Diese Arbeit hat zum Ziel, die Stralsunder Friedensbeschlüsse losgelöst von stereotypisierten Vorstellungen zu untersuchen und deren tatsächliche Auswirkungen auf die hansische Entwicklung herauszuarbeiten. Ermöglichte er neue wirtschaftliche oder auch politische Wege für die Hansestädte oder sollte die „nachträgliche Aufwertung und Stilisierung“ vielleicht über bereits bestehende Indikatoren einer beginnenden Stagnation hinwegtäuschen?
Diese Fragestellung eignet sich nicht nur aufgrund der dargelegten Besonderheiten hinsichtlich des Stralsunder Friedens und seiner Rolle für die Etablierung des Geschichtsbildes der hanseatischen Zeit, sondern auch wegen der nahezu lückenlosen Quellenüberlieferung diverser Rezesse zum dänisch-hansischen Konflikt sowie der Friedensbestimmungen. Dabei wird zuerst auf die grundlegende Entwicklung der Hanse eingegangen, bevor in den anschließenden Kapiteln der historische Kontext der dänisch-hansischen Wirtschaftsbeziehung sowie die militärischen Konflikte bis zum Friedensschluss thematisiert werden. Im Analyseteil sollen auf den Erkenntnissen der vorherigen Kapitel aufbauend die Bestimmungen des Stralsunder Friedens und deren Auswirkungen auf den hansischen Entwicklungsprozess untersucht werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Hanse und Dänemark
2.1 Entwicklung der handels- und machtpolitischen Gegensätze der Hanse und Waldemars IV. bis zur Kölner Konföderation
3. Auswirkungen der Friedensbestimmungen - Höhepunkt oder Stagnation der hansischen Entwicklung?
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
5.1 Quellen
5.2 Sekundärliteratur
5.3 Internetquellen
1. Einleitung
„Der Hauptgegner der Hanse war Dänemark, dessen periodisch erneuerte Absichten gegenüber Norddeutschland sogar die Existenz der [hansischen] Gemeinschaft gefährdeten [...]. “ [Ergänzung des Autors].
Zu erkennen war dies unter anderem in den 60er Jahren des 14. Jahrhunderts, während der es unter König Waldemar IV. Atterdag1 2 von Dänemark zu zwei militärischen Konflikten mit der Hanse3 kam, die entscheidenden Einfluss auf das zukünftige Mächtegleichgewicht im Ostseeraum haben sollten. Insbesondere die zweite Auseinandersetzung, bei der sich der dänische König von 1367 bis 1369 mit der sogenannten Kölner Konföderation4 konfrontiert sah, wird häufig als „ultimativer Endkampf“5 mit Dänemark, der „Schicksalsmacht der Hanse“6 , bezeichnet. Diese verherrlichende Kriegsdarstellung ist laut Baur üblich für populärwissenschaftliche Formate wie beispielsweise die TerraX-Dokumentation ,Die Deutsche Hanse: Eine heimliche Supermacht, spiegelt aber ebenso ein weit verbreitetes Geschichtsbild wider:
Denn wie so häufig haben sich die Erinnerungen der Hanse auch in diesem Fall hauptsächlich auf die positiven Aspekte bezogen, so zum Beispiel auf den „wirtschaftlichen Erfolg [...] [und] vor allem auch auf die Siege im Existenzkampf gegen [...]“7 [Ergänzung des Autors] ausländische Mächte wie das dänische Königreich.8 Das Kriegsende wurde durch den Frieden von Stralsund am 24. Mai 1370 besiegelt und markierte den Kulminationspunkt der hansischen Machtentfaltung - zumindest laut zahlreicher Publikationen zur hansischen Geschichtsforschung. Welche Auswirkungen die Vermittlung eines solch einseitigen Geschichtsbildes und die damit einhergehende Rollenverteilung zugunsten der Dänemark überlegenen Hanse bis in die Gegenwart hat, verdeutlicht die Mitgliedsliste der ,Neuen Hanse‘9. Keine einzige dänische Stadt ist aktuell Mitglied dieser multilateralen Gemeindepartnerschaft. Doch waren dieser Konflikt sowie der Friedensschluss mit seinen Folgen wirklich historisch so bemerkenswerte Ereignisse, die Jahrhunderte später immer noch die beteiligten Parteien polarisieren? In zeitgenössischen Chroniken findet sich jedenfalls keine besondere Beachtung des besagten Konflikts.10 Jedoch können sowohl die überaus positive Darstellung des Stralsunder Friedens und dessen Wirken als Höhepunkt in der hansischen Entwicklung als auch das generelle Geschichtsbild der Hanse auf die nationalstaatlich orientierte Geschichtsforschung des 19. und 20. Jahrhunderts zurückgeführt werden. Nach mehreren gewonnenen Kriegen und der Gründung des Kaiserreiches befand man sich auf einem machtpolitischen Höhenflug. Daher überrascht es kaum, dass 1870, dem 500. Jubiläumsjahr des Stralsunder Friedens, der Hansische Geschichtsverein gegründet worden ist, und sich seitdem maßgeblich der Herausgeberschaft und Aufarbeitung hansischer Quellen widmet.11
Wie Jörgen Bracker in der Einleitung zum Sammelband Die Hanse - Lebenswirklichkeit und Mythos treffend konstatiert, sei es notwendig, die „bis in unsere Tage entstellten Geschichtsbilder der Hanse als [...] verschleiernde Zutaten erkennbar zu machen, [...] bevor man den Vorstoß zur Klärung der Lebenswirklichkeit wagt.“12. Dementsprechend hat diese Arbeit zum Ziel, die Stralsunder Friedensbeschlüsse losgelöst von stereotypisierten Vorstellungen zu untersuchen und deren tatsächliche Auswirkungen auf die hansische Entwicklung herauszuarbeiten. Ermöglichte er neue wirtschaftliche oder auch politische Wege für die Hansestädte oder sollte die „nachträgliche Aufwertung und Stilisierung“13 vielleicht über bereits bestehende Indikatoren einer beginnenden Stagnation hinwegtäuschen?
Diese Fragestellung eignet sich nicht nur aufgrund der dargelegten Besonderheiten hinsichtlich des Stralsunder Friedens und seiner Rolle für die Etablierung des Geschichtsbildes der hanseatischen Zeit, sondern auch wegen der nahezu lückenlosen Quellenüberlieferung diverser Rezesse zum dänisch-hansischen Konflikt sowie der Friedensbestimmungen. Dabei wird zuerst auf die grundlegende Entwicklung der Hanse eingegangen, bevor in den anschließenden Kapiteln der historische Kontext der dänischhansischen Wirtschaftsbeziehung sowie die militärischen Konflikte bis zum Friedensschluss thematisiert werden. Im Analyseteil sollen auf den Erkenntnissen der vorherigen Kapitel aufbauend die Bestimmungen des Stralsunder Friedens und deren Auswirkungen auf den hansischen Entwicklungsprozess untersucht werden.
2. Die Hanse und Dänemark
Allgemein gesprochen hängen Art und Weise sowie Intensität von Konflikten von speziellen Charakteristika der Gesellschaft ab, in der sie auftreten. Jürgen Meier und Dieter Möhn haben die für die Konflikte in der Hansezeit bedeutendsten Merkmale zusammengefasst. Von diesen sind für die hier im Fokus stehende Auseinandersetzung vor allem die Expansion fremder Mächte, wirtschaftliche Konkurrenz in einem komplexen Handelssystem und das Eingebundensein in ein kompliziertes, sich im Wandel befindliches herrschaftspolitisches System die ausschlaggebenden Kriterien.14 Wie genau dieser Konflikt mit einer nicht-hansischen externen Macht im ausgewählten Zeitraum zu Stande gekommen ist, wird im Folgenden aufgezeigt.
Da es für das Verständnis der hansischen Geschichte mitsamt ihrer Konfliktsituationen unerlässlich ist, sie „in ihrer Verbundenheit mit der Geschichte des Reiches und der europäischen Staatenwelt zu sehen“15, soll im Folgenden zuerst die Entwicklung der Hanse samt basaler Begrifflichkeiten umrissen werden, bevor die Auseinandersetzung mit der dänisch-hansischen Wirtschaftsbeziehung anschließt. Die schwache deutsche Reichsgewalt war zwar auch für den Entstehungsprozess der Hanse mitverantwortlich, da sie jedoch nicht in den militärischen Konflikt eingriff, wird ihre Rolle in dieser Arbeit außen vor gelassen. Die an Autonomie gewinnenden Städte sowie die Territorialherrscher Norddeutschlands waren hingegen sowohl für die hansische Entwicklung als auch für den Stralsunder Frieden von Bedeutung.
Der Begriff hansa beschreibt nach Friedland einen „Zusammenschluß [sic!] [von Kaufleuten] in der Fremde unter dem Schutz einer örtlichen Gilde“16 [Ergänzung des Autors]. Dass diese Gruppe reisender Kaufleute für die Zugehörigkeit zu einer solchen Gemeinschaft eine Abgabe namens hanse 1 zahlen musste, bedeutet zwar, dass sie über ein Kapital verfügte, allerdings nicht als übergeordnete Instanz.17 18 Denn anfangs wurde dieser Terminus nicht explizit für die deutsche Hanse angewendet, sondern fand erstmals im 12. Jahrhundert in England Verwendung, unter anderem für die „ anse “19 in Aberdeen. Der erste deutsche Vertreter dieser Kaufmannshanse im Ostseeraum war die Genossenschaft der Gotlandfahrer, die erste Freihandelsprivilegien im Ostseehandel erlangen konnte.20
Wann genau es jedoch zu der Gründung der „hansa Almanie“21, also einem Zusammenschluss einzelner deutscher Hansen zu der deutschen Hanse, kam, ist nicht bekannt. Seit Mitte des 13. Jahrhunderts strebten allerdings die Städte danach, den Schutz deutscher Kaufleute im Ausland zu übernehmen; die Gründung regionaler Städtebünde beschleunigte diesen Prozess: Für die Herausbildung der Hanse war der Zusammenschluss einiger Ostseestädte zum Wendischen Bund von Wichtigkeit. Eine erste Verwendung dieser Bezeichnung, die die an der Ostseeküste neu gegründeten Städte wie Lübeck, Kiel und Stralsund aber auch Hamburg und Lüneburg umfasste, ist auf 1280 datiert. Zurück geht dieser Bund jedoch auf ein 1230 zwischen Hamburg und Lübeck geschlossenes Bündnis, das Reisenden zwischen den Städten die gleichen Rechte einräumte. Trotz divergierender Interessen und anfänglicher Konflikte wurde dieses Bündnisses 1265 zwischen mehreren Städten und ohne zeitliche Begrenzung mit dem Ziel, gemeinsam gegen den Seeraub vorzugehen und sich im Kriegsfall Beistand zu leisten, verlängert.22 Die militärischen Auseinandersetzungen mit Waldemar IV. sollten zeigen, wie stark dieser Zusammenhalt war, denn die wendischen Städte und allen voran Lübeck23 entpuppten sich während des Konflikts sowie bei den Friedensverhandlungen als federführende Partei. Dies war der geographischen Nähe zum dänischen Königreich ebenso wie der zunehmenden Bedeutung des Ostseehandels rund um die „schonischen Märkte“24 geschuldet. Letzteres führte dazu, dass sich die Städte nicht nur für den Schutz der eigenen Kaufleute im Ausland einsetzten, sondern das Erlangen von Handelsprivilegien einzelner Hansestädte in bestimmten Regionen im Ausland anstrebten. Das Durchsetzen dieser in für den hansischen Handel wichtigen Regionen im Ausland resultierte einerseits in der Gründung mehrerer Kontore, hansischer Niederlassungen im Ausland, und somit in der zunehmenden Monopolisierung des hansischen Handels. Andererseits waren diese Handelsprivilegien Ursache für die Konflikte der Hanse mit auswärtigen nicht-hansischen Mächten, wie mit dem dänischen Königreich, sowie für innerhansische Konflikte zwischen einzelnen Städten.
Während die Forschung sich lange Zeit uneinig bezüglich der Unterscheidung der gerade beschriebenen Kaufmannshanse und der sich daraus im 14. Jahrhundert entwickelnden Städtehanse war, scheint es plausibel, dass das Eintreten Lübecks und der anderen wendischen Städte25 in den Fernhandel den Beginn dieser Weiterentwicklung markierte: Denn neben der Form der Kaufmannshanse beschrieb der Terminus hansa ebenfalls Verbindungen von Kaufleuten, die nicht Mitglieder einer Gilde und im Ausland tätig, sondern durch eine Stadt und deren Stadtrecht gebunden und geschützt waren. Kaufmanns- und Städtehanse können also in der Entwicklung der Hanse nicht voneinander getrennt werden, da einerseits die systematische wirtschaftliche Durchdringung und Erschließung des Ostseeraums durch die östlichen Hansestädte wie Lübeck und andererseits die Verbindung dieser mit den rheinischen Kaufmannshansen im westdeutschen Raum mit zur Entstehung des Handelsmonopols der deutschen Hanse beitrugen. Die Hanse war, besser gesagt, zugleich Produkt der Kaufmänner, den von den Privilegien profitierenden Trägern des Handels, sowie Produkt der Städte, die dem Fernhandel den rechtlichen Rahmen gaben. Nichtsdestotrotz definierte sich die deutsche Hanse im Wesentlichen über ihre auswärtigen Handelsprivilegien und den gegenseitigen Schutz - bis auf die Verhansung, die einem Ausschluss aus der Gemeinschaft der Städte und somit von den Handelsprivilegien gleichkam, verfügte sie über keinerlei politische oder institutionelle Mittel oder Merkmale. Im Gegensatz dazu hatten die Kontore eigene Statuten sowie eine eigene Rechtsprechung, die von den gewählten Ältermännern beaufsichtigt wurden.26
Dänemark und die nordischen Länder spielten seit der Entstehungsphase des Ostseehandels und dessen Aufschwung durch die Gotländische Genossenschaft als Rohstoff- und Lebensmittellieferant eine bedeutende Rolle für die Hanse. Allerdings mangelte es dort an eigener Industrie und Handelsstand, sodass man auf die Fischerei, insbesondere des Sundherings, und auf den Fernhandel mit diesem angewiesen war. Eben dieser Handel und die Rolle der Schonenmärkte war auf der anderen Seite von großer Wichtigkeit für den Wohlstand der wendischen Städte - im Zusammenhang mit den hansischen Privilegien erschienen Konflikte mit dem angrenzenden dänischen Königreich nicht unwahrscheinlich.27
2.1 Entwicklung der handels- und machtpolitischen Gegensätze der Hanse und Waldemars IV. bis zur Kölner Konföderation
Wie bereits angedeutet ist auch der Konflikt zwischen Waldemar IV. und den am Ostseehandel beteiligten Hansestädten auf die Handelsprivilegien letzterer und den Anspruch, ihren handelspolitischen Status quo im Ostseeraum zu erhalten, zurückzuführen. Doch bereits bevor die Hanse durch die zwei ,waldemarischen‘ Kriege in eine der „gefährlichsten und entscheidendsten Auseinandersetzungen um die Handelsstellung der Städte auf dem Schonenmarkt und im westlichen Ostseeraum überhaupt“28 hineingezogen wurde, kam es zum Anfang des 14. Jahrhunderts zu einem Konflikt mit Dänemark, der die Entwicklung hin zur Städtehanse verzögerte: Die Wiederaufnahme einer imperialen Expansionspolitik durch den dänischen König Erich VI. Menved, die an die außenpolitischen Erfolge Waldemars II. ein Jahrhundert zuvor erinnerten, mündete in einem gemeinsamen Vorgehen mit den norddeutschen Territorialfürsten gegen die erstarkten und unabhängig gewordenen Hansestädte an der Ostsee. Um diese in das eigene Herrschaftsgebiet eingliedern zu können war man auf finanzielle und militärische Unterstützung aus Dänemark angewiesen - im Umkehrschluss ließ sich Erich VI. die dänische Vorherrschaft östlich der Elbe anerkennen. Die damit einhergehenden Einschränkungen hinsichtlich der politischen und wirtschaftlichen Freiheiten hatten für die Städtehanse erst mit dem Tod besagten Königs ein Ende. Das dänische Königreich hingegen, das zur Finanzierung der Expansion Krongüter an einheimische sowie an norddeutsche Fürsten und Adlige verpfändet hatte, versank in einer Reichskrise, im Zuge der der königliche Nachfolger Christoph II. ins Exil vertrieben und das Königreich unter Territorialfürsten aufgeteilt wurde.
Die für den Handel grundlegende Kontrolle Schonens ging dem dänischen Königreich ebenso verloren wie das Königtum - nach dem Tod Christophs II. 1332 kam es zu einem Interregnum.29 Allerdings bedeutete dies nicht automatisch die Kontrolle der Ostseehandelswege durch die hansischen Städte, da die zu diesem Zeitpunkt im Norden herrschenden Adligen einem ungestörten, profitablen Handel der Hanse durch Seeraub im Weg standen. Dass sich die wendischen Städte, im Interesse der Fernhandelssicherheit und auf ihre Handelsprivilegien bedacht, auf diplomatischem Wege mit einigen dänischen und norddeutschen Adligen verständigten, um das dänische Interregnum zu beenden und den Landfrieden zu fördern, zeugt von einer geschickten Konfliktführung mit auswärtigen Mächten. Dank dieser Unterstützung gelangte Waldemar der IV. 1340 zur dänischen Krone - wie sich jedoch bald zeigen sollte, verstand sich die Hanse durchaus darauf, ihr diplomatisches Geschick mit militärischer Kriegsführung zu kombinieren, um ihr Recht auf Handelsprivilegien geltend zu machen. Mit anderen Worten wurden kriegerische Auseinandersetzung aufgrund meist unbekannter Risiken gemieden, erst wenn „die Lebensadern hansischen Handels anhaltend gefährdet“30 waren, sah man Krieg als alternative Politikmaßnahme.
Die Kriege mit Waldemar IV. eignen sich dabei als sinngebendes Beispiel der hansischen Wirtschaftspolitik: Hatte dieser in den ersten Jahren die hansischen Privilegien anerkannt und bis 1360 eine autonome Königsgewalt in Dänemark etabliert, indem er die zahlreichen Pfandschaften durch finanzielles Vorgehen oder militärische Intervention abgelöst hatte, nahm er in den 60er Jahren des 14. Jahrhunderts erneut eine expansive Außenpolitik auf. Zuerst eroberte er das zwischenzeitlich von Schweden kontrollierte Schonen und sicherte sich durch die Zolleinkünfte des Schonenmarktes ein regelmäßiges königliches Einkommen, das durch die Erhöhung der Abgaben noch gesteigert wurde. Als Hauptinteressenten am schonischen Handel waren die wendischen Städte anfangs geneigt, den Auflagen Waldemars zuzustimmen, solange dies keinen Verlust der Handelsprivilegien bedeutete. Doch als dieser im Sommer 1361 die strategisch bedeutende Insel Gotland samt der Hansestadt Wisby einnahm, kam es zur direkten Konfrontation mit der Hanse.31 Schließlich war das politische Gleichgewicht im Ostseeraum, von dem der hansische Handel so profitierte, nun aus dem Gleichgewicht geraten und die Bewegungsfreiheit der Städte bzw. der Kaufmänner durch die dänische Kontrolle des Sunds eingeschränkt. Daher kam es 1361 in Absprache mit den Hansestädten zuerst zu einer Handelsblockade32 gegen Dänemark und 1362 zum Krieg. Um die Kriegskosten tragen zu können wurde auf einem Hansetag die Erhebung eines Pfundzolls auf jedes in einen hansischen Hafen ein- oder ausfahrende Schiff beschlossen. Zusätzlich zu den hansischen Verbündeten schlossen die wendischen Städte mit den Königen von Norwegen und Schweden sowie mit den Grafen von Holstein und dem Herzog von Schleswig Bündnisse gegen Waldemar. Der erstmalige Zusammenschluss mit nicht-hansischen Territorialfürsten und die Bereitschaft, gemeinsam für den Erhalt der Handelsprivilegien zu handeln, verdeutlichten die Tragweite dieses Konfliktes und das Herauskristallisieren der städtehansischen Politik. Obwohl man sich gegen einen, so sollte man meinen, gemeinsamen Feind verbündet hatte, wurde weder die Handelsblockade von allen aufrecht erhalten, noch die Zusage zum militärischen Beistand eingehalten - letztendlich fiel die Kriegsanstrengung auf die wendischen Städte allein zurück und gipfelte in einer eindeutigen Niederlage.33 Man konnte zwar einen Waffenstillstand erreichen und nach mehrjährigen Verhandlungen durch den Frieden von Vordingborg eine Bestätigung der früheren Rechte erlangen - allerdings nur zeitlich begrenzt. Diese Niederlage gegen Waldemar IV. und der damit einhergehende Mangel an Zusammenhangsgefühl der Städte waren auf die interne Konkurrenz der verschiedenen Städtegruppen und der eigenen Sonderinteressen im Handel zurückzuführen.34 Ein Beispiel dafür, dass man der „Verdichtung der Interessengemeinschaft der Hanse zu einem festeren Städtebund“35 selbst im Weg stand.
Für eine erneute militärische Auseinandersetzung zwischen Dänemark und der Hanse waren vor allem die folgenden Aspekte ursächlich: In seinem bisherigen Verlauf hatte Waldemar IV. es verstanden, die geographische Lage seines Königreichs auszunutzen und systematisch gegen die wendischen Städte, die seine primären Konkurrenten darstellten, vorzugehen. Von seinen außenpolitischen Erfolgen überzeugt, nutzte er jedoch nicht die Gelegenheit, die einzelnen Hansestädte bzw. Städtebündnisse gegeneinander auszuspielen, er unterschätzte also einerseits die Entschlossenheit sowie die Wirksamkeit der Städtehanse. Zusätzlich ließ er bis 1367 preußische Schiffe im Sund aufbringen und schränkte auch die Handelsfreiheit anderer Städtegruppen wie die der Städte an der Zuidersee, die 1361 ihre Beteiligung an der Handelssperre und am Krieg verweigert hatten, sowie die einiger Territorialfürsten im Ostseeraum ein.36 Andererseits wurden auf einem Hansetag im Jahr 1366 maßgebliche Maßnahmen zur Stärkung der Autorität der Hansestädte beschlossen. Neben grundlegenden Verfassungsbestimmungen wie der notwendigen Zugehörigkeit zu einer Hansestadt, um von den Handelsprivilegien profitieren oder in den Kontoren tätig werden zu können, wurde diesen Maßnahmen bindende Kraft verliehen.37 Inwiefern dieser erste Schritt einen festigenden Einfluss auf den Entwicklungsprozess der Städtehanse hatte, wird im Folgenden erläutert. Von einer ,Bundesverfassung‘, wie Daenell die Verschriftlichung der Satzungen bezeichnet, kann zu diesem Zeitpunkt nicht gesprochen werden, zumal nicht sicher war, zu welchem Maß die Hansestädte diese befolgte.38
[...]
1 Philippe Dollinger: Die Hanse (Krömers Taschenausgabe, Bd. 371), Stuttgart 41989, S. 150.
2 Im Folgenden wird der Beiname Atterdag weggelassen.
3 Mit dem Terminus Hanse ist in dieser Arbeit die Deutsche Hanse gemeint, vgl. dazu Kapitel 2.
4 Bei der Kölner Konföderation handelte es sich um das nicht nur Hansestädte umfassende Bündnis, das sich im Jahr 1367 zum Krieg gegen Dänemark zusammenschloss, vgl. Matthias Puhle: „Kölner Konföderation“, in: LMA, Bd. 5, Sp. 1268. Näheres dazu siehe Kapitel 2.1 und 3.
5 Kilian Baur: Freunde und Feinde. Niederdeutsche und die Hanse im Spätmittelalter (1376-1513) (Quellen und Darstellungen zur Hansischen Geschichte, Bd. 76), Wien/Köln/Weimar 2018, S. 11.
6 Ebd., S. 11, zitiert nach Rolf Hammel-Kiesow: Die Hanse, München 32004, S. 123.
7 Jörgen Bracker (Hrsg.): Die Hanse - Lebenswirklichkeit und Mythos, Lübeck 31999, S. 13.
8 Vgl. Baur: Freunde und Feinde, S. 11.
9 Für weitere Informationen zur ,Neuen Hanse‘ siehe https://www.hanse.org/.
10 Vgl. Horst Werni>
11 Vgl. Baur: Freunde und Feinde, S. 12; 21-22.
12 Bracker: Lebenswirklichkeit und Mythos, S. 14.
13 Werni>
14 Vgl. Jürgen Meier/Dieter Möhn: „Spiegelung der Konflikte in der Literatur“, in: Lebenswirklichkeit und Mythos, S. 844-859, hier S. 844-845.
15 Ein Beispiel, wie das nationalstaatlich orienteierte Geschichtsbild auch in der Wortwahl repräsentiert wurde: Ludwig Beutin: Hanse und Reich: Im Handelspolitischen Endkampf gegen England (Studien zur Geschichte der Wirtschaft und Geisteskultur, Bd. 6), Berlin 1929, S.1.
16 Klaus Friedland: „Hansische Handelspolitik und hansisches Wirtschaftssystem im 14. Und 15. Jahrhundert“, in: Hansischer Geschichtsverein (Hrsg.): Frühformen englisch-deutscher Handelspartnerschaft: Referate und Diskussionen des Hansischen Symposiums im Jahre der 500. Wiederkehr des Friedens von Utrecht in London vom 9. bis 11. September 1974 (Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte, Bd. 23), Köln, S. 87-100, hier S. 89.
17 In der Sekundärliteratur sind beide Schreibweisen hansa und hanse für die mittelalterliche Beschreibung aufzufinden.
18 Vgl. Volker Henn: „Was war die Hanse?“, in: Lebenswirklichkeit und Mythos, S. 14-23, hier S. 16.
19 Friedland: „Hansische Handelspolitik und hansisches Wirtschaftssystem“, S. 89.
20 Für weitere Informationen zur Entwicklung und zum Niedergang der Gotländischen Genossenschaft vgl. Dollinger: Die Hanse, S. 41-44; 65-67.
21 Henn: „Was war die Hanse?“, S. 19.
22 Vgl. Dollinger: Die Hanse, S. 67-70.
23 Seit 1294 war Lübeck als „caput etprincipium omnium“ als eine Art Hauptstadt der Hanse zu werten, die dazu berechtigt war, zu den Hansetagen aufzurufen, auf denen Vertreter der Hansestädte zu Besprechungen zusammenkamen. Henn: „Was war die Hanse?“, S. 21.
24 Lars Ersgârd: „Der Schonenmarkt - die große Messe im Norden“, in: Lebenswirklichkeit und Mythos, S. 721-732, hier S. 724. Für Näheres zum Schonenmarkt und dessen Rolle im spätmittelalterlichen Ostseehandel siehe ebd..
25 Neben dem Wendischen Bündnis bildeten sich auch weitere Städtebünde, die sich am Fernhandel beteiligten. Später gingen sie in den hansischen Dritteln auf. Vgl. Dollinger: Die Hanse, S. 67-70.
26 Vgl. Henn: „Was war die Hanse?“, S. 21-22.
27 Ernst Daenell: Die Blütezeit der Hanse. Hansische Geschichte von der zweiten Hälfte des XIV. bis zum letzten Viertel desXV. Jahrhunderts (Bd. 1), Berlin/New York 32001 (Vorwort v. Horst Wernicke), S. 2325.
28 Erich Hoffmann: „Konflikte mit auswärtigen Mächten: Die Auseinandersetzung mit Waldemar IV.“, in: Lebenswirklichkeit und Mythos, S. 835-844, hier S. 838.
29 Vgl. Dollinger: Die Hanse, S. 76-80 & Erich Hoffmann: „König Waldemar IV. als Politiker und Feldherr“, in: Detlef Kattinger/Horst Wernicke (Hrsg.): Akteure und Gegner der Hanse - Zur Prosopographie der Hansezeit (Hansische Studien, Bd. 9), S. 271-289, hier S. 271-273.
30 Hoffmann: „Konflikte mit auswärtigen Mächten“, S. 837.
31 Daenell: Blütezeit der Hanse, S. 32-33.
32 Dollinger bezeichnet die Handelsblockade als eine der wichtigsten diplomatischen Waffen‘ gegen auswärtige Mächte, vgl. Dollinger: Die Hanse, S. 70-71.
33 Der Verantwortliche, der Bürgermeister Lübecks, wurde hingerichtet - „eine solche konsequenz für politisches Fehlverhalten hatte es vor und nach dieser Episode nie wieder gegeben“, Werni>
34 Vgl. Dollinger: Die Hanse, S. 96-97; Daenell: Blütezeitder Hanse, S. 32-36; Hoffmann: „Konflikte mit auswärtigen Mächten“, S. 838-840.
35 Hoffmann: „Konflikte mit auswärtigen Mächten, S. 839.
36 Vgl. u.a. Hoffmann: „König Waldemar IV.“, S. 277-280 & Dollinger: Die Hanse, S. 97-99.
37 Vgl. Hanserecesse. Die Recesse und andere Akten der Hansetage von 1256 bis 1430, Erste Abtheilung, Bd. 1, Leipzig 1870, Nr. 376, hier ins Deutsche übersetzt von: Dollinger: Die Hanse, S.545-546.
38 Vgl. Daenell: Blütezeit der Hanse, S. 38.