Personalpronomen sind dafür verantwortlich, im Diskurs bereits aufgeführte Subjekte erneut zu erfassen. Dies ist auch im Spanischen der Fall. Pronomen können sich hier nur auf maskuline oder feminine Substantive beziehen, da ein Neutrum nicht existiert. Spannend ist nun die Besonderheit des Pronomens ello, welches weder maskulin noch feminin ist und auf besagte Substantive folglich nicht referieren kann. Welche Funktion hat es stattdessen? Könnte es sich um ein semantisch leeres Element handeln, oder ist dies ausgeschlossen? Ziel dieser Arbeit ist es, diesen Fragen nachzugehen und die Bedeutung ello’s im Diskurs herauszuarbeiten.
Die Arbeit ist in fünf Kapitel gegliedert. Zu Beginn werden die grundlegenden Charakteristika von ello präsentiert. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit den Expletivpronomina und deren Distribution in der Sprache, um ello als semantisch leeres Pronomen auszuschließen. Kapitel drei beschäftigt sich anschließend mit dem Spanischen als sogenanntes "Two-Gender-System" und der Frage, was dies für ello selbst und den Referenten bedeutet. Das vierte Kapitel erläutert die zu schlussfolgernde Funktion ello’s als Komplexanapher
Hier wird eine Erklärung der Terminologie und deren Bedeutung für den Diskurs gegeben, was mittels Beispiels veranschaulicht wird. Kapitel fünf beleuchtet den Schwund von ello aus der Sprache und stellt gleichzeitig eine Varietät des Spanischen vor, in der es "munter" weiterlebt. In der Schlussbetrachtung wird die Forschungsfrage, um die Besonderheit ello’s und seine Funktion, beantwortet.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Das Personalpronomen ello
2. Die Distribution von Expletivpronomina in der Sprache
3. Das Neutrum - eine nicht existente Geschlechtsform im Spanischen
4. Ello als Komplexanapher
4.1 Anaphorische referentielle Kohärenz
4.2 Clausal- und Textual Referent
5. Der Schwund von ello aus der Sprache und dessen Verwendung im dominikanischen Spanisch
6. Schlussbetrachtung
7. Literaturverzeichnis
Einleitung
Die Sprachwissenschaften sind in mehrere Teilbereiche gegliedert, welche die Sprache auf unterschiedlichsten Ebenen untersuchen. Die Semantik setzt sich mit der Bedeutung auseinander. Das übergeordnete Thema dieser Arbeit wird folglich die Bedeutung Referentieller Ausdrücke bzw. der Komplexanaphern thematisieren.
Personalpronomen sind dafür verantwortlich, im Diskurs bereits aufgeführte Subjekte erneut zu erfassen. Dies ist auch im Spanischen der Fall. Pronomen können sich hier nur auf maskuline oder feminine Substantive beziehen, da ein Neutrum nicht existiert. Spannend ist nun die Besonderheit des Pronomens ello, welches weder maskulin noch feminin ist und auf besagte Substantive folglich nicht referieren kann. Welche Funktion hat es stattdessen? Könnte es sich um ein semantisch leeres Element handeln, oder ist dies ausgeschlossen? Ziel dieser Arbeit wird es sein, diesen Fragen nachzugehen und die Bedeutung ello ’s im Diskurs herauszuarbeiten.
Die Arbeit ist in fünf Kapitel gegliedert. Zu Beginn werden die grundlegenden Charakteristika von ello präsentiert. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit den Expletivpronomina und deren Distribution in der Sprache, um ello als semantisch leeres Pronomen auszuschließen. Kapitel drei beschäftigt sich anschließend mit dem Spanischen als sogenanntes „Two-Gender-System“ und der Frage, was dies für ello selbst und den Referenten bedeutet. Das vierte Kapitel erläutert die zu schlussfolgernde Funktion ello ’s als Komplexanapher. Hier wird eine Erklärung der Terminologie und deren Bedeutung für den Diskurs gegeben, was mittels Beispiels veranschaulicht wird. Kapitel fünf beleuchtet den Schwund von ello aus der Sprache und stellt gleichzeitig eine Varietät des Spanischen vor, in der es “munter“ weiterlebt. In der Schlussbetrachtung wird die Forschungsfrage, um die Besonderheit ello ’s und seine Funktion, beantwortet.
1. Das Personalpronomen ello
Ello (sin plural). Pronombre neutro de tercera persona. Equivale a «eso» y es el pronombre personal mas usado por ser el que representa una accion, estado, etc., y, por tanto, el que representa una oracion como sujeto de otra, unico caso en que, en espanol, es necesario repetir el sujeto: ‘No me es simpatico; ello no obsta para que le reciba cortésmente’. [...] (Moliner, 1992: 1068)
Bei ello, abstammend vom lateinischen illud (vgl. Pomino/Stark: 2009: 274), handelt es sich laut Moliner (1992: 1068) um ein neutrales Personalpronomen der dritten Person, welches, statt spezieller Menschen oder Dinge, ausschließlich Handlungen, Ideen oder Zustände (vgl. Hinze- lin/Kaiser: 2006: 7), also abstrakte Substantive, mit den semantischen Merkmalen [-zählbar], [- belebt/Individuation] und [+abstrakt] (vgl. Pomino/Stark: 2009:274), bezeichnet. Zudem stellt es zuvor artikulierte Tatsachen, oder Ursachen als Subjekt des Folgesatzes dar (vgl. Duque: 2019). Aufgrund der Abstraktheit des Referenten existieren außerdem keine Pluralformen von ello (vgl. ebd.), worauf im dritten Kapitel eingegangen wird. Zudem wird ello nur bei Nominativen und Präpositionen verwendet, wohingegen bei Akkusativen lo auftritt. Nachfolgend im Beispiel veranschaulicht.
1. En Alemania, las catedras universitarias siempre habian formado parte de la administration central, de modo que muchos profesores hablan tenido que in- gresar al partido solo para no perder sus puestos.
A Ello provoco, que (Nominativbeispiel)1
2. Sentia una inmensa ternura por las mujeres solteras.
A Por ello aparecio a Marta. (Präpositionalbeispiel)2
3. Siempre dije que Diana no estuvo directamente involucrada en mi libro.
4. A Lo hacia para protegerla. (Akkusativbeispiel)3 (Duque: 2019: 273)
Nachdem das Pronomen ello definiert wurde, beginnt nun die Ermittlung seiner Funktion. Das folgende Kapitel klärt deshalb u.a. den Begriff „Null-Subjekt-Sprache“, als solche das Spanische bezeichnet wird, und die damit einhergehenden Konsequenzen für ello, dessen Funktion als Expletivum unmöglich wird.
2. Die Distribution von Expletivpronomina in der Sprache
Die Besonderheit expletiver Pronomina besteht darin, dass sie semantisch leer und referenzlos sind und als Subjektpronomina in bestimmten Typen unpersönlicher Konstruktionen, auftreten. (Hinzelin/ Kaiser 2006: 12).
Sie kommen allerdings nicht in allen Sprachen vor, sondern können nur in sogenannten „NichtNull-Subjekt-Sprachen“, wie etwa dem Deutschen, Englischen oder Französischen, verwendet werden (Leib, Julia: 2010). In diesem Typ Sprache gilt laut Perlmutter (1971:100) das Fehlen des Subjekts als ungrammatisch, sodass die lexikalische Realisierung des Expletivums, unabhängig davon, ob es sich um ein thematisches oder expletives Subjektpronomen handelt, obligatorisch ist (vgl. Kaiser 2003: 260). Das Expletivum drückt allerdings keine Referenz aus und ist semantisch leer (vgl.ebd.:12). Charakteristisch für Null-Subjekt-Sprachen (pro-drop), wie bspw. das Spanische, ist hingegen die Auslassung des Subjektpronomens, welches “i.d.R. nur dann lexikalisch realisiert wird, wenn es aus semantisch-pragmatischen Gründen hervorgehoben wird“ (Kaiser 2003: 258). Daraus lässt sich schließen, dass funktionslose Expletiva wegfallen (vgl. ebd.). Infolgedessen nun Beispiele beider Sprachtypen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
FRA: Il pleut II semble qu‘il y a deux mainières de classifier. GER Es regnet Es scheint, dass es zwei Arten zu klassifizieren gibt. ENG It rains It seems that there are two ways to classify.
SPA * Ello llueve *Ello parece que hay dos maneras de clasificar. POR *Ele chove *Ele parece que ha duas maneiras de classificar. (Hinzelin: 2009: 2)
Das Kapitel zeigt, dass es sich bei ello im Standardspanischen nicht um ein Expletivum handeln kann, da die Auslassung von Expletiva im Spanischen, aufgrund der Nullsubjekteigenschaft, obligatorisch ist. Ello muss eine semantisch-pragmatische Funktion tragen und somit auf etwas referieren. Im folgenden Kapitel wird deshalb das Neutrum des Spanischen thematisiert, das Hinweise auf den Referenten ello ’s gibt.
3. Das Neutrum - eine nicht existente Geschlechtsform im Spanischen
Latein ist ein sogenanntes „Three-Gender-System“, also eine Sprache, in der die drei Geschlechter Maskulinum, Femininum und Neutrum existieren (vgl. Pomino/Stark: 2010: 273). Im Spanischen hingegen, welches hiervon abstammt, ist das Neutrum nicht existent (vgl. ebd.). Es wird folglich als „Two-Gender-System“ bezeichnet (vgl. ebd.). Beweise hierfür sind, dass es keinerlei neutrale Flexionsendungen, sondern lediglich die maskuline -o(s) sowie feminine -a(s) Endung gibt und dass das gesamte Repertoire an Nomen keine Neutra beinhaltet (vgl. ebd.). Sobald keine Individuation, bzw. ein nicht belebter Referent vorhanden ist, wird meist ein neutrales Geschlecht vermutet. Indem sie auf eine Tatsache oder ein Konzept referieren, verstärken die Demonstrativpronomen eso, esto, aquello, die Personalpronomen ello, lo, und der Determinierer lo die Annahme eines Neutrums und täuschen sozusagen eine Wiederauferstehung des „Three-Gender-Systems“ mit echtem Neutrum vor, obwohl es faktisch gar nicht existiert (vgl. ebd.). Ello wird also maskulin flektiert, bezieht sich aber auf ein abstraktes Konzept, weshalb es irrtümlich einer neutralen Geschlechtsform zugesprochen wird. Zudem weist es keine Pluralformen auf (vgl.ebd.: 274). Eine Gruppe [group] kann nämlich nur existieren, wenn Individuation [Individuation] gegeben ist, die Substantive also belebt sind (vgl. ebd.: 275). Im Folgenden ein Beispiel:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Individuation des Abstraktums, auf das sich ello bezieht, ist mangelnd spezifiziert, was seine Singularform begründet. Im Lateinischen bezeichnete das Neutrum außerdem eine ungegliederte Masse, deren Plural ursprünglich eine singularische Kollektivbildung war (vgl. Hoff- mann/Szantyr 1972: 9). Etwas wurde, obwohl es in unbestimmter Anzahl vorlag, trotzdem als Singular verstanden. Das Neutrum oleum bspw., bezieht sich auf viele Oliven, die zu einer ÖlMasse verarbeitet wurden, statt auf eine einzelne Olive, die der femininen Form oliva entspräche (vgl. ebd.:10). Bei beiden Wörtern handelt es sich folglich um einen Singular, wobei oleum allerdings erst viele einzelne Gegenstände zu einem Ganzen vereint. Die Parallelen zum Personalpronomen ello werden insofern deutlich, als dass ello auf ein komplexes Abstraktum referiert, und so etwas als Singular darstellt, was eigentlich aus mehreren Komponenten besteht. Die in diesem Kapitel ersichtlich gewordene Eigenschaft ello ’s, nur auf abstrakte Diskurssegmente zu referieren, wird nun im folgenden Kapitel aufgegriffen und mit dem Begriff “Komplexanapher“ in Verbindung gebracht.
4. Ello als Komplexanapher
Personalpronomen der dritten Person im Spanischen beziehen sich oft auf eine, im Diskurs artikulierte, Sache oder Idee (vgl. Duque: 2019). Neben dem geläufigeren Äquivalent eso, ist hier auch von ello die Rede. Da ello allerdings auf Ideen oder abstrakte Begriffe Bezug nimmt, ist seine deiktische oder situative Interpretation im Diskurs kaum realisierbar. Duque (2019) ist deshalb der Auffassung, es vermittle stattdessen anaphorische oder textuelle Interpretationen. Parodi (2018:49) geht damit konform: “ello [...] is a deictic pronoun, but acts exclusively as a phoric element: it can only refer to previously stated content”.
Diese Erkenntnis bringt uns in den Bereich der Anaphorik. Der Ausdruck, der zum ersten Mal auf einen Referenten im Text verweist, wird „Antezedent“ und der ihn wiederaufnehmende Ausdruck „Anapher“ genannt (Marx: 2011:9). Zusätzlich verweise ello, laut Duque (2019), seltener auf Nominalphrasen und stattdessen eher auf Sätze oder größere Einheiten des Diskurses, in denen bspw. Zustände oder Ereignisse wiedergegeben werden. Deshalb spiele er innerhalb des Diskurses eine signifikante Rolle (vgl. ebd.). Ello wird also als Unterart der Anaphern, als sogenannte Komplexanapher bezeichnet:
Komplexanaphern beziehen sich auf komplexe Referenzstrukturen, ihr Ante- zedens ist folglich nicht nur ein leicht identifizierbarer konkreter referentieller Ausdruck, sondern ein größerer Textabschnitt, der mindestens einen Satz [...] umfasst [...]. (vgl. Marx 2011: 10f)
Ello fungiert im Diskurs also, ähnlich wie alle anderen Anapherarten, als “satzübergreifendes Wiederaufnahmephänomen“ (Marx 2011:9), welches jedoch auf eine größere Texteinheit referiert und ausschließlich abstrakte Entitäten, wie bspw. Sachverhalte oder Propositionen, bezeichnet (vgl.ebd.).
Besides, ello can be preceded by ‘abstract, often deverbal names interpreted as events or referring to situations or states of things which would more commonly be represented in sentences’. (Parodi: 2018)
Neben besagter Arbeit auf sprachlicher Ebene, der Synthese vorhergehender Textinformationen zu einer zusammenhängenden Konstruktion, erfüllt ello auch eine wichtige Funktion auf kognitiver Ebene (Parodi: 2018:49). Es liefert eine prozedurale Bedeutung, die die möglichen Interpretationen der Textsegmente, in denen es erscheint und mit denen es verknüpft ist, einschränkt (vgl. ebd.). Es hilft so den Rezipienten, notwendige Kontextinformationen zu extrahieren, um zu den relevanten Interpretationen des Diskurses vorzudringen (vgl.ebd.). Dieser kognitive Prozess, genannt „Kohärenz“, ermöglicht den Rezipienten, während der Konstruktion mentaler Repräsentationen (Entstehung eines inneren Bildes vor Augen während dem Lesen), Beziehungen zwischen informativen Einheiten eines Textes, wie semantische Verknüpfungen zwischen Ursache und Konsequenz, abzuleiten (vgl. ebd.). Besagte Begrifflichkeit lässt sich im Fall ello‘s allerdings noch spezifizieren. Es handelt sich hier um anaphorische referentielle Kohärenz, die im Folgenden erläutert wird.
4.1 Anaphorische referentielle Kohärenz
Anaphorische referentielle Kohärenz ist eine Form, neue Informationen mit bereits vorhandenen mentalen Repräsentationen, die zuvor durch anaphorische Ausdrücke erschlossen wurden, zu verbinden (vgl.Parodi: 2018: 49). Im Folgenden ein Beispiel:
Los incendios forestales aumentaron en las ultimas dos décadas. Por ello la production maderera experimento una severa reduction4. (Parodi 2018:49)
Ello veranlasst den Leser hier zur Suche eines möglichen Referenten und dazu, diesen dann abzurufen (vgl. ebd. 50). Im Beispiel handelt es sich hierbei um das Textsegment, welches vor por ello steht. Es formuliert den Grund dafür, weshalb die Holzproduktion in den letzten Jahren reduziert wurde. Die Präposition por, als Komponente der Einheit por ello, stellt dann eine semantische Beziehung zwischen Ursache (Satz 1) und deren Konsequenz (Satz 2) her. Es führt letzteres als neues Textsegment ein, welches dann als Prämisse für den Kausalzusammenhang dient (vgl. ebd.). Gäbe es keine Konsequenz, wäre auch die Existenz einer Ursache nutzlos. Parodi (2018:50) bewies in seiner Studie außerdem, dass der Prozess der Herstellung von Kohärenz für den Leser anspruchsvoller ist, wenn der Referent, anders als im oben aufgeführten Beispiel, nicht unmittelbar vor dem referentiellen Ausdruck angeführt ist. Je größer das Ausmaß des Referenten, desto länger die Lesezeit (vgl.ebd.).
[...]
1 Dt.: In Deutschland waren Universitätslehrstühle immer Teil der Zentralverwaltung, sodass viele Professoren in die Partei eintreten mussten, um ihre Positionen nicht zu verlieren. Dies hatte zur Folge, dass.
2 Dt.: Er fühlte eine immense Zuneigung zu alleinstehenden Frauen. Deshalb schätze er Marta sehr.
3 Dt.: Ich habe immer gesagt, dass Diana nicht direkt an meinem Buch beteiligt war. Ich habe es getan, um sie zu beschützen.
4 Dt.: Waldbrände haben in den letzten zwei Jahrzehnten zugenommen. Daher wurde die Holzproduktion stark reduziert