Einleitung
Kategorisierungen und Definitionen des Expressionismus gibt es viele: Angefangen bei der schlichten Einordnung als literaturhistorische Epoche, über das Herausdifferenzieren verschiedener inhaltlicher und stilistischer Wesensmerkmale, bis hin zur Charakterisierung als abstrakte, undefinierbare Bewegung, deren Programmatik zutiefst heterogen und ambivalent ist. Ziel dieser Arbeit ist es, die Definitionsversuche um einen wichtigen Punkt zu erweitern, bzw. einen kleinsten gemeinsamen Nenner innerhalb der expressionistischen Literatur zu finden, der als allgemeingültiges Definitionsmerkmal auf sämtliche literarischen Produkte dieser „Epoche“ angewandt werden kann. Dieses gemeinsame Merkmal, das dem Expressionismus trotz seiner Heterogenität die Möglichkeit einer geschlossenen Definition und Begriffsbestimmung geben könnte, soll als metaphysisches Moment charakterisiert werden, das durch die Umsetzung eines Ästhetitiserungspostulates den Expressionismus sowohl von vorangehenden literarischen und philosophischen Epochen abhebt, als auch von anderen metaphysischen Modellen dieser Zeit. Mit seiner Forderung nach einer Ästhetisierung des Lebens und der künstlerischen Umsetzung dieses Postulates soll der Expressionismus damit v.a. als philosophische bzw. weltanschauliche Bewegung charakterisiert werden, deren Ziele nicht nur durch die Kunst erreicht werden, sondern auch in der Kunst selbst liegen. Daher wird auch nicht nur an spezifischen Quellen (insbes. Der Lyrik) gearbeitet, sondern zur Untersuchung der Fragestellung auch und insbesondere auf den Expressionismus in seiner Gesamtheit betrachtende Arbeiten zurückgegriffen werden (u.a. Vietta), sowie auf philosophische Schriften, die sich mit der Thematik „metaphysische Ästhetik“ und Metaphysik des frühen 20. Jahrhunderts im Allgemeinen befassen. Dabei wird insbesondere ein kritischer Blick auf allgemein anerkannte und vielfach zitierte Arbeiten zu dem Thema geworfen, die sich fast immer in direktem Bezug auf Vietta gegen eine Subsumierung verschiedener Erscheinungen zu einem einheitlichen Gesamtbild „Expressionismus“ stellen. Auch wenn die Beantwortung der Fragestellung somit bereits durch die Herangehensweise vorgegeben zu sein scheint, erhebt diese Arbeit keinen Anspruch auf eine Definitionshoheit des Expressionismus. Vielmehr soll anhand der problematischen Schnittstelle von literarisch, ästhetischer Reflektion und Weltanschauung bzw. von Literaturwissenschaft und Philosophie ein alternativer Erläuterungsweg gesucht werden, der den Expressionismus nicht nur literarisch, sondern auch philosophisch in den Epochenkontext einordnet. Das Ziel der Arbeit liegt somit darin, die expressionistische Generation von einer rein literaturhistorischen Betrachtungsweise zu befreien, und andere Möglichkeiten der Einordnung und Klassifizierung dieser Epoche aufzuzeigen. Daher wird aufbauend auf allgemeinen Kriterien der Zeit (metaphysische Krise, metaphysische Systeme) der Expressionismus in dieser positioniert, sowohl als Weltanschauung, die in ihrer Motivation, der Suche nach einer Lösung moderner Probleme in einem Spannungsverhältnis zu anderen sinngebenden Systemen steht, als auch als ästhetisches Modell, der über den künstlerischen Anspruch hinaus eine gesamtgesellschaftliche und philosophische Dimension immanent ist.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- 1. Die metaphysische Krise in der Moderne
- 2. Reaktionen auf die metaphysische Krise
- 3. Die Metaphysik des Expressionismus
- 3.1 Von der Romantik bis Nietzsche: Metaphysische Einflüsse des Expressionismus
- 3.2 Wesentliche Charakterisierungselemente des Expressionismus als metaphysische Bewegung.
- 3.2.1 Ich-Dissoziation & elitärer Separatismus
- 3.2.2 Künstlergruppierungen und Subkulturbildung.
- 3.2.3 Vitalismus und Aktionismus
- 3.2.4 Mystifizierung der Wirklichkeit
- 3.3 Das metaphysische Fundament des Expressionismus: Ästhetisierung des Lebens
- 4. Homogenität trotz Heterogenität? Begriffsbestimmung des Expressionismus als metaphysische Weltanschauung.
- 5. Expressionistische Metaphysik als Totalitarismus?
- Schlussbetrachtung: Der Expressionismus im Focus der Postmoderne
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Expressionismus als metaphysischer Weltanschauung. Sie untersucht, wie die künstlerische Bewegung im Kontext der metaphysischen Krise der Moderne entstanden ist und welche Merkmale sie als ästhetisches Modell auszeichnen. Das Hauptziel ist es, den Expressionismus von einer rein literaturhistorischen Betrachtungsweise zu befreien und alternative Einordnungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
- Metaphysische Krise in der Moderne
- Reaktionen auf die metaphysische Krise
- Metaphysische Einflüsse des Expressionismus
- Charakterisierungselemente des Expressionismus als metaphysische Bewegung
- Expressionismus als ästhetisches Modell
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung präsentiert verschiedene Definitionen und Kategorisierungen des Expressionismus und stellt die Fragestellung der Arbeit vor. Sie konzentriert sich auf die metaphysische Dimension des Expressionismus und argumentiert, dass dieser durch die Umsetzung eines Ästhetitiserungspostulates charakterisiert werden kann.
Kapitel 1 beleuchtet die metaphysische Krise der Moderne, die durch die Aufklärung, die Industrialisierung und die Säkularisierung ausgelöst wurde. Das Kapitel zeigt auf, wie diese Krise zu einem Verlust an Vertrautheit und Gewissheiten führte und den Menschen in eine neue Welt voller Unsicherheit und Zweifel stürzte.
Kapitel 2 untersucht die Reaktionen auf die metaphysische Krise. Es zeigt, wie verschiedene Denker, Künstler und Bewegungen versuchten, mit der neuen Situation umzugehen. Insbesondere wird auf die Entstehung neuer Weltanschauungen und ästhetischer Modelle eingegangen.
Kapitel 3 fokussiert auf die Metaphysik des Expressionismus. Es analysiert die metaphysischen Einflüsse, die den Expressionismus prägten, sowie die wesentlichen Charakterisierungselemente der Bewegung. Das Kapitel beleuchtet die Aspekte Ich-Dissoziation, elitärer Separatismus, Vitalismus, Aktionismus und Mystifizierung der Wirklichkeit. Schließlich geht es auf die Ästhetisierung des Lebens als metaphysisches Fundament des Expressionismus ein.
Kapitel 4 beschäftigt sich mit der Frage, ob der Expressionismus trotz seiner Heterogenität als einheitliche Weltanschauung definiert werden kann. Es untersucht die Begriffsbestimmung des Expressionismus und argumentiert, dass die Ästhetisierung des Lebens als verbindendes Element angesehen werden kann.
Kapitel 5 befasst sich mit der Frage, ob die expressionistische Metaphysik als totalitäres System interpretiert werden kann. Es analysiert die Gefahren und Risiken, die mit einer ästhetischen Revolution verbunden sind.
Schlüsselwörter
Expressionismus, Metaphysik, Moderne, Ästhetisierung, Weltanschauung, Krise, Vitalismus, Aktionismus, Mystifizierung, Ich-Dissoziation, Künstlergruppierungen, Subkultur, Literaturgeschichte, Philosophie, Kunst
- Quote paper
- Florian Bayer (Author), 2006, Diktatur des Zeichens?, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/93523