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Kapitel I : Mathematische Einleitung
Im 1. Kapitel geht es um die mathematische Einführung des Risikoreserveprozesses und der Ableitung einiger mathematischer Ergebnisse, bevor im 2. Kapitel wichtige ökonomische Aspekte hierzu betrachtet werden. Dabei geht es insgesamt zum einem um die Beschreibung der Entwicklung der Risikoreserve, ausgedrückt in einem stochastischen Prozeß, sowie um die Frage, wie hoch diese Reserve sein muß, um eine gewisse Sicherheit bezgl. einer sich nicht ergebenden negativen Reservenhöhe zu erlangen. Weiter soll auch betrachtet werden, welche Rolle der Sicherheitszuschlag bei diesen Aspekten spielt.
1.1 Statische Betrachtung:
Wir beginnen zuerst mit der einführenden statischen Betrachtung, d.h. die
Betrachtung für nur eine einzelne Periode. Es bezeichne S den Gesamtschaden eines Kollektivs in einer Periode. Dabei setzt sich der Schaden aus den N Einzelschäden X 1 ,...,X N zusammen. Die Schadenzahl N sowie die Schadenhöhen X i ,i=1,..,N sind dabei sog. Zufallsvariablen (ZV), bei denen man fast immer die sog. stochastische Unabhängigkeit annimmt. Der Gesamtschaden S einer Periode, der somit ebenfalls eine ZV ist, läßt sich also schreiben als
Der Versicherer verfüge zu Beginn der Periode über eine Anfangsreserve R 0 . Sein Vermögen zu Beginn der nächsten Periode berechnet sich dann vereinfacht gemäß
R 1 = R 0 + P - S
Wobei P die eingenommenen Prämie für diese Periode sind. Da R 0 eine feste Größe ist, ergibt sich die Endreserve R 1 , abgesehen von dem Fall der reinen Umlage (P = S), wiederum als ZV. Ihre Wahrscheinlichkeit (Abb.1) ist in ihrer Gesamtheit Ausdruck des „versicherungstechnischen Unternehmens-Risikos“.
(zum Ψ siehe Abschnitt 1.2)
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1.2 Dynamische Betrachtung:
Nun interessiert man sich aber nicht nur für eine Periode sondern möchte gerne das Verhalten des Gesamtschadenverlaufs für mehrere Perioden studieren. Hierzu führt man nun einen Zeitparameter t ∈ 3 + ein. Mit diesem Parameter bezeichne S t den Gesamtschaden im Intervall [0,t], wobei (S t : t ∈ 3 + ) ein sog. stochastischer Prozeß ist
(hierzu siehe Def.A1 im Anhang). X n ist weiterhin die Höhe des n-ten Schadens und ∞ die neue ZV N t := ∑ , t ∈ 3 + , beschreibt die Anzahl der Schäden bis zum Zeit- 1 ≤ ] [ t W n
= 1 n
punkt t. Man nennt den stoch. Prozeß N = (N t : t ∈ R + ) den sog. Schadenzahlprozeß.
Den Gesamtschaden bis zum Zeitpunkt t beschreibt nun die ZV
und man nennt S = (S t : t ∈ 3 + ) den Gesamtschadenprozeß. Für festes t ist S t eine
Zufallssumme, für die z.B. bei stochastischer Unabhängigkeit von N t & X gilt:
E(S t ) = E(N t ) . E(X)
Weiter sei nun W n der Zeitpunkt des Auftretens des n-ten Schadens X n , n = 1,2,... . Somit läßt sich definieren
T
1
beschreibt also den Zeitpunkt des Auftretens des ersten Schadens, T
n
die Zeitdauer zwischen dem Eintritt des (n-1)-ten und des n-ten Schadens für n = 2,3,... . Mittels der Eintrittszeiten läßt sich trivialerweise die Anzahl N
t
der Schäden bis zum Zeitpunkt t darstellen gemäß
∞
Die Zusammenhänge zwischen W n , T n und N t lassen sich in einer Skizze wie folgt darstellen:
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Anmerkung: Ist wie in dem obigen Beispiel N ein Poisson-Prozeß, so nennt man S
Mit dem Gesamtschadenprozeß wurde gewissermaßen die Output-Seite der Versicherungstechnik beschrieben. Dieser steht eine Input-Seite gegenüber, von der hier zunächst der Prämienzufluß interessiert.
Man stelle sich hierfür den Prämienzufluß als regelmäßig, kontinuierlich, deterministisch und sogar linear in der Zeit vor. Genauer: Es beschreibt P t die Gesamtprämieneinnahme im Zeitintervall [0,t], weiter sei P t = π . t , t ∈ 3 + , mit einem π > 0, der Prämienrate pro Zeiteinheit. Es ergibt sich ein stoch. Prozeß P = (P t , t ∈ 3 + ). Weiter soll angenommen werden, daß das betrachtete Unternehmen zum Zeitpunkt t=0 über eine Anfangsreserve u ≥ 0 verfügt. Man definiert nun:
Ein typischer Verlauf des Risikoreserveprozesses ist in der folgenden Figur dargestellt:
1 Siehe Kremer: „Versicherungsmathematik“ , Hamburg 1998
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Kapitel II : Aspekte der Ruintheorie
2.1 Definitionen:
Man nehme wieder an, daß für die Prämieneinnahme gilt: P t = π . t. Unter dem sog.
Ruinzeitpunkt versteht man
Man nennt dann die Ereignisse
Ruin im Intervall [0,t] bzw. Ruin 2 . Die Wahrscheinlichkeiten
werden mit finite bzw. infinite Ruinwahrscheinlichkeit bezeichnet. (Abkürzung: Ruinwahrscheinlichkeit = RW)
Das Gegenteil hierzu ist
als finite bzw. infinite Nichtruinwahrscheinlichkeit.
Für den Versicherer ist als ein Nebenziel von Interesse 3 , daß seine RW möglichst klein, d.h. unter einer vorgegebenen Schranke ε≥0, ist bzw. gegen Null strebt. Um
dieses zu erreichen, gibt es verschiedene Möglichkeiten, etwas zu verändern. Z.B.:
(I)
(II) (Bestandsrisikopolitik) Hierbei geht es um die Gestaltung des Gesamtscha-
(III) (Prämienpolitik) Hierbei geht es hauptsächlich um den Sicherheitszuschlag (=SZ) zur Prämie.
(IV) (Rückversicherungspolitik) Durch Weitergabe von einzelnen Risiken läßt
sich die RW ebenfalls steuern. 4
(V) (Kapitalanlagepolitik) Gerade in der Lebensversicherung spielen
2 Ein versicherungstechnischer Ruin darf natürlich nicht mit einem Konkurs des Unternehmens gleichgesetzt werden, da gewisse Zahlungsengpässe überbrückt werden können und die nichtversicherungstechnischen Größen
ohnehin außer acht gelassen wurden.
3 Siehe Abschnitt 3.1; eine RW von Null kann auch z.B. durch H(X)=Maximalschaden erreicht werden. Dann kommt es aber zu keiner Versicherung mehr !
4 Will man das Modell des Risikoreserveprozesses z.B. bezüglich Rückversicherung verfeinern, so lassen sich natürlich in Def.1 noch ZV für Rückversicherungsprämien, anteilig übernommenen Schäden und Rückversiche-
rungsprovisionen einfügen. Auch die Betriebskosten könnten natürlich zur Weiterentwicklung des Modells als
kontinuierliche Ausgaben eingebaut werden. Mathematisch ändert sich dadurch allerdings kaum etwas.
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Weiteres zu (III) siehe im Abschnitt 3.4: Auswirkungen des Sicherheitszuschlages auf die Ruinwahrscheinlichkeit.
2.2 Mathematische Ergebnisse: 5
Es sollen nun kurz einige der wichtigsten mathematischen Ergebnisse der Ruintheorie vorgestellt werden:
è Dieser Satz gibt eine explizite Berechnungsformel an für die finite Nichtruinwahrscheinlichkeit mit einer Anfangsreserve von Null und vorgegebenen
Prämiensatz π>0. Ein Problem hierbei ist die Bestimmung der k-fachen Faltung von F,
die sich oft nicht analytisch sondern nur numerisch bestimmen läßt.
è Ist der Schadenzahlprozeß Poisson-verteilt mit Parameter λ, sind die X i wie oben
angenommen iid.(= independent and identically distributed) und besitzen einen
endlichen Erwartungswert µ, so strebt die finite Nichtruinwahrscheinlichkeit mit
Anfangsreserve Null zeitlich gesehen gegen einen konstanten Term, der umso stärker
gegen 1 strebt, je größer Λ ist.
5 Sätze und Beweise siehe Kremer: „Versicherungsmathematik“, Hamburg 1998
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è Wie oben an Satz 1 gesehen, ist es auf Grund der nicht-trivialen Faltungen meistens problematisch, die Ruin- bzw. Nichtruinwahrscheinlichkeiten exakt zu berechnen. Oftmals ist man aber auch gar nicht an der exakten RW interessiert sondern vielmehr an einer oberen Schranke. Der Satz von Lundberg ist einer der wichtigsten Sätze zur Angabe einer solchen oberen RW.
Motivation der Gleichung (*) :
∞
+ λ
+ ⇔ 1
⇔
R
∞
⇔ R
⇔
⇔
⇔
⇔
(Achtung: Die Richtung ⇐ ist nicht trivial ; hier kommt gerade das passende R
ins Spiel, d.h. wählt man das R geeignet, so läßt sich aus dem > ein = bilden !)
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Diese Formel läßt sich nun ökonomisch sehr schön interpretieren:
c ist die Prämienrate, 1/λ ist (von den Poisson-verteilten Schadenzahlen her) gerade die Wartezeit zwischen dem Eintritt zweier Schäden und E(Y) ist die erwartete Schadenhöhe. Somit besagt die eingerahmte Ungleichung also, daß die Prämienrate pro Wartezeit zwischen dem Eintritt zweier Schäden größer sein muß als der zu erwartende Schaden, was ja ökonomisch (siehe hierzu Satz 5) sinnvoll ist, da nur durch ständige Zuführung eines Sicherheitszuschlages zur Nettorisikoprämie eine begrenzte RW realisiert werden kann.
Quelle: Embrechts, Klüppelberg & Mikosch: „Modelling extremal Events for Insurance & Finance“ , S. 26, Springer-Verlag Berlin 1999
Kapitel III : Ökonomische Betrachtungen
3.1 Zielgröße: 6
Der Zufallsprozeß der Risikoreserve ist der vollständigste Ausdruck des versicherungstechnischen Unternehmensrisikos, verstanden als Unsicherheit über die Existenz des Risikogeschäfts. Versicherungstechnische Risikopolitik bedeutet demgemäß die planmäßige Gestaltung der so dargestellten Risikosituation des Versicherers. An der Wirkung auf diesen Prozeß ist letztendlich jede risikopolitische Maßnahme zu messen. Die Aufgliederung der einzelnen Maßnahmen wurde bereits im Abschnitt 2.1 dargestellt.
Als Grundlage einer rationalen Entscheidung ist jedoch die einseitige Betrachtung eines Sicherheitszieles unzureichend. Es wäre pathologisch, einen Betrieb zu gründen oder in Gang zu halten, allein um Risiko zu mindern. Daher ist mindestens eine weitere Zielgröße wie Gewinn oder Bedarfsdeckung in eine sinnvolle Optimierung einzubeziehen. In der Regel ist jede Risikominderung, ausgedrückt in einem entsprechenden Maß, mit einer Minderung des erwarteten Gewinns verbunden. In diesem Sinne verlangt der Sicherheitszuwachs stets seinen Preis in Form von aufwandsgleichen Kosten oder Opportunitätskosten. Gerade die entscheidungsorientierte Kon-
6 sieheverschiedene Beiträge aus W. Karten: „Kernfragen aus entscheidungsorientierter Sicht“ , Karlsruhe 2000
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zeption der Nutzenbewertung in der Risikopolitik verhindert eine einseitige Betrachtung der Risikobeeinflussung ohne deren Kosten. Zusätzliche Ansatzpunkte für die Ausrichtung einer planmäßigen Risikopolitik sind die Anforderungen der staatlichen Aufsicht (siehe Abschnitt 3.2 Solvabilität); sie sind jedoch nicht Ziele, sondern Nebenbedingungen der unternehmerischen Entscheidungen.
Es lassen sich nun mehrere Typen von Zielsetzungen als repräsentierende Entscheidungskriterien erörtern. Hierzu exemplarisch:
1. Anfangs wurden in der kollektiven Risikotheorie meist nur RW in ihrer Eigenschaft isoliert untersucht, oder allenfalls in Verbindung mit dem Ziel der Gewinnmaximierung behandelt.
2. Betriebswirtschaftlich sinnvoller erscheint eine Bewertung alternativer Entscheidungen über das Risikogeschäft anhand von Ausschüttungen (Dividenden). Dazu ist es erforderlich, die unrealistische Implikation der permanenten Zuführung zu einer nach oben unbegrenzten Reserve aufzuheben. Jede im voraus festgelegte planmäßige Ausschüttungspolitik läßt aber die langfristige RW zu 1 werden. Man beachte hierzu folgenden Satz mit den in 2.2 festgelegten stochastischen Annahmen:
(è Dieses drückt plastisch die Unabdingbarkeit risikoscheuen Verhaltens des Versicherungsmanagement für eine dauernde Existenz des Unternehmens aus.)
Zum Punkt 2:
Praktisch ist eine Lösung des Problems aus der Sache selbst nicht allgemein ableitbar. Es geht in erster Linie um die Frage, wann und unter welchen Bedingungen erzielte Sicherheitszuschläge bzw. allgemein für Schäden nicht verbrauchte Prämienanteile als realisierte Gewinne anzusehen sind und damit zur Versteuerung und Ausschüttung zur Verfügung stehen. Dieses ist eines der umstrittensten Sachverhalte- nämlich die Existenzberechtigung und die Höhe unversteuerter Schwankungsreserven. Allgemein sind Prämienteile dann als realisierte Gewinne zu deklarieren, wenn sie gemessen am Risikoreserveprozeß nicht mehr zur Reserveerhöhung gebraucht werden, weil der Prozeß an eine Obergrenze hinreichender Sicherheit für einen vorgegebenen Planzeitraum gestoßen ist. Die Obergrenze ist dabei nur in dem Sinne ableitbar, daß zu einer
nach wirtschaftlichem Ermessen vorgegebene Ruinwahrscheinlichkeit 7 das notwendige Sicherheitskapital bestimmt wird.
7 bei gegebenem Rest
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3.2 Der Aspekt der Solvabilität:
Das Hauptziel der öffentlichen Regulierung der Versicherungswirtschaft ist sicherzustellen, daß die Versicherer imstande sind, ihren Verpflichtungen gegenüber Versicherungsnehmern nachzukommen. Im allgemeinen werden die finanziellen Verhältnisse der VU regelmäßig, meist jährlich überprüft.. Das einschlägige Problem besteht also darin, Bedingungen für den Solvabilitätstest zu finden, so daß die Aufsicht im Falle möglicherweise ungünstigen Geschäftsverlaufs immer noch Zeit hat, erfolgsversprechend zu intervenieren, bevor die Ressourcen des VU in verhängnisvoller Weise abgebaut worden sind. Diese Definition wird i.a. durch die Forderung operationalisiert, daß das VU eine Solvabilitätsspanne (Differenz zwischen Vermö-gensgegenständen und Verbindlichkeiten) 8 haben sollte, die groß genug ist, um die
finanzielle Lebensfähigkeit für die nächste Testperiode zu sichern. Diese Problemstellung wird neuerdings mit der Überlegung in Frage gestellt, daß die tatsächlichen Werte von Aktiva und Passiva nicht exakt bekannt sind und möglicherweise nicht mit den Bilanzwerten zum Zeitpunkt des Solvabilitätstests übereinstimmen, es liegen also nur Schätzgrößen vor, was eine Aufstockung des gesetzlichen Minimums um einen zusätzlichen Deckungsbeitrag notwendig macht. Die von der deutschen Aufsichtsbehörde überwachte Solvabilität der VU beruht auf den Vorschriften des §52c VAG und der Verordnung über die Kapitalausstattung von VU vom 13.12.’83. Die Regulierungen sind im einzelnen recht komplex und für die Schaden- und Lebensversicherer unterschiedlich. Dabei fordern die Solvabilitätsvorschriften also nicht, wie man erwarten könnte, die Einhaltung einer bestimmten Ruinwahrscheinlichkeit, die in der Praxis auf Grund der schwierigen Berechnung und Unschärfe (resultierend aus den ungenauen benötigten Daten) kaum anzugeben wäre, sondern es werden, wie oben bereits erwähnt, Eigenmittel gefordert, deren Mindestbetrag 9 dreimal definiert ist, nämlich
Die Solvabilitätsspanne wird z.B. in der Schadenversicherung als der höhere Betrag vom sog. Beitrags- und Schadenindex ermittelt. Der Beitragsindex setzt sich zusammen aus 18% der ersten 36,6 Mio. und 16% der darüber hinausgehenden Bruttoprämieneinnahmen, multipliziert mit der Selbstbehaltsquote (mindestens 50%), bezogen auf das letzte Geschäftsjahr. Der Schadenindex ergibt sich aus 26% der ersten 25,62 Mio. und 23% der darüber hinausgehenden durchschnittlichen Schadenaufwendungen der letzten 3 Geschäftsjahre, multipliziert mit der Selbstbehaltsquote (mindestens 50%). 10
8 Achtung in diesem Fall: Eigenmittel ≠ Eigenkapital auf grund verschiedener Anrechenbarkeit ; zur Def. des Eigenkapitals siehe Solvabilitätsvorschriften
9 also Sanktionsschwellen
10 siehe ‚Handbuch der Versicherung‘ : „Solvabilität“
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Bedeutend ist die Frage, ob die rein statische Solvabilitätsrechnung dem Risikoreserveprozeß des grundsätzlich auf Dauer angelegten Versicherungsgeschäftes überhaupt angemessen ist oder ob nicht darüber hinaus Maßstäbe für Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an geänderte Daten gefunden und eingebracht werden müssen. Theoretisch läßt sich im Modell im Einklang mit empirischen Beobachtungen zeigen, daß ein Versicherer nicht unbedingt liquidieren muß, wenn durch zufällige Verluste Ruin eintritt, also sein Eigenkapital verbraucht ist. Vielmehr läßt sich ein Betrag der Überschuldung („Sanierungsgrenze“) errechnen, bis zu dem in Abhängigkeit von der Gewinnerwartung des Kollektives eine Refinanzierung des Risikogeschäftes von außen lohnend ist.
An den Solvabilitätsnormen lassen sich weitere begründete Kritikpunkte anführen, die der Leser selber bei Interesse vertiefen sollte (hierzu siehe z.B. W. Karten: „Marginalen zur EG-Solvabilitätskontrolle“ in ‚Kernfragen aus entscheidungsorientierter Sicht‘ ,Karlsruhe 2000).
3.3 Die Finanzierung des Kapitalbedarfs für Sicherheitsmittel:
Das Wachstum der VU, so wie es sich in steigenden Bruttoprämieneinnahmen ausdrückt, erfordert ceteris paribus eine proportionale Erhöhung der Eigenmittel. Dieses ist das gewollte Ziel der oben aufgeführten Solvabilitätsvorschriften. Es stehen dabei grundsätzlich zwei Möglichkeiten der Eigenkapitalfinanzierung zur Verfügung:
In welchem Umfang welche Möglichkeit wahrgenommen wird, ist eine betriebswirtschaftliche Entscheidung, die von den finanziellen Zielsetzungen und relevanten Daten abhängt (z.B. Besteuerung, Kapitalmarktlage usw.).
3.4 Praktische Gestaltung / Nachteile des Modells:
•
Das Modell ist insofern noch kein „dynamisches“ Modell, als es Folgeent-
• DasModell vernachlässigt die nicht-versicherungstechnischen Risiken und
deren erhebliche Interdependenzen zum Risikogeschäft.
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3.5 Die Auswirkungen des Sicherheitszuschlages auf die Ruinwahrscheinlichkeit:
In Abschnitt 2.1 wurden verschiedene Möglichkeiten aufgezählt, um auf die RW einzuwirken. Es soll nun die Frage behandelt werden, wie hoch der SZ zu den Prämien einer Versicherung sein muß, um die Wahrscheinlichkeit für einen Verlust nicht größer werden zu lassen als eine vorgegebene feste Schranke. In einem anschließenden Beispiel wird kurz der direkte Einfluß des SZ an einem Bsp. gezeigt.
Man setze voraus, daß das VU vor dem Abschluß der untersuchten Versicherungen über ein Anfangskapital u verfügt. Auf längere Sicht genügt es nicht, die RW lediglich für einzelne Versicherungen zu betrachten. Ein VU schließt ja immer wieder neue Versicherungen ab. Selbst wenn es ihr gelingt, die RW für jede einzelne abgeschlossene Versicherung unter eine beliebig kleine aber feste vorgegebene Schranke zu drücken, kann sie ihren Ruin nicht für alle Zukunft mit genügend großer Wahrscheinlichkeit ausschließen. Genauer:
Beweis: siehe Anhang
Wird die RW für jede einzelne Versicherung nicht genau gleich ε>0 gewählt, sondern
nur jeweils größer oder gleich, dann kann die RW natürlich nur vergrößert werden. Es ist also leicht einzusehen, daß die RW immer dann für genügend große N beliebig nahe an 1 liegen wird, wenn die RW für jede einzelne Versicherung stets über einer
festen, positiven Schranke ε bleiben. Daraus folgt also, daß ε gegen Null streben muß,
damit die RW für den gesamten Versicherungsverlauf nicht gegen 1 strebt ! Versucht man nun für jede einzelne Versicherung die Sicherheitszuschläge so zu wählen, daß die Verlustwahrscheinlichkeit gegen Null strebt, dann gelangt man aber zu überhöhten Preisen für die Praxis. Bei einem Versicherungsverlauf der hier betrachteten Art kann man jedoch davon ausgehen, daß das Kapital des VU aufgrund der Sicherheitszuschläge anwächst und somit die RW für die später abgeschlossenen Versicherungen infolge des bereits angesammelten Kapitals gegen Null strebt. Die RW darf nicht wie die Verlustwahrscheinlichkeit für die einzelnen Versicherungen gesondert betrachtet werden, sondern immer nur unter Berücksichtigung des bis zum Abschluß dieser Versicherung bereits angesammelten Kapitals. Es ist daher notwendig, das gesamte Kollektiv zu betrachten.
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Das Theorem von de Finetti: 11
Annahmen:
g n = (1+ξ n ) . P n - x n . Man Der Gewinn aus der n-ten Versicherung beträgt somit:
wähle nun einen Sicherheitsindex τ derart, daß durch geeignete Wahl der Sicherheitszuschläge ξ n für alle Versicherungen die Beziehung − n E τ = g erfüllt werden kann. 1 ) ( e
Das Theorem von Finetti besagt nun:
Anmerkung: Es bleibt aber noch die Frage, ob man denn immer einen solchen
Für den direkten Einfluß des SZ (dabei wird nur die technische Prämie betrachtet)
siehe nun folgendes Bsp. : 13
11 siehe K.-H. Wolff „Versicherungsmathematik“, Wien/New York 1970, Seite 332 ff.
12 Diese Schranke ähnelt sehr der Lundberg-Schranke. Allerdings können diese beiden oberen Werte in der Tat unterschiedlich groß sein.
13 Siehe ‚Handbuch der Versicherung‘: „Risikopolitik des Versicherungsunternehmens“ , Karlsruhe 1988
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Annahmen:
Ergebnis:
Für den Fall, daß die Prämie den Erwartungsschaden nicht übersteigt, d.h. P ≤ λµ, tritt
technischer Ruin mit Wahrscheinlichkeit 1 ein. Im anderen Fall beträgt die Ruinwahr-
scheinlichkeit ε mit
Wendet man nun z.B. speziell das Erwartungswertprinzip für die Prämie an, d.h.
P = (1+δ)λµ mit δ>0, so ergibt sich für die Ruinwahrscheinlichkeit:
Anhand dieser Formeln lassen sich die Einflußgröße von Reserve R 0 und Sicherheits-
zuschlag δ auf die Ruinwahrscheinlichkeit ε leicht ablesen. Andersherum betrachtet
läßt sich schön erkennen, daß bei festgehaltenem Rest die Risikoreserve im Erwartungswert gegen Unendlich wachsen muß, um eine RW von Null zu erreichen.
3.5 Ausblick:
Zusammenfassend läßt sich also festhalten, daß der Risikoreserveprozeß das versicherungstechnische Risiko als dynamisches Modell gut darstellt. Weiter stellt man fest, daß die Ruinwahrscheinlichkeit, abgesehen von den mathematisch oft schwierigen Berechnungen, das Risiko in ihren Grenzen nur befriedigend darstellt. Man darf nie vergessen, daß es sich hierbei nur um eine Facette des Risikos handelt. Andere
Kriterien wie z.B. µ,σ usw. werden hierbei völlig ausgeblendet, was natürlich
ökonomische Schwierigkeiten hinsichtlich von Entscheidungen mit sich bringt. Auch der angesprochene Zielkonflikt zwischen RW und Gewinnmaximierung bedarf einer nicht unproblematischen Lösung, auf die hier nicht näher eingegangen werden konnte. Für die Solvabilitätsvorschriften ist die RW lediglich ein Leitgedanke, da die problematische Berechnung der RW nicht, wie es für die Praxis notwendig wird, leicht überprüfbar ist wie die jetzigen Vorschriften. Es handelt sich also um ein wichtiges Modell, das mehr als entscheidender Leitgedanke als praktische Bezugsgröße dient.
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Abkürzungen
ZV = Zufallsvaribale RW = Ruinwahrscheinlichkeit SZ = Sicherheitszuschlag
Anhang
Beispiel 1: 14
Man betrachte eine Versicherung, bei der die Versicherungssumme S>0 mit der Wahr-
scheinlichkeit p>0 fällig wird. Für p = 0,01 und τ = 3 . 10 -6 hat Dubourdieu einmal
mittels dem Theorem von Finetti die folgende Tabelle berechnet:
Wie man sieht, erreicht der Sicherheitszuschlag in diesem Fall bei 1.000.000 DM fast das fünffache der Prämie. Da ein derartiger Sicherheitszuschlag zweifellos zu hoch ist, müßte man sich entweder mit einem geringeren Sicherheitsindex begnügen oder das Risiko durch Rückversicherung eines Teils der Vers.summe verringern.
Def. A1:
14 siehe K.-H. Wolff „Versicherungsmathematik“, Wien/New York 1970, Seite 337
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(iii) Für jedes
ω∈Ω
heißt die Abb. T→E, t
Beweis (Theorem 1) :
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Literatur
[1] W.-R. Heilmann: „Grundbegriffe der Risikotheorie“ , Karlsruhe 1987
[2] W. Karten: „Grundlagen einer versicherungstechnischen Risikopolitik“ in ‚Versicherungsbetriebslehre: Kernfragen aus entscheidungsorientierter Sicht‘, Karlsruhe 2000, hrsg. von D.Hesberg, M. Nell, A. Richter, W. Schott
[3] W. Karten: „Aspekte des Riskmanagements“ in ‚Versicherungsbetriebslehre: Kernfragen aus entscheidungsorientierter Sicht‘, Karlsruhe 2000, hrsg. von D.Hesberg, M. Nell, A. Richter, W. Schott
[4] W. Karten: „Versicherungstechnisches Risiko - Begriff,Messung und Komponenten“ in ‚Versicherungsbetriebslehre: Kernfragen aus entscheidungs-orientierter Sicht‘, Karlsruhe 2000, hrsg. von D.Hesberg, M. Nell, A. Richter, W. Schott
[5] W. Karten: „Marginalen zur EG-Solvabilitätskontrolle“ in ‚Versicherungsbetriebslehre: Kernfragen aus entscheidungsorientierter Sicht‘, Karlsruhe 2000, hrsg. von D.Hesberg, M. Nell, A. Richter, W. Schott
[6] E. Kremer: „Versicherungsmathematik“, Hamburg 1998
[7] W. Schott: „Steuerung des Risikoreserveprozesses durch Sicherheitszuschläge im Versicherungsunternehmen“ , Karlsruhe 1990
[8] K.-H. Wolff: „Versicherungsmathematik“ , Wien / New York 1970
[9] K. Wolfsdorf: „Versicherungsmathematik“ , Stuttgart 1986
[10] „Solvabilität“ in ‚Handwörterbuch der Versicherung‘ , Karslruhe 1988
[11] „Risikopolitik des Versicherungsunternehmens“ in ‚Handbuch der Versicherung‘ , Karlsruhe 1988