In dieser Arbeit wird die strukturale Medienbildungstheorie auf das Medium Film bezogen, insbesondere auf das Art Cinema, als eine besondere Form filmischer Narration.
Bei der Analyse wird sich an den Ausführungen von Bordwell zum Art Cinema orientiert, der sich intensiv mit dessen Narrationsstruktur und formalen Merkmalen auseinandergesetzt hat. Dabei wird nach dem Prinzip der neoformalistischen Filmanalyse nach Bordwell und Thompson vorgegangen, die die Meinung vertreten, dass die formalen Elemente eines Films dessen Wirkung stärker bestimmten als der eigentliche Inhalt.
Die noch junge Disziplin der Medienbildungsforschung, die sich erst innerhalb des letzten Jahrzehnts etabliert hat, gewinnt immer mehr an Bedeutung. Aufgrund des medialen Wandels und dessen gesellschaftlicher Tragweite, muss Medialität als ein wichtiger Aspekt in der Bildungswissenschaft berücksichtigt werden. Anstelle einer bewahrpädagogischen Haltung gilt es, die bildungstechnisch wertvollen Potenziale von Medien zu erkennen. Dabei befindet sich die Medienbildungsforschung im Schnittfeld bildungstheoretischer, medientheoretischer und kulturtheoretischer Überlegungen.
Die Arbeit konzentriert sich auf die strukturale Medienbildungstheorie nach Jörissen und Marotzki, die sie aufbauend auf die strukturale Bildungstheorie entwickelten. Sie sieht den modernen Bildungsbegriff hauptsächlich als einen Reflexionsbegriff an. Folglich gilt es, die reflexiven Potentiale von Medien aufzudecken. Dafür haben sie vier Dimensionen reflexiver Orientierungsprozesse aufgestellt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Konzept der strukturalen Medienbildung
2.1. Die strukturale Bildungstheorie
2.2. Die strukturale Medienbildung
3. StrukturaleMedienbildungunddasArtCinema
3.1. Strukturale Medienbildung anhand des Mediums Film
3.2. DasArtCinema
3.3. Reflexionspotentiale in der Art Cinema Struktur
4. Schluss
1. Einleitung
Die noch junge Disziplin der Medienbildungsforschung, die sich erst innerhalb des letzten Jahrzehnts etabliert hat, gewinnt immer mehr an Bedeutung (vgl. Jörissen 2011, S. 211). Aufgrund des medialen Wandels und dessen gesellschaftlicher Tragweite, muss Medialität als ein wichtiger Aspekt in der Bildungswissenschaft berücksichtigt werden (vgl. ebd.). Anstelle einer bewahrpädagogischen Haltung gilt es, die bildungstechnisch wertvollen Potenziale von Medien zu erkennen (vgl. ebd.). Dabei befindet sich die Medienbildungsforschung im Schnittfeld bildungstheoretischer, medientheoretischer und kulturtheoretischerÜberlegungen (vgl. Marotzki, Jörissen 2008, S. 100).
Im Folgenden werde ich mich auf die strukturale Medienbildungstheorie nach Jörissen und Marotzki konzentrieren, die sie aufbauend auf die strukturale Bildungstheorie entwickelten. Sie sieht den modernen Bildungsbegriff hauptsächlich als einen Reflexionsbegriff an. Folglich gilt es, die reflexiven Potentiale von Medien aufzudecken. Dafür haben sie vier Dimensionen reflexiver Orientierungsprozesse aufgestellt.
In meiner Arbeit werde ich diese strukturale Medienbildungstheorie auf das Medium Film beziehen, insbesondere auf das Art Cinema, als eine besondere Form filmischer Narration. Bei meiner Analyse orientiere ich mich an den Ausführungen von Bordwell zum Art Cinema, der sich intensiv mit dessen Narrationsstruktur und formalen Merkmalen auseinandergesetzt hat. Dabei werde ich nach dem Prinzip der neoformalistischen Filmanalyse nach Bordwell und Thompson vorgehen, die die Meinung vertreten, dass die formalen Elemente eines Films dessen Wirkung stärker bestimmten, als der eigentliche Inhalt. Deswegen liegt in meiner Arbeit der Fokus auf den strukturalen Eigenschaften des Art Cinemas.
Um meine Fragestellung zu beantworten, inwiefern das Art Cinema Reflexionspotenziale im Sinne der strukturalen Medienbildung bietet, werde ich zuerst die strukturale Bildungstheorie und die darauf aufbauende strukturale Medienbildungstheorie nach Jörissen und Marotzki erläutern. Anschließend werde ich diese auf den Film beziehen und zeigen inwiefern dieses Medium für Bildungsprozesse relevant sein kann. Weiterhin erfolgt ein Überblick über das Art Cinema als Filmform, sowie eine Einordnung in den historischen Kontext, welcher relevant ist für dessen formale Merkmale. Zuletzt werde ich anhand der vier Dimensionen der strukturalen Medienbildung, im Sinne der neoformalistischen Filmanalyse, die strukturalen Merkmale des Art Cinemas im Hinblick auf Reflexionspotenziale untersuchen.
2. Das Konzept der strukturalen Medienbildung
2.1. Die strukturale Bildungstheorie
Bildung ist ein weit verbreiteter Begriff, der in verschiedenen Kontexten genannt wird und dem unterschiedliche Definitionen zugrunde liegen (vgl. Jörissen 2011, S. 211). So taucht er häufig in einem politischen Kontext auf, wenn z.B. das Ziel der gleichen Bildungschancen für alle formuliert oder der Lehrermangel beklagt wird (vgl. ebd. f.). Bei dieser Verwendung des Begriffes wird Bildung hauptsächlich als eine Form der Ausbildung verstanden, wodurch das Individuum grundlegendes Wissen erwirbt und auf das spätere Berufsleben vorbereitet wird (vgl. ebd.). Eine weitere Definition des Begriffes lässt sich erkennen, wenn bestimmte Personen z.B. als sehr gebildet bezeichnet werden (vgl. ebd.). Dabei wird Bildung meistens mit einem umfassenden Wissen in bestimmten Bereichen, wie Politik, Geschichte oderLiteratur, gleichgesetzt (vgl. ebd.).
Die beiden Pädagogen Jörissen und Marotzki sehen diese Definitionen von Bildungjedoch als nicht ausreichend an (vgl. Jörissen, Marotzki 2009, S. 10). „Vielleicht konnte die Idee, dass Bildung darin besteht, sich einen festgelegten Kanon an Inhalten anzueignen, irgendwann einmal plausibel erscheinen: in der die Welt noch als geordnetes Ganzes vorgestellt werden konnte [...]“ (Ebd.). So hat die Definition des Bildungsbegriffes einen historischen Wandel erfahren (vgl. ebd., S. 11). Während in früheren Zeiten materiale Bildungstheorien vorherrschend waren, die Bildung als das Aneignen bestimmter Wissensinhalte ansahen, rückten immer mehr auch formale Bildungstheorien in den Fokus, die Bildung als einen prinzipiell unabgeschlossenen Prozess verstanden, bei dem eine Veränderung bzw. Erweiterung von Ansichten über die Welt und das Selbst erfolgt (vgl. ebd.). Zu den zuletzt genannten zählt auch die strukturale Bildungstheorie (vgl. ebd.). Sie baut auf dem Bildungsverständnis von Wilhelm von Humboldt und Wolfgang Klafki auf (vgl. ebd.).
Im Fokus der Bildungstheorie nach Humboldt steht die Dezentrierung des Menschen, also die Einsicht, dass man nicht im Zentrum von allem steht, sowie die Offenheit neue Perspektiven einzunehmen und seine eigenen Weltansichten zu überdenken (vgl. ebd., S. 12 f.). Dafür muss man sich nach Humboldt andere Kulturen und somit Weltorientierungen erschließen (vgl. ebd.).
Ähnlich wie Humboldt zielt Klafkis Konzept der Allgemeinbildung nicht auf bestimmte Leminhalte ab (vgl. ebd., S. 14). Er bezieht Komponenten der Persönlichkeitsentwicklung, sowie politisch-moralische Kompetenzen, mit ein. Bildung bedeutet nach seinem Verständnis, ein differenziertes gesellschaftliches Problembewusstsein zu erlangen, durch die Beschäftigung mit gesellschaftlichen Schlüsselproblemen (vgl. ebd.).
Auch Jörissen und Marotzki vertreten die Meinung, dass Bildung außer dem Inhaltlichen noch eine weitere wichtige Dimension beinhaltet, die bei den materialen Bildungstheorien nicht berücksichtigt wird: Die der Reflexion (vgl. ebd., S. 29). Die strukturale Bildungstheorie stützt sich auf der Annahme, dass in der Postmoderne dem Aspekt der Reflexion eine hohe Bedeutung zukommt, da diese von Orientierungskrisen geprägt ist, welche zur Auflösung von ,,[...] tradierten Wert- und Weltorientierungen [...]“ (Ebd., S. 15) führen. Dadurch entstehen Unbestimmheitsräume, die das Individuum nur durch Reflexion produktiv verarbeiten kann (vgl. Marotzki, Jörissen 2008, S. 100).
Heitmeyer unterscheidet drei Krisentypen der Moderne, welche Unsicherheiten erzeugen, aber auch Freiräume für neue Orientierungsprozesse schaffen: Strukturkrisen, Regulationkrisen und Kohäsionskrisen (vgl. Jörissen, Marotzki 2009, S. 15 ff.). Strukturkrisen sind ,,[...] Krisen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene [...]“ (Ebd., S. 16), die die Volkswirtschaft betreffen. Dazu zählt z.B. der Wandel der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, sowie die Globalisierung (vgl. ebd.). Diese Phänomene führen zu einer Unsicherheit darüber, inwiefern sich diese Transformationsprozesse in Zukunft fortsetzen werden und was dies z.B. für Arbeitsplätze bedeutet (vgl. ebd., S. 16 f.). Regulationskrisen bezeichnen eine,,[...] Pluralisierung von Werten und Normen [...]“ (Ebd., S. 17), was dazu führt, dass dem Individuum Orientierungsrahmen in Form von tradierten Wert- und Normvorstellungen fehlen (vgl. ebd., S. 16). Unter Kohäsionskrisen versteht Heitmeyer die Schattenseiten der Individualisierung, die sich als Vereinzelung und Vereinsamung des Individuums manifestieren (vgl. Heitmeyer 1997, S. 636).
In einer hochkomplexen Gesellschaft, die von den genannten Krisen gekennzeichnet ist, zeichnet sich moderne Bildung durch die Merkmale Orientierung, Flexibilisierung, Tentativität und Alterität aus (vgl. Marotzki, Jörissen 2008, S. 100 f.), die aufeinander aufbauen. Eine Orientierungsfähigkeit, die es dem Individuum ermöglicht sich innerhalb ,,[...] unübersichtlicher und kontingenter gesellschaftlicher Bedingungen Orientierung zu verschaffen [...]“ (Ebd., S. 100), ist essenziell für Bildungsprozesse im Sinne der strukturalen Bildungstheorie (vgl. ebd., S. 100 f.). Dabei sind die beiden Begriffe Reflexion und Orientierung eng miteinander verbunden, denn erst durch reflexive Prozesse wird eine Orientierung möglich (vgl. Jörissen, Marotzki 2009, S. 29). Wichtig ist jedoch auch die Fähigkeit Denk- und Handlungsmuster immer wieder reflexiv zu überdenken und gegebenenfalls anzupassen, sich also umzuorientieren (vgl. Marotzki, Jörissen 2008, S. 101). Dies bezeichnet der Begriff Flexibilisierung (vgl. ebd.). Darüber hinaus sollte das Individuum eine Haltung besitzen, die geprägt ist von Offenheit gegenüber dem Unbekannten und neuen Erfahrungsräumen, sowie dem Interesse daran diese zu erkunden und sie sich zu erschließen (vgl. Marotzki, Jörissen 2008, S. 101). Dann ist das Verhalten auf Tentativität ausgerichtet (vgl. ebd.). Alterität meint nun die Fähigkeit, einen für sich geeigneten Umgang mit dem Unbekannten und vielleicht sogar unbekannt bleibenden zu finden (vgl. ebd.).
Darüber hinaus ist Bildung immer auch mit gesellschaftlicher Partizipation verbunden, bei der die eigenen erlangten Sichtweisen auf die Welt und das Selbst artikuliert werden (vgl. Marotzki, Jörissem 2008, S. 102).
Die strukturale Bildungstheorie unterscheidet vier Dimensionen reflexiver Orientierungsprozesse (vgl. Marotzki, Jörissen 2008, S. 101). Diese orientieren sich an vier Fragen, die Immanuel Kant aufgestellt hat und die der philosophischen Reflexion dienen: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? (vgl. ebd.). Die erste Dimension ist folglich der Wissensbezug, der auf einen kritischen Umgang mit vermeintlichem Wissen verweist (vgl. Marotzki, Jörissen 2008, S. 101). Dazu zählt die Frage nach der Seriosität von Quellen, sowie die ,,[...] Reflexion auf Bedingungen und Grenzen des Wissens [...]“ (Ebd.). Die Dimension Handlungsbezug vergegenwärtigt, dass reflexive Orientierung letztendlich auch in Handlungen resultiert (vgl. Marotzki, Jörissen 2009, S. 34). Sie bezieht sich auf die Beschäftigung mit ethischen und moralischen Vorstellungen, auf dessen Grundlage Handlungsoptionen abgewogen werden (vgl. ebd. S. 33). Die Bildung zu einem autonomen Subjekt sollte ein Verantwortungsbewusstsein mit sich bringen, welches das eigene Handeln mitbestimmt (vgl. ebd., S. 33 f.). So formulierte Weniger 1952: „Bildung ist der Zustand, in dem man Verantwortung übernehmen kann“ (Ebd., S. 33). Es geht aber auch darum, Verpflichtungen abzuschätzen und sie mit Freiheiten in eine Balance zu bringen (vgl. ebd., S. 34). Der Grenzbezug bezieht sich auf die Abschätzung der Grenzen des rationalen Denkens (vgl. ebd., S. 34). Dazu gehört die Reflexion auf Religion und Spiritualität, sowie auf Grenzziehungen unterschiedlicher Art, die nicht eindeutig mit dem Verstand erfasst werden können (vgl. ebd.). So z.B. die Grenze zwischen Leben und Tod, Körper und Geist oder Mensch und Technik (vgl. ebd., S. 34 f.). Der Biographiebezug oder die Reflexion auf das Subjekt umfasst zwei Ebenen (vgl. ebd., S. 36). Auf der einen Seite thematisiert diese Dimension die Anthropologie, also eine grundsätzliche Frage nach dem Wesen des Menschen (vgl. ebd.). Auf der anderen Seite beinhaltet sie die Beschäftigung mit der individuellen Biographie und der Identitätsbildung (vgl. ebd., S. 36 f.).
2.2. Die strukturale Medienbildung
Die strukturale Medienbildung schafft eine Verbindung zwischen der oben beschriebenen strukturalen Bildungstheorie und Medien. Das Konzept basiert folglich auf der grundlegenden Annahme, dass sich moderne Bildungsprozesse in medial geprägten Lebenswelten ereignen und Medien als Artikulations-, sowie Kommunikationsformen die Gesellschaft und in ihr verankerte Diskurse wiederspiegeln (vgl. Marotzki, Jörissen 2008, S. 100). Daher kommt ihnen eine große Bedeutung für solche Prozesse zu. Unter Medienbildung in diesem Sinne wird also die ,,[...] in und durch Medien induzierte Veränderung von Mustern des Welt- und Selbstbezugs“ (Ebd., S. 109) verstanden.
Eine Auseinandersetzung mit Medien erfordert grundsätzlich eine Komponente, die die strukturale Bildung ausmacht: Die Bereitschaft zu Tentativität (vgl. Marotzki, Jörissen 2009, S. 30). Die Erkundung des Unbekannten ist in Bezug auf Medien elementar, z.B. wenn es darum geht, einen Umgang mit bestimmten Medientechnologien zu erlernen, sich mit neuen Formen der Kommunikation auseinanderzusetzen oder auch unbekannten Kulturen oder Subkulturen durch Medien zu begegnen (vgl. ebd.).
Die Theorie der Medienbildung geht davon aus, dass Medien, als Form von visuellen, auditiven oder audiovisuellen Artikulationen, ein hohes Reflexionspotenzial enthalten können (vgl. Marotzki, Jörissen 2008, S. 103). Außerdem stellen mediale Räume zunehmend Orte sozialer Begegnungen dar, sogenannte mediale soziale Arenen (vgl. ebd.). Durch eine interaktive Nutzung ermöglichen sie eine Artikulation der eigenen Sichtweisen und somit gesellschaftliche Partizipation. Ein Beispiel dafür ist Social Media. Wie der Name bereits andeutet, basieren die, auch neuen Medien genannt, auf dem Konzept, dass sie eine Plattform für soziale Interaktionen darstellen. Auf diesen Aspekt werde ich in meiner Arbeit jedoch nicht näher eingehen, da ich mich im Folgenden auf das Medium Film beschränke. Obwohl dabei wichtig zu erwähnen ist, dass natürlich auch Filme Grundlagen für den Austausch in medialen sozialen Arenen bilden.
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