Das Ziel der Arbeit ist es, konkrete Probleme und Limits der präskriptiven Satzglied- und Wortartentheorie zu benennen und sie durch das ‚Instrumentarium‘ und die Logik der deskriptiven Syntax zu klären. Während das erste Kapitel die exemplifizierten Problemfälle der traditionellen Sicht auf Wortarten und Satzgliedfunktionen benennt, betrachtet das zweite Kapitel die Grenzen der präskriptiven Sicht auf die Satzstruktur im Kontext der Linearität der syntaktischen Relationen, der begrifflichen ‚Starrheit‘ und der methodologischen ‚sprachpraxisfernen‘ Schlichtheit. Das dritte Kapitel veranschaulicht die strukturmäßige sowie empirische Herangehensweise an die Probleme der Wortart- und Satzgliedfunktionstheorien durch Konstituentenkategorien, -relationen und Phrasenstrukturgrammatik. Das gleiche Kapitel befasst sich mit dem qualitativ neuen begrifflichen ‚Inventar‘, dem deskriptiv-generativen methodologischen ‚Instrumentarium‘ der K-Syntax (X-bar Theorie, Strukturbaum oder a-Bewegung) und mit der Mehrdimensionalität der syntaktischen Relationen. Das dritte Kapitel diskutiert die syntaktischen Relationen und Konstituenten des Deutschen in einer generativen Logik, bringt die methodologischen Vorteile der deskriptiven Herangehensweise an syntaktische Kategorien zum Vorschein und veranschaulicht somit noch einmal die Limits der traditionellen Sicht auf die Syntax der deutschen Sprache.
INHALTSVERZEICHNIS
EINLEITUNG: DIE LÜCKEN IN DER TRADITIONELLEN AUFFASSUNG DER WORTARTEN UND SATZGLIEDFUNKTIONEN VOR DEM HINTERGRUND DER DESKRIPTIVEN HERANGEHENSWEISE AN DIE SYNTAX
KAPITEL 1: DIE BESTIMMUNG DER PROBLEME DER NORMATIVEN SICHT AUF DIE DEUTSCHE SYNTAX
1.1. Die Wortartentheorie aus dem Blickwinkel der präskriptiven Grammatik
1.2. Die Problemfälle der traditionellen Grammatik in Hinsicht auf die Theorie der Satzgliedfunktionen
KAPITEL 2: DIE GRENZEN DER LINEAREN SICHT AUF DIE WORTARTENTHEORIE UND DIE THEORIE DER SATZGLIEDFUNKTIONEN
2.1. Die Einschränkungen der Linearität der traditionellen Syntax bezüglich der Wortartentheorie
2.2. Die Limits der linearen Herangehensweise an die Theorie der Satzgliedfunktionen
KAPITEL 3: DIE ,K-SYNTAX‘ UND IHR ,INSTRUMENTARIUM‘ ALS EINE GENERATIV-DESKRIPTIVE LÖSUNG DER PROBLEME DER TRADITIONELLEN SICHT AUF DIE SATZGLIEDFUNKTIONEN UND WORTARTEN
3.1. Die ,Werkzeuge‘ des deskriptiven Models - Konstituententests, Konstituentenstruktur und Konstituenzrelationen - weiten die Grenzen des traditionellen Verstehens der Wörter aus
3.2. Die Phrasenstrukturgrammatik, neue Begrifflichkeit und das generativ-deskriptive ,Inventar‘ der K-Syntax bezüglich der Theorie der Satzgliedfunktionen
ZUSAMMENFASSUNG: DAS DESKRIPTIV-GENERATIVE MODEL ALS , SPIEGEL ‘ DER LIMITS UND DISKREPANZEN DER NORMATIVEN SYNTAXAUFFASUNG
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
LITERATURVERZEICHNIS
EINLEITUNG: DIE LÜCKEN IN DER TRADITIONELLEN AUFFASSUNG DER WORTARTEN UND SATZGLIEDFUNKTIONEN VOR DEM HINTERGRUND DER DESKRIPTIVEN HERANGEHENSWEISE AN DIE SYNTAX
In der Diskussion über die Satzstruktur im Deutschen lässt die Schulgrammatik ziemlich viele Fragen offen. Nach welchen Kriterien soll sich man richten, wenn man entscheidet, ob das Adjektiv der Netteste im Satz Der Netteste von euch kriegt 3 Bonbons groß oder klein geschrieben werden sollte? Zu welchen Wortarten gehören die Wörter mondbeschienen oder todlachen? Welche syntaktischen Funktionen im Satz hat der Ausdruck das Nicht-mehr-fertig-Werden und zu welcher Wortart gehört er? Was für eine Wortart sind die Wörter das Sprechen oder die Soll-Stärke? Ist aufgeregt ein Attribut oder ein Prädikat? Auf all die Fragen gibt die traditionelle Grammatik nur präskriptive Anmerkungen, wie die deutsche Syntax sein soll, statt zu erklären (wie das deskriptiv-generative Sprachwissenschaftler tun), warum sie so aussieht.
Die präskriptive Sicht auf die syntaktische Satzstruktur wird auf zwei von den Anhängern der deskriptiven Grammatik angebotenen Beschreibungsebenen analysiert: die Satzstruktur wird, zum einen, aus dem Blickwinkel der Wortartentheorie und, zum anderen, aus der Perspektive der Theorie der Satzgliedfunktionen betrachtet. Die deskriptive Logik fokussiert sich auf die ,unveränderlichen‘ Eigenschaften der Wortarten und auf die durch Satzrelationen ,kontextualisierten‘ und, deswegen, ,veränderlichen‘ Merkmale. Die ,Deskriptivisten‘ legen den Merkmalen der Wortarten oder Satzgliedfunktionen eine individuelle, mehrdimensionale und empirische Herangehensweise zugrunde, während die Schulgrammatik die unklar aber starr definierten Bündelungen der Eigenschaften als kategorisierender Gradmesser für die Bestimmung der Satzgliedfunktionen und Wortarten betrachtet.
Das Ziel der Hausarbeit ist es folglich, konkrete Probleme und Limits der präskriptiven Satzglied- und Wortartentheorie zu benennen und sie durch das ,Instrumentarium‘ und die Logik der deskriptiven Syntax zu klären.
Während das erste Kapitel die exemplifizierten Problemfälle der traditionellen Sicht auf Wortarten und Satzgliedfunktionen benennt, betrachtet das zweite Kapitel die Grenzen der präskriptiven Sicht auf die Satzstruktur im Kontext der Linearität der syntaktischen Relationen, der begrifflichen ,Starrheit‘ und der methodologischen ,sprachpraxisfernen‘ Schlichtheit. Das dritte Kapitel veranschaulicht die strukturmäßige sowie empirische Herangehensweise an die Probleme der Wortart- und Satzgliedfunktionstheorien durch Konstituentenkategorien, -relationen und Phrasenstrukturgrammatik. Das gleiche Kapitel befasst sich mit dem qualitativ neuen begrifflichen ,Inventar‘, dem deskriptiv-generativen methodologischen ,Instrumentarium‘ der K-Syntax (X-bar Theorie, Strukturbaum oder a-Bewegung) und mit der Mehrdimensionalität der syntaktischen Relationen. Das dritte Kapitel diskutiert die syntaktischen Relationen und Konstituenten des Deutschen in einer generativen Logik, bringt die methodologischen Vorteile der deskriptiven Herangehensweise an syntaktische Kategorien zum Vorschein und veranschaulicht somit noch einmal die Limits der traditionellen Sicht auf die Syntax der deutschen Sprache.
KAPITEL 1: DIE BESTIMMUNG DER PROBLEME DER TRADITIONELLEN SICHT AUF DIE DEUTSCHE SYNTAX
1.1. Die Wortartentheorie aus dem Blickwinkel der präskriptiven Grammatik
Die präskriptive Sicht auf die Wortarten wird durch die Konzentration auf die , starr ‘ erfassten Bündelungen der ,wortartdefinierenden‘ Eigenschaften bezeichnet, ohne ihre synchronen und diachronen Änderungen in Betracht zu ziehen: die Flexion rechtfertigt sich nicht immer, Kasus- Numerus-Genus-Übereinstimmung (KNG) ist manchmal nicht einsetzbar, die Positionierung ist oft ambivalent und die ,wortartdefinierenden‘ Fragen sprechen häufig gegen ihre Wortart. Solche Abweichungsfälle in der Wortart-Definierung werden von der präskriptiven Syntaxauffassung einfach ignoriert und gar nicht ,begrifflich‘ umfasst.
Zu diesen Bündelungen der prototypischen Merkmale für die Verb-Wortart gehören z.B. Flexion der Verben nach KNG, die dritte Zeitform namens Partizipien II, Handlung/Vorgang/Zustand-Implikation, Genera Verbi (Aktiv, Passiv), Modi (Indikativ, Imperativ, Konjunktiv), Zeitformen, Transitivität und Intransitivität, Kongruenz des Verbes mit dem Handelnden in Person-Numerus-Tempus (PNT) (Tagil 2006: 90-138). Die Bündelung der Eigenschaften im Fall der Substantive ist Deklination nach KNG, Vorhandensein des Artikels, Beantwortung der Fragen (Wer? - der Pilot; Was? - die Mappe) im Nominativ (Tagil 2006: 4-54). Im Fall der Adjektive ist diese synchron ,fixe Eigenschaftsbündelung‘: Vorhandensein der Steigerungsformen, Deklination nach KNG, Implikation der Qualität oder des Merkmals eines Gegenstandes, Beantwortung der Kasusfragen (Welche/er/es?- schön, langweiliges Spielzeug etc.), Kongruenz mit dem Nomen in KNG im attributiven Gebrauch, Positionierung - vor dem determinierenden Substantiven (Tagil 2006: 243-277). Adverbien werden durch ihre ,Unflektierbarkeit‘, Vorhandensein der Steigerungsformen, Beantwortung der Kasusfragen (Wie? oder Auf welche Weise? - gern, unversehens, Wann? - abends, Warum? - anstandshalber oder meinetwegen, Wo? - überall) bezeichnet (Tagil 2006: 278-288). Gleichfalls sollen Artikel, Präpositionen, Konjunktionen und Partikeln, laut der normativen Grammatik, ihre ,strikten‘ Bündelungen der Kriterien erfüllen, um als solche berechtigterweise benannt zu werden.
Die Frage, die sich jedoch aus der traditionellen Herangehensweise an die Definition einer Wortart ergibt, ist: dürfen die Wörter als Nomina, Verben, Adjektive etc. benannt werden, wenn sie nicht alle ihren Wortarten zugeschriebenen Kriterien erfüllen? Die Sprachpraxis veranschaulicht auch, dass einige ,wortartdefinierende‘ Eigenschaften unklar formuliert sind. Folgende Problemfälle spiegeln die Mängel der normativen Grammatik wider.
Es gibt Adjektive, die aber keine Deklination lila - *liles, rosa - * rosem, keine Steigerungsformen böse - *bösere, schwanger - * schwangere, Positionierung nach dem Nomen in Gedichten Grettchen groß aufweisen, während die ,defektiven‘ Adjektive keine KNG-Kongruenz sowohl im attributiven als auch im prädikativen Gebrauch zeigen: der Mann ist schuld - *der schulde Mann (Hahnemann 2010: 34). Außerdem vermischen sich die Kriterien, die der Wortart der Adjektive zugeschrieben werden, oft mit den Eigenschaften des Adverbs und sogar denen des Verbes: Der aufgeregt bewegende Mensch, der aufgeregte Mensch und der Mensch hat sich aufgeregt. Aufgeregt zeigt die Eigenschaften des Adjektivs, Adverbs und gleichzeitig des Verbes (Partizip II). Partizipien könnten die Unterart von Adjektiven sein, die viele Eigenschaften mit Verben teilen. Warum soll man jedoch die Partizipien zu Adjektiven erklären, wenn sie auch die Eigenschaften von Nomen (der Auszubildende) und sogar von Adverbien zu vereinen scheinen? Auch wenn Partizipien eine ,eigene Wortart‘ sind, warum existiert dann eine korrespondierende Partizipialform zu fast jedem Verb des Deutschen? Warum verfolgt man eine bestimmte Abhängigkeit und eine semantische Verwandtschaft zwischen denen in Anbetracht folgender Beispiele: die rennende Frau = die Frau, die rennt; die sterbende Katze = die Katze, die stirbt?
In Bezug auf die Problemfälle der Substantive, sind die Wörter Schreiben im Ausdruck mit dem Schreiben oder das Wort Angestellten im Ausdruck wegen des Angestellten der Firma Nomina, obwohl sie eine Handlung oder sogar einen Vorgang implizieren? Warum weisen die substantivierten Infinitive oder Partizipien semantisch (Bezeichnung der Tätigkeit) auf die Wortart der Verben hin, aber morphologisch (Genitiv-Endung, Artikel-Präsenz, KNG, Großschreibung) oder syntaktisch (KNG- Kongruenz mit dem Verb, Nominativ-Kasus) auf die Nomen-Wortart? Warum sind Partizipien II als Nomen in der Lage, den Genus zu wechseln (der/die Angestellte)? Wenn sie sich von anderen Nomina unterscheiden, warum benennen wir sie dann als Nomen? Wäre es daher nicht sinnvoller, Nomen ihr Todlachen war unangemessen und Verben Sie hat sich todgelacht in ,eine Wortart‘ zu stecken? Sie können immerhin in Numerus und Person ,konjugieren‘, bzw. Eigenschaften teilen. Wären nicht auch Nomen und Adjektive eine sinnvolle Oberkategorie (der nette Junge - der Netteste von denen)?
Bezüglich der Problemfälle der Verben, ist das von Verb abgeleitete Partizip I laufend in den Ausdrücken auf dem Laufenden zu bleiben oder der Laufende ist außer Atem ein Nomen oder ein Adjektiv; im Ausdruck sie waren laufend verliebt? Während die Partizipien I in den ersten zwei Ausdrücken - Laufende(n) - KNG wie Nomen zeigen, beantwortet das dritte Partizip I laufend die adverbiale Frage ,wie?‘ und zeigt, genauso wie auf dem Laufenden, keine Kongruenz mit dem Verb. Der Partizip I im zweiten Fall der Laufende weist eine KNG-Übereinstimmung mit dem Verb auf. Die strikten Grenzen zwischen den ,wortartdefinierenden‘ Eigenschaften sind komplett verschwommen, damit man das Wort laufend einer bestimmten Wortart zuordnen kann. Warum werden zwei unterscheidbare Arten von Wörtern- transitive und intransitive Verben - als eine Wortart (Verb) zusammengelegt, obwohl sie sich offensichtlich unterscheiden? Wären diese zwei Verbklassen in sich homogen, wenn das intransitive Verb ankommen im Ausdruck der angekommene Zug Partizip II erlaubt, während das intransitive Verb schlafen das Partizip II *der geschlafene Mensch nicht ermöglicht? Wären Partizipien als ,Hybride‘ zu akzeptieren, die aufgrund der enthaltenen Verbwurzel nicht nur Eigenschaften des Verbs, sondern auch zusätzliche Eigenschaften haben? Die traditionelle Syntaxauffassung hat Probleme mit der Klarheit solcher Verb-Merkmale wie KNG-Kongruenz oder Handlung/Zustand/Vorgang-Implikation, wenn man Beispiele Er kommt immer damit zurecht oder Er rechnet gerne kopf analysiert.
Was Adverbien angeht, sind ihre unklar definierten Eigenschaften oft mit denen der Verben, Attributen und Nomina zu verwechseln, wie das oben schon exemplifiziert wurde. Ein besonderes Problem ist mit den verwechselbaren Eigenschaften der Adjektive im prädikativen Gebrauch der Krawall ist heftig und den Adverbien sie schlug es heftig. Abgesehen davon gibt es aber das Problem mit den komplexen Komposita-Adverbien, die die Substantive (unverrichteterdinge, zeitlebens) und Adjektive (nichtsdestoweniger) einschließen und deren morphologischen, semantischen und syntaktischen Eigenschaften mit denen der Substantive oder Adjektive verwechselbar sind. Im Satz Ihre Versuche ihn zu überzeugen waren unverrichteterdinge kann man das Wortteil -dinge für das Nomen halten, das die KNG-Kongruenz mit dem Verb waren aufzeigt. Wie kann man das Wort nichtsdestoweniger im Satz Er wollte ihnen nichtsdestoweniger sagen, woran es lag als Adverb anordnen, wenn sein zweites Teil -weniger der ,strikten‘ Eigenschaft der Adjektiv-Wortart - komparative Form des Adjektivs wenig - entspricht?
Zusammengefasst, demonstrieren all die Zweifel- und Problemfälle im Kontext der synchron oder diachron ,steifen‘ Betrachtung der unklar formulierten Eigenschaften und ihrer ,wortartdefinierenden‘ Bündelungen, dass die traditionelle Sicht auf Wortarten mehr Fragen hinterlässt als sie beantwortet.
1.2. Die Problemfälle der normativen Grammatik in Hinsicht auf die Theorie der Satzgliedfunktionen
Die präskriptive Sicht auf die Satzglieder wird durch die Betrachtung der Satzgliedfunktionen aus Blickwinkel der unpräzise formulierten Bündelungen der prototypischen Merkmale gekennzeichnet. Dabei berücksichtigt die normative Grammatik eine häufige paradigmatische oder syntagmatische Änderung der ,funktionsdefinierenden‘ Eigenschaften, die durch die Abhängigkeit dieser Merkmale vom Kontext eines konkreten Satzes hervorgerufen wird.
Im Satz Der Passant fängt den Hund steht das Satzglied der Passant im Nominativ, ,links‘ vom VerbPrädikat, konjugiert mit dem Verb (Sg., 3 Person), bezeichnet einen ,Ausführenden der Handlung‘, dementsprechend, fungiert als das Subjekt des Satzes. Der Satz Der Hund fängt den Passant demonstriert, dass das gleiche Satzglied den Passant im Akkusativ ,rechts‘ steht, keine PNT- Kongruenz mit dem Verb steuert, ein ,Opfer der Handlung‘ impliziert, daher, als das Objekt des Satzes fungiert. Das Problem der traditionellen Sicht ist, dass die Eigenschaften, die beispielweise ein Objekt oder ein Subjekt ausmachen, nicht dem Ausdruck an sich zugeschrieben, sondern kontextabhängig vom Satz bestimmt werden.
Die Probleme mit dem Einsatz der unklar definierten Eigenschaften entstehen, wenn man die Satzgliedfunktionen in den ,nicht-klassischen‘ komplexen Ausdrücken bestimmen soll. Beispielweise, im passiven Satz Die Katze wird von der Frau gefüttert ist das Subjekt die Katze, laut der präskriptiven Sicht auf die Satzgliedfunktionen. Aber die Katze hier ist gar kein ,Ausführender der Handlung‘, obwohl es im Nominativ steht und ,links‘ vom Hilfsverb des Prädikats positioniert wird. Was ist mit dem Satz Ihm wurde klar angeboten, das nicht zu tun: wo ist sein Subjekt, das im Nominativ steht und die PNT-Kongruenz mit dem Verb steuert? Der Satz Uns graut vor der Prüfung hat das ,links’ positionierte Subjekt uns, das weder im Nominativ steht noch eine Kongruenz auslöst. Wer ist der ,Ausführende der Handlung‘ im Satz Hier wird gegessen und wer kann überhaupt als ,Ausführender der Handlung‘ im Satz Er stirbt definiert werden (Dürscheid 2012: 32-35)? Fungiert der Nebensatz mit einem anderen eingebauten Relativsatz im dargestellten Satz als Subjekt: Ob man ihnen wirklich den ganzen Schwachsinn, den sie erzählen, abkauft, ist eine interessante Frage?
Außerdem ist es oft problematisch, alle prototypischen (semantischen, pragmatischen, syntaktischen) Merkmale im Bündel für eine Definition eines Satzgliedes zu erfüllen. Beispielhaft sind die präskriptiven Kriterien des Subjektes - Nominativ-Kasus, ,Ausführender der Handlung‘, PNT- Kongruenz mit dem Prädikat, Platzierung lediglich in finiten Sätzen - zu nennen. Zwei von diesen Kriterien sind leicht zu widerlegen, wenn man das Beispiel Alle bitte zuhören! vor den Augen hat: Alle steht im Nominativ, ist ,Ausführender der Handlung‘, aber hat keine PNT-Kongruenz mit dem Prädikat, weil der Satz infinit ist (Dürscheid 2012: 34f). In Bezug auf die Problemfälle der traditionellen Definition des Prädikats, gibt es auch einige Kontroversen. So äußert das Prädikat graut im Satz Uns graut vor der Prüfung zwar einen Vorgang aber zeigt keine PNT-Kongruenz mit dem Subjekt uns.
Was die Objekt-Funktion angeht, unterscheidet man indirekte und direkte Objekte. Die prototypischen Merkmale für das direkte Objekt sind Akkusativ-Kasus, semantische Rolle des Patiens, ,verbnahe‘ Verbendstellung und eine Möglichkeit der Transformation ins Subjekt im Passiv. Sätze im Passiv stellen aber ein Problem dar: Das Kind wird von seiner Mutter beschenkt, wo das Subjekt das Kind eigentlich als Patiens fungiert. Das ,Passivierung-Phänomen‘ ist auch ein Problem für die Identifizierung eines Wortes als direktes Objekt oder Subjekt: Paul sieht Peter. Genauso problematisch lässt sich das Kriterium über die Transformation im Passiv für einige Sätze im Deutschen einsetzen, zum Beispiel, Ich rieche die Torte, aber *Die Torte wird von mir gerochen. Das indirekte Objekt nimmt Dativ-Kasus, semantische Rolle des Rezipienten ein, hat eine ‘verbferne‘ Stellung mit keiner engen syntaktischen Verb-Verbindung und lässt sich nicht ins Subjekt konvertieren. Ob alle Wörter, die im Dativ stehen, Dativ-Objekte sind, wird durch den Satz Uns graut vor dem Umzug, wo uns SubjektKriterien erfüllt, bezweifelt (Dürscheid 2012: 36f). Auch die Passivierung bestätigt die Unvollkommenheit des Objekt-Merkmals - das erworbene Nominativ - bei der PassivTransformation: „Sie bekommt den Führerschein entzogen“ (Wegener 1986: 14-17 zit. nach: Dürscheid: Syntax 2012: 37), wobei das Dativpassiv durch das seine Eigensemantik verlierende Hilfsverb bekommen gebildet wird (Dürscheid 2012: 37). „Allerdings gelten für die Passivbildung semantische Restriktionen. So muss das Dativobjekt ein belebter Referent sein und das Verb, das in einer solchen Konstruktion auftritt, einen (positiven oder negativen) Besitzwechsel beschreiben“ (Dürscheid 2012: 37).
Hinsichtlich der Satzgliedfunktion des Adverbiales muss man alle seine Eigenschaften hinterfragen. Das erste syntaktische von denen - der Bezug des Adverbiales auf das Verb oder den ganzen Satz - kann man leicht durch das Beispiel Rechts von ihr saß ein Greis widerlegen: rechts bezieht sich auf von ihr. Andere Kriterien - die adverbiale Bestimmung äußert die näheren (temporalen, kausalen, modalen) Umstände des Geschehens oder kann auch als präpositionales Objekt, direktes Objekt oder als Nebensatz realisiert werden - sind zu vage und verwirrend, um das Adverbial im Satz klar zu bestimmen. Es gibt Schwierigkeiten bezüglich der Abgrenzung der Adverbiale von den Objekten. Die beiden Sätze Tom wartet auf dem Bahnhof auf seine Freundin und Klaus verkauft den ganzen Morgen Zeitschriften demonstrieren, wie schwer es fällt, das präpositionale Objekt auf seine Freundin vom Adverbial auf dem Bahnhof, und das Akkusativ-Objekt Zeitschriften vom Temporaladverbial den ganzen Morgen zu trennen. Auch Genitiv-Objekte können die Merkmale der temporalen/kausalen Adverbialen teilen, was für die Unklarheit der ,satzgliedfunktionen-bestimmenden‘ Bündelungen der Kriterien spricht und ihre Kontextabhängigkeit demonstriert: Linker Hand sehen sie den Kreml oder Eines Morgens ist er guter Laune aufgestanden (Dürscheid 2012: 38f.).
Die Kriterien für die Bestimmung der Attribute sind, im Kontext der traditionellen Grammatik, auch nicht unproblematisch. Ohne ein selbstständiger Teil eines Satzes zu sein, wird das Attribut als Ergänzung zu oder Erweiterung von jedem Satzglied (außer dem Prädikat) betrachtet und kann durch attributive Ausdrücke, Adverbiale, Genitiv-Objekte oder Relativsätze vertreten werden. Die Verwirrung der Anwendung dieser Kriterien äußert sich folgenderweise. Während alle Erweiterungen zu Nomen nach dem syntaktischen Kriterium zu den Attributen gezählt werden, können diejenigen Wörter (Ausdrücke) laut semantischem Kriterium jedoch auch als Attribute mit einem prädikativen Bezug fungieren: der blaue Pullover - der Pullover ist blau (Dürscheid 2012: 42f.). Es ist auch kontrovers, ob eine Beifügung nur zum Nomen oder zu jedem anderen Satzglied als Attribut gilt. Während Duden (1998: 829 zit. nach: Dürscheid: Syntax 2012: 43) alle Ergänzungen, die sich nicht nur auf Substantive sondern auch auf Adjektive beziehen, als Attribute (Der Wind ist im höchsten Grade kalt) bezeichnet, schließt der Duden von 2009 den Bezug auf die Adjektive aus und beschränkt sich ausschließlich auf die Bestandteile der Nominalphrasen/Substantive (Duden 2009: 773 zit. nach: Dürscheid: Syntax 2012: 42f.). Zwar existiert die Vielfalt des Attribut-Ausdrucks, doch zieht die normative Grammatik keine klare Trennlinie zwischen Attributen und Adverbialien (das Geschäft rechts), Attributen und präpositionalen Objekten (Sie bemühen sich, die Frau in der Mütze zu belehren) sowie prädikativen Attributen und Relativsätzen (Der Mensch, der klardenkend ist, findet immer einen richtigen Weg).
Wenn man Objekts- und Subjekt-Sätze als ,echte‘ Objekte oder Subjekte akzeptiert, enthalten diese syntaktischen Kategorien dann Elemente mit sehr verschiedenen Eigenschaften: Subjekte, die keine nominalen Ausdrücke, sondern selbst Sätze sind; Subjekte, die keine Kongruenz auslösen; Subjekte, die Dativ tragen etc.
Um schlusszufolgern, veranschaulichen die Problemfälle die unklar und steif formulierten Zuordnungsmerkmale eines Satzgliedes einer bestimmten Satzfunktion, wobei sich diese Merkmale syntagmatisch oder paradigmatisch kontinuierlich ändern. Folglich, spiegelt die präskriptive Sicht auf Satzgliedfunktionen keine Herausforderungen des ,realen‘ Sprachgebrauches wider und löst auch keine syntaktischen Diskrepanzen der Sprache.
KAPITEL 2: DIE GRENZEN DER LINEAREN SICHT AUF DIE WORTARTENTHEORIE UND DIE THEORIE DER SATZGLIEDFUNKTIONEN
2.1. Die Einschränkungen der Linearität der traditionellen Syntax bezüglich der Wortartentheorie.
Die untersuchten Problemfälle der präskriptiven Sicht auf die Wortarten zeigen, dass diese lineare Herangehensweise an die Wortarten signifikante methodologische Mängel hat. Statt sich auf die mehrdimensionale und individualisierte Betrachtung jeder ,wortartdefinierenden‘ Eigenschaft zu konzentrieren, legen die ,Traditionalisten‘ den Fokus auf die ,kettenmäßige‘ Zuschreibung der unpräzise definierten Bündelung der prototypischen Merkmale einer konkreten Wortart: „Artikel gehen im Deutschen den Nomina voran“ (Tagil 2006: 5).
Während sich die Starrheit der traditionellen Syntaxauffassung in der unklaren Kategorisierung der Wortarten (Substantiv, Verb, Adjektiv etc.) äußert, zeigt sich ihre lineare Logik in der eindimensionalen Reihung der ,wortartdefinierenden Eigenschaften (Adjektiv: a, b, c, d; Verb: w, f, g, k, Substantive: j, m, o, p etc.), deren ambivalente Deutung und synchrone/diachrone Änderungen ignoriert werden (Adjektiv: a, b, ?, d; Verb: w, f, a, b; Substantiv: j, m, d, w etc.).
In diesem Fall hätte die Betrachtung der Wortarten aus dem Blickwinkel der Wortart-Unterklassen (,defektive Adjektive‘: a, b, d; intransitive Verben: w, f etc.) und Wortart-Überklassen (Wortart ,Substantiv-Verb‘: w, j, f, m, g, o, k, p), die aus den einzelnen Eigenschaften unterschiedlicher Wortarten kombinierbar sind, das Problem der begrifflichen und methodologischen Steifheit der präskriptiven Grammatik teilweise gelöst (Busse 1997: 221). Das Ignorieren der Zwischentypen (,Hybriden‘) und der Mehrdimensionalität der Wortkategorien ermöglicht der normativen Grammatik jedoch nicht, morpho-syntaktische Gegebenheiten der Sprache auszudrücken.
Als Fazit, fehlt der traditionellen Sicht auf die Wortarten im Deutschen eine individualisierte und eher mehrdimensionale Herangehensweise an die Kriterien, die die Wortarten bezeichnen.
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