Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Übertragung von Hoheitsrechten
3. Die Mitwirkung der Länder
4. Die Richtlinien der EU
5. Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie
5.1 Die Richtlinie im Überblick
5.2 Der vorgesehene Ablauf
5.3 Der Stand der Umsetzung in Deutschland
5.4 Einfluß der FFH-Richtlinie auf bundesdeutsche Gesetze
5.5 Die Problematik der nicht fristgerechten Umsetzung
5.5.1 Fallbeispiel Ostseeautobahn
5.6 Interessenkonflikte
6. Kommentar
7. Literatur
1. Einleitung
Die "Richtlinie 92/43/EWG zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen" (kurz Fauna-Flora-Habitat- oder FFH-Richtlinie) trat nach sechsjährigen zähen Verhandlungen im Juni 1992 in Kraft und hätte innerhalb der folgenden zwei Jahre umgesetzt werden müssen. Sie ist das derzeit umfassendste Naturschutzinstrument der Europäischen Union und greift tief in die deutsche Gesetzgebung ein. Ziel der FFH-Richtlinie ist die Entwicklung und der Schutz eines EU-weiten Netzwerkes von Schutzgebieten zur Erhaltung bedrohter Lebensräume sowie besonders gefährdeter Tier- und Pflanzenarten (Netzwerk "Natura 2000").
Sie ist damit ein zentrales Instrument zur Umsetzung der 1992 in Rio verabschiedeten Konvention über biologische Vielfalt, wozu sich sowohl die Europäische Union, als auch deren einzelne Mitgliedstaaten verpflichtet haben.
Obwohl schon acht Jahre alt, rückt die FFH-Richtlinie erst in den letzen Monaten in das Bewußtsein der deutschen Öffentlichkeit vor. Grund hierfür ist die bevorstehende Umsetzung der Richtlinie und die unzureichende Information der Kommunen durch den Bund und die Länder. So mancher Bürgermeister erfährt erst jetzt, daß ein Teil seines Gemeinde- gebietes unter Umständen potentielles FFH-Gebiet ist
- bisherige Planungen sind unter Umständen hinfällig. Auch die Landwirte, bisher wohl nicht ausreichend informiert, laufen Sturm gegen die bald in Kraft tretenden neuen Regelungen, da sie Nutzungseinschränkungen befürchten.
Die Erkenntnis, daß Deutschland seine Entschei- dungsgewalten in einigen Bereichen an die Europäische Union abgegeben hat, ist im Bewußtsein der deutschen Gesellschaft noch nicht angekommen. Diese Arbeit zeigt und erläutert die rechtlichen Grundlagen für die Übertragung der Hoheitsrechte an die EU, macht auf den neuen Konflikt zwischen Bund und Ländern aufmerksam, der durch das Hinzukommen einer weiteren Entscheidungsebene entstand und zeigt am konkreten Beispiel der FFH- Richtlinie den Ablauf, die Umsetzung und die Probleme der europäischen Gesetzgebung auf.
2. Die Übertragung von Hoheits- rechten (Art. 23, 24 GG)
Ausgehend von der Überlegung, daß Art. 24 Abs. 1 GG künftig als Rechtsgrundlage für die europäische Einigung nicht mehr ausreicht, wurde die neue Fassung des Art. 23 GG am 21. Dezember 1992 mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit durch den Bundestag bzw. Bundesrat verabschiedet. Bis zum Jahr 1990 bestimmte Art. 23 GG den Geltungsbereich des Grundgesetzes - durch den Einigungsvertrag ist diese Bestimmung aufgehoben worden. Mit der neuen Fassung fanden die Maastrichter Verträge Eingang in das Grundgesetz.
Neben der erweiterten Staatszielbestimmung (vereintes Europa) und einer Struktursicherungs- klausel (vgl. HRBEK 1997 : 15) regelt Abs.1 die Rahmenbedingungen, unter denen der Bund Hoheitsrechte auf die europäische Ebene übertragen
Art 24 GG (Auszug)
(1) Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Ein- richtungen übertragen.
Art. 23 GG (Auszug)
(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit [...]. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen.
Struktursicherungsklausel :
Durch die Struktursicherungs- klausel wird festgelegt, daß die EU bestimmte Struktur- merkmale wie Demokratie, Rechtstaatlichkeit, Sozial- staatlichkeit, Föderalismus etc. aufweisen muß.
kann (HESSELBERG 2000 : 199).
Konkreter formuliert wird diese Bestimmung in Art. 24 GG. Um eine "friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa" zu verwirklichen, wird der Bund ausdrücklich ermächtigt, Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen. Gemeinschaften, in denen die Bundesrepublik Mitglied ist, können auf diese Weise Handlungen auf deutschem Boden vornehmen, die unmittelbare Wirkung für die Bürger haben (HESSELBERG 2000 : 201). Die Europäische Union ist eine solche Gemeinschaft. Sie ist zu einer neuen öffentlichen Gewalt geworden, die gegenüber der Staatsgewalt unabhängig und selbständig ist.
Analog zur Verteilung der Gesetzgebungs- kompetenzen im Bund-Länder Verhältnis, wird auch bei der Kompetenzverteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten zwischen ausschließlichen und konkurrierenden Kompetenzen unterschieden. Im Bereich der ausschließlichen Unionskompetenzen ist der Kompetenzverlust der Mitgliedstaaten vollkommen, im Bereich der konkurrierenden Kompetenzen sind die Mitgliedstaaten solange zur Rechtsetzung befugt, solange die EU diese nicht wahrnimmt. (Zur Kompetenzverteilung siehe auch HRBEK 1989 : 102ff)
3. Die Mitwirkung der Länder
Die Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU hat zu einem Kompetenzverlust der deutschen Länder geführt (vgl. REMMERS 1992 : 83f) Die verfassungs- mäßig festgelegte föderale Struktur Deutschlands spricht den Ländern Mitentscheidungskompetenzen und auf einigen Gebieten Gesetzgebungskompetenz zu. Durch den neuen Art. 23 GG wurde die Position der Länder gestärkt. Die Absätze 4, 5, und 6 räumen dem Bundesrat weitgehende Rechte bei der Mitbestimmung in Angelegenheiten der EU ein. Seine Stellungnahmen sind stets, teilweise auch "maßgeblich" von der Bundesregierung und des Bundestages zu berücksichtigen. In Anlehnung an Abs. 7 ("Das Nähere [...] regelt ein Gesetz.") wurde am 12. März 1993 das " Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union " beschlossen. Betrifft nun eine Entscheidung der EU den ausschließlichen Kompetenzbereich der Landesgesetzgebung, kann sich der Bundesrat sogar mit einer Zweidrittelmehrheit gegen den Willen des Bundes durchsetzen.
Neben dem Bundesratsverfahren haben sich die Länder in den vergangenen Jahren weitere, eher indirekte Einflußmöglichkeiten auf die Entscheidungs- prozesse der EU geschaffen. Zum einen gibt es die Beobachter der Länder bei der EU. Ihre Rolle ist eher symbolischer Natur - sie signalisieren der Bundes- regierung ihre Anwesenheit und mahnt zur Berücksichtigung der Länderinteressen. Zum anderen wurden in Brüssel Länderbüros geschaffen, die intensive Public-Relation und Lobbyarbeit betreiben.
Art. 23 GG (Auszug)
(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte [...].
(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständig- keiten des Bundes Inter- essen der Länder berührt [...], berücksichtigt die Bun- desregierung die Stellung- nahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Ge- setzgebungsbefugnisse der Länder [...] betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes [...] die Auffassung des Bundesrates maßgeb- lich zu berücksichtigen [...].
(6) Wenn [...] ausschließlich Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen sind, soll die Wahrnehmung der Rechte (die EU betreffend, Anm. d. Autors) vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter [...] übertragen werden.
Art. 249 EG-Vertrag (Auszug)
Zur Erfüllung ihrer Aufgaben [...] erlassen das Europäische Parlament und der Rat gemeinsam, der Rat und die Kommission Verordnungen, Richtlinien und Entscheidung- en [...].
Die Richtlinie ist für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überläßt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und Mittel.
4. Die Richtlinien der EU
Gemäß Art. 249 (ex 189) des EG-Vertrags erlassen das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission Richtlinien, Empfehlungen und Stellung- nahmen. Richtlinien sind Teil des sekundären Gemeinschaftsrechts. Auf Vorschlag der Kommission wird der Rat der EU aktiv. Er holt Stellungnahmen beim Europäischen Parlament und bei den Wirtschafts- und Sozialausschüssen ein. Nach Ablauf des Rechtsetzungsverfahrens kann der Rat eine Richtlinie erlassen.
Die Merkmale einer Richtlinie sind (vgl. auch WEINDL/WOYKE 1999 : 64):
- Verbindlichkeit hinsichtlich der Ziele
Ziel der Richtlinie ist eine Rechtsangleichung innerhalb der Mitgliedsstaaten. Innerhalb eines bestimmten Zeitraums (in der Regel 2 Jahre) sind die Vertragsstaaten verpflichtet, ihr Recht an die Bestimmungen der Richtlinie anzupassen. Sie können sich nicht auf langwierige Prozeduren, die ihre Verfassung vorschreibt oder auf sonstige interne Schwierigkeiten berufen, um eine verspätete Umsetzung zu rechtfertigen (BEUTLER et al. 1993 : 196)
- Wahlfreiheit hinsichtlich der Form und Mittel
Die Richtlinie soll eine flexible Anpassung an die besonderen Verhältnisse in den Mitgliedstaaten ermöglichen. Deshalb sind die Mitgliedstaaten in der Wahl der Form und Mittel der Richtlinienumsetzung frei. Sie bleibt innerstaatlichen Stellen überlassen. Die Zielgebundenheit ist davon nicht berührt. (siehe auch STREINZ 1999 : 135)
- Unmittelbarkeit
Prinzipiell ist eine Richtlinie nur gegenüber den Organen der Mitgliedstaaten verbindlich, die nach nationalem Recht für die Umsetzung zuständig sind. Setzt jedoch ein Staat innerhalb der gesetzten Frist eine Richtlinie nicht oder nur unzureichend in nationales Recht um, gilt die Richtlinie nach der derzeitigen Rechtsauffassung unmittelbar (siehe auch NESSLER 1994 : 20 und STREINZ 1999 : 139ff).
Die Kontrolle über die Umsetzung und Einhaltung der Richtlinien liegt beim Organgefüge der EU, bei den Mitgliedstaaten aber auch bei jedem Bürger der EU (siehe hierzu MÜLLER-GRAFF 1999 : 793f). Die Entscheidung, ob eine Verletzung der Richtlinie vorliegt ist in der Regel dem europäischen Gerichtshof (EuGH) vorbehalten. Nationale Gerichte können zwar von der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts ausgehen, nicht aber von dessen Unwirksamkeit. Im Zweifelsfall ist ein Verfahren vor dem EuGH unumgänglich.
5. Die Fauna-Flora-Habitat- Richtlinie
Wie in Artikel 174 (ex 130s) des EG-Vertrags festgestellt wird, sind Erhaltung und Schutz der Natur wesentliches Ziel der Gemeinschaft. Dieser Artikel war Grundlage für nachstehende Richtlinie.
Art. 174 EG-Vertrag (Auszug)
(1) Die Umweltpolitik der Gemeinschaft trägt zur Ver- folgung der nachstehenden Ziele bei:
- Erhaltung und Schutz der Umwelt [...].
5.1 Die Richtlinie im Überblick
Der Beschluß der FFH-Richtlinie 1992 als " Richtlinie 92/43/EWG zur Erhaltung der natürlichen Lebens- räume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen" war die Grundlage für einen europaweiten Lebensraumschutz. In Art. 2, Abs. 2 wird als allgemeines Ziel formuliert: "...einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse zu bewahren oder wieder herzustellen". Die Ziele der Richtlinie sollen mit Hilfe eines "kohärenten europäischen Netzes besonderer Schutzgebiete mit der Bezeichnung "Natura 2000" verwirklicht werden.
Art. 3 FFH-Richtlinie
(1) Es wird ein kohärentes europäisches Netz besonder- er Schutzgebiete mit der Bezeichnung "NATURA 2000" errichtet.
(2) Jeder Staat trägt im Verhältnis der in seinem Hoheitsgebiet vorhandenen [...] Lebensraumtypen und Habitate der Arten zu der Errichtung von "NATURA 2000" bei. Zu diesem Zweck weist er [...] besondere Schutzgebiete aus.
Zur Richtlinie gehören sechs Anhänge. Die Anhänge I und II enthalten Aufzählungen von Lebensräumen sowie Tier- und Pflanzenarten. Sie dienen in Zusammenhang mit Anhang III (Kriterienkatalog) zur naturschutzfachlichen Abgrenzung von Schutz- gebieten. Die Anhänge IV und V und VI enthalten Artenschutzregelungen und Managementan- weisungen.
Zur Erfolgskontrolle im Naturschutzmanagment gilt ein Überwachungsgebot und Berichtspflicht durch die Mitgliedstaaten alle zwei Jahre. Eine Kontrolle des Erhaltungszustandes der Gebiete findet alle sechs Jahre statt.
Grundsätzlich besteht für FFH-Gebiete ein Verschlechterungsverbot. Das heißt, jeder Eingriff, der den Erhaltungszustand verschlechtert, ist zu unterlassen. Selbst bei "überwiegendem öffentlichen Interesse", worunter wirtschaftliche Interessen nicht fallen, muß eine Stellungnahme der Europäischen Kommission eingeholt und beachtet werden. In jedem Fall muß eine FFH-Verträglichkeitsprüfung durch- geführt werden.
Grundlegende Absicht der Richtlinie war eine europa- weite Vereinheitlichung der Schutzbestimmungen.
5.2 Der vorgesehene Ablauf
An erster Stelle steht die Umsetzung der Richtlinie in bundesdeutsches Recht. Mit der Änderung des § 19 Bundesnaturschutzgesetz ist dieser Schritt 1998 vollzogen worden (siehe 5.4). Die FFH-Richtlinie sieht vor, daß die Mitgliedstaaten der EU in einer ersten Phase nationale Listen mit Gebieten, die bedeutsame Lebensräume und Arten enthalten melden. In Deutschland sind dafür die Bundesländer zuständig. Sie übermitteln entsprechende Listen an das Bundesumweltministerium, welches die Listen zu einer nationalen Gesamtliste zusammenfügt und nach einer Prüfung an die EU weiterleitet. Sie bestimmt daraus die europäische Liste von Gebieten gemeinschaftlicher Bedeutung.
Die endgültige Festlegung der Gebietsmeldungen erfolgt nach Beendigung eines Konsultations- verfahrens, in das Kommunen und Verbände mit einbezogen werden (STAIBLIN 1999 : 836). Das Recht der Kommunen und Verbände dürfte sich dabei auf Stellungnahmen beschränken, da die FFH-Richtlinie keinen Spielraum für politische oder wirtschaftliche Interessen vorsieht (siehe auch Urteil des BVerwG, S. 11). Anschließend werden die Länderkabinette die Meldungen beschließen.
5.3 Der Stand der Umsetzung in Deutschland
Die rechtliche Umsetzung der FFH-Richtlinie hätte bis Juni 1994 erfolgen müssen. 1997 wurde die Bundesrepublik von der Europäischen Kommission
wegen der Nichtumsetzung der Richtlinie vor dem EuGH verklagt und für schuldig befunden (Urteil des EuGH, C-83/97). Um ein drohendes Strafgeld abzuwenden wurde 1998 das Bundesnatur- schutzgesetz novelliert (siehe Kapitel 5.4). Die Benennung der Schutzgebiete jedoch hat in Deutschland gerade erst angefangen. Im Moment entstehen Listen der Länder mit Gebieten, die an die Europäische Kommission gemeldet werden sollen (z.B. Baden-Württemberg, einsehbar unter http:// www.mlr.baden-wuerttemberg.de/mlr/natura2000/ grafik/karten/uebersichtskarte.htm).
Urteil C-83/97 des EuGH (Auszug)
1.Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 23 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen verstoßen, daß sie nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften er- lassen hat, um der Richtlinie nachzukommen .
5.4 Einfluß der FFH-Richtlinie auf bundesdeutsche Gesetze
Wie in Kapitel 4 bereits ausgeführt, ist der Staat in der Wahl der Mittel zur Umsetzung der Richtlinie frei. In Deutschland bieten sich zur Durchführung das Bundesnaturschutzgesetz und das Bundeswald- gesetz mit der jeweils untergeordneten Landes- gesetzgebung an.
Aber auch andere Gesetze sind direkt von der FFH- Richtlinie betroffen, zum Beispiel das Umwelt- verträglichkeitsprüfungsgesetz, das Jagdgesetz, Re- gelungen und Gesetze zu den Bundeswasser- straßen, die Investitionsmaßnahmengesetze der (siehe KapitelVerkehrsprojekte Deutsche Einheit
5.5.1) und nicht zuletzt das Baugesetzbuch. § 19 des novellierten Bundesnaturschutzgesetzes nimmt direkten Bezug auf die FFH-Richtlinie. Umstritten ist jedoch, ob die Änderung des § 19 ausreichend ist.
- 19a BnatSchG (Auszug)
(1) Die §§ 19a bis 19f dienen dem Aufbau und dem Schutz des Europäischen ökolo- gischen Netzes "NATURA 2000"[...]. Die Länder erfüllen die sich aus den Richtlinien 92/43EWG (FFH-Richtlinie, Anm.d.Autors) [...] ergeben- den Verpflichtungen [...].
5.5 Die Problematik der nicht fristgerechten Umsetzung
Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) hat eine sogenannte Schattenliste erstellt und an die Europäische Kommission gemeldet. Er begründet dies mit der Lückenhaftigkeit der Gebietsvorschläge durch die Länder. Seiner Ansicht nach ist die Erfassung der Gebiete, die nur naturschuzfachlich anhand der Anhänge I, II und III der FFH-Richtlinie abgegrenzt werden dürfen, nicht vollständig. Die Schattenliste beinhaltet ungefähr die doppelte Fläche, wie die von den Ländern erstellte Liste. Dies ist insofern interessant, da den Naturschutzverbänden ein bisher nicht gekannter Einfluß zukommt. Alle potentiellen FFH-Gebiete, auch die der Schattenliste, sind bis zur endgültigen Ausweisung wie ausgewiesene FFH- Gebiete zu behandeln, das heißt, daß auf diesen Flächen in Deutschland zur Zeit praktisch nicht gebaut werden kann. Am Beispiel der Ostseeautobahn (A20) soll die beschriebene Problematik deutlich gemacht werden.
5.5.1 Fallbeispiel Ostseeautobahn (A20)
Der Neubau einer Autobahn von Lübeck an die Ostgrenze Deutschlands ist als Projekt Nr. 10 Bestandteil des Vorhabens "Verkehrsprojekte Deutsche Einheit". 1991 begab man sich auf die Suche nach der verkehrstechnisch günstigsten Trasse. Eine Variante sollte durch zwei Vogelschutzgebiete führen. Durch das zwischenzeitliche Inkrafttreten der FFH-Richtlinie am 4. Juni 1994 mußte das Vorhaben
Vogelschutzgebiete
sind Gebiete, die nach der Vogelschutzrichtlinie von 1979 (79/409/EWG) bereits unter Schutz gestellt sind.
Diese Vogelschutzgebiete sind nach Artikel 7 der FFH- Richtlinie Bestandteil von NATURA 2000.
entsprechend der Richtlinie einer Verträglich- keitsprüfung unterzogen werden. Man einigte sich auf eine teilweise Verlagerung der Trasse und das Projekt wurde bis zum Planfeststellungsbeschluß voran- getrieben. Gegen diesen Beschluß klagten die Naturschutzverbände vor dem Bundesverwaltungs- gericht.
Die Richter kappten den Beschluß mit folgenden Begründungen (BVerwG, Urteil vom 19.5.1998 - 4 A 9.97 -):
- Aus dem Gemeinschaftsrecht folgt die Pflicht, die Ziele einer Richtlinie nicht zu unterlaufen und keine vollendeten
Tatsachen zu schaffen, welche die spätere Erfüllung der Richtlinie nicht mehr möglich machen würde.
- Es ist höchst zweifelhaft, ob bei der Auswahl der zu meldenden Gebiete ein politisches Ermessen gegeben ist - Die Richtlinie sieht ein solches Ermessen nicht vor.
- Dem Mitgliedstaat der EU ist es versagt, bereits während der Phase der Gebietsauswahl seine Interessen der wirtschaftlichen oder infrastrukturellen Entwicklung den Vorrang vor dem Lebensraum- und Artenschutz einzuräumen.
Deutlich wird an diesem Urteil der absolute Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht. Dem Urteil zufolge gibt es erst dann wieder eine Rechts- und Planungssicherheit, wenn endgültig entschieden ist, welche Gebiete als prioritärer Lebensraum gemäß der FFH-Richtlinie ausgewiesen werden.
Durch die verspätete Umsetzung und Meldung der Gebiete sind Deutschland Fördergelder nach der LIFE- Verordnung in Millionenhöhe entgangen (siehe dazu DEUTSCHER BUNDESTAG o. Datum) Die LIFE- Verordnung sieht vor, die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der FFH-Richtlinie finanziell zu unterstützen.
5.6 Interessenkonflikte
Insbesondere die Kommunen und Verbände sehen ihre Interessen durch die Unterschutzstellung von FFH-Gebieten bedroht. Die Gemeinden berufen sich auf § 28 GG, der ihnen Planungshoheit für das Gemeindegebiet zusichert. Sie möchten in einem Dialogverfahren in die Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden. Die Verbände der Industrie, des Gewerbes und der Landwirtschaft sehen hauptsächlich ihre wirtschaftlichen Interessen bedroht.
Art. 28 GG (Auszug)
(2) Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verant- wortung zu regeln [...]
Tatsächlich greift die Richtlinie häufig in bestehende Planungen ein. Teilweise liegen aus naturschutz- fachlicher Sicht ausgewählte Gebiete in bereits genehmigten Baugebieten oder sie schneiden bereits planfestgestellte Trassen für den Straßenbau (siehe Ostseeautobahn, Kap. 5.5.1), (GEMEINDETAG BADEN-WÜRTTEMBERG 2000). Regional-, Flächen- nutzungs-, und Bebauungspläne sind zum Teil hinfällig geworden.
Die weitere Entwicklung verspricht sehr interessant zu werden. Wer wird dem Grundeigentümer den Schaden ersetzen, daß er auf seinem teuer erworbenen Bauland nun nicht bauen darf, da die Fläche die naturschutzfachlichen Kriterien der Anhänge I, II und III der FFH-Richtlinie erfüllt?
Meiner Meinung nach sind hierfür die Länder zuständig, da sie es versäumt haben, die Gemeinden und Planungsträger rechtzeitig zu informieren.
6. Kommentar
Mit der FFH-Richtlinie wird dem Naturschutz ein ungewöhnlich starkes Werkzeug in die Hand gegeben. Es bleibt fraglich, ob die Vertreter der Mitgliedstaaten sich der weitreichenden Konsequenzen bei der Verabschiedung der Richtlinie 1992 bewußt waren. Auf den ersten Blick ist die bevorstehende Umsetzung ein großer Erfolg für den Naturschutz sein. Durch das unsensible und unbedachte Vorgehen der Länder ist der Naturschutz insgesamt aber wieder einmal in Mißkredit gekommen.
Die Europäische Rechtsetzung schlägt sich in Bundes- und Ländergesetzgebung nieder und hat weit- reichende Auswirkungen bis auf die kommunale Ebene. Diese Erkenntnis hat sich insbesondere in den Köpfen der Kommunalpolitiker noch nicht festgesetzt. Der Aufschrei, der zur Zeit durch Deutschland geht ist berechtigt, was die Unvermitteltheit der Ereignisse betrifft. Er ist es meiner Ansicht nach nicht, was die Unterschutzstellung der ökologisch wertvollen Rest- flächen betrifft. Zwar bieten auch die deutschen Gesetze Möglichkeiten zur Unterschutzstellung von Gebieten. Die Raumplanung versucht seit Jahren mit Hilfe raumordnerischer Konzepte eine Balance zwischen Naturschutz und Entwicklungsinteressen zu erreichen. Die Erfahrung hat aber gezeigt, daß in Deutschland regelmäßig die Interessen des Naturschutzes hinter anderen Belangen zurückstehen mußten.
Meiner Meinung nach ist die FFH-Richtlinie ein wichtiger Baustein der oft beschworenen Agenda 21 und der nachhaltigen Entwicklung. Sie bietet die Chance, den Bekanntheitsgrad der Natur- und Kulturlandschaften zu erhöhen und Impulse für einen ökologisch orientierten Tourismus zu setzen.
Es ist zweifelhaft, ob die Bundesrepublik ohne die Übertragung von Hoheitsrechten an die EU jemals zu einer so weitreichenden Naturschutzgesetzgebung gelangt wäre. Die Rolle Deutschlands als Schlußlicht bei der Umsetzung der FFH-Richtlinie spricht dabei Bände.
7. Literatur
BEUTLER, B. et al. (1993): Die europäische Union, Nomos Verlagsgesellschaft; Baden-Baden BUNDESAMT FÜR NATURSCHUTZ (1998), (Hg): Das europäische Schutzgebietssystem NATURA 2000, Landwirtschaftsverlag; Münster
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT (1998): Urteil zur Ost- seeautobahn (4A9.97), in: Natur und Recht 2/2000
BUNDESZENTRALE FÜR POLITISCHE BILDUNG (1999), (Hg): Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland; Bonn
C.H.BECK (1999), (Hg): Umweltrecht, Beck-Texte im dtv, dtv; o.O
DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION (1992): Vertrag von Amsterdam, in: Nomos Verlagsgesellschaft (1997), (Hg): Vertrag von Amsterdam; Baden-Baden
HESSELBERGER, D. (2000): Das Grundgesetz - Kommentar für die politische Bildung, Luchterhand Verlag; Neuwied
HRBEK, R. (1989): Nationalstaat und Europäische Integration. Die Bedeutung der nationalen Komponente für den EG-Integrationsprozeß, in: Haungs, P. (Hg): Europäisierung Europas?, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden
HRBEK, R. (1997): Die Auswirkungen der EU- Integration auf den Föderalismus in Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B24/97
MÜLLER-GRAFF, P.-CH. (1999): Die Kompetenzen in der Europäischen Union, in: Weidenfeld, W. (Hg): Europa-Handbuch, Bundeszentrale für politische Bildung; Bonn
NEßLER, V. (1994): Europäisches Richtlinienrecht wandelt deutsches Verwaltungsrecht, Inaugural- dissertation, o.V. ; o.O.
NICOLAYSEN, G. (1999): Europa als Rechtsgemeinschaft, in: Weidenfeld, W. (Hg): Europa- Handbuch, Bundeszentrale für politische Bildung; Bonn
REMMERS, TH. (1992): Europäische Gemeinschaften und Kompetenzverluste der deutschen Länder, Europäische Hochschulschriften Bd. 1286, Verlag Peter Lang; Frankfurt
STAIBLIN, G. (1999): Umsetzung von NATURA 2000 in Baden-Württemberg, in: BWGZ 22/99
STREINZ, R. (1999): Europarecht, C.F. Müller Verlag, Heidelberg
WEINDL, J., WOYKE, W. (1999): Europäische Union, R. Oldenbourg Verlag, München WWW-Ressourcen (vom 03.08.2000)
BUND FÜR UMWELT UND NATURSCHUTZ:
Verzögerungstaktik von Bund und Ländern erfolglos, unter http://bund.net/pressearchiv1998/msg00053.html DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION: Wortlaut der FFH- Richtlinie, unter http://www.europa.eu.int/comm/ environment/nature/habdirde.htm vom 29.08.2000 DEUTSCHER BUNDESTAG: Milliardenförderung der EU kann sich verzögern, unter http://194.120.12.110 /aktuell/hib/hib00/0000408.htm
GEMEINDETAG BADEN-WÜRTTEMBERG: FFH-Umsetzung
- Landesinteressen bleiben auf der Strecke, unter www.gemeindetag-bw.de/html/pressemitteilungen /pressemitteilung_2000_07_17.htm
Häufig gestellte Fragen zur "Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie"
Was ist die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie)?
Die FFH-Richtlinie (Richtlinie 92/43/EWG) ist ein umfassendes Naturschutzinstrument der Europäischen Union. Sie zielt darauf ab, ein EU-weites Netzwerk von Schutzgebieten ("Natura 2000") zur Erhaltung bedrohter Lebensräume sowie gefährdeter Tier- und Pflanzenarten zu entwickeln und zu schützen.
Was ist "Natura 2000"?
"Natura 2000" ist das europäische Netzwerk besonderer Schutzgebiete, das durch die FFH-Richtlinie geschaffen wurde, um den günstigen Erhaltungszustand natürlicher Lebensräume und wildlebender Arten zu bewahren oder wiederherzustellen.
Welche Bedeutung hat Artikel 23 des Grundgesetzes (GG) im Zusammenhang mit der FFH-Richtlinie?
Artikel 23 GG ermöglicht dem Bund, Hoheitsrechte an die Europäische Union zu übertragen. Dies ist die rechtliche Grundlage dafür, dass die EU in bestimmten Bereichen, wie dem Naturschutz, Gesetze erlassen kann, die in Deutschland gelten.
Wie werden die Länder in die Umsetzung der FFH-Richtlinie einbezogen?
Der Bundesrat, der die Interessen der Länder vertritt, ist an der Willensbildung des Bundes beteiligt, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte. Bei Gesetzgebung, die in den ausschließlichen Zuständigkeitsbereich der Länder fällt, kann sich der Bundesrat mit einer Zweidrittelmehrheit gegen den Willen des Bundes durchsetzen.
Was sind die Hauptmerkmale einer EU-Richtlinie?
Eine Richtlinie ist hinsichtlich der zu erreichenden Ziele verbindlich, überlässt den Mitgliedstaaten jedoch die Wahl der Form und Mittel zur Umsetzung. Sie zielt auf eine Rechtsangleichung innerhalb der Mitgliedstaaten ab und kann bei nicht fristgerechter Umsetzung unmittelbar gelten.
Welche Anhänge sind in der FFH-Richtlinie enthalten und welche Bedeutung haben sie?
Die FFH-Richtlinie enthält sechs Anhänge. Die Anhänge I und II listen Lebensräume sowie Tier- und Pflanzenarten auf, die in Verbindung mit Anhang III (Kriterienkatalog) zur Abgrenzung von Schutzgebieten dienen. Die Anhänge IV, V und VI enthalten Artenschutzregelungen und Managementanweisungen.
Wie erfolgt die Umsetzung der FFH-Richtlinie in Deutschland?
Die Umsetzung erfolgt durch Anpassung des Bundesnaturschutzgesetzes und anderer relevanter Gesetze. Die Bundesländer sind für die Meldung von Gebieten mit bedeutsamen Lebensräumen und Arten an das Bundesumweltministerium zuständig, welches diese an die EU weiterleitet. Die EU bestimmt daraus die europäische Liste von Gebieten gemeinschaftlicher Bedeutung.
Was bedeutet das Verschlechterungsverbot für FFH-Gebiete?
Für FFH-Gebiete gilt grundsätzlich ein Verschlechterungsverbot. Jeder Eingriff, der den Erhaltungszustand verschlechtert, ist zu unterlassen. Selbst bei "überwiegendem öffentlichen Interesse" ist eine Stellungnahme der Europäischen Kommission einzuholen.
Welche Probleme gibt es bei der Umsetzung der FFH-Richtlinie in Deutschland?
Zu den Problemen gehören die verspätete Umsetzung, die unzureichende Information der Kommunen und Landwirte, Interessenkonflikte zwischen Naturschutz und wirtschaftlichen Interessen sowie die Frage der Entschädigung von Grundeigentümern bei Nutzungseinschränkungen.
Was ist die Rolle der Naturschutzverbände im Rahmen der FFH-Richtlinie?
Naturschutzverbände wie der NABU erstellen sogenannte Schattenlisten mit Gebieten, die ihrer Ansicht nach ebenfalls als FFH-Gebiete in Frage kommen. Alle potentiellen FFH-Gebiete, auch die der Schattenliste, sind bis zur endgültigen Ausweisung wie ausgewiesene FFH-Gebiete zu behandeln.
Was ist die LIFE-Verordnung?
Die LIFE-Verordnung sieht vor, die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der FFH-Richtlinie finanziell zu unterstützen. Durch die verspätete Umsetzung hat Deutschland Fördergelder nach der LIFE-Verordnung entgehen lassen.
Welche Interessenkonflikte entstehen durch die FFH-Richtlinie?
Insbesondere Kommunen und Verbände sehen ihre Interessen durch die Unterschutzstellung von FFH-Gebieten bedroht. Die Gemeinden berufen sich auf ihre Planungshoheit, während die Verbände der Industrie, des Gewerbes und der Landwirtschaft hauptsächlich ihre wirtschaftlichen Interessen gefährdet sehen.
- Arbeit zitieren
- Thorsten Schmidt (Autor:in), 2000, Die FFH-Richtlinie, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/98582