Woher kommt Feindseligkeit gegen vermeintlich "Fremde"? Wer sind überhaupt die "Fremden" und wie wird ein Fremder zu einem Feind? Mit diesen Kernfragen befasst sich der Autor in der folgenden Arbeit.
Feindliche Haltungen und Einstellungen gegenüber Fremden und Zuwanderern nehmen in den vergangenen Jahren in Europa immer mehr zu. Fremdenfeindlichkeit ist in vielen Ländern ein präsentes Phänomen, das an Stärke und Intensivierung gewonnen hat. Besonders in der politischen Landschaft ist ein negativer Trend zu verzeichnen. Immer mehr rechte populistische Parteien finden Zuspruch innerhalb der Wählerkreise, sie schaffen ein Bild des Feindes, vor dem man die eigene Bevölkerung schützen muss. Der Slogan "Out of my country" der erst kürzlich von der rechtsgerichteten griechischen Partei der "Goldenen Morgenröte" verwendet wurde, ist längst zu einer populären Denkrichtung geworden, die sich gegen Fremde, "AusländerInnen"und MigrantInnen richtet, die man nicht im eigenen Land haben will.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Fremde - Annäherung an ein Phänomen
2.1. Der, die, das Fremde
2.2. Merkmale des Fremden
2.3. Modi des Fremderlebens
2.3.1. Fremdheit als Resonanzboden des Eigenen
2.3.2. Fremdheit als Gegenbild
2.3.3. Fremdheit als Ergänzung
2.3.4. Fremdheit als Komplementarität
3. Das Eigene und das Fremde
3.1. Das Fremde und Eigene als Konstruktion
3.2. Konzepte von Zugehörigkeit und Identität
3.2.1. Nation, Staat, nationale Identität
3.2.3. Ethnien, Ethnizität, ethnische Zugehörigkeit
3.2.4. Kultur
3.3 Wir Gruppenbildung
3.4. „Wir Österreicherinnen“ - wer sind „WIR“?
3.4.1. Österreich von der Habsburgermonarchie bis Heute
3.4.2. „Die Österreichische Identität“
3.5. Ein erstes Fazit
4. „Feinde schaffen“
4.1. Feindliche Mechanismen - einige Begriffsdefinitionen
4.1.1. Stereotype und Vorurteile
4.1.2. Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus
4.2. Konstruktion von Feindbildern
4.2.1. Feindbilder und deren Funktion
4.2.2. Entstehung von Feindbildern
4.3. Feindbilder und die Rolle von Medien und Politik
4.3.1. Medien und Sprache
4.3.2. Politik
5. Feindbild Zuwanderer
5.1. Migration in Österreich
5.1.1 Begriffsdefinition
5.1.2. Migrationspolitik
5.2. Feindliche Einstellungen und Vorurteile gegenüber Zuwanderern
6. Schlussfolgerungen
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Feindliche Haltungen und Einstellungen gegenüber Fremden und Zuwanderern nehmen in den vergangenen Jahren in Europa immer mehr zu. Fremdenfeindlichkeit ist in vielen Ländern ein präsentes Phänomen, das an Stärke und Intensivierung gewonnen hat. Besonders in der politischen Landschaft ist ein negativer Trend zu verzeichnen. Immer mehr rechte populistische Parteien finden Zuspruch innerhalb der Wählerkreise, sie schaffen ein Bild des Feindes, vor dem man die eigene Bevölkerung schützen muss. Der Slogan „Out of my country“, der erst kürzlich von der rechtsgerichteten griechischen Partei der „Goldenen Morgenröte“ verwendet wurde, ist längst zu einer populären Denkrichtung geworden, die sich gegen Fremde, „AusländerInnen“ und MigrantInnen richtet, die man nicht im eigenen Land haben will.
Woher kommt aber diese Feindseligkeit gegen vermeintlich „Fremde“? Wer sind überhaupt die „Fremden“ und wie wird ein Fremder zu einem Feind? Mit diesen Kernfragen werde ich mich in der folgenden Arbeit näher beschäftigen.
Die Arbeit gliedert sich in zwei wesentliche Teile. Der erste Teil stellt eine Art Grundgerüst für den weiteren Verlauf dar, ich befasse mich darin mit dem Phänomen des Fremden und des Eigenen. Der Begriff des Fremden wird mit seinen unterschiedlichen Erscheinungs-, Wahrnehmungs- und Interpretationsformen dargestellt und weiters dessen Funktion in Bezug auf das Eigene beschrieben. Fremdes und Eigenes benötigen einander, sowie sie versuchen, sich voneinander abzugrenzen. Somit scheint es erforderlich, in einer Arbeit über das Fremde, sich ebenfalls mit dem Eigenen auseinanderzusetzen, denn beides steht miteinander in Beziehung. Ich möchte mich eingehender damit befassen, wie Zugehörigkeit und Identität gebildet werden und aufzeigen welche Rollen dabei die Fremden einnehmen. In einem nächsten Schritt wende ich mich der Frage zu, wer unter die Gruppe des „Wir“ fällt, dabei greife ich als Beispiel Österreich heraus und skizziere die Entwicklung von Identität in einem kurzen historischen Rückblick. Dies soll unter anderem zeigen, dass es kein einheitliches „Wir“ gibt, sondern das Eigene sowie das Fremde dem Prozess der Konstruktion unterliegen. Der zweite Teil lenkt den Fokus auf die negative Seite des Fremden und beschäftigt sich mit dem Phänomen von Fremden als Feindbilder. Dabei gehe ich zunächst näher auf den Begriff des Feindbildes ein, dessen Entstehung und Funktion und zeige auf, welcher weiterer Faktoren es bedarf, um ein Bild der Feindseligkeit zu kreieren. In einem letzten Schritt wird das Feindbild des Zuwanderers skizziert, feindliche Einstellungen und Haltungen gegenüber ihnen vorgestellt und auf deren Realität geprüft.
Ich stelle somit den Verlauf des Fremden zum Feind als eine Entwicklung dar, so wie es auch in der Realität eine Entwicklung ist, die sehr willkürlich ausfallen, jedoch ungeahnte Ausmaße annehmen kann.
2. Das Fremde - Annäherung an ein Phänomen
2.1. Der, die, das Fremde
Es wäre angebracht in dieser Arbeit mit einer Definition des Fremden zu beginnen - der, die, das Fremde, was ist das überhaupt? Doch hierfür eine zu finden, könnte sich als äußerst schwierig gestalten. Das Fremde ist ein Phänomen mit zahlreichen Gesichtern und Bedeutungen. Würde man mehrere Menschen dazu befragen, was sie mit „dem Fremden“ assoziieren, so bekäme man sicherlich die verschiedensten Antworten. Jeder besitzt eigene Vorstellungen vom Fremden, die unterschiedliche Wertungen, Emotionen und Bedeutungen haben können.
„Fremdheit ist kein objektiver Tatbestand, sondern Fremderleben passiert immer aufgrund von Wahrnehmungsstrukturen und Deutungsmustern [...]. Im Nullpunkt steht der Mensch, der Fremdheit empfindet und wahrnimmt, das Subjekt, das eine Position einnimmt, deren es sich oft gar nicht bewusst ist“ (Karall et al. 2010: 7-8).
Somit kann man Fremdheit unterschiedlich erleben und wahrnehmen. Es kann mir etwas fremd erscheinen, im Sinne von etwas Unbekanntem oder Neuartigem, als Beispiel wäre hier eine andere Sprache oder Kultur zu nennen. Es können mir Personen fremd erscheinen, ihre Verhaltensweisen, Eigenschaften oder Gedanken erlebe ich als fremd. Oder ich kann mir auch selbst fremd vorkommen in bestimmten Situationen. Es gibt somit die unterschiedlichsten Erfahrungsmöglichkeiten von Fremdheit.
Die Philosophin Mona Singer beschreibt in ihrem Buch „Fremd. Bestimmung. Zur kulturellen Verortung von Identität“ verschiedene Kategorien des Fremden: „Der Fremde als Person (als Individuum), die Fremden als Gruppe (Einzelne werden dabei als Kollektiv vereinheitlicht und zusammengefasst), die Fremde als Ort und das Fremde als Qualität (als das Unvertraute)“ (Czekelius 2006: 23-24).
Diese Einteilung trifft die unterschiedlichen Aspekte des Fremden sehr genau und zeigt wie vielfältig es uns im alltäglichen Leben begegnen kann. Auch die Wertungen zu diesem Thema sind sehr unterschiedlich, doch ist in den vergangenen Jahrzehnten ein deutlich negativer Trend zu verzeichnen. Immer lauter werden die Stimmen gegen fremde Personen oder Gruppen im eigenen Land. Schlagwörter wie Überfremdung, Fremdenangst, Fremdenfeindlichkeit begegnen uns immer häufiger in diesem Zusammenhang und zeigen wiederum die große Spannweite dieses Begriffes.
Genau mit dieser Gruppe an Fremden möchte ich mich im folgenden Abschnitt beschäftigen. Dabei soll der Fokus darauf liegen, wie diese Menschen als Fremde wahrgenommen werden, was sie zu Fremden macht und warum? Auch wenn der Schwerpunkt auf Personen und Gruppen liegt, hängen die Kategorien, die Singer nennt, zusammen. Die räumliche Komponente spielt insofern eine bedeutende Rolle, da diese Menschen meist aus einem Land gekommen sind, das in der Vorstellung als fremd bezeichnet wird. Wer zu einem Fremden erklärt wird, hat selten mit objektiven Kriterien zu tun, vielmehr ist es die „Qualität“, also das Unvertraute, wie Singer es beschreibt, das das Fremde konstruiert.
2.2. Merkmale des Fremden
Der Begriff „fremd“ kommt aus dem mittelhochdeutschen „vre(e)mde“, bzw. aus dem althochdeutschen „fremdi“ und bedeutete ursprünglich „entfernt“, später bekam es mehr die Bedeutung von „unvertraut“ oder „unbekannt“ (vgl. Czekelius 2006: 24).
Der Verweis auf die Entfernung zeigt aber immer noch seine Spuren im Sinne einer räumlichen Trennung oder Aufteilung. Fremde gehören nicht zu den Eigenen dazu, sie kommen aus einem anderen Land, Region, einer fremden Kultur. In der österreichischen Rechtsauffassung würde man davon sprechen, dass sie keine österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. Es wird somit immer eine gewisse Distanz zu Fremden aufgebaut, sowohl eine räumliche als auch eine symbolische und emotionale.
Genau über diese Distanz spricht Georg Simmel in dem „Exkurs über den Fremden“, indem er das Dilemma beschreibt, wenn die Distanz nicht mehr vorhanden und der Fremde zu nah ist. „Es ist hier also der Fremde nicht in dem bisher vielfach berührten Sinn gemeint, als der Wandernde, der heute kommt und morgen geht, sondern als der, der heute kommt und morgen bleibt [...]“ (Simmel 1908: 509). Die Problematik, die Simmel hier beschreibt, ergibt sich dadurch, dass der Fremde Teil der Gruppe wird und sich somit die Distanz auflöst und dieser zu nah wird. Dies kann sowohl Angst und Misstrauen auslösen, doch kann diese Distanz dem Fremden auch eine positive Stellung in der Gesellschaft verschaffen, im Sinne eines unparteiischen Richters. Der Fremde ist objektiv, ist somit vorurteilsloser, distanzierter und freier in seiner Entscheidung, dies kann ihn sehr wertvoll für eine Gruppe machen (vgl. Simmel 1908: 510). Doch diese Stellung kann ihm auch zum Verhängnis werden, denn er wird nicht als Teil der Gruppe gesehen und bekommt somit immer eine Art Außenseiterrolle. „Der Fremde ist ein Element der Gruppe selbst, nicht anders als die Armen und die mannigfachen 'inneren Feinde' - ein Element, dessen immanente und Gliedstellung zugleich ein Außerhalb und gegenüber einschließt“ (Simmel 1908: 509).
Fremde können somit unterschiedliche Stellungen in einer Gruppe einnehmen bzw. von dieser wahrgenommen werden. Sybille Groth zeichnet in diesem Zusammenhang verschiedene Bilder des Fremden: Als Erstes wäre das Bild des Fremden als Sympathieträger zu nennen. Hier nimmt der Fremde ähnlich wie bei Simmel eine positive Stellung ein, er besitzt positive Eigenschaften, die von großem Nutzen sein können. „Der Fremde ist all das, was ich selber sein möchte“, oft sind es Projektionen eigener Wünsche und Fantasien (vgl. Czekelius 2006: 27). Diese Form der Idealisierung wird als „Exotismus“ bezeichnet, ein Phänomen, das häufig bei TouristInnen festgestellt werden kann, die die Menschen in fernen Ländern verherrlichen und idealisieren. Auch wenn hier die Absichten nur gut gemeint scheinen, so werden die Menschen doch festgeschrieben auf bestimmte Eigenschaften und homogenisiert.
Ein weiteres Bild das Groth nennt, ist der Fremde als Hilfsbedürftiger oder Verfolgter. Mitgefühl wird hier versucht hervorzurufen, durch das Mitfühlen rückt der Fremde in die Nähe und es entsteht Verbundenheit (vgl. Czekelius 2006: 28). Organisationen, die auf Spenden angewiesen sind, versuchen dieses Bild stark herauszufordern, was in vielen Fällen auch funktioniert. In diesem Zusammenhang möchte ich eine Begebenheit bei einer Fachtagung in Innsbruck erwähnen. Das Thema lautete „ Von der 'Ausländerkriminalität' zum 'kriminellen Asylwerber'“, im Zentrum stand die Illegalisierung und Kriminalisierung von Asylsuchenden. Eine Frau wunderte sich in der anschließenden Podiumsdiskussion darüber, dass die Österreicher so fremdenfeindlich seien, wobei man auf der anderen Seite doch überall höre, wie spendenfreudig diese sind. Auf diese Bemerkung gab es sehr unterschiedliche Reaktionen. Im Grunde lässt sich hier meines Erachtens das bestätigen, was Simmel mit der „fernen Nähe“ und „nahen Ferne“ bezeichnet. Die Menschen in diesen Spendenaufforderungen sind nicht im eigenen Land, sie befinden sich weit weg in der Ferne und diese Distanz ermöglicht ein (distanziertes) Mitgefühl. Die Spendenfreudigkeit endet sehr schnell für AsylwerberInnen oder MigrantInnen im eigenen Land.
Diesen Aspekt beschreibt Groth in einem dritten Bild, nämlich die Fremden als unerwünschtes Element im Eigenen. Man begegnet ihnen mit Skepsis, Misstrauen, Furcht und Ablehnung, da man sie nicht kennt. Sie bleiben nicht dort „[...] wo das Unbekannte sein darf, nämlich in der Ferne. So bringen sie nicht nur räumliche Ordnungsmuster ins wanken, sondern verwischen auch zeitliche Grenzlinien: denn sie treten in die Lebenswelt immer schon 'verspätet' ein, sie sind nicht von 'vorneherein dabei' (...)“ (Singer 1997 zit. nach Czekelius 2006: 28). Auch Baumann spricht vom Fremden als jemandem, der aus dem Ordnungsschema heraus fällt, er ist weder Freund noch Feind und stört somit durch seine Undefinierbarkeit (vgl. Czekelius 2006: 30).
Als weiteres Bild nennt Groth das Bild des Fremden als Bedrohung, welches beispielsweise in den letzten Jahren im Zusammenhang mit dem Islam immer deutlicher wird. Weitere Bilder sind die Fremden als Untergeordnete und die Fremden als die Komischen oder Dummen. Beide Bilder assoziieren eine Hierarchisierung und Überlegenheit gegenüber den Fremden, die erlaubt über diese Menschen Macht auszuüben und sie unterzuordnen (vgl. Czekelius 2006: 29).
Diese unterschiedlichen Bilder zeigen, wie vielfältig und ambivalent die Einstellungen zu Fremden sein können, sie schwanken von Faszination, Neugier über Angst, Ablehnung bis hin zu Rassismus und Feindschaft. Der Pädagoge Ottfried Schäffter hat sich näher mit diesem Phänomen befasst und die verschiedenen Kategorien in Ordnungsschemata unterteilt.
2.3. Modi des Fremderlebens
Ottfried Schäffter untersucht in seinem Sammelband „Das Fremde. Erfahrungen zwischen Faszination und Bedrohung“ die verschiedenen Erscheinungsformen von Fremderleben. Fremdheit stellt laut ihm ein Beziehungsverhältnis dar, das sich durch Nähe intensiviert. Erst durch den Kontakt, wird die Fremdheit des Anderen erkennbar. Ebenso bietet der Kontakt die Möglichkeit sein Eigenes zu erkennen und anhand davon, das zu sehen, was fremdartig ist (vgl. Schäffter 1991: 11-12). „Es ist die jeweilige personale und soziale Identität, die erst die Fremdartigkeit des Anderen hervorruft“ (Schäffter 1991: 12).
Mit der Erkenntnis, dass Fremdheit als Beziehungsmodus verstanden werden soll, verschwindet die Annahme, dass Fremdheit eine Eigenschaft ist, die jemand besitzt, vielmehr ist es ein relationaler Begriff, der herausfordert die eigenen Anteile zu reflektieren. Wie jemand das Fremderleben wahrnimmt und definiert, hängt mit der eigenen Identität und Geschichte zusammen. Es gibt keine universellen Modi, wie Fremderleben wahrgenommen oder gedeutet wird, sondern kann sehr unterschiedlich aussehen. Schäffter unterscheidet fünf Deutungsmuster: Erstens, das Fremde als das Auswärtige (räumliche Trennung), zweitens, das Fremde als Fremdartiges (das Fremdartige ist hier der Gegensatz zum Normalen). Drittens, das Fremde als das noch Unbekannte (bietet die Möglichkeit des Kennen lernen), viertens das Fremde als das letztlich Unerkennbare (als das nicht erfahrbare Außen) und fünftens, das Fremde als das Unheimliche (vgl. Schäffter 1991: 14).
2.3.1. Fremdheit als Resonanzboden des Eigenen
Das Fremde wird nach diesem Ordnungsmuster als „abgetrennte Ursprünglichkeit“ aufgefasst (Schäffter 1991: 14). Es gibt zwischen dem Fremden und Eigenen Gemeinsamkeiten, die grundlegend vorhanden sind. Daraus ergibt sich ein Spannungsverhältnis, denn es gibt keine Grenzlinie, keinen Bruch, das einem vom Fremden unterscheidet, man ist durch diese gemeinsame Ursprünglichkeit verbunden. „Sieh, das Fremde ist ganz wie du!“ (Schäffter 1991: 16). Das Eigene hat sich erst mit der Zeit aus dieser Ganzheit gelöst und die eigene Identität herausgebildet als Kontrastfläche zum Fremden. Das Spannungsverhältnis besteht nun einerseits in der Verbundenheit und Abhängigkeit zum Ursprünglichen, doch andererseits in der Angst vor der drohenden Identitätsauflösung. Es schwankt zwischen Gefährdung und Verlockung (vgl. Schäffter 1991: 16-17).
2.3.2. Fremdheit als Gegenbild
Das Fremde wird in diesem Ordnungskonzept als Negation des Eigenen verstanden. Es wird zum Ausgegrenzten durch seine „Andersartigkeit“, im selben Moment wird dadurch die eigene Integrität bewahrt und beschützt. Das Gegenbild stärkt die eigene Identität, das eigene Bild wird aufgewertet und idealisiert. Eigenschaften wie Vollkommenheit, Reinheit, Unvermischtheit, innere Stärke und Gesundheit werden dem Eigenen zugesprochen. Hingegen wird das Fremde abgewertet und genau diese Eigenschaften werden ihm abgesprochen. Es bedroht vielmehr die innere Integrität, wodurch die eigenen Reihen noch weiter geschlossen werden müssen. Das Fremde erscheint als „natürlicher Feind“ (vgl. Schäffter 1991: 19-20).
Als Beispiele hierfür nennt Schäffter den Geschlechterkampf, der Kampf zwischen Religionen, Ideologien und politischen Systemen wäre ein anderes Beispiel dazu. Als aktuelles Gegenbild zum Westen wäre der Islam zu nennen.
Jedoch kann das Gegenbild auch ins positive umschlagen und zu einer faszinierenden und verführerischen Alternative zum Eigenen werden. In diesem Fall kann das Fremde jene positiven Eigenschaften besitzen, die ihm zuvor abgesprochen wurden (Schäffter 1991: 20).
Den Orient als verführerisches und sinnliches Gegenbild zum Westen könnte man hier erwähnen, womit der Widerspruch perfekt ist, denn besonders im Orient finden wir den Islam als Glaubensgemeinschaft.
2.3.3. Fremdheit als Ergänzung
In diesem Ordnungsschema dient das Fremde als Ergänzung zum Eigenen, das durch die innere Komplexität sich selbst fremdartig erscheint. Aneignung und Verinnerlichung des Fremden ist hier der Fall. Es wird als Potential für Wachstum und Entwicklung verstanden und birgt ungeahnte Möglichkeiten. Somit ist es zunächst faszinierend, jedoch kann dies kippen, wenn die Verarbeitungskapazität überstrapaziert wird. In diesem Fall kann die Faszination zu einer Bedrohung umschlagen, die Problematik besteht in der fehlenden Integrationsfähigkeit. Die eigene Identität wird gefährdet und es kann zu einer Selbstentfremdung kommen.
An diesem Beispiel sieht man laut Schäffter wieder die zutiefst ambivalente Struktur dieser Deutungsmuster (vgl. Schäffter 1991: 23-24).
2.3.4. Fremdheit als Komplementarität
Was die bisher genannten Ordnungsschemata verbindet ist, dass die Fremdheit vom Eigenen vereinnahmt wird, das Fremde kann nicht in seiner Eigenheit stehen gelassen werden. Es findet kein partnerschaftlich-dialogischer Prozess statt, sondern es dient der Fixierung der eigenen Identität.
Das vierte Ordnungsschema unterscheidet sich von den zuvor genannten dahingehend, dass Eigenes und Fremdes sich wechselseitig relativieren und bestimmen. Es ist ein Ordnungsschema, das aus vielen autonomen Einzelzentren und Perspektiven besteht. Es wird hier eine universelle Rationalität und Ursprünglichkeit hinterfragt, es ist viel mehr ein Pendeln zwischen Eigenem und Fremden. Die offene und dynamische Struktur soll als „komplementäre Ordnung wechselseitiger Fremdheit“ bezeichnet werden (Schäffter 1991: 25).
3. Das Eigene und das Fremde
Wenn wir Fremdheit als Beziehungsverhältnis verstehen, dürfen wir das Fremde und Eigene auch nicht voneinander trennen, die beiden Begriffe benötigen einander, genau wie sie versuchen, sich voneinander abzugrenzen. Wenn ich somit im ersten Teil über Fremdheit gesprochen habe, so scheint es jetzt in einem zweiten Schritt notwendig zu sein, mich dem Eigenen zuzuwenden, denn nur durch die Fremdheit wird das Eigene konstruiert und konstituiert. In diesem Abschnitt werde ich somit der Frage nachgehen, ob es das Fremde braucht um das Eigene zu schützen und zu bewahren. Schlagwörter hierfür sind Differenz, Identität, Kultur, Nation und Ethnizität, die verdeutlichen sollen, welche Mechanismen es in der Beziehung mit dem Fremden und Kampf zwischen Ein - und Ausgrenzung geben kann. Des Weiteren werde ich mich mit der Frage beschäftigen, wer „Wir Österreicher“ sind. Ein kurzer historischer Rückblick soll verdeutlichen, dass Österreich sich stets in vielfältiger Weise entwickelt und gewandelt hat, somit das Bild der ÖsterreicherInnen als homogenes Ganzes trügerisch ist. Weiters soll es zeigen, dass Österreich wider zahlreicher Aussagen von PolitikerInnen oder Medienberichten, immer ein Einwanderungsland war und ist.
3.1. Das Fremde und Eigene als Konstruktion
Wenn von „den Anderen“ gesprochen wird, gibt es meist vorgefertigte Bilder und Vorstellungen, wie diese zu sein scheinen: Die Deutschen sind fleißig, zuverlässig und pedantisch, die Griechen sind faul, haben einen übertriebenen Nationalstolz und Muslime sind Terroristen! Diese Beispiele könnte man noch vielfach in die Länge ziehen, Fakt ist jedoch, dass diese kaum zutreffen, vor allem nicht auf ein Kollektiv. „Die anderen [sind] nicht einfach gegeben, auch niemals einfach gefunden oder angetroffen - sie werden gemacht“ (Fabian 1993 zit. nach Suhrbier 1999: 205). Durch Interpretation wird das Fremde erzeugt, es sind immer Konstruktionen im Kopf des Betrachters.
Gleichfalls werden Fremde kollektiviert und homogenisiert, sie werden als eine Einheit gesehen mit bestimmten Eigenschaften. Dieser Mechanismus passiert im selben Moment auch mit dem Eigenen, auch das „Wir“ wird konstruiert, homogenisiert und kollektiviert. Besonders in den Medien oder in bestimmten politischen Parteien wird über ein homogenes „Wir“ gesprochen, das es vor den „Anderen“ zu schützen gilt. Doch wer und was ist genau mit diesem „Wir“ gemeint? Und wer sind die Anderen/ die Fremden? Gibt es eine Grenze wo Fremdheit einsetzt?
An diesem Punkt anzusetzen ist sehr spannend, denn das Eigene kann nur existieren in Abgrenzung zum Anderen. Damit ist gemeint, dass das Fremde das Eigene braucht, um seine Identität zu erzeugen und zu wahren. Erst durch Feststellung eines Unterschiedes und der Abgrenzung zum Fremden, kann das Eigene gebildet und geformt werden. Gleichzeitig wird das Fremde als das Nichtzugehörige betrachtet, bewertet und eine Grenze dazu gezogen, das Eigene verstärkt sich durch diesen Mechanismus noch mehr (vgl. Huth-Hildebrandt 1999: 188-189).
Fremdheit ist somit wie schon öfter erwähnt ein Beziehungsverhältnis, Eigenes und Fremdes bedingen sich gegenseitig und brauchen sich, um die eigene Identität zu stärken, was ich im folgenden Kapitel noch eingehender erläutern möchte.
3.2. Konzepte von Zugehörigkeit und Identität
Die Psychoanalyse lehrt uns, dass Fremderleben bereits im kleinsten Kindesalter eintritt. Zunächst besteht eine Symbiose zwischen Mutter und Baby, es kann sich noch nicht selbst von der Mutter unterscheiden. Erst wenn diese Unterscheidung eintritt, kann das Kind sein eigenes Ich bilden. Es braucht somit den Unterschied, die Differenz um die eigene Identität zu bilden. „Der erste Instinkt, mit dem sich Persönlichkeit bejaht, ist die Verweigerung des Anderen“ (Simmel 1908 zit. nach Claessens 1991: 45).
Gleichzeitig benötigt ein heranwachsender Mensch auch die Identifizierung mit Anderen, in erster Linie sind das die Eltern und Verwandten. Blomert spricht davon, dass das „Ich-Bewusstsein“ immer abhängig ist vom „Wir-Bewusstsein“ (Blomert 1991: 99) oder mit den Worten von Martin Buber zu sprechen, „Der Mensch wird am Du zum Ich“ (Buber 1923). Im Sozialisationsprozess spielt somit das Kollektiv eine bedeutende Rolle, gleichsam verweist Waldenfels darauf, dass durch Identifizierung das Fremde ebenfalls eine kollektive Form annimmt. „Als fremd gilt das, was aus der jeweiligen kollektiven Eigenheitssphäre ausgeschlossen und von der kollektiven Existenz getrennt ist, was also nicht mit Anderen geteilt wird. Fremdheit bedeutet in diesem Sinne Nichtzugehörigkeit zu einem Wir.“ (Waidenfels 1997)
Auch Gingrich verweist darauf, dass Differenz ein Bestandteil von Identität darstellt. Identität beinhaltet somit laut ihm sowohl Gleichheit und Differenz, als auch Zugehörigkeit und „Othering“. (Gingrich 2004: 6)
Es gibt viele Dimensionen von Identität und es entstehen auch immer wieder neue. War über Jahrhunderte Religion ein wichtiges Kriterium für Identität, so hat sich dies in der heutigen Zeit in vielen Ländern gewandelt. Die nationale Identität hingegen ist ein sehr junges Beispiel, was im folgenden Kapitel ausgeführt werden soll.
3.2.1. Nation, Staat, nationale Identität
Nationalstaaten sind historisch gesehen ein sehr junges Gebilde, sie finden ihren Ursprung in Frankreich und Deutschland in Zeiten der Französischen Revolution. Trotzdem spielt Nationalismus und nationale Identität in der heutigen Zeit eine zentrale Rolle. Immer mehr nationalistische Parteien finden Zulauf in Wählerkreisen, sie setzen auf die Einheit, Erhaltung und Reinheit der Nation. In dieser Diskussion werden Begriffe wie Nation, Staat, Staatsbürger uva. verwendet und häufig miteinander verwechselt. Hier scheint es notwendig zu sein, die einzelnen Begriffe separat voneinander zu betrachten.
Besonders die Begriffe Nation und Staat werden in Zusammenhang gebracht und häufig verwechselt, denn Fakt ist, dass die Grenzen des Staates und der Nation in den wenigsten Fällen deckungsgleich sind. Oomen definiert den Staat als „die 'Einheit', die die politische Souveränität über ein klar umrissenes Territorium und die darin lebende Bevölkerung innehat und das Monopol legitimer physischer Gewalt besitzt“ (Soysal 1994 zit. nach Weins 2004: 61-62). Die Staatsbürger verfügen über bestimmte Rechte, die Bürgern mit anderer Staatsbürgerschaft teils verwehrt bleiben.
Der Begriff der Nation wird von Oomen definiert als „a territorial entity to which the nationals have an emotional attachment and in which they invest a moral meaning; it is a homeland - ancestral or adopted” (Oomen 1997a zit. nach Weins 2004: 62). Der Anspruch an die Nation ist somit ein moralischer, eine gefühlsmäßige Bindung, die zu dem Gebiet besteht, die als Heimat aufgefasst wird.
„Das Gebiet des Staates unterscheidet sich in einem entscheidenden Punkt von dem der Nation. Während der Anspruch des Staates auf sein Territorium rechtlicher Natur ist, ist der Gebietsanspruch der Nation ein moralischer. Territorium ist zwar eine notwendige Bedingung für die Existenz einer Nation, zusätzlich ist allerdings Kommunikation und damit eine gemeinsame Sprache notwendig“ (vgl. auch Francis 1965 zit. nach Weins 2004: 62).
Nationale Identität erlangt man meist durch die Geburt. Oomen versteht darunter eine kollektive Identität, die durch Identifikation mit der Nation erworben wird. Verwechseln darf man den Begriff jedoch nicht mit der Staatsbürgerschaft, dieser umfasst rechtliche Kriterien (vgl. Weins 2004: 62).
Nationalismus ist wie bereits erwähnt ein sehr junges Phänomen, auch wenn es immer wieder dargestellt wird, als hätte es dessen Werte schon immer gegeben. Gellner verweist in seinem Buch „Nations and Nationalism“ darauf, dass Nationalismus im Zeitalter der Industrialisierung an Bedeutung gewonnen hat. In dieser Zeit verloren Religion, Kinship und Feudalismus an Wertung und die Zugehörigkeit zu einer Nation, war die passende Antwort darauf. „Nationalism was able to meet such demands, and Gellner largely sees it as a functional replacement of older ideologies and principles of social organisation” (Erikson 2001: 277).
Es gibt jedoch einen Haken an nationaler Identität. Nehmen wir als Beispiel Verwandtschaft als identitätsstiftende Gemeinschaft, so wissen wir, dass diese real und greifbar ist, man kann sich mit deren Mitgliedern identifizieren. Eine Nation auf der anderen Seite existiert nur durch die Vorstellung ihrer Mitglieder, sie ist nicht greifbar und auch nicht haltbar. Benedict Anderson spricht in diesem Zusammenhang von „imaginded communitys“. Die Nation ist nach ihm eine imaginierte, politische Gemeinschaft, die als begrenzte und souveräne Einheit gedacht wird. Anderson betont in diesem Zusammenhang auch die Wichtigkeit der Medienrevolution, im Besonderen des Buchdrucks. Durch die Umsetzung und Verallgemeinerung von Schrift wurde erst möglich, dass Informationen und Wissen über eine große Distanz vielen Menschen zugänglich wurden. Durch diesen Prozess wurde Nation und die damit einhergehende Identifizierung erst möglich (vgl. Erikson 2001: 278).
„Large-scale communication and cultural standardisation or homogenisation are thus important features of nation-building, which contribute to explaining how it can be that people identify such an abstract entity as nation” (Erikson 2001: 278).
3.2.3. Ethnien, Ethnizität, ethnische Zugehörigkeit
Der Begriff “Ethnizität” stammt aus dem griechischen “ethnos” und bedeutet „Volk“. Die Griechen verwendeten den Begriff um nichtgriechische Gruppen zu bezeichnen, was bereits darauf verweist, dass Ethnizität eher das Gegenüber benennen will. Ausgangspunkt für das Konzept der Ethnizität findet sich in der Chicagoer School, jedoch gewann der Begriff nach dem Scheitern des „melting pot“ an allgemeiner Bedeutung.
Frederic Barth beschreibt Ethnizität als ein Beziehungsverhältnis zwischen zwei oder mehreren Gruppen, die glauben sich in wesentlichen Kriterien voneinander zu unterscheiden. Ethnizität ist demnach keine Eigenschaft, sondern eine definierte Beziehung, die ein Gegenüber benötigt um sich davon abzugrenzen. Trotz der Abgrenzung bestehen Beziehungen zu den Gruppen weiter, sie stehen in einem Wechselverhältnis und Interaktionsprozess.
Andre Gingrich führt anlehnend an Barth mehrere Thesen zu Ethnizität an. Er beschreibt ebenfalls das Beziehungsverhältnis zwischen zwei oder mehreren Gruppen, die die Auffassung vertreten, sich in kulturellen Belangen voneinander zu unterscheiden. Eigenzuschreibungen spielen dabei eine zentrale Rolle, doch fast noch wichtiger sind die Fremdzuschreibungen, dabei neigen ethnische Gruppen häufig zu Ethnozentrismus, was laut Gingrich „manchmal unvermeidlich, aber selten richtig [ist] (Gingrich 2001: 103). Ethnische Unterschiede zu verabsolutieren kann leicht zu Rassismus führen, gleichzeitig kann die Leugnung oder Ignoranz der Unterschiede ebenfalls dazu führen. Somit muss mit dem Begriff sehr vorsichtig umgegangen werden, vor allem wenn unter „ethnisch“ geschlossene und unveränderbare Einheiten verstanden werden würde. Ethnizität kann sich immer wieder verändern, es ist ein dynamisches, kein starres Konzept (vgl. Gingrich 2001: 104ff).
Ethnizität ist keinesfalls ident mit einer Nation im Sinne einer Gemeinschaft, die dauerhaft im selben Staatsverband lebt, Ethnizität überschreitet oft nationale und staatliche Grenzen. Auch ist es nicht mit Kultur gleichzusetzen, es kann Aspekte der beteiligten Kultur in sich bergen.
„Ethnizität umfasst bloß Teilelemente der Kulturen, die sich mit Fremdzuschreibungen und Praktiken verbinden. Kultur im engeren Sinn umfasst daher in der Hauptsache mehr als Ethnizität (alle nicht-aktualisierten Elemente), gleichzeitig aber auch weniger(an Fremdzuschreibungen und unmittelbaren Fremdeinwirkungen)“ (Gingrich 2001: 106).
Zuletzt spricht Gingrich noch davon, dass sich Ethnizität je nach den Umständen verändern kann. Ethnische Grenzen sind fließend und durchlässig, was in Zeiten wie diesen durch globale Einflüsse noch mehr verstärkt wird (vgl. Gingrich 2001: 107).
[...]