Eine Hausarbeit im Fach öffentliches Recht, Staatsrecht II, Grundrechte. Anhand eines Fallbeispiels werden das Recht auf Religionsfreiheit, Gleichbehandlung und das allgemeine Persönlichkeitsrecht näher betrachtet und erläutert. Die Hausarbeit wurde im Rahmen des Kurses German Public Law am King's College London verfasst. Der Kurs ist Teil des Partnerprogramms zwischen der Humboldt Universität zu Berlin und dem King's College London.
Es ist fraglich ob O durch die Anweisung der P bzw. durch mögliche disziplinarrechtliche Sanktionen in einem ihrer Grundrechte verletzt wurde. Eine Grundrechtsverletzung liegt vor, wenn in einen vom Grundgesetz geschützten Bereich eingegriffen wurde und dieser Eingriff nicht gerechtfertigt ist. Hierfür kommen zunächst die Religionsfreiheit und im Weiteren das Recht auf Gleichbehandlung, sowie das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Frage.
Gliederung
Gliederung
Literaturverzeichnis
A. Aufgabe 1 - Zulässigkeit der Beschwerde der A
I. Zuständigkeit
II. Beschwerdefähigkeit
III. Beschwerdegegenstand
IV. Beschwerdebefugnis
1. Möglichkeit der Grundrechtsverletzung
a) Religionsfreiheit
b) Recht auf Gleichbehandlung
c) Recht auf einen gesetzlichen Richter
2. Eigene, gegenwärtige und unmittelbare Betroffenheit
3. Zwischenergebnis
V. Rechtswegerschöpfung und Subsidiarität
VI. Frist und Form
VII. Ergebnis
B. Aufgabe 2 - Verletzung von Grundrechten der O
I Religionsfreiheit
1. Schutzbereich
a) persönlich
b) sachlich
c) Zwischenergebnis
2. Eingriff
3. Rechtfertigung
a) Schranken
aa) materielle Verfassungskonformität
bb) formelle Verfassungskonformität
cc) Zwischenergebnis
b) Schranken-Schranken
aa) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
(1). Legitimer Zweck
(2). Geeignetheit
(3). Erforderlichkeit
(4). Angemessenheit
bb) Wesensgehaltsgarantie
cc) Verbot des Einzelfallgesetzes
dd) Bestimmtheitsgrundsatz
c) Verfassungsmäßige Anwendung
aa) Legitimer Zweck
bb) Geeignetheit
cc) Erforderlichkeit
dd) Angemessenheit
4. Zwischenergebnis
II. Recht auf Gleichbehandlung
1. Art. 33 III GG
2. Art. 3 III GG
a) unmittelbare Ungleichbehandlung
b) mittelbare Ungleichbehandlung
3. Art. 3 I GG
III. Allgemeines Persönlichkeitsrecht
IV. Ergebnis
Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Hinweis:
Die doppelte Auflistung, sowie die Verwendung von älteren Ausgaben der oben aufgelisteten Schriften, ist auf die Verfügbarkeit von Texten in der Maughan Library und den Wechsel des Arbeitsortes nach Deutschland während der Verfassung dieser Arbeit zurückzuführen.
A. Aufgabe 1 - Zulässigkeit der Beschwerde der A
I. Zuständigkeit
Gemäß §13 Nr. 8a Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) und Artikel 93 I Nr. 4a Grundgesetz (GG) entscheidet das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Fall von Verfassungsbeschwerden von Einzelnen, in denen diese geltend machen können in ihren Grundrechten verletzt worden zu sein. Da es sich hier um eine solche Beschwerde handelt, ist das BVerfG zuständig.
II. Beschwerdefähigkeit
Nach §13 Nr. 8a BVerfGG und Artikel 93 I Nr. 4a GG steht die Verfassungsbeschwerde for dem BVerfG „Jedermann“ offen. Jedermann ist jeder Träger eines Grundrechts, selbstverständlich und insbesondere natürliche Personen, wie hier die A1. Sie hat deshalb die Fähigkeit Beschwerde vor dem BVerfG einzulegen.
III. Beschwerdegegenstand
Zulässiger Gegenstand der Beschwerde ist, § 90 I BVerfGG zufolge, jeder Akt öffentlicher Gewalt. Das schließt nach Art. 1 III GG auch die Rechtssprechung ein (vgl. § 94 III BVerfGG). Hier ist die letztinstanzliche Abweisung der Feststellungsklage der A Gegenstand der Beschwerde, als gerichtliches Urteil ist es also zulässiger Gegenstand der Beschwerde2.
Es ist allerdings fraglich ob sich die Beschwerde im weiteren auch zusätzlich3 gegen die Verhandlung und Urteilsverkündung der ursprünglichen Entscheidung durch O, nicht aber gleichzeitig gegen den Inhalt dieser Entscheidung, also die Entscheidung selber richten kann wie es im Sachverhalt dargestellt ist. Grundsätzlich ist zunächst jede „Maßnahme“ des Staates mit Bezug auf den Bürger zulässiger Gegenstand, die den Bürger in seinen Grundrechten berührt4. Richterin O ist in ihrer Funktion Repräsentantin der rechtssprechenden Gewalt des Staates. Wenn also im folgenden Abschnitt, IV. Beschwerdebefugnis, schon durch die Verhandlung und Verkündung des Urteils die Möglichkeit einer Verletzung bzw. Berührung eines Grundrechts der A festgestellt werden kann, dann müssen auch die Verhandlung und Verkündung selber zulässige Gegenstände einer Beschwerde sein können. Zudem, auf einer wortwörtlichen Ebene, ist auch eine Verhandlung und die Verkündung eines Urteils schon klar als „Akt“ benennbar. Wenn also „Akt staatlicher Gewalt“ streng interpretiert wird, muss auch ein Verfahren bzw. Verkündung selber in diesen Begriff einschließbar sein. Hinzu kommt das weder § 90 I BVerfGG noch Art. 93 I Nr. 4a die Terminologie des „Akts“ verwendet, sondern lediglich Jedermann das Recht gibt „mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte“ oder grundrechtsgleichen Rechte verletzt worden zu sein, Beschwerde zu erheben.
Insgesamt ist also auch die Verhandlung und Verkündung eines Urteils zunächst auch zulässiger Beschwerdegegenstand.
IV. Beschwerdebefugnis
Die Beschwerdeführerin muss, nach § 90 I BVerfGG und Art. 93 I Nr. 4a GG, die Möglichkeit glaubhaft machen in einem ihrer Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte verletzt worden zu sein5.
1. Möglichkeit der Grundrechtsverletzung
Die Verletzung eines Grundrechts oder grundrechtsgleichen Rechts darf nicht von Beginn an ausgeschlossen sein. Im vorliegenden Sachverhalt scheinen zunächst drei Grundrechte bzw. grundrechtsgleichen Rechte in Frage zu kommen: die Religions- bzw. Glaubensfreiheit aus Art. 4 I und II GG, die Rechte auf Gleichbehandlung aus Art. 3 I und III GG, sowie das Recht auf einen gesetzlichen Richter aus Art. 101 I 2 GG. In letzterem wird nicht nur garantiert, dass der Richter auch gesetzlich zuständig ist6, sondern wird, nach der Rechtsprechung des BVerfG, auch das Recht des Beschwerdeführers auf die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des zuständigen Richters wie in Art. 97 I GG allgemein vorgeschrieben, sichergestellt7.
a) Religionsfreiheit
Es besteht die Möglichkeit, das A in ihrer Religionsfreiheit verletzt wurde. Art. 4 GG garantiert in Abschnitt 1 die Freiheit des Glaubens und die Freiheit des religiösen Bekenntnisses, sowie in Abschnitt 2 die Freiheit die entsprechende Religion auszuüben.
Wäre die Ausübung von As Religion, also das Verbot des Tragens eines Kopftuchs im Außenkontakt im Gericht der Gegenstand der Beschwerde, so könnte sie die Möglichkeit der Verletzung ihres Rechts aus Art. 4 II GG behaupten, da sich ihre Beschwerde aber dem Sachverhalt nach „gegen die Verhandlung und Urteilsverkündung“ richtet und nicht gegen den Inhalt der Entscheidung selber, sind ihre ihre Rechte aus Abschnitt 2 nicht berührt, auch wenn eine Verfassungsbeschwerde gegen den Inhalt der Entscheidung bzw. gegen das der Entscheidung zugrundeliegende Gesetz mit hoher Wahrscheinlichkeit zulässig sein könnte.
Der erste Abschnitt des Art. 4 GG garantiert unter anderem auch die negative Freiheit nicht den Symbolen einer Religion oder Weltanschauung ausgesetzt zu sein, allerdings nur solange wie die Grundrechtsträgerin den Symbolen unentziehbar ausgesetzt ist8. Das bedeutet jedoch nicht, das andere auf ihre positive Ausübung der Religionsfreiheit verzichten müssen9. Zwar garantiert Art. 4 I GG kein Recht, nicht durch die Bekenntnisverkündung eines anderen verunsichert zu werden, also vor dem reinen Bekenntnis eines anderen geschützt zu sein10. In jedem Fall aber muss zwischen dem positive Recht und dem negativen eine Balance gefunden werden. Die A ist hier dem freimaurerischen Symbol der O ausgesetzt, auch muss sie am Prozess teilnehmen, kann sich der Glaubensbekundung der O also nicht entziehen. Anders würde der Sachverhalt auf offener Straße aussehen, wo die A nicht gezwungen wäre mit der O in Kontakt zu treten, im Gericht und während einem sie betreffenden Verfahren besteht diese Möglichkeit jedoch nicht.
Das negative Recht der A die Kette nicht sehen zu müssen überwiegt hier also im Ergebnis, mit dem Resultat, dass die Möglichkeit das A in ihrer negativen Religionsfreiheit betroffen ist besteht.
b) Recht auf Gleichbehandlung
Im weiteren könnte A möglicherweise behaupten in ihren Rechten aus Art. 3 I und III GG verletzt worden zu sein.
Art. 3 I GG garantiert die Gleichbehandlung aller Menschen vor dem Gesetz, während Art. 3 III GG die Bevorzugung oder Benachteiligung auf Grund von, unter anderem, religiösen Anschauungen verbietet.
Eine Beeinträchtigung dieser Rechte könnte die Beschwerdeführerin glaubhaft machen, wenn es sich bei der Abweisung ihrer Klage um die Verhandlung, Urteilsverkündung und den Inhalt der Entscheidung gehandelt hätte. Jedoch, wie oben bereits erwähnt, richtet sich ihre Beschwerde im vorliegenden Sachverhalt lediglich gegen die ersten beiden Punkte. Demnach musste die letztinstanzliche Entscheidung der Verwaltungsgerichte nur die Beeinträchtigung der anderweitig genannten Rechte der A in Betracht ziehen, nicht aber die mögliche Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem11, da sich die abgewiesenen Klage nur mit dem Verhalten der O befasst und somit von vornherein nicht zwei möglicherweise gleiche Sachverhalte betrachtet werden, die unterschiedlich behandelt worden sein könnten.
Die Möglichkeit das A in ihren Rechten aus Art. 3 I und III GG verletzt worden zu sein besteht also nicht.
c) Recht auf einen gesetzlichen Richter
A könnte möglicherweise auch eine Verletzung ihres Rechts aus einen gesetzlichen Richter Glaubhaft machen.
Obwohl durch Art. 101 I S. 2 GG zunächst nur garantiert wird, das niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen wird, zieht die verfassungsgerichtliche Rechtssprechung aus Art. 101 I S. 2, effektiv in Verbindung mit Art. 97 I und Art. 20 III GG, das Recht auf eine Richterin die in jeder Hinsicht den an sie gestellten Bedingung durch Recht und Gesetz genügt, also unabhängig und unparteilich ist12. Im weiteren kann, mit Bezug auf Art. 4 I GG, aus Art. 101 I S. 2 GG auch ein Recht auf eine Richterin abgeleitet werden die sich nicht religiös oder weltanschaulich bekennt, da jede Richterin Teil der rechtssprechenden Gewalt des Staates ist13. Zudem zeigt schon die Klage der A an sich, dass Zweifel an ihrer Unparteilichkeit aufkommen, da A eben diese Zweifel hat.
Es lässt sich also die Möglichkeit behaupten, das A in ihrem Recht auf einen gesetzlichen Richter verletzt wurde, da Richterin O zum einen möglicherweise nicht den gesetzlichen Anforderungen aus Art. 11 BayRiStAG (angenommen das diese Norm zunächst verfassungsmäßig ist) entspricht, denen sie aber durch Art. 97 I und Art. 20 III GG unterworfen ist, und zum anderen jedenfalls den Anforderungen aus Art. 101 I S. 2 GG i. V. m. Art. 4 I GG nicht entspricht.
Die Möglichkeit das A in ihren Rechten aus Art. 101 verletzt wurde, besteht also, besonders weil zunächst die auch die Möglichkeit besteht, dass es sich bei der Freimaurerei um eine Weltanschauung handelt (näheres unten unter Aufgabe 2).
2. Eigene, gegenwärtige und unmittelbare Betroffenheit
Die Beschwerdeführerin A muss in einem ihrer eigenen14 Grundrechte gegenwärtig15, also vor der Beschwerde (solange diese dann innerhalb der Frist aus § 93 I BVerfGG erfolgt) oder noch während der Beschwerde, und unmittelbar16, also ohne das ein weiterer Akt staatlicher Gewalt notwendig wäre17, betroffen sein.
Hier ist A durch die Abweisung ihrer eigenen Klage, also der Nicht-Erkennung ihrer Rechte, gegenwärtig, da ihre Klage bereits abgewiesen wurde, und unmittelbar, da die Entscheidung final bzw. letztinstanzlich ist, betroffen.
3. Zwischenergebnis
Die Verfassungsbeschwerde der A erfüllt also mit der möglichen Verletzung ihrer Rechte aus Art. 4 und Art. 101 I S. 2 GG die Anforderungen der Voraussetzung der Beschwerdebefugnis und ist bezüglich dieses Abschnitts mithin zulässig.
V. Rechtswegerschöpfung und Subsidiarität
Eine Verfassungsbeschwerde ist nur dann zulässig, wenn der Rechtsweg der Beschwerde ausgeschöpft wurde18 (§ 90 II 1 BVerfGG) und keine anderweitigen Möglichkeiten der Problemlösung zur Verfügung stehen19.
Es ist fraglich, ob A nicht zunächst Beschwerde vor dem bayrischen Landesverfassungsgericht (LVerfG) hätte einreichen müssen, jedoch bleibt dieses Recht durch ihre Beschwerde vor dem BVerfG nach § 90 III BVerfGG unberührt, oder mit anderen Worten, sie muss die Beschwerde vor dem bayrischen LVerfG nicht erhoben haben, also den Rechtsweg im Land nicht erschöpft haben, damit ihre Klage vor dem BVerfG zulässig ist, sie muss lediglich den Rechtsweg vor den Fachgerichten erschöpft haben20.
Hier wurde die Klage der A, laut Sachverhalt letztinstanzlich von den Verwaltungsgerichten abgewiesen, also augenscheinlich auch vom Bundesverwaltungsgericht, und andere Möglichkeiten der Abhilfe sind nicht ersichtlich. Die Anforderungen an Rechtswegerschöpfung und Subsidiarität sind also erfüllt und die Beschwerde insofern zulässig.
VI. Frist und Form
Dem Sachverhalt zufolge wurden sowohl die Anforderungen an die Einreichungsfrist nach § 93 I BVerfGG, als auch die Formvorgaben (§ 23 I S. 1 BVerfGG) eingehalten. Bezüglich den Anforderungen an Frist und Form ist der Antrag also in soweit zulässig.
VII. Ergebnis
Die Verfassungsbeschwerde der A ist also zulässig. Es würde weiterhin zwar fraglich bleiben ob sie auch begründet wäre, der Aufgabenstellung zufolge ist die Begründetheit jedoch nicht zu prüfen. Ein ähnlicher Fall vor dem bayrischen Verfassungsgerichtshof war jedoch nicht begründet und wurde abgewiesen21.
[...]
1 Kingreen/Poscher, Rn 1291
2 Kingreen/Poscher, Rn 1294
3 Kingreen/Poscher, Rn 1296, verweisend auf AA Stelkens, DVB1. 2004, 403
4 Ipsen, Rn. 121
5 Kingreen/Poscher, Rn 1297
6 Kingreen/Poscher, Rn 1221 ff.; BVerfGE 95, 322/329;
7 Kingreen/Poscher, Rn 1225; BVerfGE 21, 139
8 Kingreen/Poscher, Rn 617; BVerfG, NJW 2008, 2978; verweisend auf Stuhlfauth, DÖV 2009, 225
9 Maunz-Dürig, 2010, Art. 4, Rn 60
10 Maunz-Dürig, 2010, Rn. 73 f.; BVerfGE 12, 1
11 Einer Anhängerin der Freimaurerei, vorausgesetzt es handelt sich bei der Freimaurerei um eine Weltanschauung (siehe Aufgabe 2), und einer Muslimin; Kingreen/Poscher, Rn 515
12 Maunz-Dürig, 2010, Art. 101, Rn 11 ff; BVerfGE 14, 162
13 Maunz-Dürig 2010, Art. 4, Rn 71
14 Kingreen/Poscher, Rn 1306 ff.
15 Kingreen/Poscher, Rn 1312 ff. verweisend auf Pestalozza, S. 184 f.; BVerfGE 99, 129/138; 103, 44/58; 116, 69/79
16 Kingreen/Poscher, Rn 1315 f.
17 BVerfGE 53, 366/389; 70, 35/50 f; 140, 42/58
18 Kingreen/Poscher, Rn 1318
19 Kingree/Poscher, Rn 1324; BVerfGE 112, 50/60
20 Kingreen/Poscher, Rn 1319
21 BayVerfGH NVwZ 2019, 721