In dieser Arbeit geht es um die Diversität in der Suchtkrankenhilfe. Nur die zwei Begriffe, Diversität und Suchtkrankenhilfe und schon offenbart sich eine nahezu unübersehbare Masse an Kategorien Aspekten und vor allem Ambivalenzen, die in dieser Hausarbeit berücksichtigt werden wollen.
Dabei geht es auch um Hautfarbe, Geschlecht, Diskriminierung, Stigmatisierung, Machtverhältnissen, sozialer Ungleichheit, um das Verständnis von Normalität und Gesundheit. Wer wird von Angeboten der Suchtkrankenhilfe erreicht? Wer hat Barrieren zu überwinden? Wer wird ausgegrenzt? Wo sind unsere Anteile? Wer ist Opfer und wer ist Täter?
Eigentlich geht es um alle umfassenden Grundlagen der sozialen Arbeit in einer sich ständig wandelnden Gesellschaft, die geprägt ist von konstant zunehmender Heterogenität und Pluralität. In den Bindungen zu Familie, Lebenswelten, religiösen Organisation immer mehr abzunehmen scheinen sowie weniger an Bedeutung für den Einzelnen besitzen. In der das Bestreben nach rechtlicher Anerkennung und Akzeptanz des Andersseins zunimmt.
Anderssein auch eine Kategorie des Nichtdazugehörens bildet, die Ausgrenzung darstellt. Der Frage nach der Definitionshoheit muss ebenfalls gestellt werden. Es geht auch um Vorrangigkeit, Herrschaft und soziale Gerechtigkeit. Also werden hier die Kernthemen der sozialen Arbeit angesprochen.
Inhaltsverzeichnis
1. Diversität
1.1 Das positivistische Diversitätsverständnis
1.2 Das kritische Diversitätsverständnis
1.3 Das reflexive Diversitätsverständnis
1.4 Diversity Management
2. Die Suchtkrankenhilfe
2.1 Diversität als Herausforderung für die Suchtkrankenhilfe
2.2 Professioneller Umgang mit Diversität im Kontext der Suchtkrankenhilfe
2.3 Soziale Ungleichheit und Suchthilfe
2.4 Bildung und Sucht
2.5 Armut und Sucht
2.6 Arbeitslosigkeit und Sucht
3. Geschlecht und Sucht
3.1 „Queer“ und Sucht
3.2 Transsexualität und Transidentität in der Suchthilfe
4. Migration und Sucht
4.1 Migration und Spielsucht
4.2 Sucht und Geflüchtete
4.3 Interkulturelle Öffnung der Suchthilfe
5. Sucht und Alter
6. Sucht und Behinderung
7. Diversität in der Suchthilfe– eine Zwischenbilanz
7.1 Stigmatisierung der Suchterkrankung
7.2 Suchterkrankung und Ambiguität
7.3 Suchterkrankung zwischen Lebenswelt und politisch-gesellschaftlicher Konstruktion
7.4 Diversität der Adressaten*Innen und der Mitarbeiter*Innen in der Suchtkrankenhilfe
8. Literaturverzeichnis:
„The fist thing you must do is forget that I’m Black. Second, you must never fergot that I’m Black.“ (Pat Parker, afroamerikanische Bürgerrechtlerin 1962)
Nur zwei Begriffe, Diversität und Suchtkrankenhilfe und schon offenbart sich eine nahezu unübersehbare Masse an Kategorien Aspekten und vor allem Ambivalenzen, die in dieser Hausarbeit berücksichtigt werden wollen. Das richtungsweisende Zitat von Pat Parker verdeutlich bereits, hier geht es auch um Hautfarbe, Geschlecht, Diskriminierung, Stigmatisierung, Machtverhältnissen, sozialer Ungleichheit, um das Verständnis von Normalität und Gesundheit. Wer wird von Angeboten der Suchtkrankenhilfe erreicht? Wer hat Barrieren zu überwinden? Wer wird ausgegrenzt? Wo sind unsere Anteile? Wer ist Opfer und wer ist Täter? Eigentlich geht es um alle umfassenden Grundlagen der sozialen Arbeit in einer sich ständig wandelnden Gesellschaft, die geprägt ist von konstant zunehmender Heterogenität und Pluralität. In den Bindungen zu Familie, Lebenswelten, religiösen Organisation immer mehr abzunehmen scheinen sowie weniger an Bedeutung für den Einzelnen besitzen. In der das Bestreben nach rechtlicher Anerkennung und Akzeptanz des Andersseins zunimmt. Anderssein auch eine Kategorie des Nichtdazugehörens bildet, die Ausgrenzung darstellt. Der Frage nach der Definitionshoheit muss ebenfalls gestellt werden. Es geht auch um Vorrangigkeit, Herrschaft und soziale Gerechtigkeit. Also werden hier die Kernthemen der sozialen Arbeit angesprochen.
1. Diversität
Der Begriff der Diversität ist nicht abschließend definiert. Dies bedeutet, dass es eine breite Diversität an Definitionen und Betrachtungsmöglichkeiten für diesen Begriff existiert. Die Ursprünge des Konzeptes Diversität stammen aus dem Umfeld der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre und sind ausgerichtet auf die Herstellung von Chancengleichheit. Es kristallisieren sich drei Hauptstränge des Diversitätsverständnisses heraus. Diese drei Hauptstränge sind, das positivistische Diversitätsverständnis, das kritische Diversitätsverständnis, und das reflexive Diversitätsverständnis.
1.1 Das positivistische Diversitätsverständnis
Hier geht man davon aus, dass Vielfalt real gegeben ist. Dabei wird unterschieden in veränderbare und unveränderbare Dimensionen der Diversität. Im Mittelpunkt steht die Persönlichkeit, sie ist umgeben von nicht veränderbaren Dimensionen. Hierbei handelt es sich um ethnische Zugehörigkeit, Hautfarbe, Alter, Geschlecht und sexuelle Orientierung. Während die dritte Dimension als veränderbar gilt. Diese umfasst Religionszugehörigkeit, Familienstand, usw. Die äußere Schicht umfasst Eigenschaften wie Arbeitsort, Rang, Gruppenmitgliedschaften oder Abteilungszugehörigkeiten. Hierbei handelt es sich um Beschreibungen der Diversity-Dimensionen (nach Gardenswartz/Rowe 2003 aus Loden/Rosener 1991) (König M. & Galgano L. (2013) S.6).
Aus positivistischer Perspektive wird Diversität als eine mehrdimensionale Zusammenfassung von personenbezogenen Eigenschaften verstanden. Das Besondere, das Exotische, gegeben- falls das Abweichende steht im Mittelpunkt der Wahrnehmung und Aufmerksamkeit von Diversität. Es werden Kategorien gebildet, denen stereotype Eigenschaften zu geordnet werden. Im Fokus steht das Exotische, das Anderssein, während die vermeintliche Mehrheit, die Normalität weniger von Interesse ist. Zentrale Aufmerksamkeit in der Diversitätsforschung besitzen Homosexuelle, Bisexuelle, Behinderte und nichtweiße Menschen „People of color“. Die Abweichung von der Norm oder von der Normalität genießt Aufmerksamkeit. Weniger von Interesse sind dagegen weiße heterosexuelle Männer und nichtbehinderte Menschen. Schon hier stellt sich die provozierende Frage, wer die Norm festlegt und mit welcher Berechtigung und welchen Absichten.
Aus positivistischer Betrachtungsweise wird Diversität als gegeben unterstellt. Es wird unterschieden zwischen veränderlichen und unveränderlichen, sowie sichtbaren und weniger sichtbaren Dimensionen der Vielfalt.
Der Fokus liegt auf dem „Exotischen“ so wie marginalisierter Gruppen. Die Differenzen zwischen den sozialen Gruppen werden eher dramatisiert und homogenisiert, während sie innerhalb der sozialen Gruppen eher ausgeblendet werden.
Von der Ein- und Zuordnung bestimmter sozialer Gruppen wird stereotypierend auf bestimmte Eigenschaften geschlossen. (Bührmann A. (2018))
1.2 Das kritische Diversitätsverständnis
Das kritische Diversitätsverständnis entstand aus der Auseinandersetzung mit dem positivistischen Diversitätsmodell. Es geht davon aus, dass die wichtigen Dimensionen von Diversität produziert werden und ihre Reproduktion die hierarchischen Macht- und Herrschaftsverhältnisse reflektieren. Sie sind also konstruiert und dekonstruierbar. Alternativ zu den funktionalen Aspekten der Diversität (Diversity Management) werden Macht und Herrschaftsverhältnisse hinterfragt.
Diversitätsdimensionen müssen nach dem kritischen Diversitätsverständnis relational betrachtet werden. Es reicht nicht aus, bestimmte Personen oder marginalisierte Gruppen als divers einzuordnen, sondern das ins miteinander ins Verhältnis setzen von diskriminierten und oftmals zu privilegierten Personengruppen. (Ahmed S. (2012))
Innerhalb des kritischen Diversitätsverständnisses gibt es eine Typisierung der Relevanzen.
Bei den quantitativ begründeten Relevanzen entsteht durch ihre Häufung eine besondere Bedeutung, z. B.: Gender.
Die juristisch begründeten Relevanzen bekommen ihre Bedeutung durch die juristische Ebene z. B.: die Antirassismus Richtlinie (2000 / 34 EG).
Die gesellschaftstheoretischen Relevanzen sind ethnische Herkunft, sozioökonomischer Status und Gender oder Geschlecht.
Das kritische Diversitätsverständnis wird durch drei Aspekte bestimmt. 1. Diversität wird nicht als gegeben verstanden, sondern als durch soziale Praktiken sich entwickelndes Phänomen. Es werden aus unterschiedlichen Begründungen wie Häufigkeit, Gesetzeslage und gesellschaftstheoretischer Analysen der Vielfalt Bedeutungen unterstellt.
2. Der Schwerpunkt der Diversität liegt hier nicht bei marginalisierten oder exotisierten sozialer Gruppen, sondern viel mehr in ihrem Verhältnis zu Repräsentanten*innen privilegierter Positionen. Dabei werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten der sozialen Gruppen verglichen. 3. Die Zuschreibung von bestimmten Eigenschaften, aufgrund der jeweiligen Gruppenzugehörigkeit wird als Stereotypisierung kritisiert. Es wird eine intersektionale Betrachtung für notwendig gehalten unter Einbeziehung einer antidiskriminatorischen Perspektive.
1.3 Das reflexive Diversitätsverständnis
Das reflexive Diversitätsverständnis bildet eine Synthese zwischen dem positivistischen Ansatz und dem kritischen Diversitätsverständnis. Gleichzeitig findet aber auch die Position des Untersuchenden oder Forschenden Berücksichtigung. Aktuell lassen sich zwei unterschiedliche Leitbilder zu den Dimensionen der Diversität feststellen. Diese beiden Dimensionen werden als „Natur“ und Relevanzen definiert. Die „Natur“ der Vielfalt besteht aus eher unveränderbaren und eher unsichtbaren Dimensionen. Die Relevanzen werden gebildet aus sozialen, rechtlichen. quantitativen Dimensionen. (Bührmann A. (2018))
Im Fokus des reflexiven Diversitätsverständnis stehen nicht nur die Angehörigen marginalisierter sozialer Gruppen, sondern auch der Repräsentant*Innen privilegierter Gruppen werden in den Blick genommen. Hierbei finden die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten zwischen den sozialen Gruppen aus intersektionaler Perspektive Berücksichtigung. Die historische Entwicklung dieser Unterschiede und Gemeinsamkeiten werden in ihrer zielgerichteten oder nichtzielgerichteten Wirkungen rekonstruiert.
Es wird die Identifizierung bestimmter Eigenschaften als Stereotypisierung kritisiert, stattdessen wird eine antidiskriminatorische Position eingenommen.
Unsere Gesellschaft ist geprägt von Unterschiedlichkeit auf zahlreichen Ebenen. Bei einer Fokussierung auf das Individuum bezogen, lässt sich feststellen, dass Menschen nun mal nicht gleich sind. Sie sind dick, dünn, groß, klein, dunkelhäutig, hellhäutig, männlich, weiblich oder blauäugig, usw... Diese Diversität lässt sich auf Haltungen, Einstellungen, Gruppenzugehörigkeiten, Bildungsabschlüsse usw. beziehen. Dies wäre für die Sozialarbeit vollkommen uninteressant, wenn nicht Kategorien dazu genutzt werden Einzelne oder Gruppen systematisch zu benachteiligen. (Effinger H., Gahleitner S. B., Köttig M., Stöversand S. (2012) S. 14)
1.4 Diversity Management
Das positivistische Diversitätsverständnis wurde relativ zügig von der Betriebswirtschaft aufgegriffen und es entwickelte sich daraus das Diversity Management. Zunächst konnte sich diese Form der Effizienzsteigerung in den USA in Folge der feministischen Frauenbewegung und der schwarzen Bürgerrechtsbewegung entwickeln. Hier wurde gesellschaftliche Heterogenität anerkannt und homogenitätsfördernde Assimilation der Unterschiede durch das Diversity Management als betrieblicher Erfolgsfaktor benutzt. Gesellschaftliche Vielfalt und Globalisierung von Unternehmen gingen eine Allianz ein, um die betriebswirtschaftlichen Ergebnisse zu verbessern. Hier stehen also die unternehmerischen Effizienzsteigerung, die Optimierung von Betriebsabläufen und die Ausschöpfung der Ressource menschliche Vielfalt im Mittelpunkt. Somit ist Diversity Management ein Konzept, das auf Gewinnmaximierung zielt und Vielfalt als Produktionsfaktor begreift. Mit der Konsequenz das Vielfalt anerkannt, gefördert und wertgeschätzt wurde. (Schröer H. (20/2007))
Die Soziale Arbeit tut sich schwer im Umgang mit Diversity Management, da Diversity als neoliberales Instrument gilt und Ausgrenzungsprozesse, Stigmatisierung und Stereotypisierung verdeckt werden. Letztlich ist Diversity Management nach dem Motto: „Vielfalt leben und gestalten“, als institutionelle Gesamtstrategie auch umfassend und ganzheitlich in Unternehmen der sozialen Arbeit übertragbar. Richtungsweisen ist hier auf das Leitbild der AWO Integration Duisburg zu verweisen. (AWO (2019))
2. Die Suchtkrankenhilfe
Die Suchtkrankenhilfe in Deutschland hat ihre Ursprünge bereits vor dem Ersten Weltkrieg entwickelt. Damals gab es bereits eine staatliche Trinkerfürsorge mit ambulanten und stationären Angeboten. Einen großen Einbruch erlitt sie während der Herrschaft des Nationalsozialismus. Erst 1968 erholte sie sich von dieser Katastrophe. Dies geschah mit dem grundsätzlichen Urteil des Bundessozialgerichtes, dass Alkoholismus als behandlungsbedürftige Krankheit anerkannte. (Laging M. (2018) S. 105)
„Sucht ist eine behandlungsbedürftige, psycho-soziale und psychiatrisch relevante Krankheit und Behinderung mit chronischen Verläufen. Deren Folge ist das Entstehen einer sozialen, körperlichen und seelischen Beeinträchtigung, die die betroffenen Menschen daran hindern kann ihren sozialen und gesellschaftlichen Verpflichtungen nachzugehen und am Leben in der Gesellschaft teilzuhaben (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen 2014a)“ aus (Laging M. (2018) S. 106).
Die Diagnosekriterien des „Abhängigkeitssyndrom“ sind im ICD-10 bzw. im DSM-5 standardisiert und normiert. Den Begriff Sucht verwendet die WHO seit 1963 nicht mehr, um die Stigmatisierung der Betroffenen zu vermeiden und die Erkrankung zu betonen. Trotz all dieser Bemühungen gehören Suchterkrankte oder Menschen mit dem Abhängigkeitssyndrom zu den besonders stigmatisierten und ausgegrenzten Personengruppen. Dies wird bei dem Fachdiskurs ob es sich bei Sucht um eine Krankheit oder um ein Fehlverhalten handelt deutlich.
Die Suchtkrankenhilfe besteht aus den Elementen: Suchtprävention Beratung, stationäre Behandlung, teilstationäre Behandlung, Nachsorge, und Selbsthilfe. In allen aufgezählten Bereichen sollten Diversitätsaspekte selbstverständliche, konzeptionelle und institutionelle Eckpfeiler des professionellen Handelns darstellen, die die gleichberechtigte Teilhabe an den Angeboten der Suchthilfe ermöglichen sollen.
2.1 Diversität als Herausforderung für die Suchtkrankenhilfe
Bereits 2008 publizierte die Deutsche Lotto-Gesellschaft die Botschaft von der „Suchtrepublik Deutschland“ und ging in ihrer Statistik von im weitesten Sinne 15.2 Mio. suchterkrankten Menschen in Deutschland aus. (Deutscher Lotto Verband, Suchtrepublik Deutschland)
Offensichtlich besitzt die zunehmende Pluralität unserer Gesellschaft mit ihren vielfältigen Wertorientierungen, den Verlust von Gemeinschaftsstrukturen wie Familie, religiöse Organisationen und Klassenstrukturen auch zusätzliche Belastungs- und Stressfaktoren, die sich hier zeigen.
So dass die Frage berechtigt ist, wie geht die Gesellschaft mit Sucht um? Wer ist besonders gefährdet? Trägt man der Diversität Rechnung, dann muss selbstverständlich die Suchthilfe individuell und lebensweltlich auf jeden Suchtkranken reagieren. Diversität setzt voraus, dass alle Menschen verschieden sind aber einige doch gleicher und andere fremder als wir es als Gesellschaft vermuten. Auf diese Herausforderungen muss die Suchtkrankenhilfe angemessen reagieren können. (Suchtmagazin Ausgabe 5/2017)
2.2 Professioneller Umgang mit Diversität im Kontext der Suchtkrankenhilfe
Das positivistische Diversitätsverständnis definiert zunächst einmal Verschiedenheiten, ohne sie zu bewerten oder eine hierarchische Ungleichheit zu beachten. Im Zusammenhang mit Diversity Management ging es nur darum die Verschiedenheit sinngebend und kreativ zur Erhöhung der Effizienz zu nutzen. Nicht nur im Personalmanagement berücksichtigt man die Diversität, längst hat sich unter dem Begriff „Ethno-Marketing“ auch eine entsprechende Kundenorientierung entwickelt. Auch die Suchthilfe und andere Non-Profit Organisationen nähern sich dem Diversity Management bezüglich ihrer Mitarbeiter und ihren adressierten Zielgruppen an. Sie wollen damit Zugangsbarrieren und Diskriminierungen vermeiden. Sie wollen so mehr Chancengleichheit herstellen. Dabei stehen die Dimensionen Geschlecht, Alter, Behinderung, Ethnie, Migrationshintergrund, Bildungsstand und sexuelle Orientierung im Vordergrund. Hierbei handelt es sich um horizontale Verschiedenheiten, während vertikale Unterschiede kaum Beachtung finden. Diese vertikalen Unterschiede sind, sozioökonomischer Status, soziale Mobilität.
Diesen komplexen Beziehungen von Ungleichheiten und ihren Auswirkungen widmet sich der Intersektionalitätsansatz. Dieser entstand als kritische Reaktion auf die feministische Bürgerrechtsbewegung in den USA. Damals zeigten sich zentrale Unterschiede zwischen schwarzen und weißen Feministinnen, die nicht durch das Geschlecht und die Ethnie allein erzeugt waren.
Der Intersektionalismus fokussiert sich auf Diskriminierung, er deckt Ungleichheiten zwischen den Diversitätsdimensionen auf. Somit geht er der Frage nach, wie sich verschiedene Diversitätsdimensionen zueinander verhalten, gegebenenfalls sich verstärken oder abschwächen. Ungleichheit ist aus dieser Perspektive betrachtet nicht immer klar horizontal oder vertikal zu verorten. Ungleichheitsachsen überschneiden sich in unterschiedlichen Situationen an unterschiedlichen Stellen. Der zentrale Gedanke der Intersektionalität stellt dar, dass Ungleichheit auch immer mit Macht und Normierung verbunden ist. Dies dient der Reproduktion von sozialen Strukturen, Praktiken und Identitäten. (Walgenbach K. (2012)) Dabei muss beachtet werden, dass Menschen über eine Entscheidungsfreiheit verfügen. Hierbei sind aber auch Strukturen und Machtverhältnisse zu berücksichtigen auf die die Betroffenen keinen oder nur einen begrenzten Einfluss besitzen, die aber veränderbar sind. Außerdem sind die Gruppenzugehörigkeit und genetische Dispositionen zu berücksichtigen. Der konkrete Bezugspunkt zur Suchtkrankenhilfe ergibt sich aus dem fachlichen Diskurs, ist Sucht eine Krankheit oder ein erworbenes selbstverschuldetes Fehlverhalten bzw. Laster.
Die Diversitätsdimension Migration ist mit am besten aufgearbeitet. Es gibt seit Ende der 90er Jahre erhebliche Bemühungen die Suchtkrankenhilfe interkulturell zu öffnen außerdem rückten transkulturelle Aspekte der Gesundheitsversorgung in den Fokus der Fachöffentlichkeit (siehe Thomas Hegemann und Ramazan Salman, Handbuch interkulturelle Suchthilfe (1999)). Die Diversitätsdimension sozioökonomischer Status, wirkt sich am deutlichsten vertikal aus. Das Geschlecht stellt eine besondere differenzbetonende Diversitätsdimension in der Suchtkrankenhilfe dar. Es entwickelten sich relativ frühzeitig spezielle Angebote für Frauen.
2.3 Soziale Ungleichheit und Suchthilfe
Soziale Ungleichheit beeinflusst die Gesundheit und die Krankheitsrisiken von Menschen. Unter sozialer Ungleichheit verstehen wir die Aspekte, die den sozioökonomischen Status bedingen. Hierbei handelt es sich um Bildung, berufliche Stellung und Einkommen. In den letzten Jahren konnte zunehmend nachgewiesen werden, dass eine geringe Bildung, ein geringes Einkommen, eine niedrige berufliche Stellung, einen negativen Einfluss auf die Gesundheit besitzen. (DHS Fachkompetenz Sucht und Lebensalter 13 – 15.11.2006)
In diesem Zusammenhang wurden zwei Haupthypothesen aufgestellt. Erstens die Selektionshypothese, Menschen mit Suchterkrankung besitzen ein höheres Risiko in eine sozial benachteiligte Lebenslage zu geraten. Zweitens die Kausalitätshypothese, Armut und Arbeitslosigkeit begünstigen die Entstehung von Suchterkrankungen. Es ließ sich ein Zusammenhang zwischen geringen Einkommen von Mutter und Vater und Tabakkonsum nachweisen.
Umso überraschender ist es, dass beim Alkoholkonsum bzw. bei der Alkoholabstinenz, arme Eltern mit Kindern unter 15 Jahren relativ häufig abstinent leben. Der Alkoholkonsum steigt mit der Höhe des sozialen Status. Andererseits gibt es einen Sachzusammenhang zwischen dem riskanten Alkoholkonsum und Arbeitslosigkeit. Mit der Arbeitslosigkeit steigt auch das Risiko des Rückfalls bei Suchterkrankungen. (Arbeitslosigkeit und Sucht)
Ausschlaggebend sind aber nicht nur die vertikalen Diversitätsdimensionen, sondern auch bei der sozialen Ungleichheit wirken horizontale Merkmale wie Alter, Familienstand, Geschlecht, ethnische Herkunft, Nationalität usw. mit. Kenntnisse über die weiteren Parameter sind insbesondere für den Bereich der Gesundheitsförderung und Prävention von weitergehendem Interesse.
2.4 Bildung und Sucht
Über den Sachzusammenhang zwischen Bildung und Sucht gibt es kaum belastbare Studien. Aus der Literatur ist zu entnehmen das es eine Beziehung zwischen zu konsumierten Substanz, dem Behandlungserfolg und dem Rückfallrisiko besteht. Vieles deutet darauf hin, dass Menschen mit einem niedrigen Bildungsstand eher zu Behandlungsabbrüchen tendieren. Die Untersuchungen geben wenig Auskunft über die erfolgreiche Abstinenz und ihre Dauer, lediglich über das erfolgreiche Durchlaufen der Therapie. Die Statistiken beruhen im Wesentlichen auf den statistischen Angaben der ambulanten, stationären bzw. teilstationären Behandlungseinrichtungen. (Laging M. (2018) S.65- 66)
2.5 Armut und Sucht
Die Bundesrepublik Deutschland gilt als reiches Land. Gemäß dem 5. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesrepublik Deutschland, leben 15,5 % der Bevölkerung in Armut, das sind etwa 13 Mio. Menschen. Als arm gelten Personen die weniger, als 60 % des mittleren Einkommens aller Haushalte erzielen. Bereits im Abschnitt Sucht und soziale Ungleichheit gab es Hinweise auf die Bedeutung des Faktors Armut und Suchtkrankenhilfe. Die Ergebnisse der Studien sind ambiguen, einerseits finden sich in den armen Bevölkerungsgruppen relativ viele Suchtkranke andererseits leben viele von ihnen abstinent. Während der Alkoholkonsum bei sozio-ökonomisch bessergestellten Bevölkerungsgruppen besonders hoch ist. Bei den Personenkreisen mit Verelendungstendenzen, wie z. B.: Obdachlosigkeit, ist der Drogenkonsum besonders weit verbreitet. Prekäre Lebenslagen begünstigen nicht nur den riskanten Konsum, sondern wirken sich auch negative auf Abstinenzbemühungen aus. (Laging M. (2018) S. 66)
2.6 Arbeitslosigkeit und Sucht
Arbeitslosigkeit wirkt sich negativ auf die Gesundheit aus. Vermehrt treten hier Schlafstörungen, Depressionen, Angsterkrankungen und Suchterkrankungen auf. Insbesondere männliche Arbeitslose leiden unter ihrer Arbeits- bzw. Beschäftigungslosigkeit. Dabei wirken die Faktoren, Dauer der Arbeitslosigkeit, Alter und der sozioökonomische Status. Gemäß einer Studie der AOK über den Zeitraum von 2007 bis 2012, dass bei ALG II Beziehern häufiger eine ambulante oder stationäre Suchtbehandlung notwendig wurde, als bei Kurzzeitarbeitslosen. Innerhalb der Suchtkranken weisen Arbeitslose schlechtere Gesundheitsparameter aus. (Laging M. (2018) S.68)
Riskanter Rauschmittelkonsum ist bei Arbeitslosen weiterverbreitet als bei Arbeitstätigen. Gleichzeitig ist erkennbar, dass ein chronisches Suchtverhalten ein erhöhtes Risiko des Arbeitsplatzverlustes verursacht. Die Chance auf eine erneute Integration ins Berufsleben reduziert sich. Arbeitslosigkeit führt zu riskanten Konsumverhalten. Bei Arbeitslosigkeit steigt das Rückfallrisiko von Suchtkranken.
Die dargestellten Sachzusammenhänge verdeutlichen, welche Personengruppen besonderen Suchtbelastungen ausgesetzt sind. Schlechter Bildungsstand, Armut und Arbeitslosigkeit fördern das Suchtrisiko. Gleichzeitig profitiert dieser Personenkreis besonders wenig von Prävention und den Angeboten der Suchthilfe in Beratung, Begleitung und Behandlung. (Laging M. (2018) S.71)
Ein gute Präventionsarbeit zeichnet sich dadurch aus, diese benachteiligte Gruppe besonders gut zu erreichen. Hier bietet sich an, die Personenkreise mit niedrigem Bildungsstand gezielt in Institutionen wie Hauptschule oder Berufsvorbereitungsklassen mit Präventionsangeboten zu erreichen. In der Suchtkrankenhilfe müssen die Bereiche Beratung, Begleitung und Behandlung arme Menschen an den Orten erreichen, wo sie sich besonders häufig aufhalten. Niederschwellige Angebote für Menschen mit einem geringen sozioökonomischen Status in aufsuchender Form müssen zum Standardrepertoire gehören. Des Weiteren muss die Reintegration ins Berufsleben verstärkt werden oder Alternativen zu einer sinnerfüllenden Beschäftigung gefördert werden. (Laging M. (2018) S. 72)
3. Geschlecht und Sucht
Seit Ende der 60er Jahre wird forciert nach der Rolle der Frau in unterschiedlichen Wissenschaftsgebieten gefragt. Diesen Anforderungen konnte sich auch die Suchtkrankenhilfe nicht entziehen. Geschlechtsspezifische Einrichtungen in der Suchthilfe existieren im Alkoholbereich als auch im psychiatrischen Bereich seit vielen Jahrzehnten. Hierbei ging es nicht vorrangig um eine männer- und frauensensible Suchtarbeit, sondern um sexuelle Kontakte untereinander zu unterbinden und zur Übernahme von konformen Rollenbildern. Seit den 80er Jahren gibt es auch frauenspezifische Suchtarbeit unter den Aspekten Geschlechteridentität und Identitätsrolle. Auch wenn sich Suchtarbeit in der Vergangenheit bereits stark an Männern orientierte, bedeutet dies nicht, dass ihre Rollen und ihre Vorstellungen von Männlichkeit im Zusammenhang mit der Suchterkrankung hinterfragt wurden.
Unter Gender wird die soziale Konstruktion von Weiblichkeit und Männlichkeit bezeichnet. Während das biologische Geschlecht mit Sex bezeichnet wird, es beschreibt vor allem die körperlichen Charakteristika des Geschlechts. Das soziale Geschlecht wird erlernt und ist veränderbar.
Seit Beginn der 70er Jahre wurde immer deutlicher die Frage nach weiblicher Suchtentwicklung und Suchtverläufen, insbesondere unter dem Aspekt inwieweit der Ausstieg aus der Sucht sich zum weiblichen Genderschema verhält, gestellt. Der Einfluss von Geschlechtsrollen und Geschlechterstereotypen, sowie durch geschlechtliche Identität beeinflusste Erfahrungen und Lebenssituationen, den Rauschmittelkonsum prägen. (Laging M. (2018) S. 75)
Dabei ist zu berücksichtigen, dass es nicht zu einer Homogenisierung von männlichen oder weiblichen Aspekten kommt. Seit Anfang des Jahrhunderts rückt das soziale Geschlecht und sein Einfluss auf die männliche Suchtentwicklung in den Vordergrund. Alkohol- und Drogen-konsum werden immer mehr unter dem Aspekt der sozio-kulturellen Geschlechtskonstruktion betrachtet. Aggression, Einsamkeit, Gewaltimpulse, Angst, Trauer, Scham und Sexualität werden bei einer männergerechten Suchtarbeit häufig tabuisiert und finden jetzt immer mehr konzeptionelle Berücksichtigung. In den letzten Jahren mehren sich die Hinweise, dass sich die eindeutigen Geschlechtsrollenstereotypen immer mehr aufweichen. Geschlechtsidentitäten verlieren immer mehr an Eindeutigkeit. Eine Angleichung der Konsumgewohnheiten kann bei Frauen und Mädchen festgestellt werden. Diese Entwicklung steht in einem Zusammenhang mit den veränderten sozialen Rollen. Die sogenannte Genderlücke wird kleiner, es verändern sich die weiblichen Rollenmuster. Rauchen und Alkohol trinken, gelten als Ausdruck der Gleichstellung junger Frauen gegenüber Männern. Die Ansprüche auf aktive Teilhabe an materiellen und immateriellen Erfolgen nehmen zu. Der Verlust schützender weiblicher Eigenschaften, wie Kommunikation, Emotionalität und Körperbezogenheit nimmt zu, genauso wie sich die Freiräume durch die Mehrfachbelastung reduzieren, der Mann ist nicht mehr alleine für die materielle Versorgung verantwortlich. (Zenker C. (06.11.2008))
Männliche Sozialisationsfaktoren begünstigen die Suchtentwicklung. Geschlechtsstereotypen wie „Stärkeideale“, die Rolle des Familienversorgers, von Kontrolle geprägte Körperbilder sowie mangelnde emotionale Selbstwahrnehmung, Reflexion, mangelndes Gesundheitsverhalten und positive Erwartungshaltungen an Drogen fördern den Rauschmittelkonsum. Die Konvergenz von Geschlechtsrollen führt zu einer weiteren Verunsicherung bei Männern.
Erledigt sich durch die Angleichung der Geschlechtsrollen das Geschlecht als Strukturkategorie? Diese Frage lässt sich eindeutig verneinen. Auch wenn die geschlechtsbezogenen Unterschiede sich reduzieren, beeinflusst die Kategorie Gender nach wie vor die Suchtentwicklung und ihren Verlauf. Die Kenntnisse um Geschlechterrollen und Geschlechtsunterschiede stellen weiterhin eine Voraussetzung da, um Präventions- und Zielgruppenangebote zu platzieren. (Zenker C. (06.11.2008))
Studien weisen weiterhin darauf hin, dass der riskante Konsum und klinisch relevante Konsumformen eine Domäne von Jungen und Männern darstellt. Es gibt lediglich eine Umkehrung beim Amphetamin- und Medikamentenkonsum der stärker bei Mädchen und Frauen verbreitet ist. Beim Alkoholkonsum sind Männer über alle Parameter hinweg stärker vertreten. So zeigen 17 % aller Männer einen riskanten Alkoholkonsum, das heißt mehr als 24 g. pro Tag. Bei Frauen sind es 13,4 %, die mehr als 12 g. Alkohol pro Tag konsumieren. Die epidemiologischen Daten zeigen, dass sowohl Konsumerfahrungen, insbesondere aber ein häufiger und regelmäßiger Konsum von illegalen Substanzen, unter Jungen und Männern stärker verbreitet sind als bei Mädchen und Frauen. Dies spricht dafür das Risikoverhalten weiterhin zur männlichen Rolle gehört. (Laging M. (2018) S. 77)
Qualitative Studien von genderspezifischen Faktoren in Hinblick auf den Einstiegskonsum weisen daraufhin, dass bei Frauen der Konsum eher im Zusammenhang mit einem drogenkonsumierenden Partner stattfindet. Bei Männern erfolgt der Einstieg hingegen eher über eine Peer-Group erfolgt. Frauen starten ihren Rauschmittelkonsum eher aus einer problemorientierten Motivation. Außerdem wuchsen sie eher mit einem oder zwei suchtbelasteten Elternteilen auf. Die Traumatisierungsrate bei Suchtkranken liegt bezogen auf die Allgemeinbevölkerung 5 bis 15-mal höher.
Drogenkonsumierende Frauen sind besonders stark gesundheitlich belastet, wobei die Opiatabhängigen am stärksten belastet sind. HIV und Hepatitis gehören im Zusammenhang mit illegalem Drogenkonsum und Beschaffungsprostitution zu den Hauptrisikofaktoren. Männer und Frauen unterschieden sich auch bei den psychischen Belastungen, hier sind Frauen ebenfalls stärker als Männer betroffen. Suchtkranke besitzen grundsätzlich ein größeres Risiko Opfer von Gewalt zu werden. Auch hier sind Frauen höheren Risiken ausgesetzt als Männer, dies gilt insbesondere auch im Zusammenhang mit Beschaffungsprostitution. Männer neigen, eher dazu mit illegalen Methoden ihren Drogenkonsum zu finanzieren. Es lässt sich auch eine Überrepräsentation der männlichen Drogentoten feststellen.
Auch der Ausstieg aus dem Drogenkonsum unterscheidet sich geschlechtsspezifisch. Männer finden eher eine drogenfreie Partnerin, die ihnen beim Ausstieg Unterstützung zukommen lässt. Währen Frauen eher Beziehungen zu drogenkonsumierenden Partnern aufrechterhalten. Dieser Faktor erschwert dann den Ausstieg und wirkt sich auch auf unterstützende soziale Netzwerke negativ aus.
Suchtkranke Frauen sind mehr von Arbeitslosigkeit betroffen als Männer, dies gilt über alle Substanzen hinweg. Mutterschaft fungiert ebenfalls als geschlechtsspezifisches Hindernis, um professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Sie befürchten eine Intervention wegen der möglichen Kindeswohlgefährdung seitens der Beratungsfachkräfte. Andererseits wirkt die Schwangerschaft oftmals als motivierend auf den Ausstiegswunsch. (Heinzen-Voß D. (06.2010) S.12)
Stigmatisierung wirkt sich bei Frauen besonders stark als Zugangsbarriere zum Suchthilfesystem aus.
Es wird deutlich das, dass „Mann-Sein“ und „Männlich-sein-Wollen“ im traditionellen Sinn eine starke Konstruktion für die Entwicklung riskantem Rauschmittelkonsums und Abhängigkeit darstellt. Folglich müsste die Dekonstruktion dieses Selbstbildes von Männlichkeit eine präventive Wirkung besitzen und entwickeln. Die traditionelle Frauenrolle bildet einen Schutzfaktor, gleichzeitig neigen sie zu einem sozialunauffälligen Konsum, wie z. B.: Medikamentenabhängigkeit.
Das Geschlecht ist eine maßgebliche Strukturkategorie. Die Suchtforschung weist auf relevante und deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern bezüglich der Entwicklung der Sucht, Konsummustern, Ursachen und Motive auf. Dabei gilt es folgendes zu berücksichtigen, in der Diversität sind horizontale und vertikale Achsen der Ungleichheit vorhanden. Das Geschlecht ist mit kulturellem Hintergrund, sozioökonomischen Status und Alter eine der wichtigsten strukturierenden Achsen unserer Gesellschaft. Es braucht den Mut zur Lücke, kein Projekt, kein Angebot kann die Lebenswelt und Bedürfnisse aller Mitglieder einer Zielgruppe abdecken. Wenn das Geschlecht in den Vordergrund gerät ist zu mindestens eine sehr relevante Kategorie abgedeckt. Wenn eine andere Kategorie im Vordergrund steht z. B. der Migrationshintergrund, dann ist auch nach den geschlechtsspezifischen Bedürfnissen zu fragen. Im Maßnahmenplan der Schweiz zur nationalen Strategie Sucht 2017 – 2024 wird das Prinzip der gesundheitlichen Chancengleichheit zentral erwähnt. Wörtlich heißt es dort: „Damit verbunden sind Bemühungen, alle Menschen – unabhängig von Geschlecht, sozioökonomischen Status, kulturellen Hintergrund oder Alter – Informationen und Hilfsangebote zugänglich zu machen“ (Krebs M. (5/2017) S. 38) Es geht also um soziale Gerechtigkeit im Zugang zur Suchtprävention, Suchtberatung, Suchtbehandlung und Suchtnachsorge. Aber auch um die Überprüfung, ob nicht über Umwege eine erneute Stereotypisierung der Geschlechtsrollen eine Reproduktion von gesellschaftlichen Strukturen erfolgt. Bereit 2004 legte die DHS folgende Punkte zum Gender-Mainstreaming zur Ausgestaltung der Suchtangebote für Mädchen und Frauen, Jungen und Männer:
- Ermittlung geschlechtsspezifischer Bedürfnisse suchtkranker PatientInnnen und Patienten in Beratung und Therapie,
- Abbau von Schwellen und Ermöglichung des Zugangangs für Frauen und Männer zu den Angeboten der Suchtkrankenhilfe.
- Integration zielgruppenspezifischer Angebote (z. B.; für Eltern und deren Kinder, für schwangere Drogenabhängige) in das ambulante und stationäre Setting.
- Entwicklung von geschlechtsdifferenzierten Angeboten für Mädchen und Jungen,
- Entwicklung einer männerspezifischen Suchtarbeit, die entsprechend der frauenspezifischen Suchtarbeit gesellschaftliche Strukturen und ihre Auswirkungen auf Individuen analysiert und in die Praxis einbezieht.
- Koordination und Vernetzung mit geschlechtsspezifischen Angeboten und mit Hilfeangeboten außerhalb des Suchthilfesystems,
- Förderung einer geschlechtssensibilisierenden Öffentlichkeitsarbeit,
Ebene der Institution:
- Geschlechterdifferenzierte Daten und Frageraster zur Klärung der Sachlage.
- Sensibilisierung von Mitarbeitern und MitarbeiterInnen der Suchthilfe und Selbsthilfe,
- Nutzung von Konsultationsinstrumenten,
- Überprüfung der Wirksamkeit, verhindern Konzepte und Qualitätssicherung geschlechterspezifischer Angebote,
- Erweiterung von Einrichtungskonzepten um geschlechterspezifischen Handlungsansätze und schließlich
- Bereitstellung von Ressourcen für die Umsetzung von Gendermainstreaming Wissenschaftliche Ebenen
- Förderung geschlechterspezifischer klinischer, medizinsoziologischer und epidemiologischer Forschung,
- Förderung des Wissenstransfers zwischen Forschung und Praxis, (Laging M. (2018) S. 77 - 78)
Für eine gendersensible Suchthilfe ist eine Auseinandersetzung notwendig, die neuere Entwicklungen berücksichtigt und einen Zusammenhang mit anderen Achsen der Ungleichheit wie kulturelle Herkunft, sozioökonomischer Status und Alter verbindet. .
3.1 „Queer“ und Sucht
Der Begriff Queer stammt aus dem englischen und war zunächst ein Schimpfwort für Lesben und Schwule, die LGBTQ* Bewegung hat sich diesen Begriff angeeignet. LGBTQ* steht dabei für Lesbierin, Gay, Bisexuell, Transgender und Queer. In der queeren Community sind Drogen und Alkohol weitverbreitet. Squirt.org eine kanadische Dating Webseite führte im Januar 2017 eine Befragung durch, die ergab das 30 % ihrer Nutzer beim Sex Drogen benutzen. Für diese Umfrage wurden insgesamt 22.000 Nutzer befragt, die sich ausschließlich an Männer richtete, die Sex mit Männern haben.
Immer wieder wurde in den letzten Jahren wissenschaftlich festgestellt, dass der Drogenkonsum, sowie der Konsum von Alkohol und Zigaretten unter Homosexuellen höher ist als unter hetero-normativen Menschen. Forscher erklärte die Diskrepanz mit besonderen Stressfaktoren, denen sexuelle Minderheiten ausgesetzt sind. (Queer.de (16.01.2017)) Bislang gibt es wenig publizierte Studien zu Sucht bei Lesben und bisexuellen Frauen. Es gibt Hinweise, dass Lesben und besonders bisexuelle Frauen höhere Raten an schädlichem Substanzgebrauch aufweisen. (Wolf G. (01.2012)) Gendernonkonform lebende Menschen haben im allgemeine ein besonders hohes Risiko für einen gefährlichen Substanzgebrauch. Auf diesen Faktor weist auch der Artikel: “Drogen beim Sex unter Männer“ von der Seite queer.de hin.
Das queere Onlinemagazin Siegessäule formuliert eindeutig und unmissverständlich, dass queere Menschen häufiger Rauschmittel konsumieren als heterosexuelle Menschen. Die entsprechende Community stellt sich auf diese Situation ein, dass es dort auch die entsprechenden Selbsthilfegruppen entwickelt werden. (Matthes R. (28.09.2017))
Während sich die traditionellen Suchthilfeeinrichtungen kaum auf diese subkulturellen Bedingungen eingestellt haben entwickelte sich in den urbanen Zentren der Community ein paralleles Hilfesystem. An dieser Entwicklungslinie zeigen sich offensichtlich Grenzen des offiziellen Diversitätsdiskurses. Wenn ein Tabubereich auf einen weiteren trifft, verstärkt sich die gesellschaftliche Ablehnung. Ein positives Beispiel hierfür ist die Gruppe der Anonymen Alkoholiker mit dem Namen: AA LGBQ* in Berlin.
3.2 Transsexualität und Transidentität in der Suchthilfe
Hinter dem Begriff Transsexualität verbirgt sich nach dem ICD – 10 eine Geschlechtsidentifikationsstörung und meint damit eine grundsätzliche, dauerhafte, gegengeschlechtliche Identifikation. Künftig soll Transsexualität aus der Gruppe der psychischen Erkrankungen entfernt werden und durch den Begriff: „gender incongruence“ ersetzt werden. Zurzeit gehört Transsexualität noch zu den Krankheiten. Durch die Diagnose Gender Dysphorie gemäß DSM - 5 tritt eine gewisse Entpathologisierung ein. Transidentität umfasst den Zustand von Krankheit bis Gesundheit, wie die Cisidentität ebenfalls. Psychische Erkrankungen können bei Transmenschen Reaktionen auf schwierige Lebensumstände darstellen. Sie treten z. B. als Angststörungen, depressive Erkrankungen und Suizidalität usw. auf. Es gibt aber auch primäre Erkrankungen, wie z. B. Schizophrenie usw. die in keinem direkten oder Sachzusammenhang mit der Transidentität stehen. In diesem Sinne gibt es bei Transmenschen Suchterkrankungen als primäre- oder reaktive Störungen. Auch wenn die Toleranz und Akzeptanz von Transmenschen im gesellschaftlichen Leben verbessert hat, erleben sie trotzdem umfangreiche Diskriminierungen. Der größte Belastungsfaktor für Transmenschen stellt die extreme Fremdbestimmung dar, für jeden einzelnen Schritt auf ihrem Weg, hormoneller und chirurgischer Behandlungen sowie Namens- und Personenstandsänderungen benötigen sie Zeugnisse und Gutachten, die ihnen diese Schritte erlauben. Auf Grund dieser Belastungen im Alltag könne sich verschiedene Anpassungsstörungen aber auch Suchterkrankungen entwickeln. Alkohol ist bekannterweise überall und schnell erreichbar.
Im Hinblick der besonderen Belastungen sind Transidente einem erhöhten Risiko von raschen Gefühlswechseln ausgesetzt, so dass ein besonderes Risiko besteht diesen Stimmungswechseln mit Alkohol oder anderen Psychotropensubstanzen zu bewältigen. Nach Walker J. (2013) Trans*Menschen und soziale Arbeit. Bachelor FHS St. Gallen Studiengang soziale Arbeit beträgt der Anteil an Menschen, die einen pathologisch relevanten Konsum praktizieren etwa 30 %. (Krebs M. (5/2017) S. 33)
Bei der Beratung und Behandlung von Transmenschen ist das soziale Umfeld, die Bezugspersonen, Angehörige, Eltern, Ehegatten, Kinder, FreundInnen und ArbeitgeberInnen besonders unter Berücksichtigung der spezifischen Situation mit einzubeziehen.
Um ein respektvoller angemessener Umgang von Fachkräften mit Transmenschen zu realisieren, erscheint es notwendig, zu sein, Transidentität als eine Variante der menschlichen Identitätsentwicklung zu begreifen und nichts mit Krankheit oder Gesundheit zu tun hat, so dass Einordnung in den ICD-10 unangebracht erscheint. Gleichwohl existiert auf Grund der hohen emotionalen Anspannung beim Prozess der Geschlechtsangleichung ein Suchtrisiko.
4. Migration und Sucht
Die neusten Zahlen des Bundesamtes für Statistik kann entnommen werden, dass jeder 4. Mensch in Deutschland einen Migrationshintergrund besitzt. In süddeutschen Großstädten, wie Stuttgart oder München beträgt der Migrantenanteil längst ca. 44 % der Wohnbevölkerung. (Bury M. (31.01.2017)) (Statistisches Auskunftsbüro (31.06.2019))
Migration stellt einen kontinuierlichen und permanenten Prozess dar, er begann nicht erst mit der Anwerbung von sogenannten „Gastarbeiter“ nach dem 2. Weltkrieg. Die Industrialisierung Deutschlands wäre ohne Zuwanderung nicht möglich gewesen, dies zeigt sich insbesondere in der Geschichte des Ruhrgebietes.
Menschen mit Migrationshintergrund können selbstverständlich auch suchtkrank werden. Menschen mit Migrationshintergrund wird laut Bundesamt für Migration und Flucht wie folgt definiert:
1.Zugewanderte und nicht zugewanderte Ausländer;
2. zugewanderte und nicht zugewanderte Eingebürgerte;
3. (Spät-)Aussiedler;
4. mit deutscher Staatsangehörigkeit geborene Nachkommen der drei zuvor genannten Gruppen.
(Bundesamt für Migration und Flucht (2019))
Menschen mit Migrationshintergrund stellen eine sehr heterogene Population dar. Im Ranking der Herkunftsländer ist an erster Stelle die Türkei, gefolgt von Polen, zu nennen. Als fluchtrelevantes Land kommt Syrien erst an 7. Stelle. (Demografie Portal (2018)) Der Migrationshintergrund gehört zu den Faktoren, die Einfluss auf die Gesundheit ausüben können. Er beinhaltet protektive Faktoren als auch Gefährdungspotentiale. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass Menschen mit Migrationshintergrund über eine schlechte Gesundheit verfügen. Dies lässt sich nicht nur über den sozio-ökonomischen Status erklären. Was sind die Gründe für die Vulnerabilität von Menschen mit Migrationshintergrund und welche Konsequenzen ergeben sich dafür für die Suchtprävention, Beratung und Behandlung? Der Migrations- und Akkulturationsprozess dauert in der Regel mehrere Generationen und ist mit diversen Belastungsfaktoren verbunden. Insbesondere die Migration unter Fluchtbedingungen erfolgt unter besonderen Stress- und Traumatisierungsbedingungen. Dazu kommen die Belastungen durch Veränderungen in Verbindung mit Kulturunterschieden sowie unterschiedlichen und widersprüchlichen Wertorientierungen. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Erfahrung von Gastfreundschaft oder diskriminierender Ausgrenzung. Hierzu kommen prekäre Lebenssituationen durch die Abhängigkeit von öffentlichen Leistungen und stehen auch im Zusammenhang mit niedrigen Bildungsabschlüssen. (Laging M. (2018) S. 93)
Unter Berücksichtigung, dass sich die Bevölkerung mit Migrationshintergrund sehr heterogen zusammensetzt entsprechend gestaltet sich die Darstellung, welche Faktoren eine Suchterkrankung begünstigen oder verhindern, als sehr komplex. Die vorhandenen Daten ergeben Hinweise auf Unterschiede im Suchtmittelgebrauch bei Menschen mit Migrationshintergrund.
Dem DSHS Jahresbericht 2017 kann entnommen werden das 20 % aller Personen in ambulanten Einrichtungen einen Migrationshintergrund besitzen. Den höchsten Anteil von Personen mit Migrationshintergrund zeigen dabei Menschen mit Opiat bezogenen Störungen, von ihnen haben 37 % einen Migrationshintergrund. Während nur 14 % die Hauptdiagnose Alkohol haben. 32 % aller Patienten mit der Hauptdiagnose pathologisches Glücksspiel besitzen einen Migrationshintergrund. (Dauber H., Specht S., Künzel J. & Braun B. (12.2018) S. 33)Es gibt nur geringe empirische Untersuchungen zu Suchterkrankungen bei Menschen mit Migrationshintergrund. Hierbei gilt es zu beachten, dass beim Drogenkonsum von Jugendlichen mit Migrationshintergrund der Anteil der Mädchen und Frauen besonders gering erscheint. Da Sucht in allen Kulturkreisen besonders stigmatisierend wirkt und der Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz einen Ausweisungsgrund darstellt, sind die vorhandenen statistischen Zahlen mit äußerster Vorsicht zu bewerten.
4.1 Migration und Spielsucht
Ob es sich bei pathologischem Glücksspiel um eine Suchterkrankung handelt, ist weiterhin sehr umstritten. Die Autoren der ICD-10:“Vertreten die Auffassung, dass, das Störungsbild pathologisches Glücksspiel in die Gruppe der Impulskontrollstörungen gehört und dementsprechend nicht als Abhängigkeitserkrankung zu verstehen ist. Im Gegensatz dazu fand die Störung durch Glücksspiel in dem DSM-5. Dies Uneinigkeit hat zur Folge, dass in der Literatur manchmal von „pathologischem Spielen“ die Rede ist und manchmal von „Störung durch Glücksspiel“ (Laging M. (2018) S. 62) Es gibt nur wenige Untersuchungen, die sich mit dem Themenkomplex Migration und Glücksspiel befassen. Eine repräsentative Untersuchung aus Deutschland mit zusammengefassten Daten aus 2009 bis 2015 ergab, dass türkischstämmige Migrant*Innen der Anteil der Personen mit pathologischem Glücksspiel besonders hoch ist. Der Anteil ist 6-mal so hoch wie bei Personen ohne Migrationshintergrund. Sie besitzen erhebliche Zugangsbarrieren zum Hilfesystem. Sie befürchten Nachteile für die gesamte Familie und gehen oft davon aus, dass Inhalte der Therapiegespräche an Behörden weitergegeben werden. Da sie die Meinung besitzen, dass es sich bei pathologischem Glücksspiel um eine Charakterschwäche handelt, ergibt dies zwangsläufig eine Hemmung sich Beratung und Unterstützung zu suchen. Die Motive zum Glücksspiel liegen nicht nur im Bereich von Erregung und Anspannung, sondern die Treffpunkte gelten als Hort der sozialen Kontaktaufnahme. Gleichzeitig gibt es aber auch noch weitere Erklärungen, dass hinter dem Glücksspiel sich weitere emotionale Krankheitsbilder verbergen. So geht man davon aus, dass hochbelastete Menschen mit dem Glücksspiel sich von Depressionen und anderen schwer erträglichen psychischen Belastungen ablenken. (Krebs M. (5/2017)S. 23)
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