Jede schwangere Frau wünscht sich nichts sehnlicher, als ein gesundes Kind zur Welt zu bringen. Schon allein dieser Wunsch lässt vermuten, dass körperliche und geistige Gesundheit nicht selbstverständlich sind. Es gibt ein breites Spektrum an Erkrankungen und Verhaltensauffälligkeiten, die bereits pränatal (während der Schwangerschaft) oder im frühen Kindesalter auftreten können. Diese Arbeit beschäftigt sich mit Kindern im Autismus-Spektrum, deren Verhaltensweisen die Umwelt häufig als unerwünscht oder störend empfindet. Auch für die Betroffenen selbst und ihre nicht-autistischen Bezugspersonen stellt das herausfordernde Verhalten, welches sich beispielsweise in Wutanfällen oder selbstverletzende Handlungen äußern kann, eine enorme Belastung dar.
Ein möglicher Therapieansatz, neben vielen anderen, ist die pädagogische Kunsttherapie. Um einen guten Einstieg in die Thematik zu finden, setze ich mich im ersten Teil dieser Arbeit mit der Begrifflichkeit "Autismus" auseinander, beschreibe seine Kernsymptome und differenziere die verschiedenen Formen und Ausprägungen. Außerdem möchte ich kurz auf die Betroffenen eingehen, die sich eine andere Wahrnehmung wünschen. Ich erörtere, was "herausforderndes Verhalten" meint und welche Faktoren dieses Verhalten auslösen. Es werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie man autistischen Kindern die Teilhabe in Regeleinrichtungen ermöglichen kann und wie Bezugspersonen und die Gesellschaft positive Verhaltensunterstützung leisten können.
Im zweiten Abschnitt geht es um therapeutische Interventionen. In erster Linie werden die Ziele der pädagogischen Kunsttherapie vorgestellt. Dabei gehe ich explizit auf die methodische Umsetzung und die positive Wirkung auf die Betroffenen ein. Für meine Ausarbeitung lege ich fundierte wissenschaftliche Fachliteratur zu Grunde, um am Ende dieser Arbeit analysieren zu können, welche Möglichkeiten die pädagogische Kunsttherapie bei herausfordernden Verhalten von Kindern im Autismus-Spektrum bietet.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Autismus
2.1 Was ist Autismus?
2.2 Aus Sicht der Betroffenen
2.3 Was meint herausforderndes Verhalten?
2.4 Wie lässt sich Stress bei autistischen Kindern reduzieren?
2.5 Ressourcenaktivierung, Empowerment und Leitprinzipien
3. Pädagogische Kunsttherapie
3.1 Definition und Ziele
3.2 Vorgehensweise und Umsetzung
3.3 Beurteilung und Wirkkomplexe
4. Fazit
Literaturverzeichnis
"You can`t punish a child who is acting out because of sensory overload" (Temple Grandin)
1. Einleitung
Jede schwangere Frau wünscht sich nichts sehnlicher, als ein gesundes Kind zur Welt zu bringen. Schon allein dieser Wunsch lässt vermuten, dass körperliche und geistige Gesundheit nicht Selbstverständlich sind. Es gibt ein breites Spektrum an Erkrankungen und Verhaltensauffälligkeiten, die bereits pränatal (während der Schwangerschaft) oder im frühen Kindesalter auftreten können. Diese Arbeit beschäftigt sich mit Kindern im Autismus-Spektrum, deren Verhaltensweisen die Umwelt häufig als unerwünscht oder störend empfindet. Auch für die Betroffenen selbst und ihre nicht-autistischen Bezugspersonen stellt das herausfordernde Verhalten, welches sich beispielsweise in Wutanfällen oder selbstverletzenden Handlungen äußern kann, eine enorme Belastung dar. (vgl. Theunissen 2019, S. 9) Diese Verhaltensauffälligkeiten hintern die Betroffenen an einer autonomen Lebensgestaltung und beinträchtigen ihre Teilhabe am gesellschaftlichem Leben.
Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen hat es schon immer gegeben. Verändert hat sich zum Glück der Umgang mit Menschen, die in ihrem Verhalten in unerwünschter Form von den Erwartungsnormen der Gesellschaft abweichen. "Die Reaktionen waren durch die Jahrhunderte hindurch sehr vielfältig und unterschiedlich. Sie reichten im europäischen Kulturraum von den verschiedenen Formen körperlicher Züchtigung über Isolationsmaßnahmen bis hin zur Tötung einerseits und zu verständnisvoller Akzeptanz mit umfassender Hilfe zur Selbstentfaltung andererseits" (Myschker; Stein 2018, S. 19). Heutzutage sind Begriffe wie "Integration", "Inklusion" und "Teilhabe" in aller Munde. Autistische Kinder sollen nicht mehr ausgegrenzt und separiert werden, sondern zusammen mit nicht-autistischen Kindern ganz normale Regeleinrichtungen besuchen. Die Akzeptanz in der Bevölkerung gegenüber Autismus ist zwar größer geworden, dennoch erschweren die besonderen Verhaltensweisen autistischer Menschen das reibungslose Miteinander. Aus diesem Grund ist es wichtig, auf ihre individuellen Bedürfnisse einzugehen . "Daher ist der Wunsch nach Hilfe oder einer angemessen [sic!] Unterstützung groß. Hierzu gibt es mittlerweile zahlreiche therapeutische oder pädagogische Konzepte und Vorschläge" (Theunissen 2019, S. 10). Diese pädagogisch-therapeutischen Maßnahmen dienen der Ressourcenaktivierung und schaffen somit Möglichkeiten zur Selbstregulierung. Ein möglicher Therapieansatz, neben vielen anderen, ist die pädagogische Kunsttherapie.
Um einen guten Einstieg in die Thematik zu finden, setze ich mich im ersten Teil dieser Arbeit mit der Begrifflichkeit "Autismus" auseinander, beschreibe seine Kernsymptome und differenziere die verschiedenen Formen und Ausprägungen. Außerdem möchte ich kurz auf die Betroffenen eingehen, die sich eine andere Wahrnehmung wünschen. Ich erörtere, was "herausforderndes Verhalten" meint und welche Faktoren dieses Verhalten auslösen. Es werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie man autistischen Kindern die Teilhabe in Regeleinrichtungen ermöglichen kann und wie Bezugspersonen und die Gesellschaft positive Verhaltensunterstützung leisten können.
Im zweiten Abschnitt geht es um therapeutische Interventionen. In erster Linie werden die Ziele der pädagogische Kunsttherapie vorgestellt. Dabei gehe ich explizit auf die methodische Umsetzung und die positive Wirkung auf die Betroffenen ein. Für meine Ausarbeitung lege ich fundierte wissenschaftliche Fachliteratur zu Grunde, um am Ende dieser Arbeit analysieren zu können, welche Möglichkeiten die pädagogische Kunsttherapie bei herausfordernden Verhalten von Kindern im Autismus-Spektrum bietet.
2. Autismus
"Autismus nimmt in den letzen Jahren immer mehr zu. Inzwischen wird davon ausgegangen, dass der Anteil autistischer Menschen an der Gesamtbevölkerung bei 1 Prozent liegt. Das betrifft in Deutschland ungefähr 800.000 Menschen im Autismus-Spektrum" (Theunissen 2019, S. 8). Durch die Medien und eine immer umfangreichere Literatur ist der Begriff "Autismus" fast jedem in der Bevölkerung bekannt. Doch was genau verbirgt sich hinter diesem Störungsbild und was bedeutet die Diagnose "Autismus" für die Betroffenen?
2.1 Was ist Autismus?
Das Krankheitsbild "Autismus" gibt es in diesem Sinne nicht, da die Formen und Ausprägungen sehr variieren. Kein Autist gleicht dem Anderen. Es gibt keinen Bluttest und keine abzuarbeitende Checkliste. Eine Diagnose ist deshalb auch sehr schwierig und wird oft erst sehr spät gestellt. Für die Betroffenen oft zu spät, da sie bis dorthin schon einen großen Leidensweg hinter sich haben.
Um eine Diagnose stellen zu können, muss man sich erstmal mit seinen Kernsymptomen auseinander setzen. Das zunächst offensichtlichste Merkmal autistischer Menschen, ihre Selbstbezogenheit, kann bereits aus dem Wort "Autismus" abgeleitet werden. Dieser Begriff stammt von dem griechischen Wort "autos" ab, was so viel bedeutet wie "selbst ". "Der Schweizer Psychiater Eugen Bleuler (1911) gilt als der erste Wissenschaftler und Forscher, der den Begriff Autismus bekannt gemacht hat. Im Rahmen seiner Untersuchungen über Schizophrenien beschreibt er Personen, die ihm durch sozialen Rückzug, eine Selbstbezogenheit und ein In-sich-gekehrt-Sein mit immer spärlich werdender Kommunikation aufgefallen waren" (Theunissen 2019, S. 15).
1943/44 beschreiben zwei Kinder- und Jugendpsychiater unabhängig voneinander Krankheitsbilder, die man nach heutigen Erkenntnissen als autistisch bezeichnet: Hans Asperger in Österreich und Leo Kanner in den USA. Sie prägten die Bezeichnungen "Asperger-Syndrom" und "frühkindlicher Autismus". (vgl. ebd., S. 21f. und S. 32f.)
Bei Autismus handelt es sich im Allgemeinen um eine tiefgreifende Entwicklungsstörung des zentralen Nervensystems, insbesondere im Bereich der Wahrnehmung und der sozialen Kommunikation und Interaktion. (vgl. Theunissen 2014, S. 13)
"Unter einer autistischen Störung wird eine umfassende Entwicklungsstörung verstanden, die bereits in den ersten Lebensjahren (vor Ende des 3. Lebensjahrs) manifestiert wird und häufig mit einer geistigen Behinderung verbunden ist. Betroffen ist vor allem der Aufbau sozialer Beziehungen. Allerdings ist auch das Verständnis der Umwelt stark beeinträchtigt" (Klicpera; Gasteiger-Klicpera 2008, S. 36).
Wenngleich Schweregrad und Form sich elementar unterscheiden, teilen sich alle Autisten typische Merkmale und Charakteristika. Alle weisen starke Besonderheiten in der Wahrnehmung auf, reagieren z.B. überempfindlich auf sensorische Reize und auf unerwartete Berührungen. Da sie Schwierigkeiten haben Reize zu filtern, sind sie sehr Anfällig für Reizüberflutungen im visuellen und akustischen Bereich. Für sie ist alles lauter, bunter und intensiver, was zu einem hohen Stresslevel und zu einem sensorischen "Overload" führen kann. Menschen im Autismus-Spektrum zeigen ein atypisches Lernverhalten. Sie nutzen selbstentwickelte Denk- und Lernstrategien. Durch analytisches Denken in Mustern und Bildern können sie hohe Gedächtnisleistungen erzielen. (vgl. Theunissen 2014, S. 18f.)
Es gibt psychiatrische Klassifikationsschemata (ICD-10 und DSM-IV), die eine auffällige Entwicklung in folgenden drei Bereichen (Symptom-Triade) beschreiben:
1) Auffälligkeiten in den wechselseitigen sozialen Interaktionen, d.h. es liegt eine Beeinträchtigung der zwischenmenschlichen Beziehungen vor. Das äußert sich z.B. in fehlendem Blickkontakt, schwach ausgeprägte Mimik und Gestik und fehlenden Emotionen.
2) Auffälligkeiten in der Kommunikation. Sie leiden häufig an einer verzögerten Sprachentwicklung und es fällt ihnen schwer, sich auszudrücken.
3) Ein eingeschränktes Repertoire von Aktivitäten und Interessen, sowie ein Auftreten von stereotypischen Verhaltensmustern, wie beispielsweise Schaukeln mit dem Oberkörper, auf den Füssen wippen oder Fingerbewegungen. Auffällig ist das Zwanghafte Bestehen auf Routine und Rituale. Ihre Interessen sind häufig sehr objektbezogen.
(vgl. Klicpera; Gasteiger-Klicpera 2008, S. 36f.)
Aus fachlicher Perspektive lässt sich Autismus in unterschiedlich starke Ausprägungen klassifizieren. Dennoch distanziert man sich in den letzten beiden Jahrzehnten immer mehr von den klassischen Einteilungen in "frühkindlichen Autismus" und "Asperger-Syndrom". Seit 2013 liegt ein System vor, in dem die beobachteten Merkmale im Rahmen eines Spektrums einsortiert werden. Man spricht heutzutage von einer "Autismus-Spektrums-Störung", die alle Facetten beinhaltet. (vgl. Theunissen 2019, S. 42) "In diesem Sinne wird mit dem Begriff der ASD ein Kontinuum gekennzeichnet, bei dem sich an einem Ende Formen eines frühkindlichen Autismus (Kanner-Syndrom) mit schwerwiegenden kognitiven und mehrfachen Beeinträchtigungen (z.B. schwere geistige Behinderung, Epilepsie und selbstverletzende Verhaltensweisen) befinden. Am anderen Ende liegt das Asperger-Syndrom, bei dem in der Regel keine nennenswerten Verzögerungen der sprachlichen und kognitiven Entwicklung auftreten, eine mindestens durchschnittliche Intelligenz vorliegt und zumeist spezielle "Inselbegabungen" vorhanden sind. [...] Damit gibt es letztendlich keine klaren Grenzen zwischen den verschiedenen Formen eines Autismus [...]" (Theunissen; Schubert 2010, S. 12).
Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass autistische Menschen, wenn auch in unterschiedlichen Ausmaßen, in ihrem autonomen Alltagsverhalten beeinträchtigt werden. (vgl. Theunissen 2019, S. 43). Dennoch sagt Autismus nichts über die individuelle Intelligenz aus. Es gibt sowohl Autisten mit geistigen Behinderungen, als auch Betroffene, denen eine Hochbegabung attestiert wurde. "Im Ergebnis kann davon ausgegangen werden, dass der Anteil an autistischen Personen mit zusätzlichen Lernschwierigkeiten wesentlich geringer ist, als bisher angenommen wurde" (ebd., S. 68). Vor allem Menschen mit dem Asperger-Syndrom, das als milde Form von Autismus gilt, können häufig erstaunliche Leistungen in bestimmten Teilgebieten wie Rechnen, Technik oder auch Musik erbringen und führen Großteils ein selbstbestimmtes Leben, machen Karriere im Beruf oder gründen eine Familie.
2.2 Aus Sicht der Betroffenen
Viele Betroffene wünschen sich , dass Autismus nicht automatisch als eine psychische Krankheit oder Störung betrachtet wird. Sie kritisieren die oft negative und defizitorientierte Sichtweise und Darstellung. So wurden schon einige Autisten im Laufe ihres Lebens stigmatisiert und als "geistig behindert" fehldiagnostiziert . "In diesem Fall werden Betroffene als inkompetent, schwach, hilflos, anweisungs- und betreuungsbedürftig betrachtet" (Theunissen 2019, S. 46). Dabei wird kaum auf ihre Stärken und Begabungen eingegangen. Um ihren besonderen Fähigkeiten gerecht zu werden, wird die Bezeichnung "Autismus-Spektrums-Störung" immer häufiger durch den neutralen Begriff "Autismus-Spektrum" ersetzt. Die meisten Autisten möchten nicht als "behindert" wahrgenommen werden. Vielmehr empfinden sie Autismus als eine "Art des menschlichen Seins", die genauso Anerkennung und Wertschätzung verdient (Diversitätsansatz der UN-BRK). Ihr Ziel ist es, so weit wie möglich ein autonomes Leben zu führen und ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu sein. (vgl. ebd., S. 45ff.)
"Die Art, wie wir anders sind als andere Menschen, zu pathologisieren, empfinden wir als Diskriminierung ... Wir wehren uns dagegen, dass Autismus nur über Defizite definiert wird" (Aspies e.V. 2008 zitiert nach Theunissen 2014, S. 14).
Autisten betrachten sich immer mehr als "Experten in eigener Sache". Sie schließen sich zu Selbstvertretungsgruppen zusammen und machen sich gemeinsam stark für ihre Rechte. Die Fachwelt spricht von einer Empowerment-Bewegung. Empowerment steht für Autonomie und Partizipation. (vgl. Theunissen 2019, S. 128)
2.3 Was meint herausforderndes Verhalten?
Der Begriff stammt aus dem Englischen "challenging behaviors" und bezeichnet ein auffälliges und problematisches Verhalten. (vgl. Theunissen 2019, S. 81) Die große Herausforderung für die Umwelt liegt darin, auf dieses Verhalten angemessen zu reagieren. Das kann man aber nur, wenn man sich mit den Verhaltensweisen und Bedürfnissen von autistischen Menschen auseinander setzt.
Elementar für autistische Menschen ist das Bedürfnis nach Beständigkeit, Routine und Ordnung. Störungen im Ablauf aller Art führen zu starker innerer Anspannung. Bereits die Tatsache, dass es nicht das gleich Frühstück gibt wie immer, kann sie vollkommen aus dem Konzept bringen und Stress erzeugen. (vgl. ebd., S. 79 ) "Nicht selten kommt es dabei zu herausforderndem Verhalten wie Wutanfälle, Schreien, Wegrennen oder sich selbst mit der Faust oder am Kopf schlagen. Typisch ist eine mangelnde emotionale Impulskontrolle [...]" (ebd., S. 54). Herausforderndes Verhalten meint aber nicht automatisch ein aggressives Verhalten, wie emotionalen Kontrollverlust und Zerstörung von Dingen, sondern kann auch durch sozialen Rückzug, Apathie und Kontaktverweigerung gekennzeichnet sein. Die Fachwelt unterscheiden somit zwei Arten von herausforderndem Verhalten: externalisierende Verhaltensauffälligkeiten und internalisierendes Problemverhalten. (vgl. ebd., S. 85)
Sowohl die Erstbeschreibung von Hans Asperger, als auch die psychiatrische Sichtweise geht davon aus, dass autistisches Verhalten und das daraus resultierende herausfordernde Verhalten für die Betroffenen kaum regulierbar und steuerbar ist. Sie sprechen von "neuropsychologischen Defiziten" wie beispielsweise "kognitive Rigidität". Diese geistige Unbeweglichkeit erschwert es den Betroffenen, sich auf neue Situationen einzustellen. Sie brauchen Routine und gleichbleibende Abläufe. Meistens sind sie sehr penibel was Ordnung und Pünktlichkeit angeht. Störungen führen deshalb zu Chaos im Gehirn und begünstigen auffällige Verhaltensweisen. (vgl. ebd., S. 79f.)
Theunissen (2019) geht mit dem neuropsychologischen Erklärungsansatz nicht ganz konform. Er kritisiert, dass diese Verhaltensauffälligkeiten unmittelbar als ein Symptom von Autismus oder als geistige Störung verstanden werden . "Vielmehr sollte es als Ausdruck eines "gestörten Verhältnisses" im Sinne einer "gestörten Wechselbeziehung" zwischen Individuum und Umwelt verstanden werden" (ebd., S. 83). Er stellt die Erwartungshaltungen und die engstirnige Denkweise unserer Gesellschaft in Frage. "Es wird so getan, als ob Verhaltensauffälligkeiten objektive Tatbestände seien. In Wirklichkeit aber handelt es sich immer um eine Zuschreibung, die vom Normalitätsverständnis, von der Toleranz wie auch vom Erleben (z.B. Hilflosigkeit, Ohnmacht) und der Handlungskompetenz der beurteilenden Person abhängig ist" (ebd., S. 84).
Klar ist, erlebt eine betroffene Person durch einen Stress- oder Angstauslöser, das kann aus Sicht von Nicht-Autisten etwas ganz Banales sein, ihr Verhältnis zur Umwelt als "gestört", versucht sie durch ihr Verhalten sich selbst zu regulieren und zu entspannen. Herausforderndes Verhalten hat somit einen "funktionalen" Charakter und ist für die Betroffenen eine wichtige Bewältigungsstrategie. (vgl. ebd., S. 84f.) Ob dieses Bewältigungs-management als herausforderndes Problemverhalten eingestuft wird oder Akzeptanz und Verständnis findet, hängt ausschließlich von der subjektiven Einstellung der Mitmenschen ab. (vgl. ebd., S. 89) Theunissen unterstützt die These des Autismusexperten Barry Prizant, der die autistischen Verhaltensweisen ebenfalls nicht als Defizit betrachtet, sondern als Strategie zur Selbstregulierung. (vgl. ebd., S. 92).
[...]