Primäres Ziel dieser wissenschaftlichen Arbeit ist es vorhandene Daten und Informationen sinnvoll zu vernetzen, um für das Oberthema „Sportunterricht im Förderschwerpunkt Lernen“ einen pädagogischen Entwicklungsprozess aufzeigen zu können und gleichzeitig die aktuellen Fragen der Funktion des Sportunterrichts zu beantworten sowie den thematischen Umgang innerhalb zweier deutscher Bundesländer zu beleuchten. Aufgrund der relativ kurzen Bearbeitungszeit dieser wissenschaftlichen Abschlussarbeit wird auf einen empirischen Forschungsteil verzichtet. Die aufgeführten Zusammenhänge und Vorhersagen werden mittels theoretischer, nachvollziehbarer Überlegungen, die auf bereits vorhandenem Forschungsstand bzw. Wissen basieren, dargestellt.
Es kann wohl ohne Übertreibung behauptet werden, dass der Themenbereich des Sports und des Sportunterrichts mittlerweile eine große Fülle von Publikationen hervorgebracht hat. Dabei muss festgestellt werden, dass sich der überwiegende Teil dieser Literatur am „normal leistungsfähigen“ Schülern bzw. Sporttreibenden orientiert. Dem Sportunterricht in Sonderbereichen hat sich die Sportwissenschaft bzw. Sportdidaktik zögernd zugewandt, und wenn, dann wiederum größtenteils im Hinblick auf SchülerInnen mit geistiger Behinderung und/oder körperlich-motorischen Beeinträchtigungen. Seit den Beschlüssen der UN-BRK erleben die Themengebiete sonderpädagogischer Förderung, auch im Sportunterricht, eine stärke Beachtung. Eine spezifische Auseinandersetzung von Sportunterricht mit SchülerInnen des Förderschwerpunktes Lernen erfolgte im Vergleich zu anderen Förderschwerpunkten zeitlich später, unstetig und hat in den letzten 20 Jahren nur vereinzelte Publikationen hervorgebracht.
Die zunehmende Inklusionsdebatte mit ansteigenden schulischen Integrationsanteilen innerhalb der Bundesländer veranlasste in den letzten Jahren eine weitere Welle von Veröffentlichungen, welche zwar sonderpädagogisch differenziert, jedoch schulfachunabhängigeren Charakter besitzen.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
1.2 Problem- und Fragestellung
1.3 Aufbau der Arbeit
2. Förderschwerpunkt Lernen
2.1 Faktorengruppen für die Entstehung von Lernbeeinträchtigungen
2.2 Einfluss von Bewegung und Motorik auf schulische Lernprozesse
2.3 Die Motorik bei lernbeeinträchtigten SchülerInnen
2.4 Psychomotorische Förderung
3. Sportunterricht in einer Schule zur Lernförderung
3.1 Sportdidaktische Entwicklungen
3.1.1 Tendenzen der Nachkriegszeit bis in die 90er Jahre
3.1.2 Neuzeitliche Modelle hin zu inklusiven Gedanken
3.2 Unterrichtskonzeptionen im Hinblick inklusiver Unterrichtung
3.2.1 Kooperatives Lernen
3.2.2 Direkter Unterricht
3.2.3 Offener Unterricht
3.3 Welche Aufgaben und Anforderungen werden an heutige Lehrkräfte gestellt?
4. Bundesdeutscher Vergleich zwischen dem Freistaat Sachsen und Baden-Württemberg
4.1 Bildungsplan versus Lehrplan
4.2 Analyse Lehrplan/Bildungsplan nach Inhaltsbereichen und Lernzielen
5. Beantwortung der Fragestellungen und Interpretation
6. Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
Der Sportunterricht erhält im deutschen Bildungssystem einen wichtigen Teil des schulischen Bildungs- und Erziehungsauftrags, wobei die pädagogische Bedeutsamkeit sich durch Bewegung ereignet und somit eine gewisse Sonderstellung im schulischen Kanon einnimmt. Er bildet einen Kernbereich des Schulsports und kann einen besonderen Beitrag zu Erfüllung wichtiger überfachlicher Erziehungsaufgaben der Schule (Gesundheitsförderung, soziales Lernen, Werteerziehung) leisten. Bewegung, Spiel und Sport beeinflussen die körperliche, geistige, emotionale und soziale Entwicklung junger Menschen. Deswegen ist es wichtig, gerade in dieser Lebensphase einen Kompetenzerwerb durch Schulsport zu fördern und mit den SchülerInnen Bewegungsräume und -felder zu erschließen. Die Umsetzung und Ausgestaltung dieser Bewegungsfelder waren und sind stets von einer heterogenen Schülerlandschaft geprägt. SchülerInnen mit unterschiedlichsten motorischen, kognitiven oder emotionalen Fähigkeiten und Fertigkeiten bringen individuelle Voraussetzungen in den Unterricht hinein. Durch die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahre 2009 verpflichtete sich die BRD ein inklusives Schulsystem zu entwickeln und umzusetzen. Dabei gehen die 16 deutschen Bundesländer unterschiedliche Wege und Methoden die tiefgreifenden Ziele und Forderungen der Konventionsvereinbarungen zu erfüllen. Das Aufgabenfeld Bewegung steht somit in einer intensiven Bearbeitung innerhalb aller Schulformen. Ausgehend vom traditionellen Sportunterricht der Primar- und Sekundarstufe lassen sich heute Wandlungen in den Rahmenrichtlinien der einzelnen Bundesländer erkennen. Die bildungspolitischen Umbrüche des letzten Jahrzehnts, welche vorrangig den sogenannten "starken Fächern" gewaltige Veränderungen aufzwängten sind nicht spurlos am Schulsport vorbeigezogen, sondern auch hier wurden im Brennpunkt des ständigen Legitimationsdrucks des Faches und der Debatte um den Bildungsauftrag des Sportunterrichts weitreichende Neuerungen verordnet. Begriffe wie Bewegungsbildung, Trendsportarten, integrative Sportspielvermittlung, Sinnesschulung oder Psychomotorik lassen erkennen, dass der traditionelle Sportbegriff eine wesentliche Erweiterung erfährt. Auch der (sonderpädagogische) Sportunterricht für SchülerInnen mit diagnostizierter Lernbeeinträchtigung sieht sich durch die Veränderungen der Schullandschaft neuen Aufgaben gewachsen. Die vorliegende Arbeit soll tiefgründig über Sportunterricht für SchülerInnen des Förderschwerpunktes Lernen informieren, einige Entwicklungsschritte und aktuelle didaktische Diskussionen aufzeigen, die Wirkungsweise von Sport und Bewegung auf das schulische Lernen darstellen und einen überblickenden Vergleich zwischen den Verhältnissen in Baden-Württemberg und Sachsen aufzeigen.
1.2 Problem- und Fragestellung
Es kann wohl ohne Übertreibung behauptet werden, dass der Themenbereich des Sports und des Sportunterrichts mittlerweile eine große Fülle von Publikationen hervorgebracht hat. Dabei muss festgestellt werden, dass sich der überwiegende Teil dieser Literatur am „normal leistungsfähigen“ SchülerIn bzw. Sporttreibenden orientiert. Dem Sportunterricht in Sonderbereichen hat sich die Sportwissenschaft bzw. Sportdidaktik zögernd zugewandt, und wenn, dann wiederum größtenteils im Hinblick auf SchülerInnen mit geistiger Behinderung und/oder körperlich-motorischen Beeinträchtigungen. Seit den Beschlüssen der UN-BRK erleben die Themengebiete sonderpädagogischer Förderung, auch im Sportunterricht, eine stärke Beachtung. Eine spezifische Auseinandersetzung von Sportunterricht mit SchülerInnen des Förderschwerpunktes Lernen erfolgte im Vergleich zu anderen Förderschwerpunkten zeitlich später, unstetig und hat in den letzten 20 Jahren nur vereinzelte Publikationen hervorgebracht. Eine erstmalige tiefgründige thematische Auseinandersetzung zum Thema Sportunterricht im Förderschwerpunkt Lernen fand in den 1980er Jahren der BRD statt. Überblickende Literatur bieten dabei die Publikationen von Jürgen Bielefeld „Sportunterricht an Schulen für Lernbehinderte“ (1987) sowie Beiträge von „Sportunterricht an der Lernbehindertenschule“ (1984) von Kanter, Langenhohl & Sommer. Der zweite Band thematisiert die psychomotorische Erziehung, erläutert motorische Behinderungsformen und typische Bewegungsmuster lernbeeinträchtigter SchüleInnen. Zudem werden Entwicklungstendenzen mit praktischen Beispielen (Medieneinatz, Kleine Spiele, Tanzen) in Verbindung gebracht. Zwischen 1980 und 1990 entstanden weitere Beiträge, welche diese thematische Auseinandersetzung fokussierten. So leisten die Beiträge von Ernst J. Kiphard zur Motopädagogik und Psychomotorik wichtige Inhalte zur Entwicklungsförderung lernbehinderter SchülerInnen. Die zunehmende Inklusionsdebatte mit ansteigenden schulischen Integrationsanteilen innerhalb der Bundesländer veranlasste in den letzten Jahren eine weitere Welle von Veröffentlichungen, welche zwar sonderpädagogisch differenziert jedoch schulfachunabhängigeren Charakter besitzen. Primäres Ziel dieser wissenschaftlichen Arbeit ist es vorhandene Daten und Informationen sinnvoll zu vernetzen, um für das Oberthema „Sportunterricht im Förderschwerpunkt Lernen“ einen pädagogischen Entwicklungsprozess aufzeigen zu können und gleichzeitig die aktuellen Fragen der Funktion des Sportunterrichts zu beantworten sowie den thematischen Umgang innerhalb zweier deutscher Bundesländer zu beleuchten. Aufgrund der relativ kurzen Bearbeitungszeit dieser wissenschaftlichen Abschlussarbeit wird auf einen empirischen Forschungsteil verzichtet. Die aufgeführten Zusammenhänge und Vorhersagen werden mittels theoretischer, nachvollziehbarer Überlegungen, die auf bereits vorhandenem Forschungsstand bzw. Wissen basieren, dargestellt. Folgende Fragestellungen sollen durch eine vertiefte Datenanalyse versucht werden zu beantworten.
F1. Inwieweit beeinflusst die motorische Entwicklung kognitive, schulische Lernprozesse?
F2. Welche Entwicklungsschritte durchlebte die Sportpädagogik im Umgang mit lernbeeinträchtigten SchülerInnen?
F3. Warum wird dem Sportunterricht eine tragende Rolle in der Diskussion über inklusive Schulformen zugeteilt?
F4. Welche didaktischen und methodischen Kompetenzen benötigt der moderne SportlehrerIn?
Aufgrund fachdidaktischer Entwicklungen im Schulsport sind für den abschließenden Lehrplanvergleich zwei weitere Fragenkomplexe leitend, auf deren Grundlage das Analyseschema basiert.
F5.1. Inwiefern spiegelt sich die aktuelle fachdidaktische Diskussion des Sports in den Lehrplänen/Bildungsplänen von Sachsen und Baden-Württemberg wider?
F5.2. Welche Unterschiede lassen sich zwischen den Schulstufen und den Lehrplantypen auf der curricularen Ziel-, Inhalts-, und Umsetzungsebene erkennen?
1.3 Aufbau der Arbeit
Die wissenschaftliche Arbeit ist in sechs große Kapitel aufgeteilt. Im ersten Teil werden zunächst die Problemstellung und Fragestellungen sowie der theoretische Rahmen der Arbeit aufgeführt. Mit Hilfe einer ausführlichen Literaturrecherche und Datenanalyse erfolgt anschließend eine umfassende inhaltliche Auseinandersetzung, welche zielgerichtete die Beantwortung der Fragestellungen in den Blick nimmt. In Kapitel zwei wird der theoretische Hintergrund des Förderschwerpunktes Lernen in Verbindung mit Bewegung und motorischer Entwicklung gesetzt. Die Verknüpfung zum Sportunterricht im Förderschwerpunkt Lernen erfolgt durch die Darstellung sportdidaktischer und methodischer Entwicklungen. Um einerseits die Aktualität der zu gewinnenden Erkenntnisse zu gewährleisten, andererseits Inhalte frühere Entwicklungen zu verstehen schränkt sich die Analyse hauptsächlich in relevante Literatur, von 1984 bis 2017 ein. In Kapitel 4 soll ein unterschiedlicher Umgang zum Thema des Sportunterrichts mit lernbeeinträchtigten SchülerInnen durch einen Lehrplan bzw. Bildungsplanvergleich der bundesdeutschen Länder Baden-Württemberg und Sachsen stattfinden. Im vorletzten inhaltlichen Kapitel werden die Daten interpretiert, auf die Fragestellungen übertragen und schließlich beantwortet. Abschließend werden die Ergebnisse zusammengefasst und ein Ausblick in weitere Forschungsgebiete zum Thema des Sportunterrichts im Förderschwerpunkt Lernen gegeben. Die formale Gestaltung der Arbeit richtete sich nach den Richtlinien der Manuskriptgestaltung der Deutschen Vereinigung der Sportwissenschaft (dvs-Standard).
2. Förderschwerpunkt Lernen
Die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz von 1999 beschreiben schulisches Lernen „als Entfaltung der eigenen Kräfte sowie als Aneignung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten“ (KMK, 1999), welches „sich im Austausch des Individuums mit seiner Umwelt“ vollzieht (ebd.). In diesem Wechselwirkungsprozess stehen den SchülerInnen vielfältige Dispositionen zur Verfügung, um das Wissen und Können zu erweitern und Lernstrategien und Leistungsfähigkeit zu entwickeln. Das Ziel der entwicklungsfördernden und selbstbestimmten Auseinandersetzung des Einzelnen mit sich und seiner Umwelt setzt Ganzheitlichkeit der Inhalte sowie Strukturiertheit der Lernformen und Lernverläufe voraus. Intensität und Effektivität des Entwicklungs- und Aneignungsprozesses werden durch Aktivität und Selbstbestimmtheit des Lernenden in positiver Weise beeinflusst und es werden Handlungskompetenzen im Sinne einer bestmöglichen Persönlichkeitsentwicklung erweitert. Lernprozesse verlaufen bei den Kindern und Jugendlichen nicht einheitlich; sie unterliegen einer Vielzahl von förderlichen und hemmenden Bedingungen. Neben den Schülerinnen und Schülern mit diagnostizierter Lernbehinderung gibt es kaum eine vergleichbare Gruppe von Beeinträchtigten, über deren Kennzeichnung bzw. Abgrenzung so intensiv diskutiert wird Klauer, Bleidick und Begemann weisen darauf hin, dass das Wort „Lernbehinderung“ als Oberbegriff, d.h. gleich geordnet mit Behinderungen überhaupt, (miss)verstanden werden könnte. Auch Sprach- und Körperbehinderungen, Sinnesschäden sowie geistige Behinderungen haben Erschwerungen im Lernen zur Folge. Da diese Art von „LernBehinderungen“ jedoch nicht gemeint sind, müssen sie ausgeschlossen werden (vgl. Schröder 2005, S. 79ff). Klar ist zumindest, dass mit dem Begriff Lernbehinderung das Phänomen beschrieben wird, dass es SchülerInnen gibt, die unter den gegebenen schulischen Bedingungen die Anforderungen der Regelschule nicht oder nur unzureichend im erwarteten Maße erfüllen. Die Abweichung von einer curricular definierten Schulleistungsnorm ist das entscheidende Merkmal dieser als „lernbehindert“ bezeichneter Schülergruppe. Dies sieht die Kultusministerkonferenz (KMK) ähnlich und ersetzt die Terminologie von „Lernbehinderung“ durch die Bezeichnung „Beeinträchtigung im (schulischen) Lernen bzw. sonderpädagogischer Förderbedarf“. Dieser sonderpädagogische Förderbedarf ist „bei Kindern und Jugendlichen anzunehmen, die in ihren Bildungs-, Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten so beeinträchtigt sind, dass sie im Unterricht der allgemeinen Schule ohne sonderpädagogische Unterstützung nicht hinreichend gefördert werden können“ (KMK 1994, in Greving 2007, S. 107). Zum Förderschwerpunkt Lernen zählen somit Schülerinnen und Schüler mit Lernstörungen und Lernbeeinträchtigungen, wie z. B. Lese-Rechtschreib-Schwäche, Rechenschwäche oder Entwicklungsstörungen bei den schulischen Fertigkeiten. Sie haben lang andauernde Beeinträchtigungen in ihrem Lern- und Leistungsverhalten. In der Folge benötigen sie individuelle Lernhilfen, da sie dem Lernstoff im normalen Umfang und dem Tempo trotz Förderunterricht nicht folgen können. Kinder und Jugendliche in diesem Bereich weisen eine umfängliche kognitive Funktionsstörung auf. Der verwendete Terminus „Beeinträchtigung des Lernens“ steht m Gegensatz zu historisch verwendeten Begriffen wie „Sonderschüler“ oder „Hilfsschüler“ in keiner direkten Beziehung zu einer spezifischen Schulform, so heißt es in den Empfehlungen zum Förderschwerpunkt Lernen: „Die schulische Förderung im Förderbereich Lernen bezieht alle Schularten und Schulstufen ein. Dabei wird angestrebt, dass gemeinsame Lernen aller Schülerinnen und Schüler mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf verwirklicht werden kann“ (Drawe et al 2000, S. 308). Derzeitig haben mehr als eine halbe Million Kinder und Jugendliche in Deutschland einen diagnostizierten sonderpädagogischen Förderbedarf. Das sind knapp 7% aller Schülerinnen und Schüler (Bertelsmann Stiftung, 2015, S. 29). Der Förderschwerpunkt Lernen stellt mit einem bundesweiten Anteil von 38,8 Prozent die größte Gruppe unter den SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf dar.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Sonderpädagogischer Förderbedarf nach Förderschwerpunkten in Deutschland in Prozent (Klemm, 2015, S. 29)
In den letzten Jahren hat die Zahl der Förderschulen aufgrund der demografischen Entwicklung einerseits und der zunehmenden Integration in die allgemeinbildenden Schulen andererseits kontinuierlich abgenommen. So hat sich die Zahl der SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die keine Förderschule besuchen, seit dem Schuljahr 2000/2001 mehr als verdoppelt. Im Schuljahr 2012/2013 wurde jeder dritte SchülerIn mit sonderpädagogischem Förderbedarf an allgemeinbildenden Regelschulen unterrichtet. Allerdings hat das verwendete inklusive Unterrichten in der Regelschule nicht zu einem Rückgang des Unterrichtens in Förderschulen geführt, da die Förderquote auf 6,8 Prozent angestiegen ist (vgl. Klemm 2015). In Sachsen wird zwischen mehreren Formen der .integrativen Unterrichtung' unterschieden. Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf nehmen entweder in vollem Umfang am Unterricht einer allgemeinbildenden oder berufsbildenden Schule teil und gehören auch dieser Schule an oder sie bleiben SchülerInnen einer Förderschule und besuchen in einzelnen Unterrichtsfächern den Unterricht einer benachbarten Schule. Darüber hinaus ist auch eine kooperative Form möglich, indem eine oder mehrere Klassen der Förderschule im Schulgebäude einer benachbarten Schule unterrichtet und gemeinsame Aktivitäten im Schulalltag sowie Begegnungen im Freizeitbereich organisiert werden (SBI, 2013). Im Schuljahr 2013/2014 gingen 28,3 Prozent der verhaltensauffälligen, lern- oder körperbehinderten SchülerInnen im Freistaat nicht mehr auf eine separate Förderschule. Fünf Schuljahre zuvor hatte der Inklusionsanteil noch bei 16,4 Prozent gelegen. Sachsen liegt jedoch trotz des Anstiegs noch hinter dem Bundesdurchschnitt in Höhe von 31,4 Prozent. Der Integrationsanteil differenziert sich in den einzelnen Förderschwerpunkten deutlich und zeigt, dass „fast ausschließlich Kinder mit 'zielgleichem' Rahmenlehrplan integriert werden“ (Preuss-Lausitz, 2011). Wie auf Bundesebene so gilt auch im Freistaat Sachsen, dass eine höhere Bildungsstufe eine geringere Chance auf Inklusion mit sich bringt. Liegt der Inklusionsanteil in sächsischen Kitas noch bei 81,4 Prozent und an Grundschulen bei 39,4 Prozent, so besucht nur jeder Fünfte der rund 3.400 FörderschülerInnen der Sekundarschule ein Gymnasium (Bildungsmonitor, 2015). Im bundesweiten Vergleich ist besonders der geringe Anteil an SchülerInnen des Förderschwerpunkts Lernen, die inklusiv unterrichtet werden, auffällig.
2.1 Faktorengruppen für die Entstehung von Lernbeeinträchtigungen
LernerInnen mit Lernschwierigkeiten sind weniger effektiv in der Informationsverarbeitung, arbeiten meist weniger systematisch und sind oft über eine gewisse Passivität gegenüber komplexen Aufgaben gekennzeichnet (Wember in Heimlich & Wember S. 165). Um die Entstehung dieser Lernbeeinträchtigung bzw. Lernbehinderung zu verstehen, bedient sich G. Kanter dem „bio- sozialen Modell der Interaktion und Kumulation“ (Schröder, 2005, S. 183 ff.). Biologisch - organische Bedingungen stehen dabei von Beginn an in enger Interaktion und prägen in ihrer Kumulation innerhalb zahlreicher Lernprozesse die Entwicklung der Person. Kumulation bedeutet dabei vor allem das „'gehäufte Wirken von Faktoren in negativer, beeinträchtigender Richtung’ “ (Kanter zitiert nach Schröder 2005, S.81). Diese Belastungsmomente agieren dann im Prozess ihrer Kumulierung nicht isoliert voneinander, sondern in einer sich verstärkenden Wechselwirkung, in Interaktion (vgl. ebd., S. 183). So benennt Kanter im Zusammenhang mit der Ursachenfrage vier Hauptgruppen von Rahmenbedingungen, die Lernbehinderungen verursachen können, wobei er diese in Rahmenbedingungen erster und zweiter Ordnung unterteilt. Zu den Rahmenbedingungen erster Ordnung gehören soziale und kulturelle Umweltbedingungen sowie biologische - organische Bedingungen. Die Rahmenbedingungen zweiter Ordnung werden durch Primäres/Frühes Lernen und Stabilisierungs- und Verfestigungstendenzen gebildet. Um die genauen Ursachen für die Entstehung von Lernbehinderung genauer analysieren und verstehen zu können, ist es wichtig zu sehen, welche Faktorengruppe(n) eigentlich eine Lernbeeinträchtigung bedingen zu können. Im Wesentlichen können dafür folgende Faktorengruppen benannt werden (vgl. Bleidick 1996, S. 187 - 189):
Entwicklungs- und lernerschwerende biologische Faktoren:
- Genetische Faktoren (z.B. Vererbung geistiger Defektzustände: „Erbschwachsinn“)
- Exogene hirnorganische Schädigungen (Komplikationen die vor, während oder nach der Geburt entstehen, wie zum Beispiel Sauerstoffmangel)
- Somatische Beeinträchtigungen nicht cerebraler Art (Früh- oder Mangelgeburten, chronischen Erkrankungen, Fehl- sowie Mangelernährung)
- Vitalitätsmangel aufgrund krankheitsbedingter Schonungsbedürftigkeit (bei Frühchen) führt zu Erfahrungsdefiziten, die Lernverzögerungen nach sich ziehen
- Periphere Sinnesdefekte (Sehbehinderung/Hörbeeinträchtigung) bzw. motorische Störungen bedingen Lernverzögerungen und/oder behindern weitere Lernprozesse
- Dramatische Ereignisse während der Kindheit (beispielsweise Unfälle, schwerwiegende Verlusterlebnisse oder Krankheiten)
Insgesamt handelt es sich hierbei weniger um essentielle Schädigungen des Zentralnervensystems, die zu geistigen oder körperlichen Behinderungen führen, sondern eher um leichtere, unbestimmte Funktionsstörungen, welche auch als Teilleistungsstörungen bezeichnet werden.
Entwicklungshemmende und lernerschwerende Umwelteinflüsse
Nach Schmutzler (vgl. 1994, S. 287ff.) scheint unbestritten, dass bis zu 80% der lernbeeinträchtigten Schüler aus der sozialen Unterschicht mit extremen deprivierenden Entwicklungsbedingungen stammen.
- Kleinere und schlechter ausgestattete Wohnungen in meistbenachteiligten Wohnsiedlungen
- Mehrere Geschwister bewirken geringeren, eigenen, verfügbaren (Wohn-) Raum zum Lernen, Ausruhen und beengen die Privatsphäre
- Unzureichende Befriedigung grundlegender kindlicher Bedürfnisse (Sicherheit, Geborgenheit, Pflege, Ernährung, Bewegung, Spiel sowie sonstige Aktivitäten)
- Fehlende Anregungen für die Leistungsmotivation und Erziehungsbeziehungsweise Sozialisationsmuster, die dem Kind das Lernen erschweren (das Austragen gewaltfreier Konflikte)
- Deprivierende Erziehungsbedingungen, die wenig Anregung zum Lernen in der Schule sowie in einer hoch komplizierten Gesellschaft bietet
- Das pädagogische Verhältnis zwischen Eltern und Kindern ist bestimmt durch regelfreie, widersprüchliche Erziehung und mangelnder Zuwendung
- Labiler, perspektivarmer, unausgeprägter Erziehungsstil (geringe Beaufsichtigung, vorwiegend passive Freizeitgestaltung)
Durch die Aufführung der vielschichtigen entwicklungshemmenden Eigenschaften wird ebenfalls deutlich, dass ein eingeschränktes Bewegungs- und Aktivitätsverhalten lernerschwerend auf die SchülerInnen einwirken kann.
2.2 Einfluss von Bewegung und Motorik auf schulische Lernprozesse
Bewegung gilt als erste und gleichzeitig wichtigste Kommunikationsform des werdenden Menschen, um sich selbst sowie die Umwelt optimal zu beherrschen und diese gleichzeitig als soziale Kommunikationsform einsetzen zu können (Schilling, S. 26). Im heutigen Verständnis der motorischen Entwicklung wird angenommen, dass Lernen und Reifen in Interaktion stehen, sodass durch Umweltstimuli bestimmte Reifungsprozesse beschleunigt oder gehemmt werden. Diese Auseinandersetzung findet zwischen dem gesamten Organismus mit der Umwelt statt, um eine möglichst große zeitliche und räumliche Unabhängigkeit bzw. Nutzbarmachung der Umweltbedingungen zu erreichen. Eine gemessene motorische Fähigkeit setzt sich dabei aus der individuellen Hirnreifung, angeborenen Persönlichkeitsmerkmalen und erlernten spezifischen Merkmale motorischen Verhaltens zusammen. (ebd., S. 27). Psychisch-Emotionale Bewegungssteuerungen, wie sie bei SchülerInnen mit Lernbeeinträchtigungen häufig zu finden sind, spielen bei diesen Anpassungsprozessen eine wesentliche Rolle. Nach den Ideen des Entwicklungspsychologen Piaget basiert der Aufbau kognitiver Funktionen wesentlich auf der sensomotorischen Entwicklungsphase. Schon im Säuglingsalter werden durch Rückkopplungsprozesse (Lächeln, Weinen) mit den Eltern, speziell mit der Mutter die eigene Entwicklung bestimmt. „Bewegungsverhalten ist daher immer Ausdruck des Erlebens, Ausdruck der Bedürfnisse, Ausdruck psychischer Korrelate“ (ebd. S. 28), sodass der Prozess der Individualität wesentlich durch eine psychomotorische Entwicklung geprägt ist. Bewegungsmangel, Verhinderung von Bewegungsbedürfnissen führen in der Regel zu vielfältigen Störungen der Persönlichkeit, welche sich u.a. in Verhaltensauffälligkeiten, Kommunikationsschwierigkeiten oder der sogenannten „sozialen Verarmung“ ausdrücken (ebd.). Der Mangel an körperlicher Aktivität wird vor diesem Hintergrund auch als Ausgangspunkt für weitere negative Folgeerscheinungen angesehen. Misserfolg in Bewegungssituationen oder im Sport führen zu einer Vermeidung von Bewegungsanforderungen, welche wiederum eine Zunahme der Bewegungsunsicherheit mit anschließender Leistungsminderung hervorruft. Aus entwicklungspsychologischer Sicht ist die Motorik in den ersten Lebensmonaten und Jahren Grundlage der von Piaget beschriebenen sensumotorischen Intelligenz (Zimmer, 1996). Aufgrund dieser Erfahrungen entwickeln sich kognitive und logische Prozesse weiter, was deutlich macht, dass die motorische Entwicklung, zusammen mit der Wahrnehmung, Grundvoraussetzung für viele höhere geistige Leistungen darstellt. Dordel weist außerdem auf die Bedeutung der Bewegungs- und Wahrnehmungserfahrungen für das Erlernen der Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen hin. Mengen, Größenordnungen und Vorstellungen von Zahlenräumen bedürfen der „konkreten Erfahrungen von Raum und Räumlichkeit“ (Dordel, 2003, S. 505). So kann umgekehrt eine gestörte Körperorientierung und Körperschemabildung Unsicherheit bei der Bestimmung der Raumlage verursachen, was wiederum zu Schwierigkeiten beim Erlernen des Schreibens, Lesens und Rechnens führt (ebd.) Aussagen wie „Toben macht schlau“, „Lernen braucht Bewegung“ oder der berühmte Ausspruch von Johann Heinrich Pestalozzi Lernen mit „Kopf, Herz und Hand“ scheinen aus entwicklungspsychologischer und pädagogischer Perspektive durchaus berechtigt zu sein. Auch aus neurophysiologischer Sicht kann die Annahme des positiven Einflusses körperlicher Aktivität auf die kognitive Leistungsfähigkeit gestützt werden. Die Motorik fördert die synaptische Verschaltung und Erhaltung von möglichst vielen Nervenzellen bis etwa zum 8.-10. Lebensjahr (Zimmer, 2004). Komplexe Bewegungen wie z.B. Ballspiele oder tanzähnliche Übungen sind grundlegend für die Entwicklung und Reifung des kindlichen Gehirns. Hollmann und Strüder (2003) beschäftigen sich mit der Gehirnentwicklung von der frühen Kindheit bis ins hohe Alter. Das frühkindliche Alter ist generell durch den Abbau nicht genutzter Neuronen und durch eine Strukturierung der Synapsen gekennzeichnet. Gerade in dieser Phase fördert koordinative Beanspruchung laut Hollmann und Strüder (2003) den Erhalt überschüssiger Neuronen sowie die Synapsenbildung. Körperliche Aktivität hat zudem weitere mentale Effekte, die gerade im Grundschulalter, einer Phase, in der die Qualität der Informationsaufnahme und Verarbeitung entscheidend für das Lernen ist, von großer Bedeutung sind. Schon kurze Belastungsphasen führen hier sympatikusvermittelt zu einer generalisierten Aktivitätssteigerung, zu mehr Wachheit und Vigilanz (Zimmer, 2004).
Nationale umfassende Querschnitt- (Modalis-Studie, CHILT-Studie, LOGIK-Studie) und Interventionsstudien („Bewegte Schule“) belegen die gegenseitige Beeinflussung von motorischem Können und kognitiven Leistungen. Die Beweisführung auf internationaler Ebene wird unter anderem durch die Querschnittstudie des amerikanischen Bundesstaates Kalifornien erbracht. Die Leistungen der Fächer Mathematik und Lesen wurden anhand des Stanford Achievement Tests 9 ermittelt, während die physische Fitness mit einem vom Cooper-Institut entwickelten Fitnessgramm erhoben wurde. Die Daten stammen von rund 950.000 SchülerInnen der Klassen 5, 7 und 9 aus dem Jahr 2001. In allen Klassenstufen gingen niedrige Fitnesswerte mit unterdurchschnittlichen kognitiven Leistungen einher und umgekehrt. Der Zusammenhang zwischen Fitness und Leistungen in Lesen war hierbei niedriger als der zu Leistungen in Mathematik (Kettenis, 2014). Eine zweite Untersuchung zur Parallelität der physischen Fitness und akademischen Leistungen erbrachte nochmals einen positiven Zusammenhang der Leistungen in beiden Bereichen (Singh & McMahan, 2006). Einen weiteren Beleg für den positiven Einfluss von gezielten Bewegungsprogrammen auf die kognitive Leistungsfähigkeit erbringt eine Studie von Eunicke-Morell aus den Jahren 1983 bis 1985. Sie untersuchte den Einfluss eines speziellen psychomotorischen Unterrichts. Welcher alternativ zum normalen Sportunterricht stattfand, auf die kognitive Leistungsfähigkeit lernbeinträchtiger „Sonderschüler“ im Alter von 10 bis 12 Jahren. Die Ergebnisse zeigen, dass die Kinder, die am psychomotorischen Unterricht teilnahmen, nach 18 Monaten Intervention ihre Leistungen in einem Intelligenztest signifikant mehr steigern konnten, als dies bei der Kontrollgruppe der Fall war. Moser (2010) fasst in ihren Überlegungen zusammen, dass die Mehrheit der Korrelationsstudien von entscheidenden Effekten der chronischen körperlichen Aktivität auf die Verbesserung bzw. den Erhalt kognitiver Leistungsfähigkeit berichtet (S. 55). Sibley und Etnier (2003) geben zu bedenken, dass körperliche Aktivität möglicherweise das Selbstvertrauen stärkt und hilft, soziale Ängste abzubauen, was sich wiederum indirekt positiv auf die kognitiven Leistungen auswirken kann. Vermehrter Sportunterricht führt dabei nicht zu einer Verschlechterung der Schulleistungen, „sondern einerseits zu einer Verbesserung der der Gesundheit und andererseits in manchen Fällen sogar zu einer zusätzlichen Verbesserung der Schulleistung“ (ebd. S.55-56).
2.3 Die Motorik bei lernbeeinträchtigten Schülerinnen
Durch den benannten Zusammenhang von kognitiver und motorischer Entwicklung lassen sich bei einer Vielzahl von SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf mit Schwerpunkt Lernen auch motorische Auffälligkeiten und Probleme erkennen. Den Aussagen und Untersuchungen zum motorischen Erscheinungsbild bei lernbeeinträchtigten SchülerInnen ist gemein, dass sie auf die Heterogenität der motorischen Leistungsfähigkeiten verweisen. Kiphard (1987) beschreibt, dass „rund ein Viertel der Lernbehinderten motorisch durchschnittlich bis überdurchschnittlich leistungsfähig“ sind, während mehr als die Hälfte subnormale motorische Leistungen bis hin zu „völlig insuffizienten Bewegungsleistungen“ erreichen. Die motorische Leistungsfähigkeit dieser Kinder ist generell differenziert zu betrachten, da sie in allen möglichen Graden, Abstufungen und Ausprägungen auftreten können. Für die Expertise des Sonderpädagogen im Sportunterricht ist es notwendig grob-, fein- und senso-/ideamotorische Leistungsinsuffizienzen zu erkennen sowie spezielle bewegungspädagogische Hilfsmaßnahmen einzuleiten. SchülerInnen mit einer grobmotorischen Leistungsinsuffizienz fallen dem Lehrer durch verlangsamte, tollpatschige Bewegungsreaktionen und -aktionen auf (vgl. Kiphard, 1987, S. 19). Den betroffenen Kindern mangelt es an Kraftfähigkeiten sowie grobmotorischem Koordinationsvermögen, welche durch „konstitutionell oder hirnorganisch bedingte Entwicklungsverzögerungen oder Ausfälle“ (ebd.) entstehen können. Um den grobmotorischen Bewegungsschwierigkeiten entgegen zu wirken, benötigen die SchülerInnen eine viel längere Zeit der Übungsphase, welche durch zusätzlichen Sportförderunterricht einen individuelleren Charakter bekommen kann. Feinmotorisch bewegungsinsuffiziente Kinder treten mit grobmotorischen Störungen gemeinsam auf und weisen erhebliche Mängel der Hand-Auge-Koordination, der Gleichgewichtsfähigkeiten sowie der koordinativen Differenzierungsfähigkeit auf. Koordinationsstörung der Feinsteuerung von Fingern und Gliedmaßen kommen bei lernbeeinträchtigten SchülerInnen häufiger vor und beziehen sich oft unilateral auf die bevorzugte Körperseite (ebd., S.21). Zusätzliche koordinative Übungen sollten im Sportunterricht mit variablen Übungsbedingungen (Material, Regeln, Zusatzaufgaben) und in einem psychisch ausgeruhten Zustand (Erwärmung, erster Hauptteil) stattfinden. Eine Übungsvarianz kommt auch der Schulung von sensomotorischen Bewegungen entgegen. Durch das Ansprechen vieler Sinne werden Bewegungsimpulse mit sensorischer Rückmeldung situativ angepasst. Bei sensomotorische gestörten Kindern sollten Übungen mit dem Lehrgrundsatz „vom Leichten zum Schweren“ berücksichtigt werden.
„Schüler der Unterstufe, bei den das Zusammenspiel zwischen Auge und Hand unzureichend funktioniert, [...] versagen primär nicht deshalb, weil ihre Handmotorik gestört ist, sondern weil ihre Augenbewegung zu langsam sind Ehe die Hand und Fingermuskeln das Zufassen lernen, müssen die Augenmuskeln es gelernt haben!“ (Kiphard, 1987, S.21)
Nach Barth haben Kinder mit kinästhetischen Wahrnehmungsstörungen Schwierigkeiten mit dem Erlernen komplizierter Bewegungsabläufe, die bei vielen grob- und feinmotorischen Aufgaben erforderlich sind, in der Zielgenauigkeit wie z.B. Zeileneinhaltung, Lautbildungs- und Artikulationsstörungen, in der Formwahrnehmung, Schätzen von Strecken und Herstellung von Größenbeziehungen, in der Stifthaltung und im Arbeitstempo. Zusammen mit der vestibulären Wahrnehmung ist die kinästhetische Wahrnehmung für die Steuerung des Muskeltonus zuständig. Störungen führen zu geringem (hypotonen) oder zu starkem (hypertonen) Muskeltonus, was in beiden Fällen zu rascherer Ermüdung bei Anforderungen führt. Hyperkinesien treten häufig bei Kinder mit ADHS auf und kennzeichnen sich mit einer gesteigerten Bewegungsunruhe. Diese Extrabewegungen laufen unabhängig vom Willen des Kindes ab und können durch verschiedene Ursachen auftreten, z.B. cerebrale Hirnschädigung, Erregungssteigerung in sensiblen Phasen der Ontogenese (vgl. Kiphard, 1987, S. 25). Hinsichtlich einer kortikalen Filterfunktion besteht bei einer Reihe von SchülerInnen mit Lernbeeinträchtigungen ein Reifungsrückstand, sodass die willentliche Beherrschung der ungestümen motorischen Antriebe deutlich erschwert wird. Kiphard sieht in der „mangelnden Willenssteuerung der Spontanmotorik ein psychomotorisch höchst wichtiges [...] Symptom einer allgemeinen Retardierung“ (1987, S. 25). Die Annahme einer globalen Unterlegenheit gegenüber SchülerInnen ohne Förderbedarf im Lernen kann teilweise bekräftigt werden. Doll-Trepper belegte ein heterogenes Leistungsprofil im koordinativen Leistungsvermögen lernbeeinträchtigter SchülerInnen. Demnach wiesen knapp 57% der untersuchten Kinder „gestörte psychomotorische Leistungen auf, bei 25 % wurden Auffälligkeiten registriert und bei lediglich 18,1% [...] altersentsprechende Resultate“ (Fediuk, 2008, S. 46). Bewegungsretardierungen und ihre Ursachen haben bei SchülerInnen mit diagnostizierter Lernbeeinträchtigung vielfältigen Charakter. Schilling (1987) sieht mögliche Einflussfaktoren sowohl in der Störung der sensomotorischen Funktionssysteme als auch in beengten Wohnverhältnissen sowie im sozio-ökonomischen Bedingungsfeld (sozialer Status). Lernbeeinträchtige Kinder und Jugendliche leben vielfach in Stresssituationen mit sich selbst und ihrer Umwelt. Sie haben Schwierigkeiten im Umgang mit ihren Eltern, ihren Lehrkräften und mit allgemeinen schulischen Situationen. In engem Zusammenhang mit der eingeschränkten Bewegungsentwicklung kann es zu einer zentralen Verunsicherung der Gesamtpersönlichkeit sowie zu Kommunikationsstörungen kommen (Schilling, S. 34). Diese Aussagen machen insgesamt den hohen Stellenwert von Bewegung, Spiel und Sport im Gesamterziehungsprozess lernbeeinträchtigter SchülerInnen deutlich.
2.4 Psychomotorische Förderung
Der schulische Lernerfolg eines Kindes hängt formal nicht nur von intellektuellen, kognitiven Faktoren ab. Ebenso sehr müssen psychische Faktoren wie Interesse, Motivation bzw. inneres Engagement und konzentrative Zuwendung einbezogen werden (Kiphard, 1987, S. 48). Der Bereich der psychomotorischen Konzeption versucht diese Faktoren in das Entwicklungsgefüge von Kinder und Jugendlichen einzubeziehen und bildet einen festen Bestandteil sonderpädagogischer Förderung.
„Psychomotorische Förderung ist eine weit verbreitete Praxis Kindern mit verschiedenartigen Lern- und Entwicklungsverzögerungen durch das Medium Bewegung besser an schulische und außerschulische Lernanforderungen heranzuführen. [...]. Darüber hinaus werden die Beziehungsmuster zum Lebenskontext positiv beeinflusst. (Eggert und Reichenbach in Walter & Wember, S. 315)
Die Geschichte der Psychomotorik und Motopädagogik im deutschsprachigen Raum ist noch nicht sehr alt. Im Jahr 1955 beschloss Zirkusclown und Sportwissenschaftler Ernst Johnny Kiphard sensomotorisch entwicklungsgestörte Kinder durch Bewegung in ihrer Gesamtentwicklung zu fördern. Die Konzeption lässt neben den Einflüssen von Rhythmik und der Integration heilpädagogischer Methoden, eine enge Verbindung von Wahrnehmung und Bewegung einfließen. Kiphard war schon Ende 1950er Jahre der Meinung, Motorik und Verhalten von entwicklungsretardierten Kindern verändern zu können und bewies dies mit einer maximal achtwöchig andauernden Übungsbehandlung (Kiphard 2001, S.12). Folgende Tatsachen wurden ermittelt:
- Abnahme der psychischen Desintegration, verbunden mit einer Stärkung und Stabilisierung innerseelischer Kräfte.
- Nachlassen der Intensität psychomotorischer Enthemmung und des Störverhaltens.
- Vermehrte Anstrengungsbereitschaft und Konzentrationsfähigkeit bei Bewegungsaufgaben.
- Gleichbleibend geringe Konzentrationsfähigkeit bei schulischen Arbeitsproben, wenn auch in der Verteilung über einen längeren Zeitraum ausgeglichener. (Kiphard 2001, S.13)
Diese ursprüngliche Idee von Entwicklungsförderung wurde von Kiphard in ein uns heute unter dem Namen „psychomotorische Übungsbehandlung“ bekanntes Konzept verwandelt. (Schilling 2003, S.16). Aus diesem Ansatz hat sich inzwischen eine Erweiterung bezüglich der Ansatzpunkte in Theorie und Fundierung ergeben. Die Grundlage des Konzeptes basiert auf folgender Idee:
„Mit dem Ziel, über die Motorik eine leibseelische Harmonisierung und Stabilisierung der Gesamtpersönlichkeit zu bewirken, wurden Übungen zur Sinnesschulung, Körper-, Raumwahrnehmung, Behutsamkeit, Selbstbeherrschung, rhythmischmusikalischer Schulung zum Körper-/Bewegungsausdruck spielerisch motivierend in Kleingruppen durchgeführt.“ (Schäfer 1998, S.82)
Eine Erziehung durch Bewegung soll das Kind durch kindgemäßes Handeln, Explorieren, Selbstfinden und Experimentieren zu einer handlungskompetenten Persönlichkeit entwickeln (Eggert/Reichenbach in Walter/Wember, S. 315). Die Überschneidung von Körper-, Sozialund Materialerfahrung orientiert sich dabei ausschließlich an den Fähigkeiten des Kindes und legt parallelen zur Sensomotorik und Soziomotorik offen, welche im Akt psychomotorischer Förderung nicht voneinander zu trennen sind (ebd.). Im Sportunterricht ist auch unter Berücksichtigung traditioneller Sportformen der Einsatz von psychomotorischen Übungsgeräten gerade für Lernbeeinträchtige außerordentlich von Nutzen (Miedzinski in Bielefeld, S. 120). Sportspiele lassen sich demnach gut abwandeln oder variieren, sodass auch ängstliche SchülerInnen die Teilnahme am Sport erleichtert bzw. ermöglicht wird. Sonderpädagogische Psychomotorik richtet sich an Kinder und SchülerInnen die vorrübergehend oder dauernd Lernprobleme in Verbindung mit Wahrnehmungs- und Bewegungsstörungen aufzeigen (Breitenbach, 2010). Zentrale Inhalte sind Bewegungsförderung, Beziehungsarbeit, die Förderung des Selbstkonzeptes sowie Motivationsförderung. Explorative Handlungsabläufe, das Spielen und Rollenspiele finden Verwendung, um motorische, sozial-emotionale und kognitive Kompetenzen weiterzuentwickeln. Die Effekte von psychomotorischem Lernen standen schon oft im Mittelpunkt wissenschaftlicher Untersuchungen. Doll-Trepper sowie Schuck und Adden berichten über positive Programmeffekte mit SchülerInnen des Förderschwerpunktes Lernen. So zeigte sich die Trainingsgruppe, welche mit einer psychomotorischen Übungsbehandlung trainiert wurde, der Kontrollgruppe hinsichtlich der Intelligenz sowie der grobmotorischen Leistung signifikant überlegen (Fediuk, 2008, S. 47). Doll-Trepper verglich die den herkömmlichen Sportunterricht einer Schule zur Lernförderung mit einem eigens konzipiertem Programm und erreichte hochsignifikante Verbesserung der psychomotorischen Merkmale (ebd.).
3. Sportunterricht in einer Schule zur Lernförderung
Unabhängig der Schulart bildet der Sportunterricht den Kernbereich des Schulsports. Er muss inhaltlich, methodisch und vom Umfang her so aufgebaut sein, dass er grundsätzlich alle Schülerinnen und Schüler erreicht und motiviert und zugleich berücksichtigt, dass nicht alle SchülerInnen gleichermaßen für den Sport talentiert sind. Der Sportunterricht muss daher auch in geeigneter Weise auf Schwächen eingehen und auch Interesse bei denjenigen wecken, die dem Sport distanziert gegenüberstehen. In gleicher Weise, wie der Sportunterricht sportlich weniger talentierten und an Sport weniger interessierten Kindern und Jugendlichen Wege für eine eigenverantwortliche lebensbegleitende sportliche Betätigung aufzeigt, hat er auch die Verpflichtung sportlich besonders interessierte und talentierte Kinder und Jugendliche zu fördern und zu fordern. Mit seinen spezifischen Aufgaben und Möglichkeiten kann der Sportunterricht einen besonderen Beitrag zur Erfüllung wichtiger überfachlicher Bildungs- und Erziehungsaufgaben der Schule (z. B. zur Gesundheitsforderung, zum sozialen Lernen, zur Erziehung zur Leistungsbereitschaft, zur Werteerziehung) leisten.
„ Der erzieherische Auftrag wie er im Begriff der Leibeserziehung primär angesprochen wird, darf in seiner Bedeutung zugleich keine Schmälerung erfahren. Er ist gerade in der Schule für Lernbehinderte unabdingbare Voraussetzung und durchgängiges Prinzip auch in der Verwirklichung fachlicher Ziele. Das Vermitteln sportartbezogener Inhalte erfährt in er Schule für Lernbehinderte auch seinen Sinn im Hinblick auf die Freizeitgestaltung und auf die angestrebte Durchlässigkeit der Schulformen, wie sie sich z.B. in gemeinsamen Wettkämpfen Mannschaftsspielen und Schulsportfesten verwirklichen läßt“.
Der Sportunterricht an Schulen zur Lernförderung gibt sich selbst die Aufgabe, die Gesamtentwicklung der SchülerInnen zu fördern. Bewegung, Spiel und Sport sollen grundlegende Fähigkeiten und Fertigkeiten vermitteln sowie eine positive Entwicklung von Einstellungen, Gewohnheiten, Anstrengungs- bzw. Durchhaltebereitschaft, Erfolgszuversicht, Selbstdisziplin, Selbstvertrauen, Verantwortungs- und Hilfsbereitschaft plus Fairness begünstigen. Derart entsteht ein Gegengewicht zu Bewegungsarmut / -einseitigkeit und beugt gegen Krankheiten und Haltungsschäden vor (vgl. Sächsisches Staatsministerium für Kultus 2005, S. VII-IX). Dem Sportunterricht soll anhand der Erarbeitung vielfältiger sowie differenzierter Anregungen und Übungsbeispiele, unter spezieller Berücksichtigung der physischen Grundausbildung, besondere Bedeutung zugemessen werden. Dabei erweitern sich motorische Grundfertigkeiten bzw. Kenntnisse (vgl. ebd. 2005, S. VIII). Irmischer liefert eine differenzierte Betrachtung der Aufgaben und Ziele des Sportunterrichts an Sonderschulen, wozu auch die Förderschulen mit Lernbeeinträchtigungen zählen. Seiner Auffassung zufolge, ist das Leitziel die Erziehung einer umfassenden Handlungskompetenz. Er unterteilt den Bereich dieser Handlungskompetenz, analog den Lernzielen der „Motopädagogik“, in die Areale Ich-, Sach-, und Sozialkompetenz auf. Wolf erkennt in der Bewegung (also auch im Sport) ein Medium, welches insbesondere geeignet ist, die Schülergruppe der Lernbehinderten adäquat zu fördern. Zum einen die Erziehung der Bewegung, die den SchülerIn befähigen soll, seine Lebensräume zu erschließen bzw. seine Umwelt außerhalb des Sports zu erfahren. Zum anderen die Erziehung zum Sport, womit er die Fähigkeit des Einzelnen meint, außerhalb bzw. vor allem nach der Schulzeit Sport treiben zu können. Wolf sieht aber in der Aufgabenstellung des Sportunterrichts der Schule zur Lernförderung und dem der allgemein bildenden Schule keine grundsätzlichen Unterschiede.
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