Abstrakt
Der vorliegende Aufsatz untersucht die Frage nach dem ursprünglichen Verhältnis der frühen Christen zur Gewalt, zum Militär und zum Kriegsdienst.
Das alltägliche Leben und Denken der antiken Menschen war geprägt durch die Erfahrung von Gewalt und Krieg. Mit dem Aufstieg Roms zur Weltmacht entstand bis zum ersten Jahrhundert v. Chr. eine mystische Wertschätzung des Krieges, bis hinein in die Sprache jener Zeit. Selbst die Kirchenväter verfassten ihre Schriften unter Verwendung militärischer Terminologie, wenngleich es ihnen um den Frieden ging. Die Haltung der Christen selbst war kämpferisch, durch Kriegskausalität geprägt. Der Christ verstand sich als Soldat in einer geistigen Armee, eingeschworen auf Christus.
Doch widersprach der Dienst mit der Waffe zunächst den Geboten Gottes, denen sich die Menschen mit der christlichen Taufe verpflichteten. Pazifistische Interpretationen erkannten in der Schrift eine totale Ablehnung des Kriegsdienstes und der Gewalt. So entwickelten schon Kirchenväter wie Tertullian, Origenes und Laktanz eine Lehre der positiven Gewaltlosigkeit.
Hier zeigt sich der tiefgehende Konflikt, in den die neue Religion ihre Anhänger stürzte. Einerseits sollten sie den religiösen Ansprüchen gerecht zu werden und einen Sitten- und Moralkodex einhalten, der das antike Selbstverständnis verdrängte. Anderseits wurden sie von der Gesellschaft verfolgt. Dies war ein Krieg der Überzeugungen, der psychische und physische Gewalt erzeugte.
Später kämpften auch die Christen mit der Waffe für das Imperium, da sie meinten, es als Teil des göttlichen Heilsplans erkannt zu haben. Obwohl die Kirchenväter der Gewalt insgesamt ablehnend gegenüberstanden, waren auch sie sich über die Notwendigkeit des Krieges im Klaren.
Augustinus (354–430) lieferte schließlich die Theologie der zwei Staaten, des Gottesstaates und des irdischen Reiches. Demnach könne himmlischer Friede nur im Gottesstaat bestehen, irdischer Friede dagegen müsse durch Kriege gesichert werden. Die Lehre vom gerechten Krieg erlaubte es den Christen von nun an, sich mit der Gewalt in dieser Welt zu arrangieren und erbrachte den Kompromiss zwischen Kirche und Staat.
Die ursprünglichen Ansichten über die Gewaltfrage wurden auf den kleinen Teil der monastisch lebenden Nachfolger Christi und die Priesterschaft beschränkt. Nur für den Klerus und die Ordensgeistlichkeit bleiben alle Forderungen der christlichen Ethik verbindlich.
Berno Jannis Lilge
Inhalt
1.Einleitung
2. Der Hintergrund
3. Das Verhältnis Jesu zur Gewalt
4. Die Gewaltfrage in der frühen Kirche
5. Literaturliste:
Fußnoten
1. Einleitung
Wenn nur alle diejenigen, die begreifen, daß sie Menschen sind nicht wegen der Form ihres Leibes, sondern auf Grund des Vermögens ihrer Vernunft, für einen Augenblick bereit gewesen wären einzuhalten und auf Seine heilsamen und friedlichen Gesetze zu hören, (...) dann hätte sich die ganze Welt schon längst des Eisens nur noch für die häuslichen Arbeiten bedient.
(Arnobius, Adversus nationes I,6; Ca. 310 n.Chr.)
Am Ende des 20. Jahrhunderts, welches mit zwei Weltkriegen, der Erfindung von Massenvernichtungswaffen, hunderten von Bürgerkriegen, dem daraus resultierendem Leid und Tod von millionen Menschen, das wohl dunkelste Kapitel der Menschheitsgeschichte darstellt, scheinen wir einer friedlichen Welt keinen Schritt nähergekommen zu sein. Die berühmten Worte des Propheten Jesaja, auf dem Denkmal vor dem Gebäude der UNO in New York ins Metall gehauen, bleiben Zukunftsvision.(1) Der Weg der Gewalt ist gezeichnet mit unübersehbaren Meilensteinen. Auschwitz und Hiroschima fordern uns heraus. Besonders, weil sich an diesen Orten die Ergebnisse einer inzwischen rund 2000 Jahre alten Gewaltgeschichte verdichten, welche als Geschichte der Christlichen Kultur des Abendlandes bekannt ist und mit dem Martertod des Namensstifters am Kreuz begann.
Diese Geschichte stellt dem Historiker Rätsel. Um nicht vor der Fülle der Ereignisse und Fakten zu resignieren, zu verstummen oder zum Nihilisten zu werden, sollte man sich immer wieder grundsätzliche Fragen stellen. Diese sind bekanntlich die schwierigsten. Jeder Historiker ist ein Kind seiner Zeit, gefangen in seiner Biographie. Seine Schriften werden bestenfalls finanziert, gekauft, gelesen und kritisiert. Es ergeben sich Bedingungszusammenhänge, welche ihm meist selbst nicht bewußt sind. Dieselben Quellen werden von unterschiedlichen Geschichtsschreibern zu verschiedenen Zeiten so zitiert, daß die Ergebnisse sich möglicherweise sogar diametral unterscheiden. Besonders die Rezeptionsgeschichte der christlichen Quellen, welche sich zu dem Thema Gewalt verwenden lassen, ist ein Beispiel dafür.
Die beiden gegenüberliegenden Positionen bei der Lösung von zwischenmenschlichen Konflikten sind dabei einerseits die absolute Gewaltfreiheit, andererseits die Legitimation der Gewalt, die zu einer Theologie des gerechten Krieges führte.(2) Bis zum heutigen Tag gibt es zu diesem Thema keinen Konsens. Die pazifistische Version wird totgeschwiegen, belächelt oder bekämpft. Geistige Vordenker und Aktivisten dieser Richtung sterben selten eines natürlichen Todes.
Jeder Mensch entwickelt im Laufe des Lebens seine persönliche Haltung zur Gewaltfrage. Jeweils zu Quartalsbeginn stellt sich diese Frage tausenden jungen Männern entscheidend bei der Einberufung zum Wehrdienst. Letztlich ist jeder von ihnen selbst vor seinem Gewissen verantwortlich. Die wenigsten allerdings machen in strenger Nachfolge Jesu mit den Lehrsätzen von der Nächsten- bis hin zur Feindesliebe ernst. Es scheint, als handele es sich hier um die schwierigsten ethisch-religiöse Forderung überhaupt. 1949 wurde die Glaubens- und Gewissensfreiheit aufgrund der bitteren Erfahrungen des zweiten Weltkrieges zu einem zentralen Grundrecht erklärt und durch das Grundgesetz garantiert.(3)
Das Wundern darüber, daß aus dem was am See Genezareth als Botschaft eines Wanderpredigers begann, innerhalb weniger Jahrhunderte eine mächtige Weltreligion wurde, führt immer wieder in die Anfangszeit zurück. Die Frage nach dem ursprünglichen Verhältnis der frühen Christen zur Gewalt, zum Militär und Kriegsdienst wird deswegen nach wie vor gestellt. Bei der Beantwortung dieser Frage ergeben sich für den Historiker aufgrund der großen zeitlichen Distanz zu den Menschen der Spätantike und deren Welt jedoch einige Probleme. Die Suche in den Quellen mit der Methode der kritischen Textinterpretation hat sich bei der Behebung dieser Probleme als hilfreich erwiesen, weil dadurch Mechanismen der Mythenbildung, der Verfälschung und Umdeutung aufgedeckt werden können. Zum historischen Kern der Ereignisse wird man dennoch nur bedingt vorstoßen. Lediglich Schalen und Hüllen, hinter denen sich jener verbirgt, kommen zum Vorschein.
Ziel dieses Aufsatzes ist es, in groben Zügen das Verhältnis der frühen Christen zur Gewalt zu beleuchten. Wobei immer die Gefahr besteht, nach unserem heutigen Verständnis eine Frage in die Vergangenheit zu projizieren, welche dort noch keine Begrifflichkeit hat. Es wird davon ausgegangen, daß ein vergleichbarer Begriff der `Gewalt' vorhanden ist, im Sinne von bewußtem Zufügen von körperlichen Schmerzen (Auslöschen der physischen Existenz), von Leid und Unglück durch einen potentiell überlegenen Täter gegenüber einem schwächeren Opfer, verbunden mit einem Überschreiten der allgemein verbindlichen Normen und Sitten innerhalb einer Gesellschaft (auf personeller wie auch auf struktureller Ebene). Dabei stehen die Aussagen Jesu, wie sie uns durch die Evangelisten überliefert sind, naturgemäß am Anfang der Untersuchung.
Bei der Interpretation der Quellen des Neuen Testaments ergeben sich vielfältige Übersetzungsprobleme. Die anfangs mündliche Überlieferung ist gefiltert, durch spätere Interessen der Autoren redaktionell bearbeitet. Jesus selbst hat wahrscheinlich einen in Galiläa üblichen aramäischen Dialekt gesprochen. Seine geistige Heimat waren die Schriften der Thora. Er war Jude. Die Evangelien wurden erst sehr viel später, nach seinem Tod, auf griechisch niedergeschrieben. Schon diese Übersetzung in die Sprache der Philosophen, der Wissenschaft und des Polytheismus macht diese Quellen zu Überresten einer beispielhaften Kultursynthese.(4)
2. Der Hintergrund
Die Welt ist getränkt von Menschenblut, das von den Menschen vergossen worden ist.
(Cyprian, Ad Donatum 6-10)
Das alltägliche Leben und Denken der antiken Menschen war geprägt durch die Erfahrung von Gewalt und Krieg. Von dem griechischen Philosophen Heraklit (ca. 550-480) stammt das Zitat: "Der Krieg ist von allem der Vater, von allem aber auch der König: Er läßt offenbar werden, daß die einen Götter sind, die anderen Menschen, und die einen macht er zu Sklaven, die anderen zu Freien." (Diehls/ Kranz Fragment 53).
Die Naturerscheinungen wurden als gewaltig, kriegerisch, und furchterregend erlebt, denen der Mensch hilflos ausgeliefert war. Im Erleben der Menschen waren die Götter allmächtig und kampflustig, sie spielten mit den Menschen, denen nichts anderes übrig blieb, als mit ihnen eine Art Handel abzuschließen, das lateinische "do ut des" (Ich gebe Dir, damit Ich von Dir möglicherweise etwas zurückbekomme).(5) Dies war ursprünglich aus einem sozialen Kontext innerhalb kleiner Personenverbände entstanden, in dem durch gegenseitige Gefälligkeiten Schuldigkeiten und Abhängigkeitsverhältnisse hergestellt wurden. So wurden den Göttern Opfer dargebracht und Tempel gebaut, um als Gegenleistung dafür Fruchtbarkeit der Felder, Regen, oder Sieg im Krieg zu bekommen. Der Kontakt zu den Göttern erfolgte nicht direkt, sondern über Vermittler. Besonders ausgebildete Priester (pontifex) waren für den Kult der staatlichen Götter zuständig. Die Familiengötter wurden durch das Familienoberhaupt (pater familia) gehuldigt. Die dabei entwickelten Rituale hatten formalen Charakter, nach der inneren Einstellung der Ausführenden wurde nicht gefragt. Religion war eine öffentliche Angelegenheit, die regelmäßige und formal richtige Verehrung war ausreichend, um die Gunst der Götter zu erhalten. Durch den Aufstieg Roms zur Weltmacht bedingt, entstand bis zum ersten Jahrhundert v. Chr. eine mystische Wertschätzung des Krieges. Der gewaltsame Tod des einzelnen Menschen im Krieg wurde als "süß und ehrenhaft" beschrieben.(6) Die militärische Disziplin, wurde zur höchsten aller Tugenden erklärt.(7) So könnte man den Eindruck gewinnen, daß die Römer zumindest der Gewalt geringschätzig gegenüberstanden. Jedenfalls gab es eine Akzeptanz der Gewalt aus einer Position der Stärke entgegen den unterjochten Völkern.(8) Das Bild, das die Unterdrückten von den römischen Herrenmenschen hatten, schildert der aristokratische Historiker Tacitus selbst mit den Worten des zum Widerstandskampf anfeuernden Häuptling Calgacus: "Plünderer des Erdballs, durchstöbern sie, nachdem den alles Verwüstenden die Länder fehlten, jetzt auch noch das Meer: ist der Feind begütert, sind sie habgierig, ist er arm, ehrsüchtig, sie, die nicht der Orient, nicht der Okzident gesättigt hat. Als einzige von allen begehren sie Schätze und Mangel mit gleicher Leidenschaft. Stehlen, Morden, Rauben nennen sie mit falschem Namen Herrschaft und Frieden, wo sie eine Wüste schaffen."(9) Als Unterworfene waren die Menschen in der römischen Provinz Judäa dieser überwältigenden militärischen Gewaltherrschaft ausgeliefert, der Herrschaft einer Weltmacht, deren oberster Repräsentant zur Zeit Jesu zehn Jahre lang der Statthalter Pontius Pilatus war (von 26-36 n.Chr.). Dessen erklärte Aufgabe war es, die Ruhe in der Provinz zu bewahren und die Steuergelder zu erheben.(10) Den Soldaten des Besatzungsheeres wurde dabei eine eiserne Disziplin abverlangt. Schanzarbeiten, marschieren, der Drill an den Waffen und dazu martialische Strafen durch sadistische Vorgesetzte waren nur durch ein rauhes Gemüt zu ertragen. Spießrutenlaufen, Handabschlagen, Prügelstrafen und exemplarisch durchgeführte Hinrichtungen gehörten zum Repertoire des Militärstrafrechts. Die Strapatzen des Dienstes waren so gefürchtet, daß sogar Selbstverstümmelung verübt wurde, um ihnen zu entgehen.(11) Gegen die willkürlichen Unrechtshandlungen durch ihre Vorgesetzten konnten sich die Soldaten zum Teil nur durch direkte Bestechung schützen. Das fehlende Geld wurde wiederum von der Zivilbevölkerung geraubt oder erpreßt.(12) Genau zu dieser Thematik, zu dieser scheinbar unüberwindbaren Kette der Gewalt äußert sich als erster Johannes der Täufer. In seiner Predigt am Jordan antwortet er den Soldaten auf ihre Frage nach dem rechten Verhalten:
"Tut niemandem Gewalt oder Unrecht und laßt euch genügen an eurem Sold!."(13) "diaseio" heißt dabei eigentlich erschüttern, durchschütteln und auch mißhandeln, "sykofantia" bedeutet Verleumdung, falsche Anklage. Die genauere Übersetzung könnte also heißen: "Mißhandelt keinen und verleumdet keinen (erhebt gegen keinen falsche Anklage) und begnügt euch mit eurem Sold!" In diesen Worten spiegelt sich die soziale Wirklichkeit auf erstaunliche Weise wieder. Johannes fordert die Soldaten nicht dazu auf, die Waffen niederzulegen, er verbietet ihnen auch nicht den Gebrauch derselben. Er stellt auch nicht ihren Berufsstand als frevelhaft dar.
Vielmehr ruft er sie zu einem gerechten Verhalten auf, welches in den Grenzen der allgemeinen Sitten und Normen (mos maiorum) bleibt. Mit "mißhandeln" ist hier eine gewaltsame Überschreitungen dieser Normen zu Lasten einer wehrlosen Zivilbevölkerung gemeint. Die kleine Notiz des Lukas ist deswegen so interessant, weil diese Aussage in der Folgezeit immer dann zitiert wird, wenn es um das Verhältnis der Soldaten zur Gewalt geht. "Tut niemandem Gewalt an" wird als Verbot des Tötens gelesen, als Absage an alle Gewalt. Oder dieselbe Stelle wird zitiert, um zu zeigen, daß auch Soldaten Menschen sind, die an ihrem Seelenheil interessiert sind, ja, sich sogar in die Wüste zu dem apokalyptischen Propheten begeben und sich zur Vergebung der Sünden und zur Buße taufen lassen. Dennoch, die Soldaten am Jordan sind nicht leicht zu verstehen. Waren es römische Soldaten, so ist ihr Interesse an dem Propheten sicherlich nicht religiöser Natur gewesen. Der jüdische Historiker Josephus berichtet aus dieser Zeit verächtlich von Hochstaplern,
Betrügern, Bauernfängern und falschen Propheten, die das Volk in die Irre führten. Die dreißiger bis sechziger Jahre des ersten Jahrhunderts waren eine sehr unruhige Zeit, nationaler Widerstand brach immer wieder aus und wurde blutig unterdrückt. Das Verhältnis der Soldaten zu den Propheten war wohl eher ein gespanntes. Die Aussage des Johannes ist nur bei Lukas überliefert, ihre Echtheit bleibt fragwürdig.
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