Die vorliegende Hausarbeit soll sich im Kern mit dem Einfluss von Peergroups auf jugendliche Migranten und Migrantinnen beschäftigen. Primäres Interesse wird darauf ausgerichtet sein, herauszufinden, ob Peergroups das Bildungsverhalten von Jugendlichen mit Migrationshintergrund fördern. Im Rahmen dieser Ausarbeitung wird sich auf heranwachsende Migranten/-innen mit türkischem Migrationshintergrund konzentriert, deren Großeltern/Eltern im Zuge der "Gastarbeiterbewegung" ab 1950 nach Deutschland kamen.
Zu Beginn soll hierfür zunächst die soziale Bezugsgruppe der Peergroup vorgestellt und definiert werden. Darauffolgend soll detailliert auf die Peergroup als Sozialisationsinstanz im Jugendalter näher eingegangen werden. Hierbei werden die Gründe für die Hinwendung zu einer Peergroup benannt. Darüber hinaus werden auch die Wirkung und der Einfluss solcher Zusammenschlüsse auf Jugendliche (mit Migrationshintergrund) thematisiert. Im Anschluss daran wird die Rolle der Peergroup im Rahmen des schulischen und familiären Umfelds thematisiert, um, darauf aufbauend, Rückschlüsse auf den Bildungserfolg jugendlicher Migranten/-innen vornehmen zu können. In einem Fazit sollen dann schließlich die Ergebnisse dieser Arbeit zusammengefasst und formuliert werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Peergroup als wichtige Säule im Prozess des Älterwerdens
2.1 Begriffsdefinition
2.2 Die Peergroup als wichtige Sozialisationsinstanz
2.2.1 Gründe für die Hinwendung zu einer Peergroup
2.2.2 Wirkung und Einfluss von Peergroups auf Jugendliche
2.2.3 Bedeutung der Peergroup für jugendliche Migranten und Migrantinnen
3. Der Einfluss der Peergroup auf die Sozialisationsinstanzen Schule und Familie
3.1 Die Peergroup im Zusammenhang der Familie
3.2 Die Peergroup im Zusammenhang der Schule
3.2.1 Die Auswirkungen der Peergroup auf den Bildungserfolg jugendlicher Migranten und Migrantinnen
4. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Jugendliche mit Migrationshintergrund drängen seit den 1970er Jahren verstärkt in den öffentlichen Diskurs aufgrund ihres geringen schulischen Bildungserfolgs. Junge Migran- tinnen und Migranten schneiden im Bildungssystem und bei der Kompetenzentwicklung unterdurchschnittlich ab, wohingegen ihre Schulabbrecherquote überdurchschnittlich hoch ist (vgl. Hummrich, 2009, S. 20). Nicht zuletzt sind die Ergebnisse der Schulleistungsstudien PISA und IGLU ausschlaggebend dafür, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Bildungserfolg beziehungsweise Bildungsmisserfolg von Kindern und Heranwachsenden mit Migrationshintergrund sich überwiegend an der Identifikation der Ursachen, die für den mangelnden Bildungserfolg verantwortlich sind, orientiert. Innerhalb der letzten Jahre wurde die schulische Bildung von heranwachsenden Migrantinnen und Migranten vor allem unter dem Aspekt der Bildungsbenachteiligung beleuchtet und somit der Misserfolg ins Zentrum gestellt.
Nur sehr wenige Studien (Hummrich, 2009; Tepecik, 2010; Sievers, Griese & Schulte, 2010) zeigen Bildungserfolge von Migrantenjugendlichen in Deutschland auf und setzten sich nur bedingt mit den Faktoren auseinander, die ihre schulische Laufbahn begünstigen. Aus diesem Grund richtet sich das vordergründige Interesse dieser Arbeit auf diejenigen Faktoren, die das Bildungsverhalten von Migranten und Migrantinnen beeinflussen. Untersucht werden in diesem Zusammenhang die drei Sozialisationsinstanzen Familie, Schule und Peergroup, wobei Letztere im Zentrum dieser Ausarbeitung steht.
Die vorliegende Hausarbeit soll sich im Kern mit dem Einfluss von Peergroups auf jugendliche Migranten und Migrantinnen beschäftigen. Primäres Interesse wird darauf ausgerichtet sein, herauszufinden, ob Peersgroups das Bildungsverhalten von Jugendlichen mit Migrationshintergrund fördern. Im Rahmen dieser Ausarbeitung wird sich auf heranwachsende Migranten/-innen mit türkischem Migrationshintergrund1 konzentriert, deren Großel- tern/Eltern im Zuge der „Gastarbeiterbewegung“ ab 1950 (vgl. Seifert, 2012) nach Deutschland kamen.2 Zu Beginn soll hierfür zunächst die soziale Bezugsgruppe der Peergroup vorgestellt und definiert werden. Darauffolgend soll detailliert auf die Peergroup als Sozialisationsinstanz im Jugendalter näher eingegangen werden. Hierbei werden die Gründe für die Hinwendung zu einer Peergroup benannt. Darüber hinaus werden auch die Wirkung und der Einfluss solcher Zusammenschlüsse auf Jugendliche (mit Migrationshintergrund) thematisiert. Im Anschluss daran wird die Rolle der Peergroup im Rahmen des schulischen und familiären Umfelds thematisiert, um, darauf aufbauend, Rückschlüsse auf den Bildungserfolg jugendlicher Migranten/-innen vornehmen zu können. In einem Fazit sollen dann schließlich die Ergebnisse dieser Arbeit zusammengefasst und formuliert werden.
2. Die Peergroup als wichtige Säule im Prozess des Älterwerdens
Peergroups werden in der Jugendforschung meist positiv konnotiert und als wichtige Ressource betrachtet, die bei der Überwindung von Hindernissen im Prozess des Älterwerdens notwendig sind (vgl. Ecarius, Hößl & Berg, 2012, S. 161). Gleichaltrigen wird somit eine maßgebliche sozialisatorische Bedeutung beigemessen, denn sie „eröffnen [...] vielen Jugendlichen in soziokultureller Hinsicht kompetente Teilnahme- und Selbstverwirklichungschancen“ (Ferchhoff, 2007, S.344f.) und stellen „jugendspezifische und selbstsozi- alisatorische Freiräume“ (ebd., S. 345) zur Verfügung. Zudem haben Peers nach Hurrelmann & Quenzel (2016) eine besondere Relevanz für die Entwicklung sozialer Kompetenzen und sie üben entscheidenden Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung aus (vgl. Hurrelmann & Quenzel, 2016, S. 174). Demnach besteht in der Jugendforschung Konsens dahin gehend, dass „Peergroups als Sozialisationsinstanz den jugendlichen Individuationsprozess positiv unterstützen“ (Ecarius et al., 2012, S. 162).
Allerdings ist es an dieser Stelle notwendig auszuführen, dass der Einfluss von Peergroups nicht nur positiv, sondern auch beeinträchtigend wirken kann (vgl. ebd., S.161). Im Rahmen dieser Ausarbeitung ist es unerlässlich, sich auf den Einfluss der Peergroups hinsichtlich des Schulerfolgs sowie auf eine bestimmte Personengruppe zu beschränken, da alles Weitere den Rahmen sprengen würde. Aus diesem Grund wird der Einfluss der Peergroups auf Delinquenz, Religion, Medien und weitere Bereiche nicht thematisiert. Im Folgenden gilt es, der Frage nachzugehen, welche Position und Aufgabe die Peergroup im Hinblick auf den Bildungserfolg von jugendlichen Migranten und Migrantinnen einnimmt. Zunächst ist es jedoch erforderlich, den Begriff „Peergroup“ zu definieren.
2.1 Begriffsdefinition
Der Begriff „Peergroup“ oder „Peers“ stammt aus dem Englischen und bedeutet Gruppe von Gleichaltrigen bzw. Gleichgestellten. Dabei handelt es sich meist um „informelle Spiel- und Freundschaftsgruppen von etwa gleichaltrigen Kindern und Jugendlichen“ (Griese, 2016, S. 57), welche die gleichen Merkmale, Interessen und Bedürfnisse teilen. Die Mitglieder einer Peergroup werden als Peers bezeichnet. Im alltäglichen Leben werden statt Peergroup häufiger Begriffe, wie Freundeskreise, Cliquen oder Gang, unter den Jugendlichen verwendet. Es ist notwendig, darauf hinzuweisen, dass mit dem Sammelbegriff „Gleichaltrige“ ganz unterschiedliche soziale Konstellationen angesprochen werden. Diese variieren hinsichtlich ihrer Anzahl sowie der Nähe und Verbindlichkeiten der Peerbeziehungen, worauf im Verlauf des Kapitels noch eingegangen wird. Dennoch erscheint es sinnvoll, dann auf die Heterogenität aufmerksam zu machen, wenn von „den“ Peers gesprochen wird (vgl. Brake, 2010, S. 387.).
Insbesondere im Jugendalter3 wird den Peergroups eine elementare Bedeutung für die „Lern- und Bildungsprozesse, für die Identitätsentwicklung und sexuelle Orientierung“ (ebd.) eines Jugendlichen beigemessen. Sie bieten dem Heranwachsenden beim Übergang von der familienbezogenen und -geprägten Kindheit zum vollen Erwachsensein eine bedeutungsvolle soziale Orientierung und üben eine starke soziale Kontrolle aus (vgl. Hillmann, 1994, S. 659). Demnach helfen Peers Heranwachsenden, die notwendigen Ablö- sungs- und Selbstfindungsprobleme auf dem Weg des Erwachsenwerdens zu bewältigen, und verkörpern neben der Familie und der Schule eine zentrale Sozialisationsinstanz (vgl. Griese, 2016, S. 57).
Peergruppen zeichnen sich durch die gemeinsamen Zielvorstellungen, Interessen und Bedürfnisse ihrer Mitglieder aus. Innerhalb solcher Zusammenschlüsse entwickeln sich freundschaftliche und auch emotionale Beziehungen, in denen Kindern und Jugendlichen freie Entfaltungsmöglichkeiten eröffnet werden. Die Kinder und Jugendlichen einer Peergroup nehmen einander als Bezugspersonen und Teile derselben sozialen Kategorie wahr und begegnen sich auf Augenhöhe. Die Gleichaltrigen stehen sich somit auf demselben Niveau gegenüber, anders als es bei einem Jugendlichen und einem überlegenen Erwachsenen der Fall ist. Sie identifizieren sich mit den Zielen ihrer Gruppe und akzeptieren einander (ebd., S. 58). Peers erleben in solchen Zusammenschlüssen „Unabhängigkeit hinsichtlich bestimmter Wertevorstellungen und Erwartungen der Erwachsenen“ (Hillmann, 1994, S. 659.) Ein weiteres Merkmal der Mitglieder einer Peergroup besteht darin, dass sie sich von anderen und ähnlichen sozialen Gruppierungen abgrenzen. Durch Rituale und Symbole, aber auch durch ihr Selbstverständnis, ihre Intention und Gefühle drücken sie ihr Zusammengehörigkeitsgefühl aus. Da Peergroups informelle beziehungsweise soziale Gruppen sind, ist ihre Zugehörigkeit freiwillig und beruht auf gegenseitiger Zustimmung (vgl. Griese, 2016, S.59).4
Eine Zweierbeziehung, die sowohl im Kindesalter („beste Freundin/bester Freund“) als auch in der Jugend (emotionaler Liebesbeziehung) von zentraler Bedeutung ist, ist grundsätzlich von der Peergroup zu differenzieren (ebd.). Peergroups sind als überschaubare Kleingruppen definiert, wobei Hartmut Griese (2016) darauf hinweist, dass der quantitative Richtwert einer Peergroup in der Soziologie und Sozialpsychologie umstritten ist (ebd., S. 58). Nach Lothar Krappmann (2010) ist ein Peer nach der Qualität der Beziehung von einem Freund zu unterscheiden, denn unter Freundschaft ist eine Beziehung zu verstehen, die sich speziell auf die Person richtet (vgl. Krappmann, 2010, S. 200). Ein Peer kann allerdings zu einem Freund werden, sodass eine dyadische Beziehung zustande kommt (Krappmann, 1991, S. 365.)
Wie bereits oben erwähnt, stellt die Peergroup neben der Schule und der Familie eine wichtige Sozialisationsinstanz dar. Daher soll im Folgenden auf den Begriff der Sozialisation im Rahmen der Peergroup näher eingegangen werden.
2.2 Die Peergroup als wichtige Sozialisationsinstanz
Zahlreiche Studien (Ecarius, Eulenbach, Fuchs & Walgenbach 2011; Herwartz-Emden, Schurt & Waburg, 2010; Niederbacher & Zimmermann, 2011) belegen, dass die Familie und die Schule zentrale Sozialisationskontexte verkörpern, die das Leben von Heranwachsenden sowohl begleiten als auch beeinflussen (vgl. Ecarius et al., 2011, S. 69). Als grundlegende Sozialisationsinstanz ist die Familie zu qualifizieren, die sowohl im Kindesalter als auch in der Jugendzeit äußerst bedeutsam ist. Zudem ist für die Jugendlichen die Schule als Bildungsinstitution und Sozialisationsinstanz deshalb von großer Relevanz, da sie einen „vielfältigen Lebens-, Erfahrungs- und Entwicklungsraum“ (Herwartz-Emden et al., 2010, S. 97) verkörpert und Peergruppen bereitstellt, wodurch die Möglichkeit der sozialen Entwicklung gewährleistet ist (vgl. Griese, 2016, S. 58). In dieser familiär-schulischen Konstellation wurde dem Sozialisationsbereich Peergroup nur geringe Beachtung geschenkt, wobei dieser heutzutage nicht mehr außen vorgelassen werden darf. Denn die Sozialisierung von Jugendlichen erfolgt heute neben der Familie und der Schule vor allem in jugendlichen Gruppen (vgl. Schröder, 2006, S.173). Durch „sie [die Peergroup] werden kulturelle, soziale, ökonomische und politische Strukturen in die Persönlichkeit ihrer Mitglieder und Nutzer transportiert“ (Hurrelmann, 2002, S. 239). Somit kann der Peergroup „neben [...] Familien und Erziehungs- und Bildungssystemen [...] auch die Funktion der /tertiären Sozialisation‘ zugeschrieben werden“ (ebd.).
Bevor auf die Peergroup als Sozialisationsinstanz detailliert eingegangen wird, soll zunächst der Begriff Sozialisation definiert werden. Sozialisation „ist heute überall dort [...] [zu verzeichnen,] wo die Reform der Erziehung und des Bildungswesens erörtert wird. Man versteht darunter den Prozeß der Integration eines jungen Menschen in die Gesellschaft, in der und zu der er aufwachsen soll [. ] Dieser Prozeß [. ] ist zugleich ein Prozeß der Vergesellschaftung wie auch [.] zunehmender Selbststeuerung [.] Von besonderer Bedeutung für seinen Verlauf und seine Gestalt ist die Gruppe, in der und zu der das Kind heranwächst, deren Sprache, Verhaltensweisen und Lebensverständnis es übernimmt“ (Preising, 1977, S. 465). Bei der Sozialisation handelt es sich demnach um einen zentralen Prozess, der die Integration des Individuums in die Gesellschaft beschreibt.
Im Vergleich zu deutschen Kindern und Jugendlichen haben es Heranwachsende mit Migrationshintergrund wesentlich schwieriger im Hinblick auf ihren Sozialisierungsprozess. Dieses Faktum liegt darin begründet, dass diese Heranwachsende neben ihrer Sozialisierung Akkulturationsleistungen erbringen müssen. Damit ist der Anpassungsprozess an die fremde Kultur im Hinblick auf ihre Wertevorstellung, Sprache, Religion und weitere Bereiche gemeint (vgl. Herwartz-Emden et al., 2010, S.161). Demnach müssen Jugendliche aus anderen kulturellen Kontexten in „aufwendigen Lernprozessen [. ] nicht nur eigene, ihrem Alter angemessene Handlungspraktiken und Orientierungen [erbringen], sie müssen sich zugleich mit der Gesellschaftsordnung, den strukturellen und kulturellen Vorgaben des Aufnahmelandes auseinandersetzen, sich mit jugendkulturellen Orientierungen bekannt machen, sie interpretieren, sich diese aneignen und für sich individuell oder kollektiv in einen handlungsleitenden Bezugsrahmen bringen“ (ebd., S.67). Zölch, King, Koller, Carn- cier & Subow (2009) sprechen in diesem Zusammenhang von einer doppelten Transformationsanforderung (vgl. ebd., S. 69). Besonders große Bedeutung gewinnen dabei die Gleichaltrigen und die Anerkennung durch diese. In solchen Konstellationen werden Einstellungen, Orientierungen, Lebenskonzepte und Identitätsentwürfe erprobt. Herwartz- Emden et al. (2010) konstatieren, dass es in Peergroups durchaus zu ethnischen Separierungen kommen kann, in denen eigenständige Interaktionsmuster entwickelt werden. Zugleich findet aber eine Anpassung an die in Deutschland festgelegten Lebensstile und Werte statt. Heranwachsende, die einen Migrationshintergrund aufweisen, entwickeln in ihren Peergroups einen eigenen jugendkulturellen Lebensstil, mit dem bewussten Ziel der Abgrenzung und Entgegensetzung zu den einheimischen Jugendlichen sowie zu den Jugendlichen anderer Herkunftsländer (vgl. ebd., S.67). Somit können Peers bei der Bewältigung solcher Akkulturationsprozesse durchaus unterstützend wirken. Im Folgenden gilt es jedoch zu untersuchen, ob Peergroups einen positiven oder einen negativen Einfluss auf die schulische Bildungsorientierung von Heranwachsenden mit Migrationshintergrund ausüben. Zuvor müssen allerdings die Gründe für die Hinwendung von Jugendlichen zu einer Peergroup herausgearbeitet werden.
2.2.1 Gründe für die Hinwendung zu einer Peergroup
Mit dem Eintritt in die mittlere Kindheit, die auf den Altersabschnitt zwischen dem 6. und dem 12. Lebensjahr datiert wird, gewinnen Freundschaften zu Gleichaltrigen an Bedeutung (vgl. Herwartz-Emden et al., 2010, S.91). Die Peers bestimmen ab diesem Zeitpunkt über Freizeitgestaltung, Kleidungsstil, Musikvorlieben und werden zu zentralen Ansprechpart- nern/-innen von Heranwachsenden. Sie bieten Unterstützung und Orientierung bei der Bewältigung von zentralen Entwicklungsaufgaben5 (vgl. Kehse. 2015, S.58). In diesem Zusammenhang ist es unerlässlich, nach den Gründen für die Hinwendung zu einer Peergroup zu fragen.
Da sich im Rahmen dieser Ausarbeitung auf die Gruppe der jugendlichen Migranten/- innen konzentriert wird, gilt es, die spezifischen Gründe herauszukristallisieren. Bielefeld, Kreissl und Münster (1982) benennen als zentrales Problem von Jugendlichen mit Migrationshintergrund die Identität. Bedingt durch ihre Herkunft, sind diese Heranwachsenden mit unterschiedlichen identitätsrelevanten Problemen konfrontiert: Die „Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt, die schwierige familiäre Situation und die sich über alle Lebensbereiche erstreckende Diskriminierung in einem Land, das sie sich nicht selbst aussuchen konnten“ (Bielefeld et al., 1982, S. 91). Die Peergroup unterstützt diese Jugendlichen bei ihrer Identitätsfindung und -entwicklung. In der Gleichaltrigengruppe wird ihnen die Möglichkeit geboten, sich eine anerkannte Stellung zu verschaffen und somit die eigene soziale Identität zu entwickeln. In Abhängigkeit von der Peergroup können Identitäten unterschiedlicher Inhalte produziert werden, z.B. als HipHopper, Rocker, Skater (vgl. ebd.).
Die Jugendlichen charakterisieren ihre Peergroup als Alternative zur Familie und zur Schule, in der sie ihre Bedürfnisse befriedigen können. Dabei orientieren sie sich in vielerlei Hinsicht an den deutschen Jugendlichen (beispielsweise im Hinblick auf die Aktivitäten), bleiben aber häufig „unter sich, [und] verbringen ihre Zeit mit den eigenen Landsleuten“ (ebd., S. 93). Auch Markou (1981) weist in seiner Studie darauf hin, dass „Kinder [mit] aller Wahrscheinlichkeit nach eher Freunde aus ihrer eigenen rassischen bzw. ethnischen Gruppe wählen“ (Markou, 1981, S. 56). Obwohl Jugendliche mit Migrationshintergrund im Rahmen der Schule Kontakte zu deutschen Jugendlichen aufbauen und diese auch außerhalb der Schulzeit pflegen, konzentriert sich ein Großteil der Heranwachsenden auf Jugendliche der eigenen Nationalität (vgl. Bielefeld et al., 1982, S. 94). Als Grund für die Absonderung werden in diesem Zusammenhang Diskriminierungserfahrungen aufgeführt. Dabei scheint die tatsächlich erfolgte Diskriminierung weniger wichtig zu sein. Vielmehr besteht eine beständige Angst davor, dass eine latente Diskriminierung praktiziert wird, auch wenn sie nicht offen, beispielsweise in Form von Beschimpfungen, geäußert wird (vgl. ebd.). In diesem Zusammenhang erscheint es allerdings notwendig zu erwähnen, dass nicht alle Jugendlichen mit Migrationshintergrund ausschließlich mit Peers ihrer Nationalität verkehren. Diese Annahme darf in keinem Fall verallgemeinert werden, denn es gibt durchaus Gleichaltrigengruppen, denen Heranwachsende mehreren Kulturen angehören. Karina Schwann (2002) legt in ihrem Buch die türkische Jugendkultur der zweiten und dritten Generation dar. Schwann weist darauf hin, dass es bereits in den 1990er Jahren multikulturelle Zusammenschlüsse von Heranwachsenden unterschiedlicher Nationen gab.
Bedingt durch gleiche Interessen, schlossen sich Gleichaltrige zu Hiphop-Bands und Breakdancern zusammen. Hierfür sind als Beispiele Peergroups, wie „Flying Steps“6 und „Microphone Mafia“7 zu nennen, deren Mitglieder türkischer, deutscher, italienischer oder kurdischer Herkunft waren (vgl. Schwann, 2002, S.52ff.). Die Tatsache, dass multikulturelle Zusammenschlüsse von Heranwachsenden verschiedener Nationen gang und gäbe sind, kann nicht geleugnet werden. Gerade die heutige Jugendgeneration tritt in urbanen Regionen in vielfältigen Kontakt mit Gleichaltrigen verschiedener Herkunftsländer (vgl. Reinders, 2010, S. 123). Anhand der oben genannten Beispiele wird deutlich, dass die Gründe für die Hinwendung zu einer Peergroup ein musikalisches, ein sportliches oder ein künstlerisches Interesse sein können.
Neben den allgemeinen Interessen können auch altersspezifische Herausforderungen und Probleme ausschlaggebend sein, um sich einer Peergroup anzuschließen. betrachten sehen Gleichaltrige als ebenbürtige Gesprächspartner, deren Ansichten sie im Hinblick auf schulbedingte oder familiäre Probleme nachvollziehen und unterstützen können. Die Gleichaltrigen werden in diesem Zusammenhang als Unterstützungsressource eingestuft, mit deren Hilfe man Probleme, Ängste und Sorgen kommunizieren und bewältigen kann (vgl. Ecarius et al., 2011, S. 113). Gleichermaßen werden in der Peergroup aber auch positive Erlebnisse und Emotionen, wie Spaß und Freude, geteilt (vgl. Herwartz-Emden et al., 2010, S. 91). Die Peergroup dient auch dem Zweck, das andere Geschlecht kennenzulernen und bietet Heranwachsenden einen geschützten Erfahrungs- und Erlebnisraum, in dem man sich über erotische und sexuelle Bedürfnisse und Erfahrungen austauschen kann (vgl. Schröder, 2006, S.180). Ein Großteil der Jugendlichen vertraut dann auf die Unterstützung ihrer Clique bzw. Gruppe, wenn er einen Ratschlag benötigt. Zweifelsohne verschaffen Peersgroups „Jugendlichen einen Ort der Zugehörigkeit, ein Wir-Gefühl und einen Raum für Selbstinszenierung“ (Riegel, 2004, S. 109). Dementsprechend kann die fehlende Einbindung in eine Peergroup einen belastenden Faktor für die Entwicklung eines Heranwachsenden darstellen (vgl. Ecarius et al., 2011, S. 113).
Die Hinwendung zu einer altershomogenen Gruppe erscheint Jugendlichen deshalb zudem besonders entlastend, da sie sich in diesem außerfamilialen und schulischen Kontext „frei“ bewegen und entfalten können, ohne von der Erwachsenenwelt kontrolliert zu werden. Über die Peergroup können Heranwachsende „eine Differenz zur Herkunftsfamilie und Erwachsenengesellschaft aufbauen und sich entsprechend abgrenzen“ (Schröder, 2006, S. 179). Insofern erfüllt die Peergroup für viele Jugendliche die Funktion einer zweiten Familie, in der sie Zusammenhalt, enge Bindung, aber auch Schutz und Anerkennung erfahren. Gleichermaßen werden Peergroups aber auch als „soziale Bewährungsprobe“ erlebt (vgl. ebd., S. 181). Das hängt damit zusammen, dass sich in solchen Zusammenschlüssen hierarchische Rollenstrukturen herausbilden, in denen den stärkeren und durchsetzungsfähigeren Personen die führende Rolle der Gruppe zukommt, während schwächere Personen andere Gruppenrollen, wie beispielsweise die des Außenseiters, Gegenspielers oder Mitläufers, einnehmen (vgl. Griese, 2010, S. 58).
Resümierend lässt sich feststellen, dass die Gründe für die Hinwendung zu einer Peergroup zum einen aus „ähnliche[n] Lebenserfahrungen, Interessen, soziale[r] Vertrautheit (z.B. ähnlicher Humor) und Unterstützung sowie de[m] Wert der Solidarität [...] auch [der] Hoffnung [...][,] dadurch nicht in Kontakt mit Drogen und Alkohol zu kommen sowie nicht so leicht mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten“ (Herwartz-Emden & Westphal, 2002, S. 250), resultieren können. Zum anderen können altersspezifische Herausforderungen und Probleme sowie Diskriminierungserfahrungen als Gründe für die Hinwendung zu einer Peergroup aufgeführt werden. Baacke (2009) weist darauf hin, dass es, „je schwächer die Bindung [des Jugendlichen] an [s]ein Elternhaus ist, je geringer die Leistungsbereitschaft in der Schule ist, je gleichgültiger der Jugendliche an einer vorwegnehmenden Orientierung an Erwachsenen oder rückbezüglichen Orientierung an kindlichen Verhaltensweisen ist, je weniger er Interesse hat, von anderen vorgeschlagene Aufgaben zu erfüllen und wahrzunehmen[,] und je mehr er ablehnt, vorhandene Angebote (Jugendgruppe, Verein usf.) wahrzunehmen, desto wahrscheinlicher ist [...], dass er in der autonomen Clique einer Jugendkultur wichtige Orientierung findet“ (Baacke, 2009, S. 240).
Ausgehend von den Gründen, die Jugendliche dazu verleiten, sich Gleichaltrigengruppen anzuschließen, gilt es, im Folgenden den Einfluss und die Wirkung solcher altershomogenen Gruppen auf Heranwachsende herauszuarbeiten.
[...]
1 Zu den Personen mit Migrationshintergrund zählen „alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländern[innen] und alle in Deutschland als Deutsche Geborene mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer[innen] in Deutschland geborenen Eltemteil“ (Herwartz-Emden et. al., 2010 zit. nach Statisches Bundesamt, 2010b, S. 6).
2 Auf eine ausführliche Erläuterung der Zuwanderungsbewegung wird in dieser Arbeit deshalb verzichtet, da sie für den weiteren Verlauf nicht relevant ist.
3 Es ist schwierig, eine einheitliche Definition des Begriffs „Jugend“ zu formulieren, da dieser durchaus „vielfältig und facettenreich“ (Schierbaum, 2018, S.16) ist. In Anlehnung an Hurrelmann (2016) bildet Jugend heutzutage eine eigenständige Lebensphase zwischen Kindheit und Erwachsensein. Diese Phase ist nicht allein durch die körperliche Entwicklung definiert, sondern gleichermaßen durch kulturelle, wirtschaftliche, soziale und ökologische Faktoren beeinflusst (vgl. Hurrelmann & Quenzel, 2016, S. 9). Heranwachsende entdecken in dieser Lebensphase neue Handlungsräume, die ihnen Möglichkeiten zur Entfaltung von Handlungsfähigkeiten und zum Austesten von Grenzen bieten (vgl. (Schierbaum, 2018, S.16f.)
4 Formelle Gruppen sind zielorientiert zusammengesetzt und existieren meist nur für kurze Zeit. Die Beziehung der Gruppenmitglieder untereinander ist in formellen Gruppen durch Ziele, explizite Regeln und ausdrücklich definierte Rollen klar festgelegt. Im soziologischen Sinne handelt es sich bei Organisationen, Arbeitsgruppen, aber auch bei Klassenverbänden um formelle Gruppen (vgl. Griese, 2016, S.59).
5 Der Erziehungswissenschaftler Robert Havighurst formulierte in den 1950er Jahren acht Entwicklungsaufgaben, die ein Mensch im Laufe seiner Entwicklung bewältigen muss. Aufgrund des begrenzten Rahmens können die Entwicklungsaufgaben nach Robert Havighurst jedoch nicht näher erläutert werden. Für einen umfassenden Überblick siehe Havighurst, 1953; Erikson, 1980.
6 „Flying Steps“ ist eine Tanzgruppe aus Berlin, die 1993 von zwei Jugendlichen türkischer Herkunft gegründet wurde und heute internationale Erfolge feiert. Der Gruppe schlossen sich damals auch Jugendliche anderer Kulturen an (vgl. flying steps, 2019).
7 „Microphone Mafia“ ist eine Rapgruppe, die 1989 von italienischen, türkischen und deutschen Jugendlichen im Alter von 16 und 17 Jahren gegründet wurde. Die Gruppe feiert mit ihren HipHop-Acts nationalen Erfolg und besteht nach zwanzig Jahren immer noch (vgl. microphone mafia, 2019).