Analyse der Kurzgeschichte ,,das Obdach" von Anna Seghers:
Die Kurzgeschichte ,,das Obdach" wurde 1941 von Anna Seghers geschrieben . Sie spielt 1940 in Paris, das zu dieser Zeit, wie fast das gesamte Frankreich, von dem nationalsozialistischen Deutschland besetzt war. Die Geschichte handelt von einem 12jährigen Deutschen, dessen Vater von den Nazis gefangen wird und der darauf bei einer französischen Familie Obdach findet. Dieser Junge ist eine der drei Hauptfiguren. Die zweite ist Luise Meunier, die Mutter der Familie, in welcher der Junge Obdach findet. Die dritte Hauptfigur ist der Mann Meuniers, in dessen Entwicklung während der Geschichte das Leitmotiv zu sehen ist. Mein erster Eindruck war, daß Seghers auf den Widerstand gegen die Nazis aufmerksam machen und gleichzeitig dazu aufrufen wollte.
Eine der drei Hauptfiguren ist der 12jährige Sohn von zwei deutschen Widerstandskämpfern, die, laut Z.83 ff., aktiv antifaschistische Propaganda publizierten. Beide wurden verhaftet und in ein KZ gebracht, wo die Mutter starb und von wo der Vater fliehen konnte. In dieser Zeit lebte der Junge bei Verwandten. Eines Tages wird der Vater von der Gestapo verhaftet, wobei der Sohn jedoch nicht gefunden wird. In Z.90 (,,er hielt sich abseits und lachte nicht") sowie in Z.20 wird dieser, trotz seines Alters, als sehr erwachsen und ernst dargestellt: ,,Der Knabe habe, heimkommend von der Schule, die Verhaftung des Vater stumm, ohne Tränen, zur Kenntnis genommen. Dies deutet auch darauf hin, daß der Junge durch die jahrelange Flucht, mit einem solchen Ereignis gerechnet hat. In Z.40 wird er aber als relativ normaler Junge dargestellt, der zumindest äußerlich sich kaum von anderen Kindern unterscheidet. Durch den Satz ,,sie brauchen mich nicht zu nehmen, wenn sie Angst haben" macht Seghers klar, daß sich der Junge durchaus der Gefahr bewußt war, die er für die Familie Meunier darstellt.
Durch die Tatsache, daß der Junge auf keinen Fall zu seinen nationalsozialistischen Verwandten (,,auch meine verwandten waren Nazis",Z.87) zurück will (,,Zu meinen Verwandten werde ich doch nicht gehen",Z.83), wird klar, das er, wie seine Eltern gegen die Nazis ist. Dies läßt sich auch in Z. 86 erkennen (,,weil ich ihr Lied nicht mitsingen wollte"). Im Ganzen wollte Seghers mit dieser Figur verdeutlichen, daß nicht alle Deutschen Nazis waren, sondern daß es auch in Deutschland Widerstand gegen diese gab.
Luise Meunier ist die Frau eines Drehers und hat drei Kinder. Sie beweist, im Gegensatz zu ihrem Mann, während der ganzen Geschichte Mut zum Widerstand gegen die Nazis, indem sie den Jungen bei sich aufnimmt. Dies wird in Zeile 114 (,,dem fremden Knaben in einem zweiten Willkommen übers Haar strich") noch verstärkt, als sie, trotz der größer gewordenen Gefahr, den Jungen bei sich versteckt hält.
Im Ganzen symbolisiert diese Figur den ständigen, wenn auch passiven Widerstand gegen die Nazis.
Die dritte Hauptfigur ist der Mann von Luise Meunier. Seine Entwicklung während der Geschichte stellt das Leitmotiv dar. In Z. 62 (,,...der früher bei jedem Streik, bei jeder Demonstration mitgemacht hatte...") beschreibt Seghers den Mann als jemanden, der früher immer für seine Ideale und für sich selbst eingetreten ist. Nun aber, nachdem er ein Kriegsjahr Soldat war, und von den Deutschen besiegt wurde, ist sein Widerstand gebrochen (,,der Hitler hat nun einmal die Welt besetzt, da nützen keine Phrasen was dagegen",Z.60) Gleichzeitig zeigt er jedoch großen Respekt vor den Deutschen, indem er ihnen, wie in Z.96, Disziplin und Ordnung zuschreibt. Dazu kommt noch, daß seiner Meinung nach jemand, der Frankreich und damit ihn besiegen konnte, nicht schlecht sein kann (,,der Krieg sei nun einmal verloren, die Deutschen hätten nun einmal das Land besetzt",Z.95). Der Wendepunkt im Verhalten des Mannes und damit auch der Wendepunkt in der Geschichte, ist in Z.100 zu sehen. Hier wird ihm zum ersten mal klar, daß die Deutschen in Luxus leben, während die Franzosen so gut wie nichts haben (,,Ich möchte [...] einmal wieder ein richtiges Stück Käse zum Nachtisch haben. [...] Stell dir vor, was ich gesehen habe. Ein riesiges deutsches Lastauto ganz voll mit Käse"). Von diesem Zeitpunkt an wird die Meinung des Mannes über die Deutschen immer schlechter, da sie ihm immer mehr von seiner Existenz wegnehmen (,,Nazisoldaten besetzten die Wirtschaft und fühlten sich dort daheim",Z.127; ,,Das Ende vom Lied, verkürzte Arbeitszeit, verkürzter Arbeitslohn, Zwangstransporte",Z.149). Schließlich wird sein positives Bild der Deutschen von Ordnung und Disziplin durch ihr Verhalten gegenüber der beiden Schwestern total zerstört (,,die deutschen Monteure gingen bei ihnen jetzt ein und aus",Z.165).
Auch das Verhältnis des Mannes zu dem Jungen verändert sich grundlegend. Zunächst ist er, wie in Z.57 klar wird (,,der Deutsche soll selbst sehen, wie er mit seinen Landsleuten fertig wird"), dagegen, den Jungen aufzunehmen. Als Luise Meunier den Jungen trotzdem aufnimmt, wobei sie ihrem Mann erzählt, der Junge wäre der Sohn einer Kusine, benutzt er ihn als ein Ventil für seinen Frust über die Deutschen und sein Leben (,,da der Knabe zu vorsichtig war und zu schweigsam, um einen Anlaß zu geben, schlug er ihn ohne solchen",Z.120). Mit der Zeit und mit der oben genannten Veränderung der Meinung des Mannes zu den Deutschen, wird der deutsche Junge, wie in den Zeilen 177 bis 180 (,,er hat immerhin was riskiert, und sein Sohn, alle Achtung. [...] Den Sohn dieses Deutschen, den würde ich aufnehmen, der könnte mich warm machen") klar wird, für den Mann ein Symbol für den Widerstand gegen die Deutschen. Ich denke, daß Seghers mit der Figur des Mannes dazu aufrufen wollte, den Widerstand gegen die Nazis niemals aufzugeben.
Im Ganzen wollte Seghers mit ihrer Kurzgeschichte auf den Widerstand in Deutschland und in den besetzten Ländern gegen die Nazis aufmerksam machen. Gleichzeitig ruft sie dazu auf, den Widerstand niemals aufzugeben, wie es der Mann Meuniers zuerst tat.