Die Seminararbeit beschäftigt sich mit der Mehrfachnegation der sogenannten Sprachinseln Pennsylvaniadeutsch, Hutterisch und Plautddietsch sowie den jeweiligen Ausgangsdialekten Pfälzisch, Kärntnerisch und Niederdeutsch. Mittels eines Fragenkatalogs wird die "Ist-Situation" in der jeweiligen Varietät abgefragt bzw. festgehalten und mit der "Soll-Situation" in der theoretischen Literatur verglichen. So werden nicht nur die einzelnen Formen der mehrfachen Negation ausführlich erläutert, sondern auch in ein kontrastives Licht gerückt.
Für die Arbeit sollen diese drei Gruppen näher untersucht werden, also jeweils die Ausgangsdialekte ND, KÄR und PF und die zugehörigen Sprachinseln PLA, HUT und PAD. Die Grundlage der Untersuchung bietet die einschlägige Literatur (zu den Dialekten und Sprachinseln) zum Thema Negation und Mehrfachnegation. Die herangezogenen Werke sind zum einen Grammatiken oder Grundlagenbücher zum Erlernen einer Sprache (Primärliteratur), aber auch Studien oder Arbeiten zu spezifischen Phänomenen (Sekundärliteratur).
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellen Verzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Mehrfache V erneinung
1.1 Die doppelte Verneinung - ein logisches Problem?
1.2 Herangehensweise
2 Mehrfachnegation im Vergleich
2.1 Allgemeines zur mehrfachen Negation
2.1.1 Negation, doppelte Negation und Mehrfachnegation
2.1.2 Diachrone Mehrfachnegation - der Jespersen-Zyklus
2.2 Ergebnisse aus dem Fragebogen
2.2.1 Methodik und erwartetes Ergebnis
2.2.2 Pfälzisch und Pennsylvaniadeutsch
2.2.3 Kärntnerisch und Hutterisch
2.2.4 Niederdeutsch und Plautdietsch
3 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abb.1: Mehrfachnegation im Bairischen
Abb.2: Jespersen-Zyklus
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Arten der double attraction
Tabelle 2: Arten des negative doubling
Tabelle 3: Zusammensetzung der Negation nach Dahl
Tabelle 4: Fragebogen-Schlüssel
Tabelle 5: Übersicht über die Ergebnisse aus dem Fragebogen
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Mehrfache Verneinung
1.1 Die doppelte Verneinung - ein logisches Problem?
Eine doppelte oder mehrfache Verneinung hebt sich in der Regel, gemäß den Gesetzen der Logik oder rhetorischer Figuren wie der Litotes folgend, in der Standardsprache auf. Der mathematischen Konsequenz nach ist das Produkt zweier negativer Komponenten eben ein positives, siehe Satz (1).
1) Ich will nicht, dass du es nicht tust
a) =ich will, dass du es tust
Diese Formel lässt sich zwar auf den Wahrheitsgehalt oder die Warheitsbedingungen eines Satzes übertragen, dennoch ist sie, zum Beispiel auf dialektaler Ebene, nicht uneingeschränkt gültig. Zahlreiche natürliche Sprachen sehen in der doppelten Negation eben kein logisches Problem, sondern lediglich eine Betonung der Verneinung. So heben sich z.B. Satz (2 & 3) aus dem Bairischen nicht auf (Weiß 1998: 167ff):
2) koa Mensch is ned kema
a) =kein Mensch ist gekommen/ niemand ist gekommen
b) *kein Mensch ist nicht gekommen/ *jeder ist gekommen
c) =koa Mensch is kema
3) des is koam ned afgfoin
a) =das ist keinem aufgefallen/ niemandem ist es aufgefallen
b) *das ist keinem nicht aufgefallen/ *jedem ist es aufgefallen
c) =des is koam afgfoin
Die Sätze (2a & 3a) stellen die sinngemäße, die Sätze (2b & 3b) die logische (standardsprachliche) Übersetzung dar, wobei (2b & 3b) eben nicht die hier beabsichtigte Negationsintention abbilden. Die Sätze (2c & 3c) sind sowohl das logische Äquivalent zum Ausgangssatz als auch die unmarkiertere (dialektale) Standard-Negationsform. Wie durch die unterschiedlichen, gleichzeitigen Negationsoptionen deutlich wird, ist die Mehrfachnegation (MN) in den vorgestellten Beispielen nicht obligatorisch, sie wird aber von den Dialektsprechern durchwegs erkannt und akzeptiert. Ebenso wenig tritt die MN ausschließlich in süddeutschen Dialekten auf, im Russischen ist die MN beispielsweise in einigen Fällen sogar obligatorisch (Weiß 1998: 181). Auch im Niederdeut- sehen (ND) ist die MN geläufig (Lindow 1998: 283ff.). Eine Sprachinsel des Niederdeutschen, nämlich das Plautdietsche (PLA), weist ebenfalls eine Tendenz zur MN auf (Siemens 2012: 199). Generell ist davon auszugehen, dass die MN in weit mehr natürlichen Sprachen vorhanden ist, als die Literatur erfasst. So ist beispielsweise die MN im Hutterischen, einer Sprachinsel des Kärntnerischen (KÄR), gut dokumentiert (z.B. Hoover 1997), wohingegen für die Sockelsprache Kärntnerisch die Option der MN nicht zur Sprache kommt. Für das Pfälzische (PF) und der zugehörigen Sprachinsel Pennsylvaniadeutsch (PAD) bleibt die Option zur MN ebenfalls in der Literatur unerwähnt.
1.2 Herangehensweise
Für die folgende Arbeit sollen diese drei Gruppen näher untersucht werden, also jeweils die Ausgangsdialekte ND, KÄR und PF und die zugehörigen Sprachinseln PLA, HUT und PAD. Die Grundlage der Untersuchung bietet die einschlägige Literatur (zu den Dialekten und Sprachinseln) zum Thema Negation und Mehrfachnegation. Die herangezogenen Werke sind zum einen Grammatiken oder Grundlagenbücher zum Erlernen einer Sprache (Primärliteratur), aber auch Studien oder Arbeiten zu spezifischen Phänomenen (Sekundärliteratur). Für das Pfälzische wird so u.a. Post (1992) herangezogen, für das Pennsylvaniadeutsche Barba & Buffington (1954), für das Kärntnerische Pohl (1989), das Hutterische Hoover (1997), sowie Lindow (1998) für das Niederdeutsche und Siemens (2012) für das Plautdietsche. Daneben bilden die Arbeiten von u.a. Dahl (1979 & 1993), Hentschel (1998), Miestamo (2007), Weiß (1998) oder Wouden/Zwarts (1993) die syntaktische Grundlage zur Negation (bzw. MN). Wie eingangs bereits erwähnt, sind einige Varietäten (im Bezug auf die MN) besser dokumentiert als andere. Mittels eines Fragebogens, der sich sowohl an die Sprecher der Sockelsprache als auch an die Sprecher der Sprachinsel richtet, soll zum einem gezeigt werden, dass die MN nicht nur aktiv produziert wird, sondern auch tatsächlich in mehreren Varietäten auftritt - auch in einigen, die in der Literatur nicht berücksichtigt werden. Ein weiterer Schritt der Arbeit besteht im Vergleichen der erarbeiteten Ergebnisse aus der Literatur mit den Ergebnissen des Fragebogens. Zum Abschluss werden so die verschiedenen Formen der mehrfachen Negation gegenübergestellt.
2.1 Allgemeines zur mehrfachen Negation
Die Negation an sich ist eine universelle Kategorie, die weniger mit der außersprachlichen Wirklichkeit zu tun hat, als mit der menschlichen Interpretation (Hentschel 1998: 6f.). Die Deutung einer möglicherweise mehrfach negierten Aussage liegt also Ermessen der jeweiligen Sprache, also ob eine doppelte Verneinung nun als Umkehr des Wahrheitswertes definiert wird oder eben nicht, auch wenn die Aufhebung die (standardsprachlich gesehen) logische Konsequenz wäre (wie im Standarddeutschen). Vielmehr ist die MN, insofern sie sich nicht aufhebt, ein Mittel zur Betonung der Negation. Diese unterschiedlichen Auflösungen resultieren in einem logischen Problem. Die MN folgt somit nicht den Regeln des Frege-Prinzips (4) (nach Grewen- dorf/Hamm/Sternefeld 1988: 318) und auch nicht dem Gesetz der doppelten Verneinung (5) (nach Kutschera/Bieroff) (beide zitiert nach Weiß 1998: 167), welche besagen:
4) Die Bedeutung eines Satzes lässt sich aus den Bedeutungen seiner Teilausdrücke ermitteln.
5) Doppelte Verneinung ist Bejahung. Ein doppelt verneinter Satz aus zwei negativen Teilen hat denselben Wahrheitswert wie der unverneinte Satz.
Die MN weist somit auf eine Schwachstelle des Frege-Prinzips hin. Auch in der Logik würde sich eine MN ebenfalls aufheben. Im Folgenden wird daher zunächst der Begriff der Negation und der MN näher abgegrenzt. Anschließend wird sich dem Problem der Gleichzeitigkeit von mehrfacher und singulärer Verneinung gewidmet.
2.1.1 Negation, doppelte Negation und Mehrfachnegation
Zunächst soll definiert werden, was genau unter dem Begriff der Negation zu verstehen ist. Wie bereits erwähnt, wird die Negation als universelle Kategorie betrachtet. So besitzt nach Miestamo (2007: 553) jede natürliche Sprache mindestens eine Möglichkeit, um die Negation eines Satzes auszudrücken, was über eine oder mehrere Konstruktionen funktioniert. Miestamo (2007: 553) verwendet für die basale Verbalnegation den Begriff der Standardnegation (SN) (nach Payne 1985), den er als „basic means that languages have for negating declarative verbal main clauses“ definiert. Die SN im Deutschen erfolgt demzufolge durch eine Konstruktion mit nicht, im Englischen beispielsweise mit not. Dahl (1979), definiert die Negation wie folgt:
„We have already pointed out that one can state with some confidence that Neg is a universal category. In order to make this statement falsifiable, we must of course decide what we mean by 'Neg'. Althought the semantics of Neg is connected with quite a few intricate problems, it still seems possible to give a relatively uncontroversial characterization of Neg in semantic terms. We thus formulate as a necessary condition for something to be called Neg that it be a means for converting a sentence S1 into another sentence S2 such that S2 is true whenever S1 is false, and- vice versa. This condition is necessary but not sufficient. It does not distinguish among cases like the following in English:
(1) It is not raining
(2) It is false that it is raining
(3) It is not the case that it is raining.
All these constructions seem to fulfil the condition. Yet, even though some philosophers refer to (2-3) as 'external negation', most linguists would agree that only (1) qualifies as a negated sentence in the proper sense.“ (Dahl 1979: 80)
Das Beispiel it is not raining stellt demnach die Standardnegation des Englischen dar und zwar durch die Negation des Prädikats. Der Begriff soll dabei jedoch nicht implizieren, dass die SN die einzige unmarkierte Form der Verneinung darstellt, sondern lediglich die am häufigsten vorkommende Form der Negierung. Nun ist es in anderen natürlichen Sprachen möglich, den Satz it is not raining mit einem zusätzlichen Negator zu erweitern, ohne dass der ursprüngliche Wahrheitsgehalt1 verloren geht, z.B. im Bairischen es rengt nia ned (es regnet nie nicht), wobei der Wahrheitsgehalt eben immer noch negativ zu interpretieren ist. Das Auftreten von zwei negierenden Elementen gleichzeitig, ohne dass sie sich gegenseitig aufheben, ist folglich die doppelte Negation. Im weiteren Sinne ist jede doppelte Negation auch eine mehrfache Negation, weil diese Konstruktionen eben mehr als ein Negationselement aufweisen. In mehreren natürlichen Sprachen ist es sogar üblich, dass indefinite Elemente stets mitnegiert werden, wie beispielsweise im Serbischen nisam nikoga videla ('nicht-bin niemanden gesehene’) (Hent- schel 1998:15). Generell ist es möglich, mehr als zwei Satzglieder auf einmal zu negieren, was folglich die MN im engeren Sinne auszeichnet. Wouden/Zwarts (1993) z.B. unterscheiden zwischen drei verschiedenen Arten bei der mehrfachen Negation. Diese lauten double attraction, resumptive negation und paratactic negation und definieren sich wie folgt:
We distinguish three types: double attraction (also known as ‘cumulative negation’ or ‘negative concord proper’), where negation seems to be expressed in every possible element, including sentence negation, negative noun phrases and negative conjunctions (examples in (1)), resumptive negation, where the negative force of a negated sentence is enhanced by a negative tag (2), and paratactic negation, where a negative word or special complementizer is found in a clause dependent on a verb or construction with negative import (3).
(1)a) It ain’t no cat can’t get into no coop (BEV: Labov 1972)
b) There was hardly no money, nor hardly no hope (Cockney: Seuren 1991)
c) Je n’ai vu personne (French) I not-have seen nobody ‘I haven’t seen anybody’
(2)a) I shall never do it, not on any condition (example from Jespersen 1917)
b) He cannot sleep, neither at night nor in the daytime (id.)
c) He wasn’t changed at all hardly (Kipling, cited by Jespersen)
(3)a) Timeo ne veniat (Latin) Fear-1SG that-not come-3SG(SUBJ) ‘I fear that he may come’
b) Then fearing lest we should have fallen upon rocks, they cast four anchors out of the stern (Acts 27:29)
c) Meer goets dan Artur nie gewan (Middle Dutch: Stoett 1923) More goods than Arthur never won (Wouden/Zwarts 1993:1)
Des Weiteren unterteilen Wouden/Zwarts (1993:2) die double attraction in zwei weitere Typen, nämlich negative spread und negative doubling (vgl. Tab. 1). Spread ist dabei, wie der Name schon impliziert, eine (obligatorische) Negation durch zwei fest zusammengehörende Negationsbestandteile, z.B. im (literarischen) Französischen ne...pas („a distinguished negative element shows up in the sentence whenever it contains a negative expression“ (Wouden/Zwarts1993:2)). Doubling ist demnach das Auftreten mehrerer negativer Elemente.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Arten der double attraction.
(Quelle: Eigene Darstellung nach Wouden/Zwarts (1993:2)).
Auch im Bairischen ist die MN (mit mehr als zwei Negatoren) durch negative doubling möglich. Weiß (1998) verweist zum Beispiel auf eine gleichzeitige Negation von Prädikat, Subjekt und Objekt im Beispielsatz mia hod neamd koa stikl broud ned kschengt (Weiß 1998: 204f., siehe Abbildung 1).
Abb. 1: Mehrfachnegation im Bairischen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Quelle: Weiß (1998: 205)).
Der Satz mir hat niemand kein Stück Brot nicht geschenkt enthält neben der Negation des Verbs auch ein negiertes Subjekt (neamd) und ein negiertes Objekt (koa broud). Voraussetzung für das Auftreten einer MN in natürlichen Sprache ist das Vorhandensein sogenannter inhärent negativer Quantoren (INQ) (Weiß 1998: 180 nach Kiparsky 1976: 2632 ), also Indefinitpronomen die eine negative (leere) Menge ausdrücken, wie keiner oder niemand und sich aus der Negation des Existenzquantors (etwas, jemand...), also beispielsweise nicht + etwas = kein oder nicht + jemand = niemand, ergeben.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es im Sinne der mehrfachen Negation drei verschiedene Negationstypen nach Wouden/Zwarts (1993) gibt, nämlich double attraction, resumptive negation und paratactic negation. Der für diese Arbeit relevante Typ ist die double attraction, beziehungsweise näher unterteilt das negative doubling. Das negative doubling in den zu untersuchenden Sprachen kann sich an verschiedene Satzelemente richten. Zum einen an das Verb, also die Negation des Prädikats (NegP), was als Standardnegation definiert wird und zum anderen an das Subjekt oder Objekt (NegSO), wie die folgende Tabelle veranschaulicht (siehe Tabelle 2).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2: Arten des negative doubling.
(Quelle: Eigene Darstellung nach Weiß (1998: 201ff.) und mit Beispielen von Lindow (1998: 285)).
2.1.2 Diachrone Mehrfachnegation - der Jespersen-Zyklus
In vielen Sprachen stehen mehrere sprachliche Mittel bereit, um ein negatives Ergebnis ausdrücken, so auch im Deutschen. Diese Elemente sind demnach Negationspartikel (nicht), gebundene Negationspartikel (un-), negierte Existenzmarker/-quantoren, negierte Pronomina und Negationsadverbien (keiner, nichts...) (Hentschel 1998: 11). Im Deutschen oder beispielsweise auch im Englischen ist es somit möglich, einen positiven Wahrheitswert in einen negativen durch bloßes Suffigieren zu verwandeln, z.B. appropriate -> in-appropriate oder angebracht -> un-angebracht. Die für die MN relevanten Negationselemente sind zum einen die bereits erwähnten INQ, also Hentschels (1998: 11) ,negierte Pronomina und Negationsadverbienk Zum anderen ist die Negationspartikel nicht relevant, welche im Folgenden immer als Standardnegation (SN) bezeichnet wird. Die SN mit nicht sieht im Deutschen also folgendermaßen aus (6a):
6) Moritz und Max, die beiden Katzen, haben gegessen und getrunken
a) Moritz und Max haben nicht viel gegessen und getrunken
b) *Nicht Moritz und nicht Max haben viel gegessen und getrunken
c) ?Moritz und Max haben nicht viel gegessen und nicht viel getrunken
Es reicht aus, Satz (6a) mit einem negierenden Element vor den beiden Verben auszustatten, es muss nicht explizit zweimal (6c) verwendet werden, wobei diese Variante kaum auf großen Unmut stoßen dürfte. Zusätzlich ist eine doppelte Negation, bestehend aus zweimaligem Vorkommen der SN nicht/ned (6b), im Standarddeutschen und auch im Bairischen ungrammatisch (Weiß 1998: 188). Satz (7a) (dem Beispiel von Weiß 1998:188 folgend) ist im Bairischen beispielsweise so nicht möglich:
7) Ausgangssatz: Koana is ned kema (=keiner ist nicht gekommen)
a) *Ned da Otto is ned kema (=nicht der Otto ist nicht gekommen)
b) ?Ned oana is ned kema (=nicht einer ist nicht gekommen)
Satz (7b) ist wiederum durchaus im Sinne der doppelten Negation möglich. Nicht ei- ner/ned oana + Standardnegation ist zulässig. In anderen Sprachen kann das Mitnegieren mehrerer Bestandteile durchaus geläufig sein. Hentschel (1998) verweist, wie bereits erwähnt, beispielsweise auf das Serbische (nisam nikoga videla 'nicht-bin niemanden gesehene’) (Hentschel 1998: 15). In anderen slavischen Sprache ist die Mitnegierung der indefiniten Elemente aber ebenfalls der Standard-Fall, beispielsweise im Russischen (nikto nicego ne znaet 'niemand nichts nicht gesehen') (Hentschel 1998: 15). Auch im Französischen wird (zumindest in der literarischen Welt) noch durch eine doppelte Negation verneint, auch wenn dieses Phänomen eher im Rückgang ist. Hier funktioniert die Negation über die Partikel ne... pas, die das finite Verb umschließen. Weiß (1998: 169) beschreibt die französische Negation als „singuläre diskontinuierliche Negation“. Wie kann es also sein, dass zwei natürliche Sprachen, wie das Bairische und das Standarddeutsche oder das literarische und das gesprochene Französisch, zur gleichen Zeit eine singuläre und eine mehrfache Negation aufweisen? Die Diskrepanz bei dem diachronen Auftreten der MN lässt sich dadurch erklären, dass sich die Negationselemente in verschiedenen Phasen oder auf unterschiedlichen Negations-Stufen befinden. Mit Blick auf das Französische verweisen viele Arbeiten (u.a. Weiß 1998:169f., Hentschel 1998: 17 oder Wouden/Zwarts1993: 1) auf den sogenannten Jespersen- Zyklus, einem Negations-Kreislauf mit drei verschiedenen Phasen. Dieser Zyklus besagt nach Jespersen (1966), dass das negative Adverb zunächst abgeschwächt wird, dann unzureichend wird und deshalb durch ein zweites, zusätzliches Wort, verstärkt wird. Anschließend wird dieses zusätzliche Wort als die eigentliche Negation angesehen (Grewendorf 1990 nach Weiß 1998: 170; Jespersen 1966 nach Hentschel 1998: 17, vgl. Abb.2).
[...]
1 Der Wahrheitsgehalt bleibt erhalten, aber die Satzbedeutung verändert sich minimal. Beim bairischen Beispiel es rengt nia ned steht nie im Fokus des Satzes.
2 Wenngleich Weiß im selben Satz erwähnt, dass das bloße Vorhandensein allein nicht ausreiche (Weiß 1998: 180).