In der Arbeit wird sich nun mit der Theorie der Metaemotionen auseinandergesetzt. Hierzu wird zunächst das Phänomen der Unterhaltung und das dazugehörige Unterhaltungserleben genauer bestimmt. Um die Bedingungen von Unterhaltung darzustellen, wird sowohl auf die Definition von Bosshart und Macconi verwiesen als auch auf die Triadisch-Dynamische Unterhaltungstheorie von Früh.
Auf Grundlage dieser theoretischen Basis wird dann versucht mit den sogenannten Metaemotionen zu erklären, warum auch traurige Filme als unterhaltsam angesehen werden. Zur Ergänzung wird schließlich im letzten Kapitel noch kurz auf den Ansatz der Grenzüberschreitung eingegangen, da dieser negative Gefühle bei der Rezeption von Medieninhalten aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. In der Hausarbeit wird sich insgesamt verstärkt mit Medieninhalten wie Filmen auseinandergesetzt, die traurige Emotionen hervorrufen. Grundsätzlich kann die Theorie der Metaemotionen aber auch bei allen anderen Medienangeboten wie Bücher, Spiele oder Audiodatei sowie bei anderen Gefühlen während der Medienrezeption wie etwa Angst angewendet werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Was ist Unterhaltung?
3. Emotionen und Metaemotionen
4. Das Sad Film Paradoxon
5. Weiterentwicklungen der Theorie der Metaemotionen
6. Unterhaltung durch Grenzüberschreitung
7. Fazit
8. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Im Alltagsverständnis wird das Gefühl des Unterhaltungserlebens oft mit positiven Emotionen verknüpft. Und auch für die Medien fallen meist nur lustige, erheiternde oder kurzweilige Inhalte in das Genre Unterhaltung. Würde man dieser Logik folgen, dürften alle Inhalte, die den Rezipienten erschrecken oder traurig machen, nicht als unterhaltsam gelten. Dass dem nicht so ist, zeigen allerdings die diversen Fans des Horrorfilms oder der Tragödie. Auch Filme, die während der Rezeption keine positiven Emotionen erzeugen, haben anscheinend einen unterhaltsamen Charakter. Doch warum sind auch Tragödien oder Horrorfilme unterhaltsam?
Wie das Unterhaltungserleben entsteht und nach welchen Kriterien Rezipienten die gewünschten Medieninhalte auswählen, wird von diversen, verschiedenen Theorien erklärt. Diesen Theorien liegt häufig ein hedonistisches Menschenbild zu Grunde, nach dem der Rezipient bei der Medienauswahl und –rezeption aktiv nach Gratifikationen sucht, um einen ausgeglichenen Zustand zu erlangen. Nach der Mood-Management-Theorie von Zillmann oder auch dem Uses-and Gratifikation-Ansaz nach Katz, um zwei der bekannteren Theorien zu nennen, müssten Inhalte, die negative Emotionen auslösen, gemieden werden. Eine alternative Erklärung zum Unterhaltungserleben, die die positiven Bewertungen von diesen Filmen nicht ausschließt, ist die Theorie zu den Metaemotionen von Oliver.
In der vorliegenden Hausarbeit wird sich nun mit der Theorie der Metaemotionen auseinandergesetzt. Hierzu wird zunächst das Phänomen der Unterhaltung und das dazugehörige Unterhaltungserleben genauer bestimmt. Um die Bedingungen von Unterhaltung darzustellen, wird sowohl auf die Definition von Bosshart und Macconi verwiesen, als auch auf die Triadisch-Dynamischen Unterhaltungstheorie von Früh. Auf Grundlage dieser theoretischen Basis wird dann versucht mit den sogenannten Metaemotionen zu erklären, warum auch traurige Filme als unterhaltsam angesehen werden. Zur Ergänzung wird schließlich im letzten Kapitel noch kurz auf den Ansatz der Grenzüberschreitung eingegangen, da dieser negative Gefühle bei der Rezeption von Medieninhalten aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. In der Hausarbeit wird sich insgesamt verstärkt mit Medieninhalten wie Filmen auseinandergesetzt, die traurige Emotionen hervorrufen. Grundsätzlich kann die Theorie der Metaemotionen aber auch bei allen anderen Medienangeboten wie Bücher, Spiele oder Audiodatei sowie bei anderen Gefühlen während der Medienrezeption wie etwa Angst angewendet werden.
2. Was ist Unterhaltung?
Das Bedürfnis nach Unterhaltung besitzen die Menschen schon seit sehr langer Zeit. Bereits im antiken Rom wurden in riesigen Amphitheatern Wettkämpfe, Wagenrennen oder ganze Schlachtszenen von den Herrschenden inszeniert, um der Bevölkerung Unterhaltung bieten zu können. Und bereits zu dieser Zeit war die Vorstellung von Unterhaltung nicht nur mit lustigen und kurzweiligen Vorstellungen verknüpft. Schon damals gab es gewalttätige Szenen, die in den Zuschauern Spannung, Ekel, Angst und gegebenenfalls auch Trauer hervorrufen konnten, wenn der favorisierte Kämpfer verlor (Vgl. Guttmann 1998: 10f.).
Heutzutage spielen nicht mehr große Amphitheater, sondern die Medien als Publi- kumsmagnet eine zentrale Rolle in der Unterhaltung (Vgl. Vorderer 2004: 545). Besonders hervorzuheben ist hier der Fernseher als meistgenutztes Medium, der den Rezipienten die Möglichkeit bietet Informationen zu sammeln und Geschichten mitzuerleben, die Freude, Spannung, Angst und diverse andere Emotionen bei den Zuschauern auslösen können (Schramm & Hasebrink 2004: 467). Bei der Auswahl der Inhalte orientieren sich die Nutzer in diesem Zusammenhang an ihren bisherigen Erfahrungen mit den Inhalten und an ihren momentanen emotionalen Bedürfnissen. Durch das wachsende und immer ausdifferenziertere Angebot im Fernsehen können diese Bedürfnisse der Nutzer dabei immer gezielter befriedigt werden. Überproportional häufig werden beispielsweise Unterhaltungs- und Fiktionsangebote genutzt, die in erster Linie der Erholung und Ablenkung dienen. Im Kontrast dazu übersteigen die Angebote bei den Informationssendungen die Nachfrage (Vgl. Vorderer 2004: 469f.). Im Fernsehen wird das Wort Unterhaltung als ein Genre/Label aufgefasst, um die Inhalte der jeweiligen Sendung zu beschreiben und um die Orientierung für die Rezipienten zu erleichtern. (Vgl. Wünsch 2006: 10). Zusammenhängend mit diesem alltäglich verwendeten Label ist die Vorstellung von Unterhaltung auch allgemein durch zwei Merkmale geprägt: Sie wird erstens als ein Charakteristikum spezifischer Medien bzw. deren Inhalte angesehen und zweitens wird Unterhaltung häufig als ein Gegensatz zur Informationsvermittlung verstanden. Je unterhaltsamer ein Inhalt ist, desto weniger Informationen sind enthalten und andersherum (Vgl. Vorderer 2004: 546).
Dass dieses Verständnis dem Phänomen des Unterhaltungserlebens nicht gerecht wird, wurde dabei schon früh erkannt. Schließlich können auch Dokumentationen als sehr unterhaltsam angesehen werden, obwohl hier die Informationsverbreitung mit im Vordergrund steht. Mittlerweile gibt es verschiedene Unterhaltungstheorien, die verschiedene Ansätze verfolgen. Anthropologische Ansätze sehen Unterhaltung zum Beispiel als Spiel, das mit ein Charakteristikum des Menschen ist. Emotionspsychologische Ansätze hingegen sehen Unterhaltung als Induktion positiver Emotionen. Darüber hinaus gibt es noch motivationale Ansätze wie den Uses-and-Gratifikation-Ansatz und nicht-rezeptionsorientierte Ansätze, die Unterhaltung nicht aus der individuellen Perspektive betrachten, sondern eine soziale oder inhaltliche Dimension anstreben (Vgl. Früh 2002: 15ff.). Trotz dieser unterschiedlichen Blickwinkel und Ansätze gibt es in der Kommunikations- und Medienwissenschaft bestimmte allgemeine Bedingungen und Merkmale für die Entstehung von Unterhaltung. Diese werden nun im Folgenden aufgeführt, um ein allgemeines Verständnis des Phänomens Unterhaltung zu ermöglichen (Vgl. Dohle & Bernhard 2013: 249f.):
- Unterhaltung besteht aus physiologischen, affektiven und kognitiven Prozessen. Unter kognitive Prozesse fallen die geistigen Leistungen wie etwa die Konzentrationsfähigkeit oder das Erinnerungsvermögen des Rezipienten. Bei affektiven Prozessen hingegen handelt es sich um emotionale Regungen, die sich in subjektiven Gefühlen äußern und physiologische Phänomene wiederum sind physikalische oder biochemische Reaktionen des Körpers, wenn sich aufgrund von Angst zum Beispiel der Blutdruck erhöht. Bei dem Unterhaltungserleben können diese Prozesse je nach Situation unterschiedlich ausgeprägt sein. So gibt es Unterschiede zwischen verschiedenen Medien wie Fernsehsendungen oder PC-Spielen, die zum Beispiel verschieden stark zum Mitdenken anregen, aber auch zwischen verschiedenen Medieninhalten, die sich durch Spannung und aufwühlende Elemente auszeichnen können oder sich auf den (physiologisch ruhigeren) Wissenserwerb fokussieren.
- Das Unterhaltungsgefühl ist darüber hinaus abhängig von einer guten Passung zwischen dem Medieninhalt, dem Rezipienten und dem situativen Kontext. Diese drei Faktoren wurden von Früh in der Triadisch-Dynamischen Unterhaltungstheorie (TDU) beschrieben und erläutert. Die jeweilige Konstellation der drei Faktoren beeinflusst dabei die Art und Intensität des Unterhaltungserlebens. Wenn ein Rezipient kein Interesse an Fußball hat, wird ihn eine Spielübertragung im Fernsehen langweilen, wohingegen ein Fußballfan das Programm durchaus unterhaltsam findet, besonders wenn er von Gleichgesinnten umgeben ist und seine favorisierte Mannschaft gerade gewinnt.
- Anlehnend an den situativen Kontext von Früh, sollte die Medienrezeption für die Entstehung eines Unterhaltungsgefühls in einem spielerischen Rahmen stattfinden, sodass leicht eine Abgrenzung von der Realität des Rezipienten erfolgen kann. Um unterhaltsam zu sein, sollte der Medieninhalt keine unmittelbaren Konsequenzen für das eigene Leben des Rezipienten haben und die Rezeption an sich sollte in einem kontrollierbaren Rahmen stattfinden.
- Zuletzt sollte der Medieninhalt vom Rezipienten selbst bestimmt werden, sodass eine freiwillige Auswahl stattfindet. Ein Film ist für Schüler beispielsweise wesentlich weniger unterhaltsam, wenn er im Rahmen der Schule geschaut werden muss.
Neben den aufgelisteten Bedingungen für Unterhaltung gibt es auch verschiedene Definitionen für dieses Gefühl, je nachdem aus welcher Perspektive man das Phänomen betrachtet. Häufig wird Unterhaltung dabei mit positiven Assoziationen in Verbindung gebracht. Im Folgenden wird Unterhaltung aufgrund der Fragestellung aus der kommunikations- und medienwissenschaftlichen Perspektive betrachtet. Hier definieren Louis Bosshart und Ilaria Macconi Unterhaltung beispielsweise aus der Perspektive des individuellen Rezeptionserlebens mit Hilfe der Umschreibungen psychologische Entspannung, Abwechslung, Stimulation, Spaß, Atmosphäre oder auch Vergnügen (Vgl. Dohle & Bernhard 2013: 251). Diese Assoziationen decken sich mit einigen Theorien zum Unterhaltungserleben, die den Rezipienten als hedonistisch betrachten und Unterhaltung mit positiven Gefühlen in Verbindung bringen. So gibt Zillmann in seiner Mood-Management Theorie eine motivationale Erklärung für die Rezeption gewisser Medieninhalte. Der Rezipient entscheidet sich unbewusst aber intentional für einen Medieninhalt, da er versucht eine angenehme Stimmung zu erzeugen. Wenn er überstimuliert ist, würde er nach dieser Theorie eher ein monotones Angebot auswählen. Wenn der Rezipient sich bereits in einem angenehmen Zustand befindet, würde die Wahl auf ein weniger involvierendes Angebot mit hoher Affinität zu jenem Zustand fallen (Vgl. Wünsch 2006: 62f.).
Auch wenn sich diese vorgestellten Merkmale und Assoziationen der Unterhaltung überwiegend mit dem Alltagsverständnis decken, scheint es doch ein Paradoxon zu geben. Warum werden auch Filme als unterhaltsam charakterisiert, die im Rezipienten Angst oder Trauer auslösen? In Alltagssituationen wird versucht negativen Emotionen auszuweichen. Würde man der Logik der Mood-Management Theorie oder auch der Definition von Bosshart und Macconi folgen, müssten solche Filme sehr unpopulär sein. Dass dies nicht der Fall ist, zeigen allerdings Beispiele wie der Film „Titanic“, bei dem einer der Hauptakteure am Ende des Films ums Leben kommt, oder die Filmreihe „Saw“, die mit der expliziten Darstellung von Gewalt Zuschauer zugleich fasziniert und schockiert. Mit der Erklärung der Beliebtheit dieser Medieninhalte hat sich unter anderem Mary Beth Oliver auseinandergesetzt. Ihr emotionspsychologischer Ansatz zu den sogenannten Metaemotionen wird nun im Folgenden dargestellt, um eine mögliche Erklärung zu geben, warum auch solche Medieninhalte als unterhaltsam angesehen werden. Hierfür wird zunächst geklärt, was man in der Kommunikations- und Medienwissenschaft unter den Begriffen Emotion und Metaemotion verstehen kann, um dann in einem nächsten Schritt genauer auf die Theorie einzugehen.
3. Emotionen und Metaemotionen
Bei der Rezeption von (unterhaltsamen) Medienangeboten erlebt der Rezipient verschiedenste Emotionen, die durch den Medieninhalt erzeugt werden. Überwiegend handelt es sich dabei um emphatische Emotionen, die dem Rezipienten das Mitfibern und die Anteilnahme am Filmgeschehen ermöglichen. Darüber hinaus können aber auch Basisemotionen wie Angst oder Trauer durch Filme ausgelöst werden. Das bekannteste Beispiel hierfür ist wahrscheinlich die meist unbegründete Angst vor einem Haiangriff beim Baden im Meer, weil man zuvor einen Haiangriff in einem Film gesehen hat. Medien können also sowohl kurz- als auch langfristig die Emotionen ihrer Rezipienten manipulieren, indem die durch die Fiktion hervorgebrachten Gefühle in die Realität übertragen werden (Zillmann 2004: 119f.).
Meyer et al. definieren Emotionen als aktuelle Zustände von Personen, die eine be- stimmte Qualität, Intensität und Dauer haben. Meistens sind Emotionen objektgerichtet, wobei diese Objekte nicht zwangsläufig real sein müssen. Der Tod eines fiktionalen Charakters kann zum Beispiel trotzdem das echte Gefühl der Traurigkeit/Trauer auslösen. Des Weiteren sind Emotionen durch ein charakteristisches Erleben mit bestimmten physiologischen Veränderungen und Verhaltensweisen gekennzeichnet (Vgl. Jordak 2011: 17). Emotionen entstehen dabei auf einer für die Person direkt erlebbaren Ebene und können anschließend durch eine Beschreibungsdimension bewertet werden. Dies erfolgt zum Beispiel bei der Scham über einen vorherigen Wutausbruch. Auf der direkten Ebene wird zunächst die Wut erlebt. Diese wurde dann allerdings als unangebracht bewertet, wodurch das Gefühl der Scham entsteht. Dieses Gefühl der Scham wird nun als Metaemotion bezeichnet, da es nicht als direkte Emotion entsteht, sondern erst durch die Beschreibungsdimension aufkommt. Bei Metaemotionen handelt es sich folglich um Emotionen über Emotionen bzw. um Kognitionen über Emotionen, die durch eine Reflexion und Bewertung des Erlebens entstehen (Vgl. Dohle & Bernhard 2013: 256f.). Es sind emotionsregulierende Prozesse, die die Stimmung einer Person kontrollieren, bewerten und gegebenenfalls modifizieren können. Da Metaemotionen auf einer reflexiven Ebene ansetzen, ist es möglich, dass die emotionalen Erfahrungen auf beiden Ebenen voneinander abweichen. Eine zunächst negative Emotion wird dann zum Beispiel positiv bewertet. Positive Metaemotionen führen dazu, dass man sich in einer Situation wohl fühlt und versucht diese beizubehalten oder das Gefühl noch zu verstärken. Eine positive Metaemotion kann beispielsweise bei der Rührung über einen traurigen Film beobachtet werden, bei dem der Rezipient das traurige Gefühl genießt. Im Gegensatz dazu hat sich bei negativen Metaemotionen durch die aktuelle Situation ein emotionaler Druck aufgebaut, der dazu führt, dass man die momentane Situation verändern möchte. Die Scham über einen Wutausbruch kann beispielsweise dazu führen, dass man sich entschuldigt, um dem unangenehmen Zustand zu entkommen. Bei der Rezeption von Medieninhalten wie etwa einem traurigen Film können negative Metaemotionen dazu führen, dass man die Rezeption beendet. Da jede Person Emotionen individuell bewertet, ist es möglich, dass derselbe Medieninhalt die gleiche direkt erlebbare Emotion bei zwei Rezipienten auslöst, diese die Emotion aber unterschiedlich bewerten und ihre Metaemotionen so voneinander abweichen.
Darüber hinaus kann man das Konzept der Metaemotionen nicht für alle Emotio- nen generalisieren. So gibt es durchaus Situationen oder auch (traurige) Filme bei denen nur direkte Emotionen ausgelöst werden, denen keine Metaemotionen folgen. Dies ist besonders dann der Fall, wenn die Person keinen Bezug zum Geschehen herstellen kann, weil sie es aus irgendeinem Grund als irrelevant für sich selbst erachtet (Vgl. Schramm & Wirth 2010: 320ff.). Nach dem Konzept der Metaemotionen können traurige Filme also als unterhaltsam angesehen werden, weil die Rezipienten das Gefühl der Traurigkeit positiv bewerten. Um diese Theorie der positiven Metaemotionen zu festigen, wurden von Oliver verschiedene Studien durchgeführt, die nun im Folgenden kurz vorgestellt und anschließend diskutiert werden.
4. Das Sad Film Paradoxon
In ihren Studien zum sogenannten Sad Film Paradoxon, untersucht Oliver den Zusammenhang zwischen dem Gefühl der Traurigkeit und dem Unterhaltungserlebens bei traurigen Filmen. Als theoretische Basis bezieht sie sich dabei auf die Untersuchungen von Mayer und Gaschke, die bereits Studien zu den Metaerfahrungen von Stimmungslagen durchgeführt hatten (Vgl. Oliver 1993: 318f.). Mayer und Gaschke waren allerdings allgemein an einer ersten Analyse der Metaerfahrung von Stimmungen interessiert und hatten noch keine Verbindung zu der Rezeption von Medieninhalten aufgebaut. Dieser Zusammenhang zwischen dem Erleben trauriger Emotionen bei der Medienrezeption und den positiven Metaemotionen wurde erst von Oliver in insgesamt drei Studien untersucht.
In der ersten Studie ging es hauptsächlich darum gewisse Annahmen über die posi- tive Bewertung von traurigen Filmen zu prüfen, um die Theorie der Metaemotionen zu stützen. Hierfür wurden 227 Studenten mit einem Durchschnittsalter von 20,55 Jahren (SD: 2,31) durch zwei Fragebögen befragt. Im ersten wurden Hintergrundfragen zu den Themen Männlichkeit, Weiblichkeit und Empathie gestellt. Im zweiten Fragebogen wurde dann schließlich das Unterhaltungserleben bei der Medienrezeption an sich und bei traurigen Filmen im Besonderen abgefragt. Hier wurden die Befragten in drei Gruppen eingeteilt, die den zweiten Fragebogen direkt, eine Woche und einen Monat später beantwortet haben. Bei den Angaben konnten aber keine Unterschiede festgestellt werden. Außerdem entwickelte Oliver die Sad-Film-Scale durch 40 Statements, die sich auf das Gefallen oder Missfallen bei der Rezeption von traurigen Filmen bezogen. Als Ergebnis der Studie konnte eine signifikant positive Korrelation bei der positiven Assoziation zwischen dem Gefühl der Trauer und dem Gefühl der Unterhaltung bei traurigen Filmen festgestellt werden. Darüber hinaus zeigten Frauen ein höheres Maß an Vergnügen bei der Rezeption trauriger Filme. Sie hatten im Vergleich zu den männlichen Probanden mehr Filme gesehen, sahen diese häufiger und bewerteten das Unterhaltungserleben bei erlebter Traurigkeit höher. Ein Happy End wurde im Zusammenhang mit traurigen Filmen allerdings als negativ bewertet, was die Schlussfolgerung zulässt, dass das Unterhaltungsgefühl bei der Rezeption von traurigen Inhalten nicht am schlussendlichen Happy End vieler Filme liegt (Vgl. Oliver 1993: 324ff.).
In der zweiten Studie testete Oliver die entwickelte Sad-Film-Scale auf ihre Reliabilität. Dafür wurde die komplette Skala 40 Studenten aus der ersten Studie noch einmal nach den Semesterferien vorgelegt. Genau wie in der ersten Studie zeigten die Frauen ein signifikant größeres Unterhaltungsgefühl bei der Rezeption trauriger Filme als die männlichen Probanden. Die Reliabilität der Skala konnte also bewiesen werden (Vgl. ebd.: 333).
In der dritten Studie wurde zuletzt die Validität der Skala überprüft. Zusätzlich wurde untersucht wie die Beziehung zwischen der emotionalen Reaktion der Rezipienten auf der direkten Ebene im Vergleich zu den Erfahrungen auf der Ebene der Metaemotionen ist. Hierfür füllten 50 Studenten während eines Seminares die Sad-Film-Scale erneut aus und sahen zwei Wochen später den Film „Cinema Paradiso“. Dieser handelt von zwei männlichen Charakteren, die Freunde werden, und endet mit dem Tod des einen und den Erinnerungen an die Freundschaft. Da es sich um einen ausländischen Film handelt, kannten nur 3 Teilnehmer den Film im Vorfeld. Nach der Rezeption sollten die Studenten Angaben zu ihrem momentanen emotionalen Zustand geben. Dieser wurde durch Skalen zum Thema Fröhlichkeit und Traurigkeit abgefragt. Zusätzlich wurden die Metaemotionen in Bezug auf das Unterhaltungserleben abgefragt. Hierbei konnte allerdings keine statistische Signifikanz zwischen der direkten emotionalen Ebene und den Metaemotionen festgestellt werden. Obwohl weibliche Teilnehmer ein höheres Unterhaltungserleben angaben und die Traurigkeit als Metaemotion positiver bewerteten als die männlichen Teilnehmer, konnte auch in dieser Teilgruppe keine statistische Signifikanz nachgewiesen werden (Vgl. ebd.: 334ff.).
Bei den gesamten von Oliver durchgeführten Studien sollte man allerdings beach- ten, dass die Rezipienten bei der Beantwortung der Fragebögen ihre eigenen subjektiven Eindrücke geschildert haben. Hierbei stellt sich zum einen die Frage, inwieweit man sich selbst bewusst ist, warum man das Anschauen von traurigen Filmen genießt. Ist man sich bewusst, dass die Traurigkeit als eine Metaemotion positiv bewertet werden kann? Zum anderen sollte man bedenken, dass die Befragten eventuell die sozial erwünschten Antworten gegeben haben, wodurch sich die Ergebnisse der Studie verändern würden. Es ist beispielsweise vorstellbar, dass die männlichen Teilnehmer traurige Filme als weniger unterhaltsam angeben, weil in ihrer erlernten Rollenidentifikation Trauer als eine Schwäche gesehen wird (Vgl. Oliver 1993: 338). Darüber hinaus handelt es sich bei der entwickelten Sad-Film-Scale nicht um eine Methode, die den emotionalen Zustand der Probanden bei der Rezeption von traurigen Inhalten misst, sondern um eine Methode, die deren Bereitschaft traurige Inhalte zu rezipieren erfragt. Es werden also die Charaktereigenschaften der Teilnehmer analysiert. Die Skala ist folglich nicht in der Lage zu erklären, warum und wie die direkte Erfahrung von Traurigkeit bei der Rezeption von Medieninhalten zu einer positiven Metaemotion führen kann. Sie erklärt vielmehr auf Basis des Charakters, warum ein Rezipient sich diesem Medieninhalt zuwendet (Vgl. Schramm & Wirth 2010: 320). Olivers Studien zum Sad Film Paradoxon bilden die Grundlage für die Untersuchung der Rolle der Metaemotionen beim Unterhaltungserleben. Für ein umfassenderes Bild der Metaemotionen wurde in den folgenden Jahren allerdings noch weiter geforscht. Diese neuen beziehungsweise weiterführenden Erkenntnisse werden nun im nächsten Kapitel kurz vorgestellt.
5. Weiterentwicklungen der Theorie der Metaemotionen
Anknüpfend an die Studien von Oliver, bei denen entdeckt wurde, dass Männer und Frauen traurige Medieninhalte auf der Metaebene unterschiedlich bewerten, haben weitere Untersuchungen zu den Metaemotionen gezeigt, dass dieser beobachtete geschlechtliche Unterschied nur bei speziellen Genres wie beispielsweise Dramen zu finden ist. Wenn andere Gefühle als die Traurigkeit/ Empathie mit aufgenommen werden, wie zum Beispiel die Spannung beim Thriller, zeigen Männer die gleichen Ergebnisse bei der Angabe von Metaemotionen wie Frauen. Dies könnte damit erklärt werden, dass Frauen eher eine Tendenz zum Empathie-Empfinden haben, da dieses zur weiblichen Rollenidentifikation gehört. Bei Frauen findet in der Sozialisation verstärkt die Bestätigung statt, dass Empathie gut bzw. moralisch richtig ist. Das empathische Trauergefühl bei Filmen wird so in der Metaemotion als Rührung positiver bewertet und genossen. Je trauriger die Medieninhalte also werden, desto mehr mögen ihn diese Rezipientinnen (Vgl. Bartsch 2011: 61).
Ein weiterer Grund, warum traurige Filme in der Metaemotion positiv bewertet werden, ist, dass negative Emotionen zum Nachdenken anregen. Dieser Aspekt wurde von Oliver in ihren anfänglichen Überlegungen noch nicht mit aufgenommen, hat sich aber bei weiteren Untersuchungen von Bartsch gezeigt. Wie es in der Definition der Metaemotionen weiter oben schon beschrieben wurde, kann man bei Metaemotionen nicht nur von Emotionen über Emotionen, sondern auch von Kognitionen über Emotionen sprechen. Wenn der Zuschauer bei der Rezeption mit negativen Medieninhalten konfrontiert wird, regt ihn das stärker zum Nachdenken an als bei positiven Medieninhalten, in denen die Welt in Ordnung ist. Studien haben gezeigt, dass dieser Zustand des Nachdenkens von den Zuschauern geschätzt wird, insbesondere mit zunehmendem Alter derselben. Wie bereits im vorherigen Kapitel erläutert, ist es allerdings sehr wichtig, dass der Rezipient eine gewisse Distanz zwischen den Medieninhalten und dem eigenen Leben sieht, um die negativen Inhalte als Denkanstöße positiv bewerten zu können (Vgl. ebd.: 62).
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