In dieser Arbeit soll erörtert werden, inwiefern sich das Ziel von Bildung, ausgehend vom klassischen Bildungsideal der Aufklärung, im Hinblick auf jenes verändert hat, welches uns in der Gegenwart durch die Fokussierung auf PISA und die damit einhergehende Einführung von Bildungsstandards vermittelt wird.
Dazu wird die Zeit ab dem neunzehnten Jahrhundert im Hinblick auf bildungsbezogene Fragen näher charakterisiert und herausgearbeitet, wie sich gesellschaftliche Umstrukturierungsprozesse ereignet haben, die bis heute Einfluss auf unser gegenwärtiges Verständnis von Bildung nehmen. Ein Analyseschwerpunt liegt dabei auf der Professionalisierung und Institutionalisierung von Bildungssystemen im Kontext moderner Nationalstaatenbildung. Ich versuche diesen Vorgang als Prozess zu beschreiben, an dessen Ende die momentan aktuelle Debatte über die PISA Studie steht.
Inhalt
Einleitung
Der Weg zum modernen Bildungssystem – Systembildung und Institutionalisierung
Weltkriege, eine Zäsur
Die zweite Hälfte des 20. JH – Expansion und Ökonomisierung
Das Leistungsprinzip und das komplizierte Verhältnis von Bildung und Arbeitslosigkeit
Die PISA Studie
PISA und Auswirkungen
Resümee
Literatur:
Einleitung
„Der Mensch ist das einzige Geschöpf, das erzogen werden muß“ (Kant 1803/1983, S.697). Dies gab der Philosoph und Aufklärer Immanuel Kant zu verlauten und sprach dem Menschen somit eine Sonderrolle im Weltgefüge zu. Durch die Fähigkeit „sich seines eigenen Verstandes zu bedienen“, habe er die Chance, sich aus seiner „selbst verschuldeten Unmündigkeit zu befreien“ (vgl. Kant 1784/1983, S. 53). Die Zeit, in die das Wirken Kants fällt, das 18. Jahrhundert, ist bereits von Zeitgenossen als das „pädagogische Jahrhundert“ bezeichnet worden (Tenorth 2010, S.79). Die Zeitspanne, ausgehend vom frühen 18. Jahrhundert bis Heute, kann als „modern“ oder neuzeitlich beschreiben werden. Gemeint ist damit, „die Entwicklungsdynamik der Erziehung seit der Aufklärung“ (vgl. Tenorth 2010, S.32). Der Erziehungsbegriff ist deshalb dynamisch, weil er in seiner Herausbildung bezüglich seiner Zielsetzung immer mit ideologischen Kontroversen verbunden war. Dabei geht es oft um die Auseinandersetzung zwischen „alt“ und „modern“ und darüber wie die Gesellschaft in Zukunft auszusehen hat.
Diese Arbeit beschäftigt sich mit einer solchen Kontroverse:
Nach Wilhelm von Humboldt sind der „Zweck des Menschen“ und damit auch das Ziel von Bildung, die „höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen“ (Humboldt 1792/1980, S. 64). Möglich sei dies durch die „Verknüpfung unseres Ichs mit der Welt zu der allgemeinsten, regsten und freisten Wechselwirkung“ (Humboldt 1793/1980, S. 235 f.) Im vermeintlichen Gegensatz zu dieser klassischen, idealistischen Auffassung von Bildung stehen die momentanen Bemühungen, Bildungsprozesse und Ziele neu zu organisieren und mit Hilfe von Standards zu definieren.
Seit seiner Einführung im Jahr 2000 hat vor allem das „Programme for International Student Assessment“, kurz PISA für Aufsehen gesorgt und hohe Wellen geschlagen. Dabei handelt es sich um „ein Programm zur zyklischen Erfassung basaler Kompetenzen der nachwachsenden Generation“ welches von der OECD ausgearbeitet wird (Baumert et al., 2001, S. 15). Das PISA zugrundeliegende Leitmotiv richtet sich auf „Funktionalität der bis zum Ende der Pflichtschulzeit erworbenen Kompetenzen für die Lebensbewältigung junger Erwachsener und deren Anschlussfähigkeit für kontinuierliches Weiterlernen in der Lebensspanne“ (ebd. S. 16). Von zeitgenössischen Bildungswissenschaftlern werden diese Bestrebungen als „inhaltliche Neuausrichtung des Bildungsverständnisses von epochalem Charakter“ bezeichnet (Messner 2003, S.401).
Ich möchte in dieser Seminararbeit erörtern, inwiefern sich das Ziel von Bildung, ausgehend vom klassischen Bildungsideal der Aufklärung, im Hinblick auf jenes verändert hat, welches uns in der Gegenwart durch die Fokussierung auf PISA und die damit einhergehende Einführung von Bildungsstandards vermittelt wird.
Dazu wird im Folgenden die Zeitspanne, die ich als Moderne bezeichne, näher charakterisiert und herausgearbeitet, wie sich gesellschaftliche Umstrukturierungsprozesse ereignet haben, die bis heute Einfluss auf unser gegenwärtiges Verständnis von Bildung nehmen. Ein Analyseschwerpunt liegt dabei auf der Professionalisierung und Institutionalisierung von Bildungssystemen im Kontext moderner Nationalstaatenbildung. Ich versuche diesen Vorgang als Prozess zu beschreiben, an dessen Ende die momentan aktuelle Debatte über die PISA Studie steht.
Dieses Vorhaben ist notwendigerweise unvollständig. Die gesamte Dynamik der Entwicklung kann wegen ihrer umfassenden Komplexität nicht in dieser Arbeit zur Gänze erfasst werden. Es wird jedoch unter dem hauptsächlichen Rückgriff auf Thenorths „Geschichte der Erziehung“ ein zeitlicher Abriss versucht.
Der Weg zum modernen Bildungssystem – Systembildung und Institutionalisierung
Am Beginn dieses Textes möchte ich den Ausgangspunkt meiner Überlegungen definieren. Es handelt sich um die Zeit der Aufklärung, einer „europäischen Bewegung, die im 17. Jahrhundert begann und in Deutschland ihren Höhepunkt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert hatte“ (Koller 2004, S.26). Diese Epoche charakterisiert sich durch „Veränderungen der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Verfasstheit der mittel- und westeuropäischen Gesellschaften“ (ebd. S.25). Besonders hervorzuheben ist die neue Rolle des Bürgertums, welches beginnt auf zum Teil revolutionärem Wege Macht zu beanspruchen. Die Gedanken und Schriften einflussreicher Philosophen zur damaligen Zeit ermöglichten es dem Menschen sich in einem neuen, moderneren Bilde zu sehen und seine Möglichkeiten zu erweitern. Es bahnte sich die Ablösung der feudalen Ständegesellschaft, in der ein gottgegebenes Geburtenrecht herrschte, zugunsten einer bürgerlichen Gesellschaftsordnung an, in der ein Leistungsprinzip wirkt, dessen Ziel es ist, dass allein die Leistungen der Gesellschaftsmitglieder ihre Position und Einflussmöglichkeiten in der Gesellschaft bestimmen sollen (ebd. S.25 ff.).
Dabei ist es keineswegs Zufall, dass der Bildungsbegriff in den deutschsprachigen Staaten Mitteleuropas entwickelt wurde, denn „in diesen Ländern misslang der Versuch auf revolutionärem Weg einen Bruch der politischen Verhältnisse zu erzwingen“ (Ribolits 2015, S. 170). Der Bildungsbegriff hat nach Ribolits zweierlei Funktionen, zum einen stellte er die Idee dar, dass der „Einfluss von Personen mit ihrem gesellschaftlichen Nutzen korrelieren soll“, zum anderen spiegelt sich auch der „Versuch des Bürgertums [wieder], seiner Kapitulation im revolutionären Kampf um politische Emanzipation eine positive Konnotation zu verleihen“ (ebd.). Da der Mensch mächtig ist, „sich seines eigenen Verstandes zu bedienen“ und sich somit aus seiner „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ befreien kann (vgl. Kant 1784/1983, S. 53), wächst im Bürgertum die Hoffnung, auch ohne Revolution gesellschaftliche Umgestaltungsprozesse in Gang zu setzen. Tatsächlich kam es in einigen deutschsprachigen Ländern Mitteleuropas zur Installierung politischer Verhältnisse, die dem bürgerlichen Begehren entsprachen. Es setzte sich ein Wandel in Richtung bürgerlich-demokratische Gesellschaft durch, der jedoch von Oben herab durch die Herrschenden in die Wege geleitet wurde. Am Beispiel Preußens und Österreichs möchte ich nun in einer Heuristik schildern, wie moderne Bildungsvorstellungen im Geiste der Aufklärung nun tatsächlich realisiert wurden.
Ein unbestrittenes Kennzeichen der Erziehung in der Moderne ist mit der „Verselbstständigung, daher der Systembildung und Professionalisierung von Erziehungseinrichtungen und ihrer Ablösung von einer primär in der Lebenswelt organisierten Erziehung zu sehen“ (Tenorth 2010, S.34). Damit ist der staatliche Zugriff auf Bildungsinstitutionen gemeint. Die Veränderung von Erziehungsverhältnissen vollzieht sich mit einer „spezifischen Sequenzierung“ (Tenorth, ebd.), die Erich Weniger in zwei Ebenen beschreibt. Die Ausdifferenzierung im organisatorischen und institutionellen Bereich vollzieht sich bereits mit der Schaffung neuer Ämter und öffentlicher Berufe, bevor sich auch die traditionellen Erziehungsverhältnisse insgesamt, zuletzt die Familie auf die neuen Lebensverhältnisse umstellen (Tenorth 2010, S. 35, zitiert nach Weniger 1937, S.355).
Auch Peter Stachel (1999) thematisiert staatlichen Einfluss auf das Bildungswesen am Beispiel Österreich - Ungarns. Er arbeitet heraus, dass es ein wichtiges Merkmal moderner Staatenbildung sei, über ein Institutionalisiertes und Professionelles Schulwesen zu verfügen. Die Theresianische (1749 – 1760) und später die Josephinische Schulreform sieht er als ein Resultat zweier Faktoren. Einerseits dem Bedarf an qualifizierten Beamten für die Verwaltung des Staates, andererseits der Ausbildung fachlich qualifizierter, dabei der Herrschaft treu ergebener Staatsdiener.
Veranschaulichen lässt sich die schleppende Realisierung des Modernisierungsprozesses, wenn man die bereits am Anfang des 18. Jahrhundert in Preußen eingeleitete Normierung der Schulprozesse in Relation zu ihren Ergebnissen setzt. Bereits 1717 wurde die allgemeine Schulpflicht dekretiert (vgl. Tenorth 2010, S.86), jedoch besuchten um 1800 höchstens die Hälfte der schulpflichtigen Kinder mit starken regionalen Schwankungen die niederen Schulen (ebd. S.90). Ein Grund für die nicht hinreichende Umsetzung der Vorgaben war, dass die lokalen Gewalten weiterhin großen Spielraum bei der Auslegung der Gesetze hatten und es kein einheitliches Instrument zur Durchsetzung der Vorgaben gab. Das Bildungswesen ist von einer systematisch ausgebildeten Gestalt noch weit entfernt, es zeichnet sich im Bereich der Schulen eher durch eine „unkoordinierte Vielfalt“ (ebd. S.88) aus, die sich vor allem in Differenzen zwischen Stadt und Land, zwischen katholischen und protestantischen Regionen, und zwischen den Bevölkerungsschichten zeigt. Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass um 1800 in Preußen die „allgemeine Bildung, Kultur und Aufklärung, Schulpflicht und Literalität noch nicht Realität sind, sondern allenfalls Versprechen auf eine bessere, erstrebenswertere Zukunft“ (ebd. S.104). Tatsächlich wird das 19. Jahrhundert von Tenorth als „Jahrhundert der Bildung“ (ebd. S.121) bezeichnet, denn es gibt dem Bildungswesen einen neuzeitlichen Charakter. 1808 wurde in Preußen das Bildungswesen von einer „Sektion für Unterricht und Kultus“ verwaltet, der Wilhelm von Humboldt vorstand. Sie befasste sich mit der Einführung von Ordnungsinstrumenten für Intervention und Kontrolle und schuf zielstrebig Instrumente zur Gestaltung von Bildungsprozessen und der staatlichen Planung von Schulen. Gekennzeichnet war dieses Bestreben vor allem durch eine wissenschaftliche Herangehensweise mithilfe mehrerer Experten (u.a. Schleiermacher) die jeweils einem Wissenschaftsbereich vorstanden. 1817 wurde die endgültige Verwaltungsstruktur des preußischen Bildungssystems eingeführt, welche dem Kultusministerium in Berlin eine Zentrale Kompetenz zusprach und die Befugnisse der Mittelinstanzen (Provinzen, Bezirke) regelte. Selbstverständlich muss man zu den Bildungsreformplänen sagen, dass sie durch die einschränkenden Bedingungen der sozialen und politischen Verhältnisse „gebrochen und modifiziert“ wurden und „Modernisierung und Disziplinierung“ dabei parallel einhergingen (vgl. ebd. S.141-142).
Tenorth beschreibt die Ausbildung des Schulwesens zu dieser Zeit als „zweigliedrig“. Einerseits das höhere Schulwesen, welches zur „staatsfunktionalen Beamtenrekrutierung“ und zur „Durchsetzung von Kriterien der internen Bildungsschichtung der Eliten“ dient und andererseits das niedere Schulwesen, welches sich der „Volksbildung“ verschreibt und die Verbreitung eines „Bildungsminimums“ zum Ziel hatte (ebd. S.151). Das Ziel der Volksbildung war eine „Indoktrination der Bevölkerung und die „basale Gewerbeförderung“(ebd.).
Auch der Gedanke, die Leistung von Schulen zu prüfen und öffentlich sichtbar zu machen entstammt dem 19. Jahrhundert. Der Schulmann Gustav Rümelin schlug dies bereits 1868 in einem Beitrag in der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft vor (vgl. Tenorth 2004, S. 172). Die Bildungsrealität ist also auch im 19. Jahrhundert, in dessen Anfang das Wirken Wilhelm von Humboldts fällt, noch weit von seinem Ideal entfernt. Zeitgenössische Kritiker auf Seiten der Kirche und der Hochschullehrerschaft werfen Humboldt sogar vor, dass seine Prinzipien „den Lernenden Ihres Standes entfremden“, in ihnen „Dünkel“ wecken und die Fundamente von Staat und Kirche, Gesellschaft und Gemeinde untergraben (vgl. Titze, et al. 1981, S.45 ff.).
Weltkriege, eine Zäsur
Man kann also nicht sagen, dass der Bildungsbegriff und das Nachdenken über ihn jemals frei von Spannungen waren. Er wird begleitet und geformt von gesellschaftlichen Umstrukturierungsprozessen. Die soziale und politische Veränderung jeder Zeit nehmen ganz entscheidend Einfluss auf die Reflexion von Bildungsprozessen. Das 19. Jahrhundert ist geprägt von der zunehmenden Industrialisierung und einer damit einhergehenden Steigerung der Bevölkerung, verbunden mit zunehmender Urbanisierung. Während sich der soziale Wandel bis 1890 eher sektoral vollzieht und die Modernisierung partiell verläuft, gestaltet er sich von 1890 bis 1945 schneller und vollzieht sich in einer Umgestaltung aller Lebensbereiche. In dieser Epoche lösen sich die traditionellen Strukturen bedingt durch Selbstzerstörung in 2 Weltkriegen weitestgehend auf (vgl. Tenorth 2010, S. 180 ff.). „Man kann die Folgen der Zerstörung von Lebensverhältnissen für die Erziehung nicht überschätzen“ (ebd. S.203). Die Wirklichkeit von Heranwachsenden wurde geprägt durch Kriege, Inflation, Fronterfahrungen und dem Streben nach Einheit und Gemeinschaft. Besonders die Enteignung führte in der Bevölkerung zu einer „habitualisierten Deklassierungsangst“ (ebd. S.205). Tatsächlich kam es durch den zweiten Weltkrieg zu einer „Zerstörung der Gesellschaft“, in der die Rolle der Sozialmilieus zerbrach. Das Ende des zweiten Weltkriegs führte zu einer „Zäsur“, die zum Neuanfang und Neuaufbau zwang und eine „Modernisierung wider Willen“ eröffnete (ebd. S.267).
Die preußische Erziehung war gekennzeichnet durch ihren Willen zur Disziplinierung des Volkes. Kaiser Wilhelm ließ 1889 in einer Rede verlauten, dass er die Schulen in ihren einzelnen Abstufungen nutzbar machen wolle, um die Ausbreitung kommunistischer und sozialistischer Gedanken zu verhindern (ebd. S.240). Gesellschaftliche Umstrukturierungsprozesse führten bei den autoritär regierenden Machthabern dazu, dass sie durch Indoktrinierung des Volkes ihren Machtanspruch zu schützen und zu verteidigen suchten, also Erziehung defensiv zu nützen. Diese Vorstellungen von erzieherischem Nutzen gipfelten in den Erziehungspraktiken der Nationalsozialisten: „In ihrem uneingeschränkten Anspruch, die gesamte Gesellschaft als überdimensionalen Erziehungsraum zu konstruieren, überstieg die nationalsozialistische Erziehungspolitik alle vor 1933 bekannten pädagogischen Wirklichkeiten, und im schrankenlosen Zugriff auf das Subjekt dementiert sie den zivilisatorischen Anspruch, der die Erziehungspolitik bis dahin trotz aller Gefährdungen noch gekennzeichnet hatte“ (ebd. S.266).
Die zweite Hälfte des 20. JH – Expansion und Ökonomisierung
Nach 1945 wurde im „Potsdamer Abkommen“ von den Alliierten die allgemeine Erziehungsaufgabe festgelegt: Die Bildung eines neuen, politisch- ideologischen Bewusstseins der deutschen Bevölkerung. Es hatte mitunter zum Ziel, dass das Erziehungswesen in Deutschland so überwacht werde, dass die nazistischen Lehren völlig entfernt werden und eine erfolgreiche Entwicklung der demokratischen Ideen möglich gemacht wird (Tenorth 2010, S. 270). Institutionen wie der „Deutsche Ausschuss für Erziehungs- und Bildungswesen“ widmeten sich der Neuorganisierung des deutschen Bildungswesens und trafen teilweise auf heftige Kritik. Theodor W. Adorno bezeichnete den Ton, der damals fast unangefochten herrschte, in dem Philosophen, Theologen und Pädagogen Bildungsfragen im traditionellen Geiste behandelten in seiner Ideologiekritik als „Jargon der Eigentlichkeit“ und stellte ihre Methoden in Frage.
Nach den Wirren, der ersten Nachkriegsjahre, lässt sich jedoch eines mit Bestimmtheit sagen: das Bildungswesen erlebte in der Zeit von 1965 – 1990 eine regelrechte Expansion. Das Bildungswesen in der BRD hat sich nach 1960 „radikal verändert“. Die Bildungsbeteiligung, Planung, Lehrpläne und Inhalte sind mit denen aus den 50er Jahren nicht mehr zu vergleichen (Tenorth 2010, S.290). Demografisch zeigt sich die Expansion durch eine zunehmende Bildungsbeteiligung der zuvor ausgeschlossenen Bevölkerung aus. Während 1950 nur 3% der Schüler pro Jahrgang eine Hochschulberechtigung erhielten, waren es 1980 schon 30%. Die zunehmende Bildungsmotivation der Bevölkerung kann dadurch erklärt werden, dass das Bildungswesen mehr als früher als Medium des sozialen Aufstiegs verstanden wird (vgl. ebd. S.292). Ein neuer Aspekt der dabei auftritt ist die zunehmende Ökonomisierung. Bisher hat sich der Zwang zur höher Bildung politisch nicht durchsetzen lassen, jedoch mit der „Logik der ökonomischen Entwicklung betrachtet“ (ebd.) scheint er zur Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit fast alternativlos. Die These dabei ist, dass sich durch Zuwachs an Qualifikation, automatisch ein Markt schafft, der die Berufschancen sichert. Der somit entstehende Konkurrenzkampf am Arbeitsmarkt ist nichts Neues, jedoch erreichte er ab der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg neue Dimensionen, die durch höhere Bildungsbeteiligung der Bevölkerung und geänderte politische und wirtschaftliche Verhältnisse zu begründen sind. Das Leistungsprinzip beginnt sich erst ab dieser Zeit in seiner gesamten Gestalt gesellschaftlich zu manifestieren und zu etablieren (ebd.).
Das Leistungsprinzip und das komplizierte Verhältnis von Bildung und Arbeitslosigkeit.
Die These, dass sich durch gezielte Qualifizierung der Bevölkerung, die ökonomische Entwicklung derart beeinflussen ließe, dass es zu einem Rückgang der allgemeinen Arbeitslosigkeit käme ist weit verbreitet, jedoch bietet sie auch einen Ansatz zur Kritik. Erich Ribolits bestreitet nicht, dass die Chancen von Individuen auf einem im Wesentlichen von Konkurrenzmechanismen bestimmten Arbeitsmarkt davon beeinflusst sind, welches Qualifikationspotential sie nachweisen können. In Abrede stellt er jedoch, dass sich durch Qualifizierungsmaßnahmen, die Arbeitsmarktlage insgesamt ins Lot bringen ließe (vgl. Ribolits 2000, S.1). Er stellt fest, dass die Argumentation der Beeinflussbarkeit der Arbeitsmarktsituation durch bedarfsgerechte Qualifizierung, ihre Überlebensfähigkeit nicht aus nachgewiesenen Tatsachen schöpft, sondern aus ihrer politischen Substanz (vgl. ebd.). Zwischen Arbeitsmarktsituation und Bildungssektor besteht zwar in der Tat ein enger Konnex, allerdings – so die Hypothese – artikuliert sich dieser nicht so sehr in der „Qualifikationsfunktion“, sondern weitaus mehr in der „Integrationsfunktion“ des Bildungswesens (vgl. Fend 1974, S. 58ff), konkret im Verinnerlichen der Marktlogik. Die Darstellung von Arbeitslosigkeit als Qualifikationsproblem kommt der Integrationsfunktion des Bildungswesens insofern entgegen, als dadurch verhindert wird, dass Arbeitslosigkeit allein als Fehler der Politik wahrgenommen wird.
Die PISA Studie
Beim Stichwort: Integration des Bildungswesens in die Logik des globalen Marktes möchte ich nun ansetzen und der PISA- Studie genau dieses unterstellen. Dabei versuche ich zu analysieren was die PISA- Studie ist, welche Ziele sie verfolgt und mit welchen Methoden und Modellen sie arbeitet.
PISA steht für „Programme for International Student Assessment“ – ein Programm zur zyklischen Erfassung basaler Kompetenzen der nachwachsenden Generation, das von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) durchgeführt und von allen Mitgliedsstaaten gemeinschaftlich getragen und verantwortet wird (Baumert et al. 2001, S.15). Das Ziel der Studie ist es, den Teilnehmerstaaten vergleichbare Daten über die Ressourcenausstattung, individuelle Nutzung sowie Funktions- und Leistungsfähigkeit ihrer Bildungssysteme zur Verfügung zu stellen, die als Prozess- und Ertragsindikatoren verstanden werden, und als Grundlage für politisch-administrative Entscheidung zur Verbesserung der Nationalen Bildungssysteme dienen sollen (vgl. ebd.). Dazu werden Basiskompetenzen erfasst, die in modernen Gesellschaften für eine befriedigende Lebensführung in persönlicher und wirtschaftlicher Hinsicht, sowie für eine aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben notwendig sind (vgl. ebd. S.16). Mit der Fokussierung auf die Erfassung und Definierung von Basiskompetenzen führt PISA ein normatives, didaktisches Konzept mit sich. Das drückt sich vor allem dadurch aus, dass auf die transnationale curriculare Validität der Testinhalte verzichtet wird (vgl. ebd. S.19).
PISA und Auswirkungen
Interessanter als die PISA Studie an sich ist aber, welche Reaktionen sie in den einzelnen Teilnehmerstaaten hervorgerufen hat. Sie sind der Grund, warum bedingt durch die PISA Studie von einer „inhaltliche Neuausrichtung des Bildungsverständnisses von epochalem Charakter“ (Messner 2003, S.401) die Rede ist. In Deutschland führte das schlechte Abschneiden bei der PISA Studie im Jahr 2000 und die öffentliche Erschütterung darüber, zum viel zitierten „PISA-Schock“ (vgl. Klieme, 2009). Die Folge waren zahlreiche Bildungsreformen, welche einen Paradigmenwechsel in der deutschen Bildungspolitik einleiteten.
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