In dieser Arbeit werden die inneren Strukturen der kommunistischen Partei Chinas untersucht. Dabei liegt der Fokus besonders auf den Prinzipien der Macht und der Organisation vor dem Hintergrund der Soziologie des Parteiwesens nach Robert Michels. Der demokratische Zentralismus, der als typische Architektur kommunistischer Parteien gilt, wird kritisch beleuchtet und in den gesamtchinesischen Kontext gestellt. Die Frage nach einer Verbindung zwischen Wirtschaftswachstum und Demokratisierung bildet den größeren Rahmen der Arbeit. Hat die Reform- und Öffnungspolitik seit den 1970er Jahren im Reich der Mitte einen gesellschaftlichen Modernisierungsprozess zu Tage gefördert, der sich gar in Tendenzen der Demokratisierung niederschlagen kann?
Dabei werden spezifisch die Perspektiven innerparteilicher Pluralisierung, die sich als inoffizielle Strömungen innerhalb der KPCH zeigen, untersucht. Die verschiedenen Gruppen innerhalb der Partei sowie liberal orientierte Teile der
gewachsenen Mittelschicht der Bevölkerung scheinen in einem Spannungsverhältnis zur jüngsten Personalisierung von Macht zu stehen. Xi Jinping gilt als mächtigster Präsident der chinesischen Geschichte seit Mao Tse Dong und weiß sich durch geschickte Kommunikationsstrategien und die Propagierung des chinesischen Traums Legitimation zu sichern. Legitimation wird auf regionaler Ebene auch durch autoritäre Deliberation angestrebt, wobei diese Form der sektoral begrenzten Bürgerbeteiligung das System bis zu einem gewissen Grad stützen, es aber auch vermittels gesellschaftlicher Vernetzung perspektivisch zu Fall bringen kann. Wie Xi seine herausragende Machtposition einsetzt und wie sowohl die Parteiorthodoxie als auch die Bevölkerung in Krisensituationen darauf reagieren werden, wird letztlich über die Zukunft Chinas mitentscheiden.
Inhaltsverzeichnis
Abstract
1. Einleitung
2. Soziologische Aspekte der KP Chinas: Aufbau und Strukturprinzipien
2.1. Interner Pluralismus
2.2. Autoritäre Deliberation
2.3 Personalisierung von Macht im Spannungsverhältnis der Parteitraditionen
3. Perspektiven der Demokratisierung durch Wirtschaftswachstum
4. Fazit
Literaturverzeichnis
Abstract
In dieser Arbeit analysiere ich die inneren Strukturen der kommunistischen Partei Chinas. Dabei interessieren mich besonders die Prinzipien der Macht und der Organisation vor dem Hintergrund der Soziologie des Parteiwesens nach Robert Michels. Der demokratische Zentralismus, der als typische Architektur kommunistischer Parteien gilt wird kritisch beleuchtet und in den gesamtchinesischen Kontext gestellt. Die Frage nach einer Verbindung zwischen Wirtschaftswachstum und Demokratisierung bildet den größeren Rahmen meiner Arbeit. Hat die Reform- und Öffnungspolitik seit den 1970er Jahren im Reich der Mitte einen gesellschaftlichen Modernisierungsprozess zu Tage gefördert, der sich gar in Tendenzen der Demokratisierung niederschlagen kann? Dabei untersuche ich spezifisch die Perspektiven innerparteilicher Pluralisierung, die sich als inoffizielle Strömungen innerhalb der KPCH zeigen. Die verschiedenen Gruppen innerhalb der Partei sowie liberal orientierte Teile der gewachsenen Mittelschicht der Bevölkerung scheinen in einem Spannungsverhältnis zur jüngsten Personalisierung von Macht zu stehen. Xi Jinping gilt als mächtigster Präsident der chinesischen Geschichte seit Mao Tse Dong und weiß sich durch geschickte Kommunikationsstrategien und die Propagierung des chinesischen Traums Legitimation zu sichern. Legitimation wird auf regionaler Ebene auch durch autoritäre Deliberation angestrebt, wobei diese Form der sektoral begrenzten Bürgerbeteiligung das System bis zu einem gewissen Grad stützen, es aber auch vermittels gesellschaftlicher Vernetzung perspektivisch zu Fall bringen kann. Wie Xi seine herausragende Machtposition einsetzt und wie sowohl die Parteiorthodoxie als auch die Bevölkerung in Krisensituationen darauf reagieren werden, wird letztlich über die Zukunft Chinas mitentscheiden.
1. Einleitung
China hat sich historisch zu einer der führenden Weltmächte entwickelt und gilt als autoritär regierter Staat. Das rasante Wirtschaftswachstum in den letzten Dekaden ging Hand in Hand mit wirtschaftlichen Reformen, die Ausdruck einer kapitalistisch orientierten Ökonomie sind. Hinsichtlich dieser Befunde mutet es zunächst seltsam an, dass wir bei der Regierungspartei Chinas von einer kommunistischen Partei sprechen. Um die kommunistische Partei Chinas und ihre innere Struktur zu verstehen, muss auch das Konzept des sogenannten Sozialismus chinesischer Prägung zumindest grob umrissen werden. So werde ich in dieser Arbeit zunächst einige grundlegende Aspekte zur Geschichte und Grundstruktur der Kommunistischen Partei Chinas darlegen und diese im Lichte der propagandistischen Marschroute spezifizieren. Anschließend sollen die beschriebenen Grundaspekte der inneren Parteistruktur expliziter herausgearbeitet und soziologisch analysiert werden. Dabei werde ich in ausgewählten Aspekten einen Vergleich zu demokratischen Parteien des Westens ziehen und zeigen, dass eine gewisse Parteidisziplin und Autoritarismus charakteristisch für politische Parteien im Allgemeinen zu sein scheinen. Ein besonderes Augenmerk hinsichtlich der KP Chinas werde ich auf innerparteilichen Pluralismus legen, der sich eventuell durch eine nach mehr Partizipation strebenden Mittelschicht über Zeit herausgebildet hat. Demokratietheoretisch gesehen fördert wirtschaftliches Wachstum nicht selten einen erhöhten Willen demokratischer Teilhabe zu Tage. Inwieweit öffnet sich die KP Chinas einer Pluralisierung oder gar Demokratisierung im Inneren? Dabei werde ich auch auf die deliberativen Elemente chinesischer Politik auf regionaler Ebene eingehen, die diesem neuen Teilhabestreben zu entsprechen scheinen und im kulturellen Kontext betrachtet werden müssen. In diesem Zusammenhang werde ich auch die philosophischen Charakteristika von chinesischer Politik im Allgemeinen und den Parteitraditionen im Besonderen herausarbeiten. Diese philosophische Tradition, welche die chinesische Kultur noch heute prägt, geht auf Konfuzius und Mao Tse Dong zurück. Ausgleich, Harmonie und das Erhören des Volkes sind Kemelemente dieser Denkrichtung. Gerade diese politische Philosophie gerät in der Gegenwart Chinasjedoch unter Druck und droht im Spannungsfeld der Parteitraditionen und der zunehmenden Personalisierung von Macht des Präsidenten Xi Jinping an Wirkung einzubüßen.
2. Soziologie KP Chinas: Aufbau und Strukturprinzipien
Die kommunistische Partei Chinas ist im Inneren nach den Prinzipien des demokratischen Zentralismus aufgebaut, der auf Lenin zurückgeht. (Vgl. Lenin 1973) Demzufolge herrscht innerhalb der Partei eine klare Hierarchie von oben nach unten. Direktiven der übergeordneten Einheit müssen von den unteren Einheiten umgesetzt werden. Es gibt eine strikte Parteidisziplin und ein Verbot der Bildung von Fraktionen, welches den Zusammenhalt der Partei nach innen und Geschlossenheit nach außen sichern soll. Nach außen soll stets Einheit demonstriert werden. Nach innen gilt jedoch theoretisch Meinungs- und Diskussionsfreiheit. Theoretisch wird von unten nach oben gewählt. Allerdings obliegt das Aufstellen der Kandidaten den oberen Einheiten. Somit ist im Konzept des demokratischen Zentralismus, der Zentralismus praktisch das zentrale Prinzip und demokratische Elemente könnenje nach Auffassung der Führung mehr oder weniger umgesetzt werden. Das gilt wohl auch für die Diskussions- und Meinungsfreiheit, die innerhalb der kommunistischen Parteien weltweit historisch insbesondere unter Stalin in der Sowjetunion de facto abgeschafft worden war. Auf das in der leninistischen Parteistruktur immanent eingeschriebene Risiko personeller Machtkonzentration werde ich noch zu sprechen kommen.
Im Folgenden werde ich jedoch zunächst einige grundlegende Aspekte des Aufbaus der kommunistischen Partei Chinas aufzeigen, die sich zum Teil vom sowjetischen Vorbild leninistischer Architektur unterscheiden und einem geschichtlichen Wandel unterliegen. Zunächst einmal gilt die KPCH als Speerspitze, als Vorhut der Revolution. Die chinesische Revolution unterscheidet sich von der Sowjetischen Oktoberrevolution deutlich, und zwar hinsichtlich der differenten Klassenbetonung. Die Arbeiterklasse spielte in der chinesischen Revolution keine Rolle, wohingegen die Bauern massenhaft mobilisiert werden konnten. Abgesehen von der stärkeren Betonung der Befreiung der Bauen und der „Relativierung der Rolle der Arbeiterklasse“ (Heilmann 2015 S.31) war die KPCH jedoch propagandistisch und organisatorisch stark von der KPDSU (Kommunistische Partei der Sowjetunion) beeinflusst. Der umfassende Herrschafts- und Kontrollanspruch der Partei leitet sich aus der Ideologie ab, nach der die Kommunisten die politische Vertretung des befreiten Volkes von der Unterdrückung des Kapitals darstellen. Organisatorisch fußt die KPCH auf den bereits erwähnten Prinzipien des demokratischen Zentralismus, der Einheit nach außen und strikte Parteidisziplin und Hierarchie nach innen gewährleisten und die Mitglieder unter das größere, ideologisch kommunizierte Ziel vereinen soll. Die ideologische Schulung der Parteimitglieder erfolgt in Parteischulen und Massenorganisationen. Für kommunistische Staaten war historisch betrachtet eine zentrale Wirtschaftsplanung charakteristisch. In dieser Hinsicht stellt China einen Sonderfall dar, der in seiner politikwissenschaftlichen Bedeutung als Abkehr von der Kemideologie des Marxismus begriffen werden kann. Das Verbot privatwirtschaftlicher Strukturen wurde Stück für Stück aufgegeben. „Mithilfe einer großen Anzahl an dezentralen wirtschaftspolitischen Experimenten (Sonderwirtschaftszonen, Pilotprojekte etc.) hat China Marktelemente schrittweise einführen können.“ (Heilmann 2015, S. 30) Diese Entwicklung hin zu einer modernen Marktwirtschaft beschleunigte sich insbesondere unter der Herrschaft Deng Xiaopings. Mit den ökonomischen Reformen veränderte sich auch die Ausrichtung der KPCH. „Die Theorien Deng Xiaopings wurden zusammen mit dem Marxismus-Leninismus und den „Mao-Zedong-Ideen“ zum Kernbestand des ideologischen Rüstzeugs der KPC erhoben.“ (Heilmann 2015, S.32). Innerhalb der Theorie des wissenschaftlichen Sozialismus wird das mit einer dialektischen Herangehensweise legitimiert und im Rahmen einer gesellschaftlichen Evolution definiert. Demnach stünde China in der Frühphase des Sozialismus, in der zunächst die Entwicklung der Produktivkräfte oberste Priorität hätte. Das Ziel ist die Erhöhung des Lebensstandards und die Behauptung Chinas als Weltmacht und dies insbesondere vor dem historischen Hintergrund von Kolonisation und Unterdrückung durch fremde Mächte. Aus geschichtlicher Demütigung heraus muss auch das patriotische Narrativ verstanden werden, das die KPCH stetig betont. Nationalistische Töne sind für europäische Kommunisten der Früh- und Spätmoderne innerhalb sozialistischer Theorien kaum zu verorten. In der chinesischen Kultur ist Patriotismus und Kommunismus aber kein Widerspruch. So gilt die Bindung des Volkes an die Partei und umgekehrt als Ausdruck eines größeren Kollektivs, das im starken Nationalstaat seine Heimat hat. Diese Bindungen sollen insbesondere Parteifunktionäre durch ständigen Austausch mit dem Volk festigen, wobei sicherlich auch politische Kontrolle eine Rolle spielt. Da sich die kommunistische Partei als Volksmacht versteht, ist sie eine Massenpartei. Die Parteimitgliedschaft bringt Vorteile bezüglich sozialer Mobilität mit sich, etwa hinsichtlich Beförderungschancen in Staatsunternehmen und ist daher nicht zwingend Ausdruck einer massenhaften kommunistischen Überzeugung in China. Mit 87,7 Millionen Mitgliedern ist die KPCH die mitgliederstärkste Partei der Welt. (Stand 2014; Heilmann 2015, S.44) Die ideologische Schulung im Sinne der Partei setzt bereits im Kindesalter ein und zieht sich durch die Jugend der Heranwachsenden. Die Massenorganisationen zur gezielten Vorbereitung der nächsten Generationen auf ein Wirken im größeren Kollektiv sind ein soziologisches Charakteristikum kommunistischer, historisch gesehen aber auch faschistischer Staaten. Dabei ist nicht nur die schulische Bildung gemeint, sondern auch außerschulische Aktivitäten, also die Organisation der Freizeit. Das Politbüro und dessen ständiger Ausschuss mit dem Generalsekretär an der Spitze ist die oberste Führungsebene der KPCH. Hier verwirklicht sich die politische Macht. Im ständigen Ausschuss sitzen derzeit sieben Mitglieder des Politbüros (25 Mitglieder). Diese Mitglieder werden nach dem bereits beschriebenen Prinzip stets von der obersten Führungsebene verhandelt und dem Zentralkomitee lediglich „(...) zur Bestätigung vorgelegt“. (Heilmann 2015, S.48) Ein wichtiges Element zum Verständnis der Soziologie der KPCH ist die Disziplinarkommission. Sie ist eine Institution, die eine immerwährende, latente Angst zu verbreiten im Stande ist. Sie unterliegt keiner juristischen Kontrolle und kann als verlängerter Arm der Führung begriffen werden. Unliebsame Mitglieder können unter dem Verweis der Disziplinierung, etwa im Zuge von Anti-Korruptionskampagnen, ihrer Funktionen enthoben und inhaftiert werden. (Vgl. Heilmann 2015, S.47) In den letzten Jahren wurden Massen an Mitgliedern angeklagt und verurteilt, darunter auch prominente Politiker, die der Macht des Präsidenten perspektivisch hätten gefährlich werden können. (Vgl. ZeitOnline 2017) Das erinnert in der Grundstruktur an die berüchtigten stalinistischen Schauprozesse gegen vermeintliche Konterrevolutionäre in der Sowjetunion, die auch vor Kommunisten nicht Halt machten. Insbesondere diese drückende Wirkmacht der Disziplinarkommission steht einer internen Demokratisierung entgegen und verhindert je nach Philosophie der Führung vermutlich auch kleinste Pluralisierungsprozesse. Ein derart mächtiger Führungszirkel und eine Kommission zur Umsetzung der Parteilinie auf allen unteren Ebenen begünstigt das Phänomen, das Robert Michels einst als das „eherne Gesetz der Oligarchie“ bezeichnet hat. Demnach sei es ein Strukturgesetz von Organisationen im Allgemeinen und politischer Parteien im Besonderen, dass sich über kurz oder lang mächtige, elitäre Zirkel der Macht herausbilden, die jeglicher Demokratisierung der Organisation im Wege stehen. Je größer eine soziale Struktur ist, desto höher muss der Grad der Organisation derselben sein, um Ordnung statt Chaos zu gewährleisten. Politische Struktur ohne Organisation scheint undenkbar und gerade in einem so großen Land wie China wird klar, dass oligarchische Tendenzen unvermeidbar sind, sofern das Staatswesen als Solches in seiner Wirkungsmacht erhalten werden soll. „Wer Organisation sagt, sagt Tendenz zu Oligarchie“. (Michels 1970, S.25) Dabei spielen die Ziele der Organisation zunächst einmal eine untergeordnete Rolle. Es geht um grundlegende Strukturprinzipen, die sich über Zeit herausschälen. Eine solche Evolution der Organisation in Wechselwirkung mit der Zusammensetzung und Sozialisation ihrer Mitglieder ist ein Spiegel gesellschaftlicher Wirklichkeit. Anpassung, Integration und Zielerreichung gelten als Grundpfeiler der allgemeinen Systemtheorie moderner Gesellschaften und dürften sich im direkten Umfeld von politischen Organisationseinheiten besonders intensiv zeigen. Der Machtzirkel, der sich zwangsläufig etabliert, kann sich von der gesellschaftlichen Wirklichkeit entfernen und rein egoistische Ziele verfolgen. Das gilt in mehr oder weniger starkem Maße auch für westliche Parteien, die sich der Demokratie verschrieben haben, wobei diese zumindest in einem politischen System der Gewaltenteilung gerahmt sind und einem ausufernden Machtmissbrauch Schranken gesetzt sind. „Der Zentralisationsgedanke des Parteiwesens, der ein Machtgedanke ist, leistet der Staatsform in seiner jeweilig realen Gestalt Vorschub“. (Michels 1970, S. 173) Das Zentrale Momentum im demokratischen Zentralismus der KPCH überwiegt das Demokratische deutlich. In jeder Partei, auch in westlichen Demokratien, können derartige Tendenzen beobachtet werden. Kandidaten für Wahlen werden meist durch private Beziehungen der Macht und strategische Netzwerkgeflechte bestimmt. Abweichungen von der Parteilinie nach außen hin werden auch in demokratischen Parteien sanktioniert und können Karrieren beenden. Jedoch ist der Druck von oben nach unten in der KPCH wesentlich intensiver und kann das Schicksal von Einzelnen auf Lebenszeit und über die politische Sphäre hinaus besiegeln. Dabei ist auch zu bedenken, dass in China die Todesstrafe noch immer Gang und Gebe ist und auch in besonders schwerwiegenden Fällen der Korruption verhängt werden kann. (Vgl. Welt 2016)
Die Disziplinarkommission hat in China die Befugnis dazu, Mitglieder jeder hierarchischen Stufe zu durchleuchten und sie gegebenenfalls der offiziellen, staatlichen Justiz zu übergeben. Eine solche Verquickung von Staat und Partei ist ein typisches Charakteristikum kommunistischer Systeme. Schon im wissenschaftlichen Sozialismus nach Marx und später Lenin gilt die „Diktatur des Proletariats“ als wichtige Etappe auf dem Weg in eine kommunistische Zukunft, in der dann wiederum der Theorie nach, der Staat selbst überflüssig und absterben würde. Die Errichtung einer Parteiendiktatur ist nicht gleichzusetzten mit der Diktatur des Proletariats im marxistischen Sinne, da Vergesellschaftung nicht zwingend mit einem bürokratisch autoritären Staat einhergehen muss. Die leninistische Strategie der Berufsrevolutionäre, die in einer Partei die Avantgarde der Revolution bilden, hat sich nach der Oktober evolution in Russland beinahe auf den gesamten Kosmos der Kommunistischen Welt ausgebreitet. „In kommunistischen Regierungssystemen sind Partei und Staat gewöhnlich kaum zu unterscheiden“. (Heilmann 2016, S.54) Da in China Staat und Partei weitgehend miteinander verschmolzen sind, ergibt sich eine fehlende Gewaltenteilung, die praktisch Gewalt im Sinne der Führung gegen abweichende Mitglieder legitimiert. Das bedeutet aber nicht, dass per se abweichende Meinungen unterdrückt werden. Die Unterdrückung von Meinung wird mit wirtschaftlicher Expansion immer schwieriger, da eine Modernisierung im Sinne von Individualisierung einsetzt. Die sozial bindenden Bezugsrahmen der Familie und der Spiritualität verlieren in ökonomischen Modernisierungsprozessen üblicherweise an Integrationskraft. Der Wille zur Mitbestimmung wird in dem Maße lauter, in dem die materiellen Bedürfnisse gesättigt sind und neue Bedürfnisse entstehen, die mit einer Adaption an neue Lebensverhältnisse einhergehen. Die Frage der Legitimation von Macht bedarf somit immer wieder neuer Antworten. Die Partei steht in einem Spannungsverhältnis zwischen Legitimation und Vertrauen auf der einen Seite und der gleichzeitigen Demonstration von Stärke und Geschlossenheit nach innen wie außen auf der anderen Seite. Die wirtschaftliche Entwicklung hat eine starke Mittelschicht hervorgebracht. Die Macht der Partei steht und fällt perspektivisch mit der Legitimation beim Volk. Trotz hoher zentralistischer Machtkonzentration gibt es einen innerparteilichen Pluralismus, der Ausgleichsbemühungen der Führung erforderlich zu machen scheint. Der Innerparteiliche Pluralismus erstreckt sich auf drei Gruppierungen, die ich im Folgenden in meine Analysen einbinden werde. Darüber hinaus gibt es eine außerparteiliche Gruppe, die in Folge der wirtschaftlichen Öffnung entstanden ist und im Wachsen begriffen scheint: Es sind Befürworter weiterer ökonomischer und politischer Reformen, die sogar in die Richtung einer Öffnung zur liberalen Demokratie hin weisen. Die Betrachtung dieser Gruppe wird den Rahmen meiner abschließenden Analysen im Zusammenhang einer potenziellen Demokratisierung bilden.
2.1 Interner Pluralismus der KPCH
Offiziell ist die Bildung von Fraktionen innerhalb der KPCH verboten, so wie es bei den meisten kommunistischen Parteien weltweit der Fall ist. Kommunistische Parteien legitimeren dies meist dadurch, dass sie eine Unterwanderung durch den Kapitalismus fürchten und nur durch geschlossene Reihen den Klassenkampf erfolgreich führen könnten. Obwohl es nun in der KPCH offiziell keine Fraktionen geben darf, gibt es doch gewisse Formen innerparteilichen Pluralismus, die in ihrem Organisationsgrad einer Fraktionierung zumindest nahekommen. Drei Strömungen können dabei beobachtet werden. Die Neo-Kommunisten stehen der kapitalistischen Entwicklung Chinas weitgehend ablehnend gegenüber und sehnen sich nach einer Rückbesinnung auf ursozialistische Werte und die Konzentration auf die Belange armer Arbeiter und Bauern. (Vgl. Benedikter 2014 S.73) Ihre Haltung reicht von Skepsis bis hin zu feindlich gesinnter Frustration ob der Entwicklungen der letzten Dekaden. Aus dem Blickwinkel traditioneller Marxisten muss die Öffnung zur Marktwirtschaft und privatem ausländischen Kapital wie Verrat erscheinen. Die Neo-Kommunisten sind im innersten Zirkel der Macht nicht vertreten, können aber aus einer Position ohne Regierungsverantwortung heraus Druck entfalten, der in der Bevölkerung auf Wiederklang hoffen darf. Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes hat zwar vielen Menschen aus der Armut herausgeholfen, aber auch neue Probleme sozialer Ungerechtigkeit geschaffen. Die Enteignung von Menschen zwecks Straßen- oder Fabrikbau zur Profitmaximierung privater Investoren ist mit Kommunismus nicht zu vereinbaren. Jedoch ist die wirtschaftliche Öffnungs- und Reformpolitik der letzten Dekaden aus der Vogelperspektive betrachtet ein Herzstück des neuen Wohlstandes. Der Wohlstand der Einen bedingt aber nicht selten die Armut der Anderen. Die KPCH muss bei der Erzählung ihrer größeren Machtlegitimation also einen Spagat vollziehen. Sie muss einerseits auf die Bedürfnisse der Armen eingehen und gleichzeitig die Wachstumsbestrebungen der neu entstandenen Mittelschicht sättigen. Ersteres wird der Strömung der Neo-Kommunisten zugerechnet, letztes der pragmatischen Mitte. Die Mitte der Partei hat sich vom Marxismus-Leninismus längst verabschiedet und verwendet die Ideologie nur noch nach Belieben zur propagandistischen Unterfütterung der eigenen Machtbasis. Insofern muss auch bezweifelt werden, ob die inoffizielle Strömung der Neo-Kommunisten wirklich als Teil innerparteilichen Pluralismus zu verstehen ist, oder ob es sich dabei vielmehr um nützliche Marionetten handelt, die man je nach tagespolitischem Erfordernis tanzen lässt. Die Strömung der Pragmatiker gliedert sich wiederum in eine Gruppe, die wirtschaftliche Öffnungsprozesse gegenüber ausländischem Kapital verstärkt forcieren will und eine Gruppe, die auf vorsichtigere Wirtschaftsentwicklung setzt. (Vgl. Benedikter 2014 S.73) Einigkeit scheint im pragmatischen Lager hinsichtlich der für Außenstehende paradox wirkenden Klassenausrichtung zu herrschen. So wird offenbar eine Begünstigung der Mittelklasse durch Ausbeutung der Arbeiterklasse zugelassen oder teilweise sogar aktiv unterstützt. Vor diesem Hintergrund scheinen Zugeständnisse gegenüber dem linken Lager, sofern es überhaupt wirklich existiert, die einzige Bremse eines neoliberalen Kapitalismus zu sein, der im Prinzip eine vollständige Negation der kommunistischen Grundphilosophie darstellt. Wenn das linke Lager so nicht existiert, so sind Ausgleichsbemühungen als Propaganda zu interpretieren, welche eine möglichst breite Loyalität des Volkes sichern helfen soll. Die rasant gewachsene Mittelschicht in China bedingt die Entstehung einer Strömung außerhalb des politischen Regierungsapparates, die künftig eine stärkere Stimmung in der Kursausrichtung Chinas bekommen könnte. Diese Strömung steht wie auch das pragmatische Regierungslager für wirtschaftliche Öffnung. Jedoch soll die wirtschaftliche Öffnung auch mit politischem Wandel einhergehen, die letztlich in die Richtung der liberalen Demokratie westlichen Typs hinausläuft. Die Opferung einzelner Menschen zum Zwecke eines angeblichen Mehrwertes für das Kollektiv wird nicht mehr so kritiklos hingenommen wie in der Vergangenheit. Die angeschnittene Strömungsproblematik könnte durch Druck von unten eine Dynamik entfalten, die der Regierungspartei Zugeständnisse abverlangt. Eine Strategie solchen Entwicklungen zu begegnen ist die Nutzung deliberativer Elemente auf lokaler Ebene. Die Bürger selektiv an der Politik partizipieren zu lassen, kann die Loyalität in der Gesellschaft steigern und zudem optimierte Entscheidungen durch Einbeziehung kollektiver Intelligenz und variabler Lebenserfahrungen ermöglichen. Im Folgenden werde ich die Praxis der autoritären Deliberation in China demokratietheoretisch untersuchen und im Rahmen der Struktur der KPCH einordnen.
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