Gegenstand der vorliegenden Ausarbeitung ist eine detaillierte Untersuchung jener Wortbildungselemente, die gewöhnlich als “Affixoide” oder “Halbaffixe“ bezeichnet werden. Ihre positionsbedingten Entsprechungen bezeichnet man entweder als Präfixoid/Halbpräfix oder Suffixoid/Halbsuffix. Höllen-, Affen- und hoch- sind Beispiele von Präfixoiden, -welt und -freundlich sind Beispiele von Suffixoiden. Die Unklarheiten, die alleine schon mit der unterschiedlichen Begriffsbezeichnung verbunden sind, beschränken sich nicht nur auf den Begriff selbst, sondern nämlich auch auf seine Anwendungen. Dem Begriff Affixoid liegt die sprachwissenschaftliche und zugleich problematische Erkenntnis zu Grunde, dass es ein Problem einer klaren Zuordnung sowie Trennlinie mancher Einheiten zwischen Komposition und Derivation gibt. Dies stellt sprachwissenschaftlich betrachtet ein spannendes Problem dar, denn die Positionierung einiger Wortbildungsmorpheme zwischen den Kategorien wirft zugleich die Frage auf, ob diese suffixartigen Morpheme im deutschen Sprachsystem einen weiteren kategorialen Kernpunkt mit eigenen elementaren Eigenschaften haben und damit eine eigene Distributionsklasse bilden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretischer Hintergrund
2.1 Forschungsstand
2.2 Begriffsbestimmung
3. Empirische Analyse
3.1 Methode
3.2 Ergebnis
3.2.1 Possesivgruppe
3.2.2 Die Subklassen [-Konsequenz], [-Verpflichtung] und [-Bindung]
3.2.3 Das Muster “busenfrei “
4. Diskussion
5. Fazit
Anhang
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Gegenstand der vorliegenden Ausarbeitung ist eine detaillierte Untersuchung jener Wortbildungselemente, die gewöhnlich als “Affixoide” oder “Halbaffixe“ bezeichnet werden. Ihre positionsbedingten Entsprechungen bezeichnet man entweder als Präfixoid/Halbpräfix oder Suffixoid/Halbsuffix (Bergmann/Pauly/Stricker 2010: 126-130). Höllen -, Affen - und hoch - sind Beispiele von Präfixoiden, - welt und - freundlich sind Beispiele von Suffixoiden (Ascoop 2005: 17). Die Unklarheiten, die alleine schon mit der unterschiedlichen Begriffsbezeichnung verbunden sind, beschränken sich nicht nur auf den Begriff selbst, sondern nämlich auch auf seine Anwendungen. Dem Begriff Affixoid liegt die sprachwissenschaftliche und zugleich problematische Erkenntnis zu Grunde, dass es ein Problem einer klaren Zuordnung sowie Trennlinie mancher Einheiten zwischen Komposition und Derivation gibt (Hansen/Hartmann 1991: 67). Dies stellt sprachwissenschaftlich betrachtet ein spannendes Problem dar, denn die Positionierung einiger Wortbildungsmorpheme zwischen den Kategorien wirft zugleich die Frage auf, ob diese suffixartigen Morpheme im deutschen Sprachsystem (Schmidt 1987: 89-94) einen weiteren kategorialen Kernpunkt mit eigenen elementaren Eigenschaften haben und damit eine eigene Distributionsklasse bilden (Ascoop 2005: 17).
Obwohl den Sprachwissenschaftlern die Relevanz bewusst war, dass mit der Schaffung eines neuen Terminus auch die steigende Notwendigkeit aufkam, durch einen Begriff auch eine Kategorie zu etablieren (Elsen 2009: 317), die es vermochte, sich durch die gezielte Bestimmung von Kriterien eine Differenzierung zu ermöglichen (Elsen 2004: 29-31), kam es in der Praxis weiterhin bei zahlreichen Beispielen zu unterschiedlichen Kategorisierungen unter den Gelehrten (Elsen 2009: 323-324). Diese Ausarbeitung soll folglich anhand der Adjektivbildung oberkörperfrei und dem Wortbildungsmorphem - frei untersuchen, warum es trotz zahlreich aufgestellter Kriterien und Begriffsbestimmungen, die dem Versuch einer klaren Zuordnung dienen, trotzdem zu unterschiedlichen Interpretationen, Kategorisierungen und Schwierigkeiten auf synchroner Ebene kommt ( Fleischer/Barz 2012: 58-63). Ob ein Begriff für diese Wortbildungsphänomene zwischen den Kategorien als konstruktiv oder die Etablierung einer eigenen Kategorie als sinnvoll zu erachten sind, kann nicht im Rahmen dieser Ausarbeitung geklärt werden.
Im ersten Teil der Arbeit sollen zunächst verschiedene theoretische Ansätze der aktuellen Forschung vorgestellt und im Hinblick auf die oben formulierte Frage hin diskutiert werden. Da fortlaufend stets die Rede von Affixoiden sein wird, bot es sich an, unmittelbar nach dem Einblick in den Forschungsstand, den Begriff Affixoid näher zu bestimmen und zu definieren. Es folgt die Ergebnispräsentation einer qualitativen Analyse zahlreicher Adjektivbildungen auf - frei, um die Bedeutungsverhältnisse sowie die Funktionen zwischen dem freiem und gebunden Morphem - frei aufzuzeigen. Im nächsten Schritt werden die Ergebnisse der Datenanalyse im Hinblick auf ihre theoretische Relevanz diskutiert. Ziel der theoretischen Diskussion ist es auf Basis der Ergebnisse und gängigen Forschungsmeinungen das Wortbildungsmorphem - frei einer Wortbildungskategorie und die Adjektivbildung oberkörperfrei einem Wortbildungsmuster zuzuordnen, bevor abschließend das Fazit folgt.
2. Theoretischer Hintergrund
2.1 Forschungsstand
Der Übergangszone zwischen den Kategorien “Kompositionsglied“ und “Affix“ wird nicht erst seit heute Aufmerksamkeit geschenkt. Jacob Grimm stellte schon Anfang des 19. Jahrhunderts fest, dass es Wortbildungen gibt, in denen ein Glied als Kern fungiert und für die semantische Eigenschaft zuständig ist und das zweite Glied, wie z.B. - arm oder - werk hingegen sehr vage und wesenlos sich zunehmend einer Ableitungssilbe nähert (Elsen 2009: 316-317).
Etwas mehr als hundert Jahre später widmete sich Paul vor allem der Frage, wie die Trennlinie zwischen den verschiedenen Wortbildungstypen bestimmt werden könnte. Nach Paul verliere bei einem Affix ein Wortbildungsglied die sprachliche Nähe zu dem einstmaligen kongruierenden Worte. Das hinreichende Kriterium sei nach Paul hierbei, dass beide sich die gleiche Wortherkunft teilen. Die Bestimmung solcher Wortbildungsphänomene sei nach Paul jedoch nur durch ein ausgeprägtes Sprachgefühl möglich (Müller 2002: 1-8).
Weitere Linguisten knüpften an den Erkenntnissen Pauls an und erweiterten die charakterlichen Bestimmungen und Eigenheiten der Affixoide, um sie von gebundenen Morphemen und Wortbildungsgliedern differenzieren zu können. Obwohl die Aufdeckung dieser Problematik stets ohne eigenen Begriff erfolgte, führte die zunehmende nähere Bestimmung dieser Wortbildungselemente zwangsläufig zu einer Übergangszone zwischen Komposition und Derivation. Gleichzeitig zeigen die überwiegend diachron ausgelegten Werke einem jedoch auch, dass die namenlose Problematik im Peripheriebereich von Derivation und Komposition den Linguisten der älteren Forschung doch stets präsent war (Elsen: 2009: 316-317).
Speziell im Hinblick auf die Frage, ob Adjektivbildungen auf - frei den Derivaten oder Komposita zugerechnet werden sollen, herrscht in der Literatur damals wie heute allgemeine Unklarheit.
Autoren wie Olsen (1986), Fandrych (1993), Motsch (1996) sowie Fleischer/Barz (1995) plädieren für einen Zusammensetzungsstatus von Adjektivbildungen auf - frei. Fandrych verweist besonders auf die phonologisch und semantisch identischen Entsprechungen der ungebundenen Entsprechung, weshalb er eine Kategorisierung der Bildungen auf - frei als Halbaffixe nicht für sinnvoll erachtet (1993: 90-91).
Ausgehend von Vögedings Untersuchungen zum Halbsuffix „- frei “ (1981), gibt es auch eine Reihe weiterer Forscher, die - frei nicht als Kompositionsglied bezeichnen und die Adjektive auf - frei als Halbsuffix oder Affixoid einstufen. Vögeding betont in seiner Darlegung vor allem die gebundene Funktion von - frei als Wortbildungsmittel (1981: 157-158). Auch Brdar-Szabo/ Brdar (2000) befürworten zwar den Übergangsstatus des Wortbildungsmorphems - frei, plädieren jedoch gegen eine weitere Wortbildungskategorie, da sie die Zunahme von weiteren Unterkategorien befürchten (Elsen 2009: 330).
Entgegen der gängigen Forschungsmeinungen gibt es sogar Autoren, wie Motsch (1999), die den Begriff „Affixoid“ zwar befürworten, aber - frei Konstrukte zu den Derivaten zählen. Bezüglich des Affixoids, herrscht angefangen vom Begriff selbst, über die Forderung nach einer Kategorie sowie den Kriterien (Stevens 2005: 73), die die Kategorie definieren sollen, große Zerstrittenheit unter den Gelehrten (Ascoop 2005: 17-18; Elsen 2009: 333).
2.2 Begriffsbestimmung
Es stellt sich nun die Frage, wie man einen Begriff definiert, dessen alleinige Existenz die Gemüter der Gelehrten spaltet, wobei definieren nicht im herkömmlichen Sinne verstanden werden kann. „Der Begriff Affixoid ist nicht eindeutig bestimmbar“ (Elsen 2011: 29). Es soll vielmehr versucht werden, den Begriff einzugrenzen. Da mehrere verwendete Bezeichnungen für die Elemente der gemeinten Wortbildung existieren, muss man zunächst klären für welche gebräuchliche Bezeichnung man sich entscheidet. Die gängigsten Bezeichnungen lauten, wie auch schon in der Einleitung erwähnt, “Affixoid“ und “Halbaffix“ (Schmidt 1987: 53-55).
Der zunächst präzis anmutende Terminus “Halbaffix“ bringt jedoch ein großes Problem mit sich. Er suggeriert, dass die Stellung der gemeinten Wortbildungsphänomene genau zwischen zwei Klassen zu verorten und eindeutig bestimmbar sei (Ascoop 2005: 17-18). Dies ist äußerst irreführend, da sich einige Einheiten, wie z.B. lawinenfrei, von ihrer ursprünglichen Bezugsklasse loslösen und sich damit auch von ihrem Status als Grundmorphem allmählich entfernen (Bergmann/Pauly/Stricker 2010: 107). Folglich sind Affixoide nicht statisch und können unterschiedliche Positionen innerhalb der Zone zwischen Komposition und Derivation für sich in Anspruch nehmen (Erben 2006: 33).
Doch auch der Begriff “Affixoid“ lässt sich nicht problemlos gebrauchen, denn aufgrund seiner etymologischen Verwandtschaft zum Begriff “Affix“ suggeriert auch dieser, dass die gemeinten Wortbildungselemente entweder selbst von Affixen in irgendeiner Form abstammen oder zumindest abgeleitet werden (Ascoop 2005: 17-18). Da der Begriff jedoch eine bessere Alternative als “Halbaffix“ darstellt und zudem in der neueren deutschen Sprachforschung auch einen festeren Stand, im Vergleich zu allen anderen Bezeichnungen in der Literatur, genießt, behalte ich mir vor, ihn auch im folgenden Teil der Arbeit beizubehalten (Bergmann/Pauly/Stricker 2010: 107-108).
Wie die Darstellung der aktuellen Forschungsströmungen gezeigt hat, gibt es keine mehrheitlich akzeptierte Definition des Begriffes, deswegen ergibt sich in Anlehnung an Ascoop (2005) und Elsen (2009) folgende vorläufige Bestimmung:
Der Begriff des Affixoids fungiert als Oberbegriff zu Präfixoid und Suffixoid und bezeichnet eine Gruppe von Wortbildungsphänomenen, die im Übergangsbereich zwischen den Wortbildungskategorien Derivation und Komposition zu lokalisieren sind. Ihren positionsbedingten Entsprechungen zu Folge bezeichnet man Affixoide entweder als Präfix- oder Suffixoide. Die präfix- und suffixartigen Morpheme nehmen dabei unterschiedliche Verhaltensmuster und Funktionen an (Bergmann/Pauly/Stricker 2010: 107108; 126-130).
Dieser Versuch einer Definition bleibt nutzlos, sofern man die Kriterien nicht erfährt, die die Affixoidbildung von den anderen Wortbildungsklassen unterscheidet. Da es Dank der Bemühungen zahlreicher Autoren mittlerweile einen ganzen Kriterienkatalog gibt (Elsen 2009: 317-329), würde die Aufzählung und Erklärung der einzelnen Kriterien an dieser Stelle den Rahmen sprengen, deswegen wird erst in Kapitel 4. zu diesen Bezug genommen.
3. Empirische Studie
3.1 Methode
Im ersten Abschnitt dieses Punktes soll zunächst die verwendete Methode der Datenerhebung dargelegt werden. Für die Durchführung der Empirischen Studie wurde das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache herangezogen, da es ein Wörterbuchsystem auf der Grundlage von sehr großen und kontinuierlich ausbauenden Textkorpora darstellt. Nach eigenen Angaben umfasst das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache 13 Milliarden Textwörter.1 Damit stellt das DWDS für die Empirische Studie dieser Ausarbeitung, aber auch ganz allgemein für die deutsche Korpuslinguistik, eine Quelle von unschätzbarem Wert dar.
Gibt man in der Suchmaschine „*frei & frei“ ein, so erhält man zunächst alle Sätze, in denen eine Form des Suffixes - frei und keine exakte Wortform von frei vorkommt.2 Diese Suffixsuche generiert im DWDS-Kernkorpus im Zeitraum von 1900-1999 insgesamt 3229 Sätze, in denen Adjektive auf - frei verwendet werden. Um jedoch eine genaue Untersuchung der morphologischen Struktur und der Wortsemantik der Adjektive auf - frei zu gewährleisten, erfordert es eine qualitative Korpusanalyse. Dafür gibt man „frei “ in der DWDS Suchmaschine ein. Das Suchergebnis filtert automatisch und zeigt einem, wenn man alle Referenz-, Zeitungs- und Spezialkorpora heranzieht, 210 Wortbildungen, die - frei als Letztglied haben.3 Der DWDS- Beispielextraktor präsentiert einem, pro lexikalischer Einheit, fünf Beispielsätze, die typische Verwendungsweisen der Wortbildung veranschaulichen sollen. Wenngleich der Extraktor sich nach verschiedenen Kriterien orientiert, findet trotzdem eine für den Nutzer nicht überprüfbare Selektion statt.4 Um dieser Selektion entgegenzuwirken sowie um die semantischen Eigenschaften einiger Wortbildungen besser nachvollziehen zu können, wird die erste Suchanfrage mit den 3229 Beispielsätzen als eine Art erweiterte Ergänzungsquelle herangezogen.
Warum wird genau diese Methode der Datenerhebung verwendet und was kann das gesammelte Quellenmaterial für die in der Einleitung formulierte Fragestellung eigentlich leisten? Zentrale Voraussetzung für die Beantwortung der Fragestellung bildet logischerweise das umfangreiche Untersuchungsmaterial von 210 Adjektiven. Damit dürfte der allergrößte Teil der gebräuchlichen Wortbildungen auf - frei erfasst sein und der Grundstein für die Analyse der morphologischen Struktur gelegt sein. Die semantische Analyse der genannten Adjektive kann hingegen nur im Kontext erfolgen (Vögeding 1981: 138-139). Die zahlreichen Beispielsätze, die aus unterschiedlichsten Quellen, Jahrzehnten und Textsorten entstammen, stellen dabei eine repräsentative Sammlung dar. Kombiniert ermöglichen die Daten eine detaillierte Analyse dieses äußerst produktiven Wortbildungstyps.
3.2 Ergebnisse
Erstglieder von Adjektivbildungen auf - frei sind beinahe in jedem Falle Substantive. Das Zweitglied - frei ist invariabel und bestimmt die syntaktische Klasse der Wortbildung. Das Erstglied hingegen ist variabel und bedarf bei einer Konstituentenanalyse einer sorgfältigen Betrachtung. (Vögeding 1981: 118-119). Zusammenfassend kann man sagen, dass Adjektivbildungen auf - frei folgendes Muster aufweisen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die hier als x und Y gekennzeichneten Variablen sollen im Folgenden näher analysiert werden.
Kompositionsgliedtypisch besteht bei der Adjektivbildung mit - frei, was die morphologische Struktur der ersten Konstituente angeht, keine Beschränkung. Diese Substantive können Simplizia (akzentfrei, gewaltfrei, chlorfrei etc.), Komposita (sauerstofffrei, gentechnikfrei, waffenscheinfrei etc.), Derivate (genehmigungsfrei, ablieferungsfrei etc.) als auch komplexe Wortbildungen darstellen (kohlenwasserstofffrei etc.) (Fandrych 1993: 126).
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1 URL: https://www.dwds.de/wb [5.5.2019]
2 URL: https://www.dwds.de/r?corpus=kern;q=*frei%20%26%26%20!frei [5.5.2019]
3 URL: https://www.dwds.de/wb/-frei [5.5.2019]
4 URL: https://www.dwds.de/d/beispielextraktor [5.5.2019]