Die Art zu wohnen, die Wohnung und die Wohnumwelt sind primärer Ausdruck des Lebensstils und damit originäre kulturelle Produktion. Wohnstile sind wie alle Lebensstile immer Ausdruck sozialer Differenzierung und sozialer Ungleichheit. Der regelrechte Lebensstil-Boom der vergangenen Jahrzehnte und die damit verbundene Pluralisierung der Lebensstile sind insgesamt eine Reaktion auf das spürbare Auseinanderdriften neuer Entwicklungen und tradierter Wertorientierungsmuster1. Die Öffnung der westlichen Gesellschaft für fernöstliche Philosophie und ein neues Bewusstsein für ökologische Zusammenhänge, Gesundheit und Wohlbefinden haben auch in den Wohnungen, Häusern, Gärten und Büros der abendländischen Kultur einem Lebensstil zu starker Beachtung verholfen, der dem Taoismus entstammt und als Feng Shui schon vor viertausend Jahren in China zur Harmonisierung der Mensch-Umwelt-Beziehung eingesetzt wurde. Die Lehre des Feng Shui wird im Westen seit etwa zwanzig Jahren als expliziter Wohnstil praktiziert und erfreut sich immer größerer Beliebtheit.
Die soziologische Bestimmung dieses Lebensstils, der sich in Wohnumwelten nach der chinesischen Harmonielehre Feng Shui äußert, soll im folgenden erarbeitet werden. Unter Wohnumwelt ist dabei jede bewohnte Umwelt zu verstehen, also ebenso ein Grundstück, ein Haus, eine Wohnung, ein Büro, ein Garten oder nur ein Zimmer.
Inhaltsverzeichnis
1 Feng Shui als Wohnstil
2 Wohnbedürfnisse und Wohnvorstellungen zur Herausbildung des Feng Shui Wohnstils
2.1 Wohnvorstellungen als Sinnkonstruktion und Deutungsmuster
2.2 Indikatoren zum Feng Shui Wohnerlebnis
3 Die Adressaten des Feng Shui Wohnstils und ihre soziale Differenzierung
4 Das Feng Shui Konzept
4.1 Hintergrund
4.2 Basiskonzepte
4.3 Feng Shui in der Praxis
5 Soziale Determinanten für die Verbreitung von Feng Shui in den westlichen Gesellschaften
6 Eine Frauenkultur?
7 Anhang
8 Literaturhinweise
1 Feng Shui als Wohnstil
Die Art zu wohnen, die Wohnung und die Wohnumwelt sind primärer Ausdruck des Lebensstils und damit originäre kulturelle Produktion. Wohnstile sind wie alle Lebensstile immer Ausdruck sozialer Differenzierung und sozialer Ungleichheit. Der regelrechte Lebensstil-Boom der vergangenen Jahrzehnte und die damit verbundene Pluralisierung der Lebensstile sind insgesamt eine Reaktion auf das spürbare Auseinanderdriften neuer Entwicklungen und tradierter Wertorientierungsmuster[1]. Die Öffnung der westlichen Gesellschaft für fernöstliche Philosophie und ein neues Bewusstsein für ökologische Zusammenhänge, Gesundheit und Wohlbefinden haben auch in den Wohnungen, Häusern, Gärten und Büros der abendländischen Kultur einem Lebensstil zu starker Beachtung verholfen, der dem Taoismus entstammt und als Feng Shui schon vor viertausend Jahren in China zur Harmonisierung der Mensch-Umwelt-Beziehung eingesetzt wurde. Die Lehre des Feng Shui wird im Westen seit etwa zwanzig Jahren als expliziter Wohnstil praktiziert und erfreut sich immer größerer Beliebtheit.
Die soziologische Bestimmung dieses Lebensstils, der sich in Wohnumwelten nach der chinesischen Harmonielehre Feng Shui äußert, soll im folgenden erarbeitet werden. Unter Wohnumwelt ist dabei jede bewohnte Umwelt zu verstehen, also ebenso ein Grundstück, ein Haus, eine Wohnung, ein Büro, ein Garten oder nur ein Zimmer.
2 Wohnbedürfnisse und Wohnvorstellungen zur Herausbildung des Feng Shui Wohnstils
Wohnbedürfnisse gehen über die elementaren Grundbedürfnisse, die an eine Behausung geknüpft sind (Schutz, Sicherheit, Wärme, Schlafen, Fortpflanzung, etc.) hinaus. Wohnbedürfnisse der Menschen unterliegen einer sozialen Prägung, der „Kultur des Wohnens“ und sind somit historisch wandelbar. Bedürfnisse sind hier keine anthropologisch abgesicherten Konstanten sondern Produkt der Gesellschaft und der Erfahrungen, die die Individuen in ihr machen.[2] Als Wohnbedürfnisse gelten das Bedürfnis nach Ortsverbundenheit und Ortsidentität, das Bedürfnis nach Eigenraum und Eigentum sowie die Bedürfnisse nach Ruhe und Anonymität. Wohnen ist stets auch eine Befriedigung des Bedürfnisses nach Ausdruck und Unterscheidung.
2.1 Wohnvorstellungen als Sinnkonstruktion und Deutungsmuster
Der Sinngehalt, den ein Lebensstil transportiert ist ausschlaggebend dafür, ob er einen Adressaten findet oder nicht. Wohnstile unterliegen daher auch ständigen Sinnkonstruktionen seitens ihrer Träger und werden wiederum zu Wohnvorstellungen für andere, die in Interaktion mit dem Bewohner einer Feng Shui Wohnung stehen. Der Vertreter dieses Wohnstils benutzt für sein soziales Handeln in seiner Wohnumwelt Deutungsmuster, die er gleichzeitig neu erschafft, damit Kultur verfestigt und so subtile Distinktionsmerkmale herausbildet, die ein Bewohner einer konventionellen Wohnung zuweilen nicht verstehen kann.[3] Diese individuelle Sinnkonstruktion der Wohnung und ihre Vergegenständlichung durch Spuren des persönlichen Gebrauchs wird auch in Feng Shui Wohnumwelten zur Bestimmung für als „wahr“ empfundenes Wohnen, der individuellen Wohnvorstellung .
Untersuchungen zur Ermittlung von Wohnbedürfnissen scheiterten oft an der Tatsache, dass die Befragten meistens mit ihrer Wohnsituation im großen und ganzen zufrieden waren. Diese Zufriedenheit muss jedoch als Zeichen resignativer Anpassung interpretiert werden. Positive Äußerungen über objektiv schlechte Wohnsituationen (z.B. Hochhäusersiedlung) stehen im Widerspruch zum Wunsch nach einem positiven Selbstbild und dem Bedürfnis nach Anerkennung. Die Ergebnisse der Befragungen geben also weniger die wahre Wohnzufriedenheit als vielmehr eine Wunschsituation wieder. Je mehr die Wahlfreiheit eingeschränkt wird, umso eher ist mit resignativer Anpassung zu rechnen. Die Diskrepanz zwischen Bedürfnissen, Wünschen und der Wirklichkeit sollte also in Zukunft auch in der empirischen Wohnzufriedenheitsforschung berücksichtigt werden. Die Harmonielehre des Feng Shui versucht gerade, diese Diskrepanz nicht durch resignative Anpassung sondern durch aktive Gestaltung auszugleichen.
2.2 Indikatoren zum Feng Shui Wohnerlebnis
Silbermann[4] trennt die Begriffe Wohnbedarf, Wohnwünsche und Wohnbedürfnisse und entwickelte vier Indikatoren, die auf die soziale Tatsache des „Wohnerlebnisses“ ausgerichtet sind: Umzugsgründe, Wohnungsveränderungen, notwendige Einrichtungsgegenstände zum Wohlbefinden und die Stil- und Farbgestaltung. Diese Indikatoren sind bestimmend für den Wohnstil und damit für die soziale Differenzierung, die mit dem angenommenen Wohn- und Lebensstil einhergeht. Alle vier Indikatoren können für die Herausbildung von Wohnumwelten nach der Lehre des Feng Shui herangezogen werden.
Umzugsgründe: Der meistgenannte Umzugsgrund betrifft die Verbesserung der persönlichen und/oder familiären Situation und ist somit recht undifferenziert. Aber schon an zweiter Stelle steht der konkrete Wunsch nach einer besseren, schöneren Wohnung und Wohnumwelt[5]. Im Feng Shui ist die Lage des Grundstückes und des Hauses in der natürlichen Umwelt von primärer Bedeutung. Zur Bestimmung der idealen Umwelteinflüsse werden neben äußeren Kriterien (Landschaftsform, Anordnung der Straßen und Häuser) auch Methoden der im Westen geläufigen Geomantie angewendet (Radiästhesie), die etwa energetische Einflüsse wie Strahlungen erfassen.[6]
Wohnungsveränderungen: Unzufriedenheit mit der aktuellen Wohnsituation äußert sich auch in der Gestaltung des Wohnerlebnisses innerhalb des Wohnbereiches. Dabei ist interessant, dass bloße Veränderungen und „Renovierungen“ den Bereich der Neuanschaffungen bei weitem überwiegen[7]. Im Feng Shui ist die Platzwahl von Einrichtungsgegenständen (Möbel, Accessoires) elementare Bedingung für einen harmonischen „Energiefluss“. So werden markante Verbesserungen des Wohnerlebnisses berichtet, wenn beispielsweise Sitzgarnituren nur anders positioniert werden. Die Veränderungen haben sogar gesundheitliche Auswirkungen, so hängen im Feng Shui Schlafstörungen direkt von der Lage des Bettes ab. Diesen Zusammenhang kennt auch die westliche Radiästesie[8].
Notwendige Einrichtungsgegenstände zum Wohlbefinden: Einrichtungsgegenstände haben neben ihrem praktischen Nutzen besonders wegen ihrem Beitrag zum Wohlbefinden und ihrem Symbolwert große Bedeutung für das Wohnerlebnis. Im Feng Shui werden jene Einrichtungsgegenstände klar genannt, die zur Steigerung des Wohlbefindens in der Wohnumwelt behilflich sind. Dazu zählen neben den rein praktischen Einrichtungsgegenständen vor allem Pflanzen, Spiegel, Spiralen, Kristalle, Bilder, Wasseranlagen, bewegte Objekte (Mobile) und persönliche Gegenstände. Diese Gegenstände sollen jedoch gezielt und maßvoll eingesetzt werden. Jede „Überladung“ eines Raumes ist zu vermeiden.
Stil – und Farbgestaltung: Zu den Wohnbedürfnissen gehören auch solche, die als „ästhetische Bedürfnisse“ bezeichnet werden können. Bei ihnen ist die Diskrepanz zwischen Wunsch und Realität am größten, zumal sich die Frage der Ästhetik in der eigenen Wohnumwelt oft mit der finanziellen Situation beantwortet. Trotzdem lässt sich ein allgemeiner Stiltrend erkennen, der auf ökologisches Wohnen ausgerichtet ist und dessen Nachfrage auch in breiten Einkommensschichten ein Angebot findet. Da Feng Shui von Grund auf eine Harmonielehre ist, resultieren Ästhetik und Farbgestaltung aus dem harmonischen Gesamten und tragen wiederum zu dessen Erschaffung bei.
3 Die Adressaten des Feng Shui Wohnstils und ihre soziale Differenzierung
Die Adressaten einer Wohnvorstellung nach der chinesischen Harmonielehre Feng Shui zeichnen sich vor allem durch gemeinsame Merkmale, die zu ihrer sozialen Differenzierung führen, aus. Die Zugehörigkeit zu dieser Wohnvorstellung, die damit in Zusammenhang stehenden Sinnkonstruktionen und Deutungsmuster sowie ihre Manifestation als Wohnstil führen zu einer sozialen Differenzierung. Menschen, die in einer Feng Shui Umwelt wohnen, heben sich in ihrem Wohn- und Lebensstil und somit in einer primären kulturellen Prägung von anderen sozialen Klassen der Lebensführung ab. Der Wohn- und Lebensstil Feng Shui gestaltet sich sowohl aus einem komplexen geistigen Hintergrund als auch nach relativ einfachen praktischen Anwendungsmöglichkeiten. Demzufolge möchte ich die Adressaten in zwei Typen kategorisieren. Diese Typologie soll zwar vor allem der Veranschaulichung dienen, kann aber jederzeit empirisch nachvollzogen werden. Ich unterscheide demnach den ideologischen Typ und den pragmatischen Typ. Im Überschneidungsbereich beider lässt sich das ebenso weite wie undifferenzierte Gebiet der Esoterik festmachen.
Beim ideologischen Typ überwiegt der geistige Hintergrund der Feng Shui Lehre sowie eine besondere Affinität zum chinesischen Denken, die sich in einer mehr oder weniger guten Kenntnis desselben niederschlägt. Der ideologische Typ ist somit auch aufgeschlossen für andere Ausprägungen dieses Lebensstils, die der chinesischen Philosophie zuzurechnen sind, so z.B. die chinesische Medizin oder die chinesische Bewegungs- und Meditationskunst. Hier liegt eine Identifikation mit der chinesischen Kultur vor, deren praktische Anwendung Teil dieser Selbstverständlichkeit ist. Eine andere Sorte dieses Typs orientiert sich am Lebensstil der Esoterikkultur, wobei zwar spirituelle Ziele verfolgt werden, diese jedoch in der Breite abflachen und in einer Alltagskultur enden, wo sie über die unreflektierte Ausübung der überlieferten Rituale nicht hinaus kommen. Aus der Feng Shui Identifikation wird bloßer Feng Shui Konsum. Hier zeigt sich ein fließender Übergang zum pragmatischen Typ.
Der pragmatische Typ stellt Philosophie und Spiritualität hinten an und orientiert sich am praktischen Nutzen des Feng Shui und am damit verbundenen subjektiv empfundenen Wohlbefinden. Dieser Typ ist stark im konsumorientierten und wohlstandsgeprägten westlichen Lebensstil verankert. Er sieht sich als modern und konsumiert gleichsam die Erkenntnisse aus dem Feng Shui als Beitrag zu seinem positiven Wohnerlebnis. Dieser Typ gehört auch zur Zielgruppe des aktuellen Wellness- und Ökologiebooms. Feng Shui als Trenderscheinung, die sich auch sehr gut geschäftlich nutzen lässt führte nicht nur zu einem bereits unübersichtlichen Markt rund um Dienstleistungen und einschlägige Accessoires sondern auch zu feng-shui-gerechter Gestaltung von Geschäften und Bürogebäuden, dessen Intention vornehmlich auf das Corporate Identity und eine damit verbundene Marketingstrategie abzielt. Besonders die sogenannten Multinationalen Unternehmen, die auch als Vorreiter der Globalisierung gelten, bemühen sich verstärkt um die Vorteile, die ihnen Feng Shui bieten soll[9]. Das Wohlbefinden am Arbeitsplatz und erhöhte Produktivität der Mitarbeiter sind dabei erklärte Absichten. Die Sozialwissenschaft bemühte sich jedoch bisher vergeblich die Korrelationen zwischen Arbeitszufriedenheit und Leistungssteigerung auf einen kausalen Zusammenhang zurückzuführen. Unternehmen verbinden im allgemein profane Ziele mit Feng Shui. So soll durch die angenehme Atmosphäre nicht nur mehr Kunden angelockt sondern auch durch gezielte Anwendung der Profit des Geschäftes erhöht werden Auch bei den Institutionen des öffentlichen Lebens setzt sich Feng Shui immer stärker durch, so darf der Feng Shui Kindergarten ebenfalls ruhig ein bisschen mehr kosten.
Feng Shui hat sich heute im Westen von den ideologischen Pionieren weg entwickelt und als ein praktischer Wohnstil etabliert, d.h. der Anteil des pragmatischen Typs überwiegt bei einem großen esoterischen Überschneidungsbereich. Demzufolge leitet sich die Zugehörigkeit zum Feng Shui Lebensstil im wesentlichen aus der Anwendung der Feng Shui Regeln ab. Die Beliebtheit des Konzeptes geht einerseits mit tatsächlichen Steigerungen des Wohlbefindens in Feng Shui Umgebungen einher, andererseits profitiert Feng Shui insgesamt vom Esoterik-Boom, drittens bringt Feng Shui alle Kriterien für eine Modeerscheinung mit sich, da Lebensstile im allgemeinen und Wohnstile im besonderen einem steten historischen Wandel unterzogen sind. Es ist trendy, schick und attestiert demjenigen Modernität, der die Wohnung, den Arbeitsplatz oder auch öffentliche Gebäude im Sinne von Feng Shui einrichtet oder gar plant und baut.
Die soziale Differenzierung durch Feng Shui findet vor allem bei jüngeren Menschen statt, die meist der B- und A-Schicht zuzuordnen sind, d.h. ihre Bildung und ihr Einkommen liegen über dem Durchschnitt. Sie sind die typischen Wellness-Konsumenten und im allgemeinen aufgeschlossen für ökologische Themen. Unter ihnen sind wiederum die Frauen überrepräsentiert.[10] Zur geschlechterspezifischen Differenzierung der Anhängerschaft sogenannter alternativer bwz. esoterischer Lebensstile kommen ich noch weiter unten.
[...]
[1] Katschnig-Fasch, S.40
[2] Häußermann/Siebel, S 223
[3] Honer, Anne in: Richter: Sinnbasteln. S. 138 ff
[4] Silbermann, S.55 ff
[5] Silbermann S. 56
[6] siehe dazu Gehringer, Petra: Geomantie. Wege zur Ganzheit von Mensch und Erde. Saarbrücken, 1998
[7] Silbermann S. 59
[8] Zum Problem der Standorteinflüsse auf den Menschen siehe Bergsmann, 1990
[9] Feng-Shui-Vorreiter waren z.B. Andersen Consulting, Marks & Spencer, Orange Telecom, Ritz Hotels und Siemens
[10] Hergovich, S.13