Der Europäische Gerichtshof
Entwicklung und Allgemeines
1952 Errichtet auf der Grundlage des Art 32 EGKSV als Gerichtshof der EGKS
1957 Zusammenlegung mit den Gerichtshöfen der EWG und EAG
1988 „Gericht erster Instanz der europäischen Gemeinschaften“ (EuG) zur Entlastung des EuGH errichtet
Der EuGH ist das oberste Gericht der EU und somit obliegt ihm die juristische Verantwortung der europäischen Rechtsordnung. Seine Aufgabe ist die „Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Gemeinschaftsverträge sowie der von Rat oder Kommission erlassenen Normen zu sichern“.1
Als einziges Gericht der Union kann er als Verwaltungs-, Zivil-, Schieds- oder Verfassungsgericht tätig werden.
Seit seinem Bestehen befaßte sich der EuGH mit mehr als 8.600 Rechtssachen. In den letzten zwei Jahrzehnten stieg die Anzahl der Neueingänge erheblich an, was schließlich zur Gründung des EuG führte. Weiters paßte der EuGH seine eigen Verfahrensordnung der neuen Situation an.2
Zusammensetzung des Gerichtshofes
EuGH
Der EuGH besteht aus fünfzehn Richtern und neun Generalanwälten.
Richter
- Richter werden im gegenseitigen Einvernehmen von den Regierungen der Mitgliedstaaten ernannt
- Amtsdauer beträgt sechs Jahre
- Wiederernennung ist möglich
- Voraussetzung für die Ernennung ist, daß die jeweilige Person „jede Gewähr für Unabhängigkeit bietet und in ihrem Staat die für die höchsten richterlichen Ämter erforderlichen Voraussetzungen erfüllt oder sonst hervorragend befähigt ist“3.
- Jeder Mitgliedstaat stellt einen Richter, obwohl dies nirgends festgehalten ist.
- Rangordnung der Richter wird durch die Dienstdauer und das Lebensalter bestimmt
- Dürfen keine politischen Ämter bekleiden
- Keiner Gerichtsbarkeit unterworfen
- Residenzpflicht
Generalanwälte
- 9 Generalanwälte
- Jeweils einen Generalanwalt stellen Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien sowie das Vereinte Königreich England
- Die übrigen werden unter den verbliebenen Mitgliedsstaaten im Rotationssystem vergeben.
- Hinsichtlich Ernennung, Amtsdauer, Wiederwahl, Rechtsstellung und notwendige Qualifikation gelten die selben Kriterien wie für die fünfzehn Richter
- Unparteiisch und unabhängig
- Residenzpflicht
Präsident
- Wird von den Richtern selbst gewählt
- Amtsdauer beträgt drei Jahre
- Wiederwahl ist möglich
- Leitet die rechtsprechende Tätigkeit sowie die Verwaltung des Gerichtshofes
- Führt den Vorsitz in den einzelnen Sitzungen und Beratungen
Kanzler
- Ernannt durch den EuGH
- Amtsdauer beträgt sechs Jahre
- Wiederernennung ist möglich
- Funktionen umfassen jurisdiktionelle Aufgaben sowie Aufgaben eines Generalsekretärs oder Personalchefs
Referenten
- Drei Referenten je Richter
- Bestimmt durch den Richter
- Amtsdauer entspricht jener des Richters
- Offiziell nicht vorgesehen
Gericht erster Instanz
Das Gericht erster Instanz, kurz EuG, besteht aus fünfzehn Richtern, die wie die Richter des EuGH ernannt werden. All das, was weiter oben bereits zum EuGH dargestellt wurde, trifft im Großen und Ganzen auf das EuG zu. Allerdings verfügt das EuG im Gegensatz zum EuGH über keine Generalanwälte. Diese Funktion wird, wenn erforderlich, durch einen Richter des EuG übernommen. Dieser hat sich in weiterer Folge an die geltenden Pflichten eines regulären Generalanwalts zu halten.
Das EuG beschäftigt sich hauptsächlich mit allen Nichtigkeits-, Untätigkeits- und Schadensersatzklagen natürlicher und juristischer Personen gegen die Gemeinschaften, mit Wettbewerbsverfahren und EGKS-Sachen und Streitigkeiten zwischen den Gemeinschaften und ihren Bediensteten.
Verfahrensarten
Klagen aufgrund Vertragsverletzungen
Diese Art der Klage gegen einen Mitgliedsstaat der Union kann entweder durch die Kommission oder durch einen anderen Mitgliedsstaat initiiert werden. In weiterer Folge ist es die Aufgabe des EuGH festzustellen in wie weit die Klage begründet ist. Stellt der EuGH eine Verletzung fest, so ist der geklagte Mitgliedstaat verpflichtet, die sich aus dem Urteil des EuGH ergebenden Maßnahmen zu ergreifen und die Vertragsverletzung zu beenden. Kommt dieser nun der Aufforderung innerhalb einer bestimmten Frist nicht nach, kann die Kommission erneut den EuGH anrufen. Dieser kann schlußendlich finanzielle Sanktionen verhängen.
Nichtigkeitsklagen
Diese Klagemöglichkeit steht den einzelnen Mitgliedstaaten, dem Rat, der Kommission und unter bestimmten Umständen auch der EZB sowie dem Europäischen Parlament zur Verfügung, wenn der Glaube besteht, daß Handlungen der Gemeinschaftsorgane nicht der Rechtmäßigkeit entsprechen. Ist eine solche Klage begründet, erfolgt die Aufhebung der betroffenen Rechtsakte durch den EuGH.
Natürliche oder juristische Personen haben ebenso die Möglichkeit ein Klageverfahren gegen eine EU - Maßnahme anzustrengen, allerdings unter der Prämisse, daß eine unmittelbare und individuelle Betroffenheit vorliegt.
Untätigkeitsklagen
Nach Einbringen einer Untätigkeitsklage ist es die Aufgabe des EuGH zu klären, ob eine gemeinschaftsrechtswidrige Untätigkeit eines Gemeinschaftsorgans vorliegt oder nicht. Klageberechtigt sind, wie im Falle der Nichtigkeitsklage, die Gemeinschaftsorgane und die EZB. Ist eine solche Klage begründet, besteht für das untätige Gemeinschaftsorgan die Verpflichtung, allerdings in eigener Verantwortung, die unterlassene Handlung durchzuführen.
Natürliche oder juristische Personen haben nur unter bestimmten und spezifischen Bedingungen die Möglichkeit einer Klage.
Schadensersatzklagen
Mit dieser Form der Klage kann die Wiedergutmachung eines Schadens, der durch ein Gemeinschaftsorgan, die EZB oder durch einen Bediensteten der Gemeinschaft verursacht wurde, eingefordert werden. Kommt das Gericht zu dem Schluß, daß die Gemeinschaft als Beklagte sich rechtswidrig verhalten hat, ein Schaden tatsächlich eingetreten ist und zwischen Verhalten und Schaden ein kausaler Zusammenhang herstellbar ist, wird die Gemeinschaft als Beklagte zum Ersatz dieses Schadens verurteilt.
Vorabentscheidungsverfahren
Das Vorabentscheidungsverfahren ist von zentraler Bedeutung für das Rechtssystem der Europäischen Gemeinschaft. Da das Gemeinschaftsrecht von den nationalen Gerichten und Behörden angewendet und vollzogen wird, liegt es im Bereich des Möglichen, daß sich eine nationale Rechtsprechung herauskristallisiert, die nicht im Einklang zu jenem steht. Zur Sicherstellung der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts wurde das Verfahren der Vorabentscheidung eingeführt. Hat ein nationales Gericht oder Behörde in einer Rechtssache, für deren Ausgang es auf Gemeinschaftsrecht ankommt, Zweifel über dessen Auslegung oder Gültigkeit, so kann es den EuGH ersuchen über die Anwendung oder Auslegung verbindlich zu entscheiden. In der Praxis zeigt sich, daß diese Kooperation, gemessen an der großen Anzahl an Vorabentscheidungsersuchen, sehr gut funktioniert.
Rechtsmittel
Gegen Urteile des EuG kann beim EuGH in Rechtsfragen ein Rechtsmittel eingelegt werden, eine Überprüfung der Entscheidungen des EuG in tatsächlicher Hinsicht ist dem EuGH allerdings nicht gestattet.
Dienstrechtsklage
Beamte und Bedienstete haben die Möglichkeit ihre Streitigkeiten mit der Gemeinschaft und deren Organe mittels einer Dienstrechtsklage vom EuG klären zu lassen.
Einstweiliger Rechtsschutz
Der EuGH sowie das EuG können um die Rechte der einzelnen Parteien bis zur endgültigen Entscheidung eines anhängigen Verfahrens zu wahren einstweiligen Rechtsschutz gewähren.
Gutachten
Im Falle eines vorbereiteten völkerrechtlichen Abkommens der Gemeinschaft besteht für den Rat, die Kommission oder die Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein verbindliches Gutachten über die Vereinbarkeit des geplanten Abkommens mit dem Gemeinschaftsvertrag beim EuGH einzuholen. Bringt die Prüfung ein negatives Ergebnis, kann das Abkommen entweder durch Änderung des Gemeinschaftsvertrags oder durch Anpassung an den Gemeinschaftsvertrag in Kraft treten.
Anfechtung von Zwangsmaßnahmen
Die Gemeinschaftsgerichte haben die Berechtigung die von der Kommission verhängten Zwangsmaßnahmen gegenüber natürlichen oder juristischen Personen zu prüfen und zu ändern.
Ablauf eines Verfahrens
„Normale“ Verfahren (Direktklage/Rechtsmittel)
Schriftliche Verhandlung
- Einreichung der Klageschrift beim zuständigen Gemeinschaftsgericht
- Eintrag der Klageschrift in das Kanzleiregister
- Veröffentlichung einer Mitteilung über die Klage im Amtsblatt
- Zuweisung der Klage an eine der Kammern und Bestimmung eines Berichterstatters
- Bestimmung des Generalanwalts
- Zustellung der Klageschrift an den Beklagten
→Pflicht der Klagebeantwortung innerhalb einer Frist von einem Monat
→Bei Nichteinreichung der Klagebeantwortung kann Versäumnisurteil ergehen · Erwiderung und Gegenerwiderung
- Erstellung eines Vorberichts und Anhörung des Generalanwalts
→Beschluß der Beweisaufnahme
→Beschluß einer mündlichen Verhandlung
- Beweisaufnahme und/oder prozeßleitende Maßnahmen werden angeordnet
Mündliche Verhandlung
- Berichterstatter fertigt einen Sitzungsbericht an
- Mündliche Verhandlung ist prinzipiell öffentlich
- Plädoyers der Prozeßvertreter
- Fragen des Präsidenten, der Richter und des Generalanwalts und Beantwortung derer
- Entgegnungen der Prozeßvertreter
- Schlußanträge des Generalanwalts in einer zweiten, späteren öffentlichen Sitzung
Urteil
- Die Beratung der Richter erfolgt geheim und auf Grundlage eines Urteilsentwurfes des Berichterstatters
- Urteil wird mit Stimmenmehrheit beschlossen, abweichende Meinungen einzelner Richter werden nicht bekanntgegeben
- Verkündung des Urteils in einer öffentlichen Sitzung
- Veröffentlichung des Urteils
Sonderfall Vorabentscheidungsersuchen
Das Vorabentscheidungsverfahren unterscheidet sich vom “normalen” Verfahren in wenigen Punkten:
- Übermittlung des Vorabentscheidungsverfahrens durch nationale Gerichte oder Behörden
- Übersetzung des Ersuchens in die einzelnen Amtssprachen und Zustellung an die Parteien, alle Mitgliedsstaaten, die Kommission und dem Rat.
- Schriftliche Erklärungen der Parteien, aller Mitgliedsstaaten, der Kommission und dem Rat.
Das weitere Verfahren verläuft analog zum “normalen” Verfahren.
Verwendete Literatur:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
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1 Elektronische Veröffentlichung: http://ruessmann.jura.uni-sb.de/rw20/wiwieinf/Wviib.htm
2 Vgl. Elektronische Veröffentlichung: http://www.curia.eu.int/de/pres/jeu.htm
Häufig gestellte Fragen
Was ist der Europäische Gerichtshof (EuGH)?
Der EuGH ist das oberste Gericht der EU und hat die juristische Verantwortung für die europäische Rechtsordnung. Er wurde 1952 als Gerichtshof der EGKS errichtet und später mit den Gerichtshöfen der EWG und EAG zusammengelegt.
Wie ist der EuGH zusammengesetzt?
Der EuGH besteht aus fünfzehn Richtern und neun Generalanwälten. Die Richter werden von den Regierungen der Mitgliedstaaten im gegenseitigen Einvernehmen ernannt. Die Generalanwälte unterstützen den Gerichtshof.
Was macht das Gericht erster Instanz (EuG)?
Das EuG wurde 1988 zur Entlastung des EuGH errichtet. Es beschäftigt sich hauptsächlich mit Nichtigkeits-, Untätigkeits- und Schadensersatzklagen natürlicher und juristischer Personen gegen die Gemeinschaften, mit Wettbewerbsverfahren und EGKS-Sachen sowie Streitigkeiten zwischen den Gemeinschaften und ihren Bediensteten.
Welche Arten von Klagen gibt es vor dem EuGH?
Es gibt verschiedene Arten von Klagen, darunter Klagen aufgrund Vertragsverletzungen, Nichtigkeitsklagen, Untätigkeitsklagen, Schadensersatzklagen und Vorabentscheidungsverfahren.
Was ist ein Vorabentscheidungsverfahren?
Das Vorabentscheidungsverfahren ist ein Verfahren, bei dem ein nationales Gericht oder eine Behörde den EuGH um eine verbindliche Entscheidung über die Auslegung oder Gültigkeit des Gemeinschaftsrechts ersucht, wenn es Zweifel an dessen Anwendung in einer Rechtssache hat.
Wie läuft ein Verfahren vor dem EuGH ab?
Ein "normales" Verfahren umfasst eine schriftliche und eine mündliche Verhandlung. Nach der mündlichen Verhandlung erfolgt die Urteilsfindung durch die Richter in geheimer Beratung. Das Urteil wird dann in einer öffentlichen Sitzung verkündet.
Was ist das Rechtsmittel gegen Urteile des EuG?
Gegen Urteile des EuG kann beim EuGH in Rechtsfragen ein Rechtsmittel eingelegt werden. Die Überprüfung der Entscheidungen des EuG in tatsächlicher Hinsicht ist dem EuGH jedoch nicht gestattet.
Was ist eine Dienstrechtsklage?
Beamte und Bedienstete haben die Möglichkeit ihre Streitigkeiten mit der Gemeinschaft und deren Organe mittels einer Dienstrechtsklage vom EuG klären zu lassen.
Was versteht man unter einstweiligem Rechtsschutz?
Der EuGH sowie das EuG können um die Rechte der einzelnen Parteien bis zur endgültigen Entscheidung eines anhängigen Verfahrens zu wahren einstweiligen Rechtsschutz gewähren.
Was sind Gutachten des EuGH?
Im Falle eines vorbereiteten völkerrechtlichen Abkommens der Gemeinschaft besteht für den Rat, die Kommission oder die Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein verbindliches Gutachten über die Vereinbarkeit des geplanten Abkommens mit dem Gemeinschaftsvertrag beim EuGH einzuholen.
Was passiert bei einer Anfechtung von Zwangsmaßnahmen?
Die Gemeinschaftsgerichte haben die Berechtigung die von der Kommission verhängten Zwangsmaßnahmen gegenüber natürlichen oder juristischen Personen zu prüfen und zu ändern.
- Arbeit zitieren
- Schwarzmair Jürgen (Autor:in), 2000, Der europäische Gerichtshof, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/99621