Die Hausarbeit beschäftigt sich mit dem modernen Mittleren Osten und dem Dreißigjährigen Krieg. Dabei setzt sie sich mit der Frage auseinander, ob Prinzipien des Westfälischen Friedens von 1648 zur Lösung der gegenwärtigen gewalttätigen Auseinandersetzungen, mit Fokus auf Syrien und dem Irak, beitragen können.
Das bedeutet im Detail, ob das damalige Friedensabkommen als Gerüst zur Neuordnung der Region geeignet ist, um dem dort stattfindenden Staatenzerfall und der gesellschaftlichen Radikalisierung entgegenzuwirken, so wie der Westfälische Frieden den Dreißigjährigen Krieg zwischen Protestanten und Katholiken beendete.
Die kriegerischen Auseinandersetzungen im Irak und Syrien werden von historischen Konflikten zwischen zahlreichen Ethnien und Konfessionen getragen. Hinzu kommen moderne, geopolitische Interessen, die die alten Rivalitäten befeuern. Immer wieder werden von Beobachtern Parallelen zum Dreißigjährigen Krieg gezogen. Dieser wurde 1648 vom Westfälischen Frieden gelöst, nachdem er Europa jahrzehntelang verwüstete. Die Hausarbeit setzt sich mit der Frage auseinander, ähnliche Lösungsansätze den modernen Konflikt im Mittleren Osten beilegen könnten.
Zunächst wird erläutert, warum ein Vergleich des modernen Mittleren Ostens mit dem Europa des 17. Jahrhunderts überhaupt zutreffend ist, um grundsätzliche Voraussetzungen für das Friedenskonzept aufzuzeichnen. Einen großen Teil der Hausarbeit soll daher die Parallelen zwischen dem Dreißigjährigen Krieg und den Auseinandersetzungen im Mittleren Osten darstellen.
Inhalt
1 Einleitung
2 Forschungsstand und alternative Deutung des Westfälischen Friedens
3 Historische Einordnung des Kernproblems
3.1 Dreißigjährige Krieg
3.2 Mittlerer Osten
3.3 Universeller Anspruch der Religion als Friedenshindernis?
4 Religionskriege: Geht es um Glauben oder Geopolitik?
4.1 Konfessionalismus und Sektierertum
4.2 Das komplexe Netz aus Großmächten und regionalen Kräften
4.3 Geopolitik als Katalysator für religiöse Konflikte
5 Zwischenergebnis: Interessensüberschneidungen
6 Die Friedensordnung
6.1 Motive für Friedensbereitschaft
6.2 Weshalb scheiterten bisherige Friedensbemühungen?
6.3 Erfolgskonzept des Westfälischen Friedens
7 Fazit
8 Literatur
1 Einleitung
Die Hausarbeit beschäftigt sich mit dem modernen Mittleren Osten und dem Dreißigjährigen Krieg. Dabei setzt sie sich mit der Frage auseinander, ob Prinzipien des Westfälischen Friedens von 1648 zur Lösung der gegenwärtigen gewalttätigen Auseinandersetzungen, mit Fokus auf Syrien und dem Irak, beitragen können. Das bedeutet im Detail, ob das damalige Friedensabkommen als Gerüst zur Neuordnung der Region geeignet ist, um dem dort stattfindenden Staatenzerfall und der gesellschaftlichen Radikalisierung entgegenzuwirken, so wie der Westfälische Frieden den Dreißigjährigen Krieg zwischen Protestanten und Katholiken beendete.
Seit Dezember 2019 sollen, bedingt durch die Kämpfe in Syrien, 800.000 Menschen, davon sogar 60% Kinder, vertrieben worden sein (vgl. unocha.org 2020). Caritas International bezeichnet den Krieg in Syrien als „die größte humanitäre Katastrophe unserer Zeit“ (Caritas International). Seit den Anschlägen am 11. September 2001 wurde das Verhältnis zwischen der islamischen Welt und dem Westen neu geordnet. Dabei ist sowohl in der amerikanischen als auch europäischen Außenpolitik eine deutliche Kehrtwende mit einem stärkeren Fokus auf die „Bekämpfung des internationalen Terrorismus“ (Hacke 2004, S. 46) festzustellen. Außerdem wurde die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem islamischen Fundamentalismus intensiver (vgl. Röther 2019, S. 18). Spätestens durch Fluchtbewegungen vor Krieg oder Repressalien in der islamisch geprägten Welt wird deutlich, dass das Geschehen im Mittleren Osten Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Europa hat und deshalb der Westen gegenüber diesen Frage nicht gleichgültig sein kann. Auch „die Existenz weltumspannender terroristischer Netzwerke […] als eine der offensichtlichen Bedrohungen nicht nur der internationalen, sondern auch der individuellen Sicherheit“ (Siedschlag S. 64), zwingt Europa zu einer grundsätzlichen Debatte wie Stabilität und Frieden im Mittleren Osten gefördert werden kann.
Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit einem der nachhaltigsten Friedensprojekte in der europäischen Geschichte. Der Dreißigjährige Krieg und die Gewalt im Irak und in Syrien waren geprägt von zunehmender Radikalisierung und zahlreichen humanitären Katastrophen wie Vertreibungen und mangelhafter Versorgung. Da sich bisher kein Lösungsansatz für den Mittleren Osten als ergebnisreich erwiesen hat, ist die Fragestellung für die Konfliktforschung von großer Bedeutung. Zunächst wird erläutert, warum ein Vergleich des modernen Mittleren Ostens mit dem Europa des 17. Jahrhunderts überhaupt zutreffend ist, um grundsätzliche Voraussetzungen für das Friedenskonzept aufzuzeichnen. Einen großen Teil der Hausarbeit soll daher die Parallelen zwischen dem Dreißigjährigen Krieg und den Auseinandersetzungen im Mittleren Osten darstellen. Nur mit dieser Grundlage können Lösungsansätze zur Beendigung dieser Kriege diskutiert werden. Dabei wird zum einen erläutert, weshalb bisherige Friedensbemühungen im modernen Mittleren Osten gescheitert sind. Darauf aufbauend wird gezeigt, welche Elemente die Verhandlungen bis 1648 zum Erfolg führten. In dieser Hausarbeit fokussiere ich mich als externe Großmächte auf die Russische Föderation und die Westlichen Länder, insbesondere die Vereinigten Staaten von Amerika. Die hier zu behandelnden externen regionalen Mächte wären die Islamische Republik Iran, die Türkei, Saudi-Arabien und Katar. Der Grund für die Selektion der regionalen Akteure ist, dass diese Staaten sowohl strategisch als auch ideologisch in der Materie involviert sind, wie es die Hausarbeit verdeutlichen wird. Der arabisch-israelische Konflikt soll dabei ganz bewusst ausgeklammert werden, weil die Komplexität des jüdischen Staates und die Beziehungen zu seinen Nachbarn zunächst eine eigene Analyse benötigen würden, aber nicht die Richtung der Hausarbeit grundsätzlich ändern würde.
Der Begriff Mittlerer Osten orientiert sich in dieser Hausarbeit an der englischen Definition Middle East die im Deutschen der Bedeutung des Nahen Ostens samt Iran und teils Ägypten miteinschließt (vgl. Cook/Stevenson 2018, S. 426). Da die hier verwendeten Quellen zum „Nahen Osten“ fast ausschließlich Englisch sind, vereinfacht eine vereinheitlichte Sprache den Vergleich.
2 Forschungsstand und alternative Deutung des Westfälischen Friedens
Die interkonfessionelle Gewalt im Mittleren Osten wird mittlerweile von vielen Experten und Politiker mit dem Dreißigjährigen Krieg verglichen. So appellierte Frank Walter Steinmeier, damals Außenminister, in einer Rede zu den Osnabrücker Friedensgesprächen 2016, sich an den Prinzipien des Westfälischen Friedens zu orientieren, um die Probleme in Syrien und im Irak zu behandeln (vgl. Auswärtiges Amt 2016). Eine weitverbreitete, fast unumstrittene These besagt, dass der Westfälische Frieden das moderne System souveräner, gleichberechtigter Staaten geschaffen hätte. Hans Morgenthau, Begründer der realistischen Schule der internationalen Beziehungen, sieht den Westfälischen Frieden als Grundlage für das internationale System (vgl. Morgenthau 1961, S. 277). Auch Henry Kissinger, einer der bedeutsamsten Architekten der amerikanischen Außenpolitik und ebenso Vertreter des Realismus, bestätigt diese Ansicht (vgl. Kissinger 2015, S. 6). Doch war die sogenannte Westfälische Souveränität tatsächlich die Innovation des Friedens?
Das moderne, europäische Staatensystem wurde schon 1916 mit dem Sykes-Picot-Abkommen im Mittleren Osten implementiert. Von Beobachtern wird dabei häufig kritisiert, diese Grenzziehungen hätten konfessionelle und historische Wurzeln missachtet. Dieses Abkommen sei ein kolonialistisches Diktat gewesen und an den konfessionellen Konflikten in der Region schuld (vgl. Wright 2016), so häufig der Vorwurf. Diese Grenzen waren in der Tat von Großbritannien und Frankreich angeordnet (vgl. Fitzgerald 1994, S. 698) und kein Ergebnis multilateraler Verhandlungen mit hiesigen Vertretern. Selbst Frank Walter Steinmeier hinterfragte den einseitigen Souveränitätsgedanken in seiner zu Anfang erwähnten Rede: „Bei näherem Hinsehen erkennen wir aber daneben ein spannendes Geflecht von Mechanismen, die im Interesse des Friedens die Souveränität derselben Fürsten einschränken“ (Auswärtiges Amt 2016). Ein Friedenskonzept, welches allein um Souveränität bemüht ist, wäre demnach ungeeignet, da das europäische Staatensystem im Mittleren Osten bereits etabliert wurde. Das moderne System wurde adaptiert und ist scheinbar mit dem Staatenzerfall im Irak und in Syrien als Friedenslösung gescheitert (vgl. Milton et al. S. 10, 2018).
Ein ebenso wichtiges Prinzip der realistischen Denkschule ist die Einschränkung universeller Moral in der internationalen Politik: „Realism maintains that universal moral principles cannot be applied to the actions of states in their abstract universal formulation […]” (Morgenthau, S. 10). Tatsächlich war dieser Punkt, wie im sechsten Kapitel aufgezeigt, wesentlich für das Westfälische System. Dies gilt nicht nur für den Friedensvertrag allein, sondern für den Stil wie Konfliktbeilegung verhandelt wurde.
3 Historische Einordnung des Kernproblems
Diese Hausarbeit soll nicht im Detail die Geschehnisse und die Ursachen des Dreißigjährigen Krieges und der Gewalt im Mittleren Osten rekonstruieren. Aber die Übersicht soll für die Komplexität des Themas einen Rahmen schaffen, um die Probleme übersichtlich einzugrenzen. Die zusammenfassende Darstellung der Konfliktlagen soll auch einen Überblick über die Multidimensionalität der Auseinandersetzungen geben.
3.1 Dreißigjährige Krieg
Gemeinhin nimmt man den Dreißigjährigen Krieg als Religionskrieg zwischen Protestanten und Katholiken wahr. Der Augustinermönch Martin Luther löste mit den 95 Thesen gegen die katholische Kirche und ihren praktizierten Ablasshandel die Reformation und damit ungewollt die Spaltung der Kirche aus. Als Antwort auf ihren drohenden Machtverlust unternahm die Katholische Kirche die Gegenreformation. Diese Teilung in Katholiken, Lutheraner, Calvinisten und weiteren protestantischen Sekten der einst universellen Kirche hatte eine geopolitische Komponente, da die Konfliktlinie zwischen der Reformation und der Alleinstellung der katholischen Kirche auch zwischen den Ländern in Europa und den Reichsständen im Heiligen Römischen Reich verlief (vgl. Gorski 2003, S. 79). Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation war gespalten und um sich für einen Krieg vorzubereiten, gründeten Reichsstände 1608 die Protestantische Union als Militärbündnis, ein Jahr später wurde als Antwort darauf die Katholische Liga gegründet. Zwar gestattete der Majestätsbrief Kaiser Rudolfs II. die Religionsfreiheit für Protestanten in Böhmen. Das evangelisch-katholische Verhältnis wurde mit dem einberufenen Reichstag 1613 trotzdem weiter angespannt, da sich die katholischen Stände mit ihrer Mehrheit in vielen relevanten – auch konfessionellen – Belangen durch setzten (vgl. Schmidt 2018, S. 26).
Im Jahre 1617 wurde Erzherzog Ferdinand, Anhänger der Gegenreformation, schließlich zum König von Böhmen gewählt. Zwei Jahre später sollte er zusätzlich zum Kaiser des gesamten Reiches werden. Durch die Maßnahmen zur Rekatholisierung Böhmens wurde der Krieg fast unumkehrbar gemacht. Die Protestanten warfen der katholischen Seite vor, den Majestätsbrief zu verletzen. Mit dem Pragerfenstersturz und der Absetzung Ferdinands 1618 begann der Ständeaufstand in Böhmen gegen die katholischen Habsburger. Für ein Jahr regierte Böhmen der calvinistische Kurfürst der Pfalz Friedrich V. Der Fenstersturz wurde als Kriegserklärung gesehen. Ein Jahr darauf besiegte die katholische Liga den böhmischen Aufstand.
Doch der niedergeschlagene protestantische Widerstand regte sich wieder, als Ferdinand II. 1629 das Restitutionsedikt, einer katholischen Interpretation des Augsburger Religionsfriedens von 1555 (vgl. Milton et al. S. 53, 2018), erließ. Ferdinand II. forderte 1629 im Restitutionsedikt den geistlichen Besitzstand von 1552. Das heißt, alle Besitztümer die bis dato protestantisch wurden, sollten wieder katholisch werden, was der katholischen Interpretation des Augsburger Religionsfriedens entsprach (vgl. Milton et al. S. 53, 2018). Der niedergeschlagene, protestantische Widerstand regte sich wieder. Das Jahr darauf intervenierte das protestantische Schweden in den Konflikt gegen die katholischen Habsburger im Deutschen Reich. Verbündet war er dabei mit dem katholischen Frankreich, dieser konfessionelle Widerspruch wird im vierten Kapitel erklärt. Der Prager Frieden von 1635 beendete nicht den Dreißigjährigen Krieg, da dieser zwischen dem Kaiserreich und den protestantischen Reichsständen, nicht aber mit Schweden geschlossen wurde. Der Krieg wurde insgesamt sogar blutiger mit dem Eintritt Frankreichs, sodass Schweden zwar von den protestantischen Reichständen isoliert war, aber bedeutsame Unterstützung bekam. Ab 1643 begannen die Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück zwischen Frankreich, Deutschland und Schweden. Der Dreißigjährige Krieg wurde anschließend 1648 mit zwei Verträgen beendet: Dem Instrumentum Pacis Monasteriensis und Instrumentum Pacis Osnabrugensis.
3.2 Mittlerer Osten
Der Mittlere Osten wird zum einen mit dem Israelisch-Arabischen Konflikt assoziiert und zum anderen mit dem Dualismus zwischen Sunniten und Schiiten - Ein Erbfolgestreit der auf den Tod des, als Propheten verehrten, Mohammeds zurückgeht und die Islamische Gemeinschaft Umma entzweite. Welches wie eine Detailfrage erscheint, hat seit etwa 1.500 einen starken Einfluss auf die geopolitischen Rivalitäten der islamischen Länder (Vgl. 4.1). Spätestens seit dem 11. September 2001 befindet sich der der Westen in einem Spannungsfeld, einerseits das Problem des radikalen Islamismus anzugehen, gleichzeitig verstärkt mit islamischen Ländern zu kooperieren, die tendenziell eine konservative Interpretation des Islams vertreten. Nach den Anschlägen folgten von den USA Angriffe auf Saddam Husseins Regime im Irak und dem Taliban-Regime in Afghanistan. Der Einsatz im Irak erschütterte die Glaubwürdigkeit der Amerikaner. Nicht nur weil er auf falschen Beweggründen beruhte (vornehmlich Massenvernichtungswaffen), sondern auch für die Konsequenzen im Irak selbst, wird George W. Bush bis heute kritisiert (vgl. Masala 2018, S. 46). Im Irak bildeten sich schnell Unruhen. Ehemalige Regimeanhänger formierten Widerstände gegen die amerikanisch-britische Besatzung und gingen teils später in radikal-sunnitischen Gruppierungen auf (vgl. International Crisis Group 2013, S. 23). Selbst schiitische Milizen, die Mehrheit des Iraks und vorher unter Saddam unterdrückt, sahen die „Koalition der Willigen“ nicht als Befreier, sondern näherten sich dem Iran an und bekämpften ebenso die amerikanischen und britischen Truppen (Wicken 2013 S. 9). Interkonfessionelle Konflikte entflammten, und die Feindschaft zwischen Sunniten und Schiiten im Irak wurden entfesselt.
Der Arabische Frühling begann ab 2010 mit mehreren Protesten, später Rebellionen gegen zahlreiche Regime im Mittleren Osten und Nordafrika. Menschen lehnten sich gegen autoritäre Staaten auf. Der Westen solidarisierte sich sehr früh mit ihnen und forderte unter anderem den syrischen Präsidenten Bashar Al-Assad zum Rücktritt auf (vgl. McGreal/Chulov 2011). In Libyen wurde 2011 sogar militärisch interveniert. Diese Rebellionen führten in vielen Ländern jedoch weniger zur Einigung, sondern entfesselten mehr konfessionelle Konflikte. In Syrien kämpften radikalisierte Sunniten gegen regierungstreue Schiiten und gegen die herrschenden Alawiten. Außerdem intervenierten die Russische Föderation und der Iran, um das Assad-Regime gegen die Rebellen zu unterstützen. Von westlicher Seite wurde dagegen die sogenannte Responsibility to Protect angeführt, die militärische Schläge und Interventionen rechtfertigte, um Verletzungen gegen das Völkerrecht zu ahnden (vgl. Brockmeier 2015 et al; Nahlawi 2016). Die schiitisch-fundamentalistische Hisbollah aus dem Libanon stand Assad und den Iranern in Syrien zur Seite. Assads Konfession, die Alawiten, stehen den Schiiten historisch deutlich näher als den Sunniten. Zwar radikalisierte sich die Opposition in Syrien, aber auch äußere Einflüsse verstärkten radikale Elemente des Widerstands, so unterstützte Katar, als Gegengewicht zum iranisch-libanesischen Einfluss, sunnitische Jihadisten (vgl. Başkan 2016, S. 93). Spätestens ab 2014 konnte man den syrischen Bürgerkrieg und die Unruhen im Irak als einen Komplex betrachten, da die Grenze zwischen dem Irak und Syrien vom sogenannten Islamischen Staat IS aufgelöst wurde und Gebiete von der Terrorgruppe annektiert wurden. Kritiker sagen, ohne die Intervention im Irak 2003, wäre das Saddam-Regime zumindest stark genug gewesen, den Staatenzerfall zu verhindern, was die Entstehung des IS erschwert hätte (vgl. Chulov 2015). Von solchen Beobachtern werden die Menschenrechtsverletzungen der Baath-Herrschaft im Irak nicht verleugnet, aber gegenüber den grausamen Verbrechen im Islamischen Staat relativiert (vgl. Chulov 2015). Mit dem Zerfall des syrischen und irakischen Staates wurden auch nationalistische Sezessionsbestrebungen der Kurden gestärkt - einmal im Norden Syriens durch die YPG-Miliz und auch im irakischen Kurdistan unter Führung des Barzani Clans.
3.3 Universeller Anspruch der Religion als Friedenshindernis?
Die muslimische Welt ist mit der nichtmuslimischen Welt auf vielfältige Weise vernetzt. Zwischen dem Westen und mehrheitlich islamischen Ländern wird auf wirtschaftlicher und strategischer Ebene zusammen gearbeitet. Gleichzeitig sind in vielen islamischen Ländern, trotz zunehmender Modernisierung, anachronistisch erscheinende Weltbilder verbreitet (vgl. Pew Research Center 2013; Pew Research Center 2015). Islam gegen Christentum, Arabischer Nationalismus gegen Zionismus, westlicher Hedonismus gegen islamischen Pietismus oder innerislamische Konflikte sind prägende Dualismen, die Zündstoff für gesellschaftliche Kollisionen bieten. Milizen von Minderheiten kämpfen insbesondere im Libanon, Syrien und Irak um ihr Überleben und in der ganzen islamischen Welt entstehen radikal-islamistische Terrorgruppen. Das konfessionalistische Problem ist daher nicht zu verleugnen.
Häufig wird der innerislamische Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten mit dem Antagonismus der evangelischen und katholischen Kirche in Europa des 17. Jahrhunderts verglichen.
Wenn eine Gruppe den Anspruch erhebt, die universelle Wahrheit zu besitzen und glaubt, diese durchsetzen zu müssen, wird die Gruppe zum Expansionismus neigen, da sie automatisch einen unstillbaren Führungsanspruch erhebt. Diese Ansprüche gehen so weit, dass sie Staaten zu Fall bringen können, wie man an der Krise im Irak und in Syrien erkennt. Wie können dann die Prinzipien der Souveränität und Nichteinmischung, die vielfach mit dem Westfälischen Frieden in Verbindung gebracht werden, in einer Region implementiert werden, die von Ideologien universeller Ansprüche geprägt ist? Im Folgenden soll erklärt werden, weshalb weder die Fehden im Mittleren Osten noch der Dreißigjährige Krieg auf die konfessionellen Differenzen reduziert werden können. Dabei werden geopolitische und diplomatische Gründe aufgezeigt.
4 Religionskriege: Geht es um Glauben oder Geopolitik?
Sowohl der Dreißigjährige Krieg als auch die Auseinandersetzungen im Mittleren Osten begegnen uns vordergründig als Religionskriege. Die zuvor dargestellten Konfliktlagen zeigen aber eine sehr starke geopolitische Komponente mit verhärteten Macht- und Gebietsansprüchen. Deren Einfluss auf eine Friedenslösung muss also beleuchtet werden.
4.1 Konfessionalismus und Sektierertum
Mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 wurden die konfessionellen Auseinandersetzungen nicht gelöst. Der Calvinismus blieb weiterhin ausgeschlossen und nicht anerkannt. Diese Uneinigkeit schwächte auch die Protestantische Union im Böhmisch-pfälzischen Krieg. Ein Umstand der sich mit den innersunnitischen Rivalitäten, die im nächsten Unterkapitel thematisiert werden, vergleichen lässt. Gustav II. Adolf aus Schweden intervenierte 1630 einerseits, um seine Hegemonie an der Nordsee auszuweiten, doch vor allem um als protestantische Nation die katholischen Vorherrschaft durch die Habsburger im Deutschen Reich zu unterminieren (vgl. Höfer 1998, S. 11). Ferner versuchten weiterhin die katholischen Habsburger mit ihrer Interpretation des Religionsfriedens die Protestanten politisch zu dominieren. Dies zeigte sich auch im Reichstag 1613, als die katholische Mehrheit die Protestanten überstimmte. Vergleicht man die Situation mit dem Irak nach 2003, erkennt man, dass die gleichen Fehler im Mittleren Osten begannen wurden. Nouri Al Maliki, bis 2014 der Premierminister des Iraks, führte gezielt eine Politik gegen die Sunniten und baute einen konfessionalistischen Staat für schiitische Muslime auf. Zuvor war der Staat unter Saddam Hussein und der Baathpartei sektiererisch für die Sunniten ausgerichtet und schloss Schiiten politisch aus (vgl. International Crisis Group 2013, S. 4). Dennoch kann man Malikis Politik nicht als einfältigen Racheakt interpretieren. Vielmehr veranlasst das Misstrauen einer Konfession durch die Herrschaft einer anderen Konfession, ihre eigenen Interessen zu sichern. Aus Angst vor einer erneuten Unterdrückung, versucht man die Volksgruppe seiner ehemaligen Despoten politisch zu entmachten. Zur Stärkung gegen sunnitische Einflüsse sind der neuen irakischen Regierung Unterstützung aus dem Iran, aus nachvollziehbaren Gründen, willkommen.
Sehr ähnlich verhält es sich derzeit mit den syrischen Alawiten, die durch die Märzrevolution 1963 politisch aufsteigen konnten (vgl. Bawey 2016, S. 26). Bis dahin wurden sie von der sunnitischen Mehrheit Syriens politisch ausgegrenzt und gesellschaftlich diskriminiert. Die derzeitige Situation ist genau umgekehrt und die Mehrheitskonfession der Sunniten erfährt strukturelle Ausgrenzung (vgl. Van Dam 2017, S 61). Nachdem der damalige syrische Präsident Amin al-Hafiz vom General Salah Jadid im Februar 1966 gestürzt wurde, nahm die exklusive Politik für die Alawiten zu. Hafiz und Jadid gehörten zwar zur selben Partei, nämlich der säkular-nationalistischen Baath-Partei. Hafiz war jedoch Sunnit, Jadid dagegen ein Alawit. Beide standen ursprünglich für Säkularismus und gegen konfessionell-orientierte Politik. Die unterschiedlichen Religionen sorgten dennoch für gegenseitiges Misstrauen. Jadids Putsch, auch Harakat 23 Shubat (23. Februar Bewegung) genannt, wurde zudem von weiteren religiösen Minderheiten, wie den Drusen, unterstützt. Auf politischer Ebene führte dies zu konfessionellen Säuberungsaktionen im Militär, sodass weniger Sunniten und mehr Drusen, Christen und Alawiten auf Führungsebenen repräsentiert wurden (vgl. Van Dam 2017, S. 35). Das obwohl die Putschisten von 1966 mit den Geputschten drei Jahre zuvor zusammen die Macht erkämpft hatten. Die Alawiten befürchten noch heute, mit einer Machtübernahme der sunnitischen Mehrheitsreligion würde es ihnen wie vor der Märzrevolution ergehen. Die Ironie ist, dass die alawitische Elite Syriens aus Angst vor konfessioneller Benachteiligung durch die Mehrheit, selber eine Politik der Ausgrenzung betreibt.
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