbst wurde mit schützenden Korallenamuletten dargestellt, etwa bei Pireo della Francesca 1474 in seinem Werk Pala Montefeltro (Abb.6), in Deutschland auch bekannt als Madonna mit Kind und Heiligen und dem Stifter Frederico de Montefeltro. Auf vielen frühneuzeitlichen Portraitgemälden sind Kinder in gleicher Tradition mit Korallenamulett oder Talisman dargestellt.15 Der Trend zum Korallenamulett wurde in der Renaissance durch Ferdinand von Neapel aus Italien über Europa verbreitet. Der Monarch trug stets einen Talisman aus Edelkoralle bei sich um ihn zum Schutze seiner Unversehrtheit und gegen böse Wünsche vorsorglich auf die Leute in seiner Umgebung zu richten.16 Auch in der Beziehung zwischen Mensch und Natur nahm die Koralle einen besonderen Platz ein. Sie wurde als Offenbarung der Schönheit der Natur gesehen und galt als Symbol einer mit dem Menschen friedlich verbundener Natur, die ihre kunstvollen Schätze mit ihm teilte.17
4. Korallen in der Wunderkammer Erzherzog Ferdinands II. zu Tirol
Ferdinand II. war nördlich der Alpen mit Herzog Albrecht V. von Bayern der erste Sammler von Wunderdingen und eröffnete zehn Jahre nach Albrecht, im Jahre 1573, seine Wunderkammer auf Schloss Ambras.18 Es war der erste Gebäudekomplex, der zielgerichtet als Ausstellungsraum konzipiert und errichtet wurde. 20 Schränke beinhalteten die Sammelstücke, in strenger Hierarchie waren sie nach Materialien von Gold bis Holz sortiert.19 Ferdinand II. verfügte über den zugleich ältesten und größten Bestand an Korallen. In natürlicher und bearbeiteter Form standen sie für sich als Exponat oder waren in den Korallenkabinetten drapiert.20
4.1 Wunderkammern der Renaissance
Anfang des 16. Jahrhunderts entstanden die ersten Wunderkammern aus humanistischem Bildungsinteresse, ihren Anfang nahmen sie mit der Renaissance von Italien aus und verbreiteten sich in ganz Europa. Ihr Sinn war eine umfassende Abbildung der Welt, ein als Mikrokosmos sammelbar und betrachtbar gemachter Makrokosmos, ganz im Zeichen des anthropozentrischen und humanistischen Weltbildes.21 Die Kunst- und Wunderkammern waren „wahrhaft enzyklopädische Gebilde […], in [denen] alles, was Gott schuf, erhalten und studiert werden konnte“22, wobei die Erforschung der Naturgeschichte ein übergeordnetes Ziel der Sammler war. In der Renaissance bedeutete dies jedoch keine Erforschung der Herkunft und Genese der Objekte, sondern eine peinlich genaue Beschreibung ihres aktuellen Zustandes, Stoffzusammensetzung, Gegebenheiten und Auffälligkeiten.23 Das Sammeln wunderbarer und kostbarer Gegenstände war zudem ein elitäres Unternehmen. Exotische Materialien dienten zur Wertsteigerung oder Huldigung anderer Gegenstände, wie etwa zur Verzierung von Reliquienaufbewahrungen. Andererseits ging von ihne eine solche Faszination aus, dass sie um ihrer Selbst willen gesammelt wurden. Die humanistisch gebildete Elite des Europas im Renaissancezeitalter profilierte sich über die Rarität und damit den Wert ihrer Kunstschätze und Wunderwerke, symbolisierte deren Wert doch auch nach außen den Reichtum und die Macht des Besitzers.24 Üblicherweise wurden in den Kammern neben Naturalien auch Artificialia gesammelt, zu Artefakten verarbeitete Naturmaterialien. Ebenso waren besonders feingliedrige und wunderbare, nie zuvor gesehene Dinge, sogenannte Mirabilia, und Exotica, ethnographische Objekte anderer Kulturen, beliebte Sammelobjekte. Auch die Wissenschaft wurde sammelbar, die Scientifica verordneten technische Apparaturen in den Sammlungen. Besonders faszinierend waren wunderliche Naturalien, da sie die bekannte Weltordnung auf unerklärliche Weise verdrehten und die Wissbegierigen das Staunen lehrten. Als Kuriosität befeuerten sie die Forschungslust der Naturgeschichte und wurden für ihre wertgebende Besonderheit geschätzt.25 In der Wunderkammer Ferdinands II. fanden sich zu Hochzeiten in den überwiegend den Artificialia zuzuordnenden Gegenständen 12 Kabinettkästen mit verschiedenen Werken aus Korallen.26
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1 Vgl. Seipel 2008, S.9f.
2 Vgl. Beßler 2012, S.30ff.
3 Vgl. Scheicher 1979, S.112.
4 Vgl. König 2002, S. 38ff.
5 Vgl. Scheicher 1979, S.112f.
6 Vgl. Sandbichler 2008, S.108.
7 Vgl. Aghion et al. 2000, S.121 f.
8 Vgl. Ebd., S.44f.
9 Vgl. Scheicher 1995, S.117f.
10 Vgl. Beßler 2012, S.33 f.
11 Vgl. Scheicher 1995, S.30f.
12 Vgl. Rauch 2008, S.104.
13 Vgl. Aghion et al. 2000, S.127f.
14 Hansmann/ Kriss-Rittenbeck 1966, S.41f.
15 Vgl. Beßler 2012, 33f.
16 Vgl. Hansmann/ Kriss-Rettenbeck 1966, S.43f.
17 Vgl. Bredekamp 2005, S.62.
18 Vgl. Seba 2001, S.10.
19 Vgl. Bredekamp 2002, S.38 f.
20 Vgl. Sandbicher 2008, S.106.
21 Vgl. Seba 2001, S.10 f.
22 Scheicher 1979, S.12.
23 Vgl. Bredekamp 2002, S.16.
24 Vgl. Daston/ Park 1998, S.80 ff.
25 Vgl. ebd. 1998, S.323.
26 Vgl. Beßler 2012, S. 32ff.