Der innovative Denkansatz, bei dem Schüler verschiedene Aufgaben des Lehrers
übernehmen, hat neben der Vermittlung von Lerninhalten in erster Instanz das
Erweitern und Festigen von Kompetenzen diverser Art zum Ziel. In der Arbeit
versuche ich, unter Verwendung von Fachliteratur und der empirischen Forschung Vorteile, Nachteile, mögliche Probleme und Grenzen von „Lernen durch Lehren“ zu explizieren und darzustellen, welche Lehrkompetenzen in welchem Umfang von Schülern adaptiert werden können.
Ich setze mich in diesem Zusammenhang mit der Fragestellung auseinander, wie
Schülerpartizipation auf der Ebene des Schulprojektes mit einer innovativen Methode
wie „Lernen durch Lehren“ realisierbar ist. Dazu werde ich die Effizienz auf der
fachlich-didaktischen, aber auch pädagogisch-psychologischen Ebene untersuchen
und Schlussfolgerungen ziehen. Die inhaltliche Auseinadersetzung mit dem Thema Wein und die didaktischen Transformationen für den Einsatz des Gegenstandes in der Schule sollen den letzten Teil der vorliegenden Arbeit ausmachen. Dabei wird zunächst der Wein als Teil des Kulturgutes und der Geschichte der Saale-Unstrut besprochen. Neben dem Anbau, den Herstellungsprozessen und der sensorischen Qualitätsprüfung soll die Weinanalytik als Arbeitsschwerpunkt in die Projektkonzeption eingehen, um somit eine enge Verbindung zu rahmenrichtlinienbezogenen Lerninhalten herzustellen.
In verschiedenen Experimenten werden Verfahren dargestellt, bei welchen man auch als Nichtwinzer Wein bereiten und ihn auf den Gärerfolg und die wesentlichen Bestandteile prüfen kann. Dabei steht den Schülern ein breites Informations- und Anleitungsmaterial zur Verfügung, welches sie im Rahmen des Schulprojektes nutzen können. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema Alkohol aus chemischen
Gesichtspunkten bildet dabei einen Schwerpunkt der praktischen und theoretischen
Arbeit. Die vorliegende Arbeit bietet keine repräsentative Meinung zum Einsatz von „Lernen durch Lehren“ im Chemieunterricht, sondern diskutiert Ergebnisse des selbst konzipierten, durchgeführten und reflektierten Schulprojektes. Mein erworbener Standpunkt dient der Auseinandersetzung mit der Problemstellung. Die abgeleiteten Schlussfolgerungen beziehen sich auf Erfahrungen,welche ich in einem Zeitraum
von mehreren Wochen gesammelt habe. In jenem wurden Experimente konzipiert, Schüler als Lehrende befähigt, Anleitungsmaterialien angefertigt und ein Grobablaufplan für das Schulprojekt erstellt.
Inhaltsverzeichnis
1 Ziele und Grenzen der Arbeit
2 „Lernen durch Lehren“ als Form von Schülerpartizipation
2.1 Begriffsklärung und theoretische Positionen zu „Lernen durch Lehren“
2.2 Relevante Perspektiven im Lern- und Lehrprozess
2.3 Empirische Lage in Deutschland
2.4 Reflexionen
2.5 Anwendung im Fach Chemie
2.5.1 Einsatzmöglichkeiten
2.5.2 Projekte und Ergebnisse an der Martin-Luther-Universität
2.5.3 Grenzen und Probleme
2.6 Effizienz der Schülerpartizipation
2.6.1 Betrachtung der didaktischen Ebene
2.6.2 Betrachtung der pädagogisch-psychologischen Ebene
2.7 Eigene Vorstellungen zu „Lernen durch Lehren“
2.7.1 Begriffseingrenzung
2.7.2 Rolle des lehrenden Schülers
2.7.3 Rolle des betreuenden Lehrers
3 Die Konzeption des Weinprojektes im Rahmen der Projektwoche
3.1 Begriffsklärung Schulprojekt
3.2 Ziele der Projektwoche
3.3 Planungs- und Umsetzungsphasen
3.4 Praxiserfahrungen im Fach „Weinbau“ am Burgenlandkreisgymnasium Laucha
4 Fachliche Grundlagen zum Wein
4.1 Der Weinbegriff
4.1.1 Die Weinrebe
4.1.2 Das Getränk Wein
4.1.3 Qualitätsstufen des Weins
4.1.4 Der Apfelwein
4.2 Historischer Abriss der Weinherstellung
4.3 Realisierung der Weinbereitung
4.4 Weinfehler
4.5 Prinzip der alkoholischen Gärung
4.6 Weinanalytik
4.7 Organoleptische Qualitätsprüfung
4.8 Wein und Mensch
5 Ausgewählte Schülerexperimente zum Thema Wein
5.1 Herstellung eines Fruchtweins
5.2 Bedingungen der alkoholischen Gärung
5.3 Nachweis des Gärproduktes Kohlenstoffdioxid
5.3.1 Qualitativer Nachweis
5.3.2 Quantitativer Nachweis
5.4 Nachweis des Gärproduktes Ethanol
5.4.1 Qualitativer Nachweis
5.4.2 Quantitativer Nachweis
5.5 Bestimmung des Zuckergehaltes
5.6 Bestimmung des Säuregehaltes
6 Projektergebnisse und Feedback
7 Resümee
8 Literaturverzeichnis
9 Anhang
1 Ziele und Grenzen der Arbeit
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Einsatz der handlungsorientierten Unterrichtsmethode „Lernen durch Lehren“ im Fach Chemie sowie der allgemeinen Analyse jener im schulischen Kontext. Dabei beziehe ich mich im engeren Sinn auf ein Verfahren, welches als Forschungsprojekt an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in der Abteilung „Didaktik der Chemie“ unter der Leitung von Frau Dr. Prokoph durchgeführt wird. In außerschulischen Veranstaltungen an Grundschulen und Gymnasien der Stadt Halle haben Schüler1 dabei die Möglichkeit, sich näher mit naturwissenschaftlichen Themen auseinanderzusetzen.
Der innovative Denkansatz, bei dem Schüler verschiedene Aufgaben des Lehrers2 übernehmen, hat neben der Vermittlung von Lerninhalten in erster Instanz das Erweitern und Festigen von Kompetenzen diverser Art zum Ziel. In der Arbeit versuche ich, unter Verwendung von Fachliteratur, Erfahrungsberichten und dem Selbststudium Vorteile, Nachteile, mögliche Probleme und Grenzen von „Lernen durch Lehren“ zu explizieren. Da die Methode in vielen Zusammenhängen und Schriften3 publiziert wurde, beschränke ich mich in meinen Ausführungen in der Regel auf den naturwissenschaftlichen Unterricht, vor allem auf das Fach Chemie. Ich setze mich in diesem Zusammenhang mit der Fragestellung auseinander, wie Schülerpartizipation auf der Ebene des Schulprojektes mit einer innovativen Methode wie „Lernen durch Lehren“ realisierbar ist. Dazu werde ich die Effizienz auf der fachlich-didaktischen, aber auch pädagogisch-psychologischen Ebene untersuchen und Schlussfolgerungen ziehen.
Im engen Zusammenhang mit der empirischen Erforschung der Unterrichtsmethode steht die Konzeption eines Schulprojektes, welches sich mit dem Thema „Rund um den Wein“ befasst. Die Durchführung wurde am Christian-Wolff-Gymnasium in Halle realisiert, wobei zwei Schüler der elften und dreizehnten Jahrgangsstufe im Vorfeld die Experimente an der Martin-Luther-Universität erprobten und später leiteten. Das Schulprojekt mit dem Namen „in vino veritas“4 wurde in der Woche vom 15.01.-19.01.2007 verwirklicht und dient in der vorliegenden Arbeit als Paradigma zur Analyse des Verfahrens „Lernen durch Lehren“. Da alle praktischen Tätigkeiten durchgeführt und reflektiert wurden, soll die Arbeit ein vielfältiges, schulrelevantes Material zum Thema Wein für Lehrer und Interessierte enthalten und Anleitungen für Experimente bereitstellen.
Die inhaltliche Auseinadersetzung mit dem Thema Wein und die didaktischen Transformationen für den Einsatz des Gegenstandes in der Schule sollen den letzten Teil der vorliegenden Arbeit ausmachen. Dabei wird zunächst der Wein als Teil des Kulturgutes und der Geschichte der Regionen Halle/Saale und Saale-Unstrut besprochen. Neben dem Anbau, den Herstellungsprozessen und der sensorischen Qualitätsprüfung soll die Weinanalytik als Arbeitsschwerpunkt in die Projektkonzeption eingehen, um somit eine enge Verbindung zu rahmenrichtlinienbezogenen Lerninhalten herzustellen. In verschiedenen
Experimenten werden Verfahren dargestellt, bei welchen man auch als Nichtwinzer Wein bereiten und ihn auf den Gärerfolg und die wesentlichen Bestandteile prüfen kann. Dabei steht den Schülern ein breites Informations- und Anleitungsmaterial zur Verfügung, welches sie im Rahmen des Schulprojektes nutzen können. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema Alkohol aus chemischen Gesichtspunkten bildet dabei einen Schwerpunkt der praktischen und theoretischen Arbeit.
Ziel des Projektes „in vino veritas“ ist neben dem hergestellten Produkt Wein die Erweiterung der chemischen Kenntnisse und Fähigkeiten der beteiligten Schüler. Diese sollen ein Grundwissen über Wein- und Rebsorten, die Geschichte des Weins, die Prinzipien der alkoholischen Gärung, Weinanalytik und der Qualitätsmerkmale erhalten. Ihre praktisch erworbenen Fähigkeiten beziehen sich auf die Weinherstellung und -analytik, die Qualitätsprüfung und die Weinbeschreibung.
Die vorliegende Arbeit bietet keine repräsentative Meinung zum Einsatz von „Lernen durch Lehren“ im Chemieunterricht, sondern diskutiert Ergebnisse des selbst konzipierten, durchgeführten und reflektierten Schulprojektes. Mein erworbener Standpunkt dient der Auseinandersetzung mit der Problemstellung. Die abgeleiteten Schlussfolgerungen beziehen sich auf Erfahrungen, welche ich in einem Zeitraum von mehreren Wochen gesammelt habe. In jenem wurden Experimente ausgewählt und didaktisch konzipiert, Schüler als Lehrende befähigt, Anleitungsmaterialien angefertigt und ein Grobablaufplan für das Schulprojekt erstellt. Die Qualität der Vorbereitung zeigte sich bei der Durchführung des Vorhabens in der Schule und wurde unter mehreren Gesichtspunkten ausgewertet.
2 „Lernen durch Lehren“ als Form von Schülerpartizipation
2.1 Begriffsklärung und theoretische Positionen zu „Lernen durch Lehren“
Die Idee, Schüler intensiver mit dem Schulstoff zu beschäftigen, besteht, seitdem es Unterricht gibt. Schon im Altertum formulierte Seneca in einem Brief an Lucilius den Gedanken, dass man beim Lehren selbst lernt5. Die Übertragung von Lehrerfunktionen galt jedoch in der Schulgeschichte als nicht denkbare Möglichkeit, um Lernerfolge zu verbessern und zu festigen.
Jean-Pol Martin arbeitete trotzdem engagiert an einer Möglichkeit, Schülern sich gegenseitig den Stoff vermitteln zu lassen, und nannte diese Methode „Lernen durch Lehren“6. Er hat einen didaktischen Entwurf im Rahmen des Französischunterrichts zur Verbesserung von Schülerleistungen entwickelt und dort sehr erfolgreich eingesetzt. Inzwischen wird diese Form des handlungsorientierten Unterrichts in fast allen Fachbereichen und Altersstufen angewendet. Seit den achtziger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts gibt es eine immer weiter anwachsende Gruppe von Lehrern und Pädagogen, welche dieses Verfahren systematisch in ihrem Unterricht integrieren, es theoretisch untermauern und verfeinern. Auch die Publikationen über diese Lernform (und somit auch die Verbreitung) nehmen allmählich zu. Ursprünglich war LdL ein theoretisches Konzept der humanistischen Kognitionspsychologie.
Die Begründung der Erprobung einer neuen Methode zur Kompetenzerweiterung bei Schülern ist in der zunehmenden Komplexität und Unüberschaubarkeit der Gesellschaft zu suchen, in der eine vielfältigere Ausbildung als die bloße Vermittlung von Wissen gefordert wird. Der Lernende muss mehr denn je zur Bewältigung und aktiven, kooperativen Gestaltung dieser diffizilen Umwelt befähigt werden. Viele Fachdidaktiker und auch Pädagogen sehen die Qualität der Stoffvermittlung, Verinnerlichung und Vernetzung auf einem niedrigen Niveau und suchen nach Methoden, um diese zu verbessern. Nicht zuletzt zeigten Studien wie PISA oder TIMSS, dass in deutschen Schulen nicht effektiv gelernt wird. Nicht nur kognitive Kompetenzen, sondern auch Ausdauer, Teamgeist und die Fokussierung der Energien auf ein Ziel hin sind oft nicht ausreichend. Die Verbesserung von Lernprozessen und Lernaktivitäten durch die Veränderungen des Schulsystems, Neuerungen in der Organisation, vermehrten Einsatz von Projektunterricht oder fachübergreifendem Unterricht genügen nicht. Vor allem der unterrichtliche Lernprozess mit seiner methodischen Vielfalt sollte im Fokus der Schulevaluation stehen. Doch werden diese Notwendigkeiten an vielen Schulen gar nicht erkannt oder die Durchführung von optimierenden Maßnahmen seitens der Lehrer als Zumutung empfunden. Andere Schulen, welche methodische Experimente durchführen wollen, beklagen sich über die realen Strukturen der Schule (Schülerzahl, Stoffmenge, Stundendeputat) und fühlen sich dadurch überfordert. Die Ansätze können also nicht nur bei den Ministerien und ähnlichen Institutionen gesucht werden, sondern sollten vor allem von den Beteiligten der Schule selbst ausgehen.
Um neue, bessere und innovativere Methoden zu testen und zu bewerten, muss eine gründliche Evaluation des Unterrichts vorausgehen und die gegenwärtige Lernkonzeption erörtert werden. Die Frage nach expliziten und impliziten Vorstellungen vom Lernen ist für den Lehrenden von großem Interesse. Bei der Bewertung trifft man in den meisten deutschen Schulen auf das gängige instruktionistische Modell (Frontalunterricht). Es zeichnet sich zwar durch Klarheit, Strukturiertheit des Lehrens und effiziente Nutzung der Unterrichtszeit mit deutlicher Fokussierung der Lerninhalte und Aufgaben aus, eröffnet aber nicht die Möglichkeit, Instruktionen wirklich an die Aufnahmekapazität der Adressaten anzupassen. Selbst wenn man sich auf die augenscheinliche Stärke des instruktionistischen Modells konzentriert, sind selbst hier erhebliche Zweifel angebracht. Vergleicht man das Lernen als aktiven Prozess der Auseinandersetzung mit dem Stoff, so induziert der Frontalunterricht vor allem eine rezeptive, auf Aufnahme gerichtete Haltung.
Prinzipiell kann LdL in kooperativen oder tutoriellen Formen durchgeführt werden. Bei kooperativen Organisationen werden die Rollen der lehrenden und lernenden Personen ständig getauscht. So können Schüler für eine gewisse Zeit die Funktion des Lehrers und dann die des Zuhörers übernehmen. Bei der tutoriellen Form sind die Rollen in der Gruppe klar verteilt, wobei hier ein oder mehrere Schüler die Mitschüler anleiten und betreuen. (Bsp. für eine Unterrichtssequenz s. Anhang I) (Vgl. Renkl, 1997, S. 20f)
2.2 Relevante Perspektiven im Lern- und Lehrprozess
Die Begründung des Erfolgs von LdL liefern verschiedene Modelle der empirischen Sozialpsychologie, welche theoretisch und praktisch relevante Fragen zum kooperativen Lernen mit Lösungsbeispielen belegen. Die Analyse von Ergebnissen, die Voraussage und Interpretation von Wirkungen stehen dabei im engen Zusammenhang mit psychologischen Sichtweisen, welche sich in empirischen Untersuchungen als erklärungsmächtig erwiesen haben.
Bei der rollentheoretischen Perspektive versucht man die Kongruenz der Selbstwahrnehmung des Schülers mit der Erwartung an die zu erfüllende Rolle zu konstatieren. Der Begriff „Rolle“ wird in der Sozialpsychologie als „sozial definiertes Verhaltensmuster, das von einer Person, die innerhalb einer Gruppe eine bestimmte Position einnimmt, erwartet wird“7, definiert. Das Verhalten des Lernenden ändert sich nach den Beobachtungen von Zimbardo, wenn er in die Perspektive des Lehrenden tritt8. Die Interpretation des Rollenverhaltens gelingt bei der Beobachtung der sozialen Erwartungen im Vergleich mit den veränderten Verhaltensmustern. Die Korrrelationsanalyse zeigt, dass die Handlungsweisen eines Rolleninhabers in die Richtung der gesellschaftlichen Vorstellungen gehen.
Diese Perspektiven kann man auch auf kooperative Lern- und Lehrprozesse übertragen, wobei der Schüler in der übernommenen Lehrerrolle einen vollkommen neuen Bezug zum Lerninhalt und seinen Mitschülern bekommt. Durch den vermittelnden Standpunkt kann man beim Lernenden eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Schulstoff beobachten, was letztendlich zu einer Verbesserung der Lernprozesse und der Festigung beiträgt. Da der Schüler nun vor der Klasse steht und motiviert ist, gute Leistungen abzuliefern, sind die Erhöhung der Lernbereitschaft und das Interesse an Inhalten eine logische Konsequenz. Folgen, wie ein erweitertes prosoziales Verhalten und letztendlich ein gestärktes Selbstbewusstsein, sind zu erwarten. Die Vorbereitung und intensive Auseinandersetzung mit der Lehrerrolle, auch schon im Vorfeld, führt zu einer Identifizierung mit jener. Der Schüler macht sich klar, welche Aufgaben an den Tutor gestellt werden und wie er sie umsetzt. Natürlich muss der Lernende, der die Lehrerrolle übernehmen wird, über gewisse Rollenfertigkeiten verfügen, um den Unterrichtsprozess nicht nur inhaltlich bereichern zu können, sondern um ihn zu steuern oder zu korrigieren. Er muss auf eventuell auftretende Schülerfragen eingehen, Diskussionen leiten können und ein Gefühl dafür entwickeln, ob Mitschüler dem Unterrichtsverlauf folgen, den Stoff nachvollziehen können oder nicht. Wenn der Schüler diese Eigenschaften nach einer gewissen Übungsphase aufweisen kann, wirkt sich die Transferierung in die Lehrerebene positiv motivational und vor allem kognitiv auf den Umgang mit Kompetenzen und Lerninhalten aus. Das Lernen wird durch das Lehren also nachhaltig beeinflusst.
Wenn Lernprozesse vor allem im schulischen Kontext als Wissensaneignung verstanden werden, ist es notwendig, jene auch auf psychologischer Ebene zu reflektieren. Aus der Perspektive der kognitiven Elaboration sieht man Wissen als vernetzte Gedächtnisinhalte. Die Knotenflächen stellen dabei die Fakten oder Konzepte dar. Die Verknüpfungen und Verbindungen zwischen den Zentren veranschaulichen die jeweiligen Zusammenhänge, ohne welche die reinen Tatsachen wenig Sinn hätten. Das Wissen ist demnach ein kognitives Gefüge, welches als Schemata bezeichnet wird. Dieses kann durch Wiederholen von Problemsituationen erworben und gefestigt werden. Erst die geordneten Wissensstrukturen ermöglichen effiziente Problemlösungsstrategien. Je mehr Schemata vorhanden sind, desto schneller und leichter können neues Wissen aufgenommen und Aufgaben beantwortet werden.
Der Lernprozess selbst ist aber nicht nur mit dem Zuwachs von Schemata verbunden, sondern findet auch bei der Neustrukturierung und Reorganisation statt. Durch neue Erkenntnisse werden Veränderungen in der Kognitionsstruktur hervorgerufen, welche im engen Zusammenhang mit Vermittlungsabläufen stehen. Der Erwerb von Verständnis als inhaltliche Auseinandersetzung mit Sachverhalten hängt von der Art und Menge der Verbindungen im Kognitionsgefüge ab. Der Prozess des Verstehens verläuft allerdings nicht diskontinuierlich sondern stetig. Das Aneignen und Anwenden von Verständnis ist eine wichtige Voraussetzung für Methoden wie LdL, wobei die Wissensstrukturen als Resultat von aktiven kognitiven Konstruktionsprozessen anzusehen sind, welche durch elaborative Lernprozesse ausgelöst werden. Die Fassungsgabe unterliegt dabei der ständigen metakognitiven Kontrolle des Lernenden, welcher so eventuelle Wissenslücken und Schwächen ausmachen kann. Durch Motivationsfaktoren wie der intrinsischen Motivation und der Leistungsangst können Lernprozesse optimiert oder gemindert werden. Unter der intrinsischen Motivation versteht man in diesem Zusammenhang das innere Streben der Lernperson nach Erweiterung von Kompetenzen und Aufgabenbewältigung. Das Lernen ist eine Handlung, welche als Herausforderung verstanden und mit Interesse und Spannung betrieben wird. Diese aktive Lernhaltung führt nachweislich zu einer höheren Lernleistung9. Das Ziel von LdL muss also sein, dass die Schüler intrinsisch für die Lehrerrolle motiviert werden. Unter der Leistungsangst hingegen versteht man eine Bedrohung des Selbstwertes unter prüfungsähnlichen Situationen10. Es gibt eine kleine Gruppe unter den Schülern, welche unter Leistungsangst bessere Leistungen erzielen können, aber im Regelfall blockieren die Ängste kognitive Ressourcen11 und deshalb sollte bei LdL in jedem Falle eine angstfreie Atmosphäre geschaffen werden und das Lernen bzw. die Auseinandersetzung mit Sachgebieten möglichst ohne Leistungsdruck erfolgen. In diesem Zusammenhang möge auch erwähnt sein, dass sich Ängste nicht nur auf sachorientierte Themen beziehen, sondern auch sozialer und instrumenteller Art und Herkunft sein können.
Die Lehrsituation ist für den Lernenden also eine komplexe Aufgabe, welche er nur mit vielfältigen Kompetenzen und Voraussetzungen erfüllen kann (s. Kapitel 2.7). Aus den beiden vorgestellten Perspektiven ergibt sich, dass LdL eine lernförderliche Methode ist, welche bei richtiger Handhabung zum Erfolg bei Lernprozessen führen kann. Die drei Komponenten von LdL, welche von Renkl 1997 ausführlich erforscht wurden, erwarten vom Schüler metakognitive und aktive elaboratorische Momente:
- Lehrerwartung: Die Vorbereitung des Schülers auf die Lehrerrolle verlangt eine intensive Auseinandersetzung mit dem Stoff und dem erwarteten Rollenverständnis als Lehrperson.
- Geben von Erklärungen: Beim Prozess des Lehrens werden vielfältige Kompetenzen geschult und erweitert. Das Verständnis für das eigene Tun wird überprüft.
- Reagieren auf Rückfragen: Bei der Entstehung neuer, nicht geplanter Situationen werden einerseits Verständnis- und Wissenslücken aufgezeigt und zum anderen neue Zusammenhänge hergestellt.
(Vgl. Renkl, 1997, S. 64f)
2.3 Empirische Lage in Deutschland
In diesem Kapitel soll versucht werden, einen kleinen Überblick darüber zu geben, inwieweit sich die Methode LdL in Lernstätten wie Schulen und Universitäten etablieren konnte und mit welchem Erfolg sie angewendet wird. Eine sehr gute Übersicht zu Aktivitäten und Anwendungen des Verfahrens bietet zurzeit die offizielle Internetseite der Katholischen Universität Eichstätt Ingolstadt12, welche sich unter der Leitung von Jean-Pol Martin intensiv mit LdL befasst.
Zunächst sollte man erwähnen, dass LdL in allen Schul- und Studienformen bereits mehr oder weniger erfolgreich in Deutschland angewendet wurde. So gibt es Berichte über die Erprobung in fast allen Unterrichtsfächern in der Unter- und Oberstufe. Allerdings existieren keine gefestigten Ergebnisse über die Genauigkeit der Durchführung, der Evaluation und der Resultate. Ob es sich bei der Einführung neuer Unterrichtsmethoden um „Referatunterricht“ oder wirklich um LdL handelt, ist auch nicht bewiesen.
Trotzdem liegen immer mehr Studien vor, welche sich inhaltlich und auch praktisch sehr wissenschaftlich mit dem Verfahren auseinandergesetzt haben und Ergebnisse präsentieren können. An dieser Stelle wären z.B. Universitäten wie Eichstätt genannt, welche LdL in Übungen und Seminaren erfolgreich einsetzen und somit der von Studenten beklagten Langeweile bei Vorlesungen und Seminaren entgegenwirken. Der Dozent teilt dazu eine entsprechende Aufgabe für Partner- oder Kleingruppenarbeit aus und beauftragt Freiwillige als Leitungsteam für die Lösungsbesprechung. Während der Bearbeitungsphase werden die Voraussetzungen der Stoffkenntnisse sichergestellt. Dann prüft er noch einmal mit dem Leitungsteam, ob es alles verstanden hat und eröffnet die Besprechungsphase. Bei der Besprechungsphase achtet der Dozent darauf, dass die Wichtigkeit von Kommunikation deutlich wird. Jede Gruppe präsentiert dann ihr Resultat.
Weitere gesicherte Studien sind zudem von einzelnen Fachdidaktiken der Universitäten zu erwähnen, welche LdL im Rahmen der Lehrerbildung einsetzen. Im Fach Chemie sei hier die Fachdidaktik unter der Leitung von Frau Dr. Prokoph zu nennen, welche konsequent positive Ergebnisse verzeichnen kann (dazu mehr im Kapitel 2.5.2). Des Weiteren wird die Methode bei hochbegabten Schülern eingesetzt. Die bisher gesammelten Erfahrungen zeigen, dass die Unterrichtsmethode LdL besonders geeignet ist, da viele dieser Schüler über ein enormes Detailwissen aus oftmals exotischen Teildisziplinen verfügen. Geschickt eingesetzt verstehen die Teilnehmer sehr schnell die Vorzüge der Unterrichtsmethode, da sie ihrem natürlichen Kommunikationsbedürfnis und Interesse entspricht.
Im Schulbetrieb verwendete Verfahren, welche LdL implementieren, sind z.B.:
- Sandwich: Mit naivem Vorwissen wird ein Thema bearbeitet. Danach erfolgt
eine wissenschaftliche Erörterung und erneute Bearbeitung des Themas.
- Think-Pair-Share: Zunächst wird separat gearbeitet, anschließend folgt Informationsaustausch und zuletzt Gesamtdiskussion im Plenum.
- Snowballing: In verschiedenen Gruppen werden verschiedene Fragen bearbeitet. Im Anschluss werden Ergebnisse präsentiert und die anderen Gruppen stellen jeweils Verständnisfragen.
- Jigsaw: Verschiedene Aufgaben werden von verschiedenen Personen bearbeitet, welche zufällig einer Expertengruppe zugeordnet wurden. Nach der Bearbeitung stellen die Experten den Nichtexperten die Ergebnisse vor, welche dazu Verständnisfragen stellen.
- Infomarkt: Aufteilung einer Gruppe in Kleingruppen, welche Aufgaben bearbeiten und präsentieren. Ein Gruppenteil präsentiert und ein weiterer informiert andere Kleingruppen. Anschließend werden die Rollen gewechselt.
- Parcours: An Stationen (mit Infomaterial) werden von Gruppen nacheinander Aufgaben bearbeitet.
(Vgl. Waldherr, 2006, S.18f)
2.4 Reflexionen
Dass LdL nicht nur eins von vielen didaktischen Entwürfen, sondern ein „pädagogisches Konzept mit umfassender Tragweite“13 ist, erkannte Frau Dr. Margret Ruep, Präsidentin des Oberschulamtes Tübingen. Sie befasste sich in einem besonderen Maß mit der Theorie und Praxis der Methode und stellte fest, dass LdL ein „Grundprinzip des Unterrichtens“14 ist. Die lernende Organisation als Grundlage neuer Steuerungsinstrumente anzusehen, deckt sich mit der Idee, Schülern mehr Autonomie und Verantwortung zu übertragen. Im Prinzip geht Frau Dr. Ruep davon aus, dass der Ansatz gerade in seiner einfachen Struktur hervorragend dazu geeignet ist, ihn im Unterricht vielfach einzusetzen.
„Es geht darum, den anderen Menschen (ob Kind, Jugendlicher, Erwachsener) zu respektieren, ihm etwas zuzutrauen, zuzumuten und ihn dabei ‚wachsen’ zu lassen, sein zu lassen […]. Vielleicht ist die Begrifflichkeit ‚Lernen durch Lehren’ ein Teil des Problems, dass man hier eine Methode unter anderen sieht und die Bedeutung des Ganzen nicht zu sehen vermag.“15
LdL wurde ausgeweitet in den Schulalltag eingebunden und hat sich bewährt. Die Methode eröffnet Schülern ein neues Handlungsfeld, das sie aktiv und selbständig gestalten können. Die meisten Jugendlichen nehmen das gerne an, weil ihnen deutlich wird, dass sie dadurch Wissen und Kompetenzen gewinnen.
„Die Schülerinnen und Schüler nehmen sich durch LdL in ihrer Individualität gegenseitig viel stärker wahr. Wer sich im Unterricht normalerweise unauffällig verhält und kaum in Erscheinung tritt, muss jetzt aktiv den Unterricht gestalten, mit den anderen in Kontakt treten, Inhalte vortragen und sich zeigen.“16
Natürlich kommt das auch ganz besonders den Schülern zu Gute, welche als aufmerksamschwach und mitteilungsbedürftig gelten. Ihnen wird eine Bühne geschaffen, ohne die Auseinandersetzung mit Lerninhalten zu vernachlässigen.
„Die Jugendlichen engagierten sich erfreulich für ihre Stunde. Nicht Wenige trafen sich auch außerhalb des Unterrichts, um gemeinsam ihre Vorbereitungen durchzugehen. Andere bereiteten zu Hause am Computer Folien, Arbeitsblätter oder Rätsel vor. Es wurden Ausschnitte von eigenen Videomitschnitten gezeigt, Lückentexte entworfen, Rollenspiele initiiert […].“17
Jugendliche und Lehrkräfte stehen somit der Aufgabe zu Lehren partnerschaftlich gegenüber. Auch die Neugier über die Herangehensweise des Schülers, welcher die Unterrichtsstunde leitet, ist bei den Schülern ebenso hoch wie bei dem Lehrer. Der Austausch von Methoden bereichert den Schulalltag und festigt Kompetenzen.
Durch das Zurücknehmen des Lehrers kommen viel mehr Äußerungen der Schüler zustande, was eine rege Unterrichtsaktivität zur Folge haben kann. Durch die Beleuchtung schwieriger Stoffsequenzen aus der Perspektive des Schülers gewinnt er einen seiner Art zu lernen entsprechenden Zugang. Da die Inhalte methodisch variabler präsentiert werden, setzt sich der Schüler intensiver und vielseitiger mit ihnen auseinander. Nicht zuletzt wird die Sozialkompetenz in einem besonderen Maße geschult, da die Schüler ständig neue Rollen einüben und sich einander zuwenden müssen. Probleme und Unklarheiten werden häufiger beseitigt, weil die Beteiligten sich zu fragen trauen. Auch der Lehrer erkennt Verständnislücken besser und hat die Gelegenheit, gezielt und individuell auf sie einzugehen18.
Um eine Beurteilung zum jetzigen Zeitpunkt der Methode abzugeben, zitiere ich an dieser Stelle Martin, welcher Ergebnisse der Methode LdL in dem Artikel „Für eine Übernahme von Lehrfunktionen durch Schüler“19 zusammenfasst:
- „Es findet eine Hinwendung zum Regelsystem der Sprache statt.
- Der Sprechanteil der Schüler ist sehr hoch und die sprachlichen Strukturen werden dadurch schnell gefestigt.
- Die Übernahme der Lehrfunktion schafft einen authentischen Kommunikationszusammenhang.
- Die Durchführung des Unterrichts ist eine komplexe Handlung, die den Schüler fordert […].
- Bei der Vorbereitung des schülergeleiteten Unterrichts ist diese zu erlernende Kompetenz eine der Grundlagen des Schülerhandelns und muss dementsprechend geschult werden.
- Die Schüler müssen sich bei der Planung und Durchführung des Unterrichts in die Mitschüler hineinversetzen und für sie Verantwortung für den Lernprozess übernehmen. Sie müssen daher lernen, Empathie zu entwickeln, also die Perspektive des anderen Schülers - und auch des Lehrers - zu übernehmen. Dadurch sollte die Solidarität untereinander und die Verantwortung des einzelnen Schülers der Gruppe gegenüber gestärkt werden.“20
2.5 Anwendung im Fach Chemie
2.5.1 Einsatzmöglichkeiten
Die Methode LdL kann Anwendung in allen Schulformen und Unterrichtsfächern finden, doch gerade das Fach Chemie, oft geprägt durch Frontalunterricht, ist bisher
nahezu unberührt geblieben. Die Fachdidaktik der Chemie der Martin-Luther- Universität unter der Leitung von Frau Dr. Prokoph hat es sich zum Ziel gemacht, dies zu ändern und LdL verstärkt mit naturwissenschaftlichen Themen zu vernetzen.21 Verschiedene Experimentierreihen im außerunterrichtlichen Bereich bestätigen den Erfolg. Doch gerade die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten in den Organisationsformen schulischen Lernens zeichnen die Methode aus. Sie kann sowohl im offenen und geschlossenen Chemieunterricht, im Projektunterricht und außerhalb des Unterrichts eingesetzt werden. Da die Methode LdL aus meiner Sicht die Übertragung von Lehrelementen auf Schüler im engeren Sinn beinhaltet, können auch Unterrichtssequenzen, welche nur wenige Minuten lang sind, in jenem Stil durchgeführt werden. Nicht nur der geschlossene, sondern vor allem der offene Chemieunterricht könnte vom Einsatz des Verfahrens profitieren, denn gerade hier sind die selbst bestimmten Variablen gut mit LdL vereinbar. Die Schüler legen in einem gewissen Rahmen fest, wann, wo und mit wem sie an einem Thema arbeiten. Auch die methodische Herangehensweise beinhaltet den Gebrauch typischer Lehreraufgaben und fördert dadurch methodisch-strategische Fähigkeiten. Durch die Präsentation erarbeiteter Ergebnisse werden ebenfalls Lehrelemente angewandt und die Vortragenden bedienen sich so an Inhalten von LdL, ohne explizit mit der Methode vertraut zu sein. Projekte innerhalb und außerhalb unterrichtlicher Formen sind durch die variable Zeit besonders gut geeignet, denn hier können verschiedene Fähigkeiten geformt und gefestigt werden. Den Schülern wird eine bessere Gelegenheit geboten, sich in den Ebenen der Planung, Durchführung und Präsentation sowohl mit chemischen Problemen und dem methodischen Zugang zu jenen auseinanderzusetzen. Das in der vorliegenden Arbeit besprochene außerunterrichtliche Schulprojekt bildet aus meiner Sicht den besten Rahmen für den Einsatz von LdL, da begrenzende Faktoren (Zeit, Raum etc.) hier minimiert werden können. Um die Methode anstelle des herkömmlichen Unterrichts oder in offenen Veranstaltungen einzusetzen, muss von der Lehrkraft oder der betreuenden Person
geprüft werden, ob die Voraussetzungen für ein solches Verfahren auch gegeben sind. Folgende Kriterien sollten vor der Anwendung berücksichtigt werden:
- Bedürfnisdrang (Themen von Schülern aus innerem Interesse vorgeschlagen)
- Realitätsbezug (Themen aus dem unmittelbaren Umfeld der Schüler)
- Interdisziplinarität (fachübergreifende Themen)
- Realisierbarkeit (Prüfung der materiellen Ausstattung, Kenntnisstände der Schüler, schulische Rahmenbedingungen und mehr)
- Vorarbeiten (Prüfung des Zeitaufwandes für die Beschaffung von Literatur, Erarbeitung weiterer Kenntnisse und mehr)
- Modularisierbarkeit (Erarbeitung in Gruppen, ohne die Komplexität der Einzelbausteine aus dem Auge zu verlieren)
- Organisationsschritte (Schüler bestimmen Schritte der Planung, Durchführung, Auswertung und Präsentation)
- Reduzierbarkeit/Erweiterbarkeit (Reaktion bei variablem Interesse der Schüler oder unvorhergesehenen Ereignissen)
- Rahmen der Anforderungsdefinition (Freiraum für eigene Präzisierungen in der Problemstellung und Anreize zur selbstständigen Forschung schaffen)
- Momentaufnahmen (Kenntnisse über Schülerstärken/Schülerschwächen, Rollenfertigkeiten, Motivationen, Ängste und mehr)
- Schaffen von Akklimationsphasen (vertraut machen mit den Inhalten, Gruppenmitgliedern, Materialien und mehr)
- Produktbezug (im Ergebnis sollte ein Produkt oder eine Erkenntnis stehen)
(Vgl. Knoll, 1992, S. 89f)
2.5.2 Projekte und Ergebnisse an der Martin-Luther-Universität
An der Martin-Luther-Universität werden im Fachbereich Chemie in der Abteilung Fachdidaktik seit 2002 verschiedene Experimentierreihen im außerunterrichtlichen Bereich an Grundschulen und Gymnasien durchgeführt. Dabei übernehmen jeweils Schüler der gymnasialen Oberstufe oder Studenten für das Lehramt der Chemie die Lehrerrolle und haben so die Möglichkeit, Fachwissen und didaktische Handlungen zu vertiefen.
In den Experimentierreihen an Grundschulen der Stadt Halle werden im Moment Veranstaltungen mit den leicht verständlichen Titeln „Ist Luft nichts?“, „Wasser ist nicht nur zum Waschen da!“, „Was gleich aussieht, muss nicht das Gleiche sein“, „Was macht unsere Welt so bunt?“ und „Zaubereien gibt es nicht!“22 bearbeitet. In der Gymnasialen Oberstufe wurden bisher Veranstaltungen mit den Themen „Vitamine“ und „Farbstoffe“23 durchgeführt. Dabei macht es sich die Didaktik zum Ziel, „dem mangelnden Interesse von Kindern und Jugendlichen an den naturwissenschaftlichen Fächern Chemie und Physik entgegenzuwirken“24. In den Experimenten steht dabei nicht nur der Erkenntnisgewinn, sondern vor allem das spielerische Nähern der Schüler an naturwissenschaftliche Sachverhalte im Vordergrund. Der Spaßfaktor spielt neben dem Lernfaktor vor allem im Anfangsunterricht eine große Rolle. Die Neugier soll geweckt und somit eine verstärkte Motivation aufgebaut werden, um später mit Freude Fächern wie der Chemie zu begegnen.
Bis zum Dezember 2006 wurden die Experimentierreihen an Grundschulen bereits 38-mal durchgeführt. Dabei haben 456 Grundschüler aus 16 Grundschulen, 54 lehrende Schüler aus sieben Gymnasien der Stadt Halle und des Raumes Merseburg/Querfurt und 26 Studenten für das Lehramt Chemie teilgenommen. Außerdem waren 17 Grundschulpädagogikstudenten in das Projekt involviert. In Feedbacks werden bei allen Veranstaltungen von Schülern und Lehrern Noten vergeben, welche bei der Ergebnissicherung nützlich sind.
Die Experimentierreihen werden von den Schülern außerordentlich positiv angenommen und durchschnittlich mit sehr gut bewertet und das, obwohl die Veranstaltung außerhalb des Unterrichts in der Freizeit der Schüler stattfand. Auch die lehrenden Schüler nahmen die Experimentierreihen mit großer Begeisterung an, denn durch die Vertiefung eigener naturwissenschaftlicher Fähigkeiten und methodischer Strategien konnten sie zum Teil schulische Schwächen ausgleichen oder Interessen stärken. Den Lehramtsstudenten kommt der didaktische Übungsanteil sehr zu Gute.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Notenvergabe durch Schüler und Studenten.
(Vgl. http://didaktik-projekte.chemie.uni-halle.de/lernen/frameset.html) (14.12.2006)
Die Eltern der Grundschüler sagten in 68,1% aller Fälle aus, dass sie bei ihren Kindern ein verstärktes naturwissenschaftliches Interesse beobachten konnten, wobei über 58% der Kinder erstmals die Möglichkeit hatten, naturwissenschaftlich zu experimentieren. Über 45% der Kinder haben die Experimente zu Hause wiederholt und stolz vorgeführt. Und der Fakt, dass über 58% der Schüler sich daheim mit ihren Protokollen auseinandersetzten, zeigt den Erfolg der Methode. 82,6% der befragten Eltern befürworten die Vermittlung naturwissenschaftlicher Grundlagen der Fächer Chemie und Physik im Rahmen eines Unterrichtsfaches an der Grundschule. Die Ziele der Experimentierreihen wurden damit in einem sehr guten Umfang erreicht.
(Vgl. http://didaktik-projekte.chemie.uni-halle.de/lernen/frameset.html) (14.04.2007) (Vgl. Prokoph, K.: Lernen durch Lehren. Von der Idee zu einem kleinen Netzwerk. In: Naturwissenschaften im Unterricht Chemie. Ausgabe 3/07, Heft 99, S. 36f)
2.5.3 Grenzen und Probleme
Trotz der anscheinend hervorragenden Ergebnisse gibt es auch Einschränkungen, auftretende Probleme und wachsende Kritik an der Durchführung der Methode und der pädagogisch-didaktischen Auseinandersetzung. Wenn man an die vorherrschenden Rahmenbedingungen einer durchschnittlichen Schule denkt, dann kann man schnell feststellen, dass einige Parameter limitierend auf die Verwirklichung von innovativen Unterrichtsmethoden wie LdL wirken. Dies kann in manchen Fällen die Größe der Klasse mit 30 und mehr Schülern sein, in denen eine Durchführung an der hohen materiellen Ausstattung und der nicht zu gewährleistenden Aufsicht scheitert. In anderen Situationen kann man kleine Klassen finden, in denen verhaltensauffällige Schüler den Ablauf stören könnten und dadurch andere Schüler in ihrer Tätigkeit negativ beeinflussen. Wenn die Rahmenbedingungen bezüglich der Klassenzusammensetzung stimmen, so können andere Faktoren wie Ort und Zeit behindernd wirken. In einer Unterrichtsstunde mit einer Dauer von 45 Minuten können die Phasen des LdL oft gar nicht durchlaufen werden25. Der Lehrer müsste die Bearbeitung eines Themas auf mehrere Sitzungen aufteilen, was sich äußerst hemmend auf Gedankenfluss, Arbeitsschritte und Kreativität auswirkt. Aus diesem Grund wird LdL oft im Rahmen einer Projektwoche o. Ä. angewendet, wo Zeit nicht als begrenzender Faktor wirkt. Allerdings spielt die Dauer nicht nur bei der eigentlichen Bearbeitung eine wichtige Rolle, sondern vor allem in der Vor- und Nachbearbeitung durch den Tutor. Die Einführung der Methode LdL ist mit einem deutlich höheren Zeitaufwand als bei anderen Verfahren verbunden. Der Lehrer muss sich auf viele mögliche Situationen einstellen und darf dabei trotzdem nicht das willkürliche Durcheinander in der Bearbeitung zulassen. Der Lehrer sollte darauf vorbereitet sein, auch didaktische Impulse zu geben, damit keine Eintönigkeit entsteht. Diesem höheren Arbeitsaufwand müssen geeignete Rahmenbedingungen in der Schule entgegenstehen. Allerdings findet man diese in der Realität selten vor. Ein noch höheres Engagement wird dadurch von Lehrern und Schülern, welche LdL in ihrem Unterricht durchführen, verlangt.
Kritik kommt aber nicht nur von den beteiligten Akteuren, sondern auch zunehmend von Beobachtern, welche in der Methode pädagogisch-didaktische Probleme sehen. So beschweren sich einige Gelehrte darüber, dass frontalunterrichtliche Arrangements auf die Schüler übertragen werden. Natürlich ist es bei LdL prinzipiell möglich, jede bekannte Sozialform anzuwenden, doch greifen die Schüler gern auf die altbewährte Methode zurück, da sie jene aus anderen Unterrichtsfächern gut kennen. Hier ist also auch der Tutor gefragt, welcher reformpädagogische Konzepte am Besten im eigenen Unterricht vorstellt und die Schüler animiert, auf diese zurückzugreifen. Auch dies findet man im alltäglichen Schulbetrieb zu selten vor. Trotzdem muss dieser Kritikpunkt scharf zurückgewiesen werden, denn die Methode LdL implementiert nicht das instruktionistische Modell, sie ist offen für jede Organisationsform von Lernen und Lehren. Projekte an der Martin-Luther-Universität wurden z.B. oft in Gruppenarrangements durchgeführt.
(Vgl. Martin, 2002, S. 27f)
2.6 Effizienz der Schülerpartizipation
2.6.1 Betrachtung der didaktischen Ebene
Das Leitziel der Schule ist es, den Schüler zu einem mündigen Bürger zu erziehen26. Doch für die Ausbildung eines selbstständigen und demokratiefähigen Menschen braucht es Raum für die Ausbildung sozialer Fähigkeiten. Dieser ist im normalen Schulalltag, der durch Unterricht und Pausen gekennzeichnet ist, oft nicht gegeben. Eine wichtige Innovation sind ohne Frage Unterrichtsmethoden, wie z.B. Teamarbeit oder Gruppenmanagements. Doch sind diese Formen oft vom Lehrer vorgegeben, sodass die eigentliche Eigeninitiative nicht verlangt wird. Die Schüler fühlen sich nicht wirklich angesprochen oder können sich nicht mit den Themen identifizieren. Eine Zusammenarbeit in Gremien, Schülerfirmen und vor allem Projekten kann den Raum für Individualverwirklichung bieten. Dieser sorgt nicht zuletzt für bessere Lernerfolge der Schüler, vor allem im Bezug auf soziale Kompetenzen. Im Folgenden soll versucht werden, diese effiziente Methode schulischen Lernens aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten.
Offene Unterrichtsformen verlangen Risikobereitschaft vom Lehrer, weil er den Schülern Arbeitsfelder zur selbstständigen Bearbeitung anbietet, über den tatsächlich verlaufenden Prozess und über die Ergebnisse aber keine Sicherheit besitzt. Er muss den Lernenden Freiräume ermöglichen und darauf vertrauen, dass sie sinnvoll genutzt werden. Das erfordert natürlich ein erhöhtes Maß an Engagement, da didaktische Impulse notwendig sind. Der Tutor darf aber kreative Prozesse nicht unterbrechen oder die Schüler in ihren Erarbeitungsphasen stören. Er muss exploratives Verhalten vorleben und Unbestimmtheit aushalten.
Meyer formulierte 2004 zehn Merkmale guten Unterrichts27, welche nachfolgend Schritt für Schritt mit meinen Erfahrungen aus der Methode LdL verglichen und kommentiert werden sollen:
1. Klare Strukturierung des Unterrichts
(z. B. Prozess-, Ziel und Inhaltsklarheit; Rollenklarheit, Absprache von Regeln, Ritualen und Freiräumen) Dieses Merkmal kann nur teilweise realisiert werden, denn besonders der Erkenntnisprozess soll auch unerwarteten Ereignissen Raum zur Bearbeitung bieten. Strukturierung ist trotzdem auch bei LdL in einem besonderen Ma ß erforderlich, allerdings sollten Dynamik und Flexibilität nicht verhindert werden.
2. Hoher Anteil echter Lernzeit
(z. B. durch gutes Zeitmanagement, Pünktlichkeit, Rhythmisierung des Tagesablaufs) Dieses Merkmal kann weniger von den Lernenden als von den Lehrenden organisiert werden. Gerade zeitliche Freiräume sollten geschaffen, aber präzise geplant werden.
3. Lernförderliches Klima
(z. B. durch gegenseitigen Respekt, Verantwortungsübernahme, Gerechtigkeit und Fürsorge)
Dieses Merkmal wird in einem besonders hohen Ma ß realisiert, da soziale und demokratische Fähigkeiten der Schüler geübt werden. Durch den Rollenwechsel entwickeln Schüler Verständnis für Lehreraktivitäten und reflektieren ihre Rolle als lernender Schüler.
4. Inhaltliche Klarheit
(z. B. durch Verständlichkeit der Aufgabenstellung, Plausibilität des thematischen Gangs, Klarheit und Verbindlichkeit der Ergebnissicherung) Dieses Merkmal muss durch den Lehrer realisiert werden, da die Schüler durch fehlendesÜberblickswissen oft nicht in der Lage sind, Aufgaben zu stellen und Ergebnisse zu sichern.
5. Sinnstiftendes Kommunizieren
(z. B. durch Planungsbeteiligung, Gesprächskultur, Lerntagebücher oder Schülerfeedback) Dieses Merkmal wird sehr gut realisiert, da durch die partizipatorischen Handlungen Kommunikation als Grundtechnik unerlässlich wird. Planungsprozesse werden nicht nur begleitet, sondern selbstständig organisiert.
6. Methodenvielfalt
(z. B. durch vielfältige Handlungsmuster, Variabilität der Verlaufsformen und Ausbalancierung der methodischen Großformen) Dieses Merkmal kann durch didaktische Impulse des Lehrers sehr gut realisiert werden. Neben Gruppenarrangements besteht hier die Gefahr derÜbertragung von Frontalunterricht auf die Schüler.
7. Individuelles Fördern
(z. B. durch Freiräume, Geduld und Zeit, innere Differenzierung und Integration, individuelle Lernstandsanalysen, abgestimmte Förderpläne) Dieses Merkmal wird in einem hohen Ma ß realisiert, da der Lehrer neben der reinen Wissensvermittlung, wie in anderen Unterrichtsformen, mehr Möglichkeiten zum gezielten Beobachten und Fördern hat. Der Schüler steht als Individuum in seiner lehrenden Rolle mehr im Vordergrund als im Klassenverband.
8. Intelligentes Üben
(z. B. durch Bewusstmachen von Lernstrategien, passgenaue Übungsaufträge, gezielte Hilfestellungen und gute Rahmenbedingungen) Dieses Merkmal kann oft nur ungenügend realisiert werden, da der kreative Prozess der Schüler nicht zu stark durch den Lehrer beeinflusst werden sollte und Lernstrategien oft der Hilfe des Lehrers benötigen. Rahmenbedingungen können nur teilweise durch die Akteure der Schule verändert werden, es bedarf der Hilfe auf politischer Ebene.
9. Transparente Leistungserwartungen
(z. B. durch an Richtlinien orientiertes Lernangebot und zügige förderorientierte Rückmeldungen) Dieses Merkmal kann nicht immer ausreichend realisiert werden, da die zu erwartenden Ergebnisse (nicht bezogen auf fachliche Inhalte) selbst dem Lehrer vor der Bearbeitung eines Themas nicht immer klar sind. Die Leistungsbewertung geschieht dann mehr nach sozialen Bezugsnormen.
10. Vorbereitete Umgebung
(z. B. durch gute Ordnung, funktionale Einrichtung und brauchbares Lernwerkzeug) Dieses Merkmal kann gut realisiert werden, da die Kernaufgaben des Lehrers sich bei dieser Methode auch auf die Vorbereitung der Lernumgebung konzentrieren. Er unterstützt den lehrenden Schüler bei der Beschaffung von Material und der didaktischen Umsetzung.
Aus didaktischen Gesichtspunkten eignen sich Schülerpartizipation und schülerbestimmende Unterrichtsmethoden wie LdL im Gegensatz zu anderen Unterrichts- und didaktischen Großformen gut für die Ausbildung kognitiver, sozialer und instrumenteller Kompetenzen bei Schülern. Die Merkmale guten Unterrichts wurden fast alle erfüllt. Allerdings sind Optimierungsansätze in den Bedingungen zu finden, was sich prinzipiell mit dem von Renkl geforderten Ansätzen deckt:
„Künftige Forschung sollte deshalb vor allem auf die praktisch wie theoretisch äußerst bedeutsame Frage abzielen, welche Rahmenbedingungen gegeben sein müssen, damit Lernen durch Lehren zu guten Lernresultaten führt.“28
2.6.2 Betrachtung der pädagogisch-psychologischen Ebene
Durch die Arbeit an echten Projekten erhalten die Kinder und Jugendlichen nicht nur Anerkennung von anderen Schülern, sondern auch von Erwachsenen und Lehrern, was sie in ihrer Persönlichkeit bestärkt. Mit der Partizipation als Haltung werden sie als vollwertige Menschen in ihrer speziellen Lebensphase ernst genommen. Durch das spielerische Erlernen von Kompetenzen, die sie oftmals erst im Erwachsenenalter erhalten, fühlen sie sich selbstbewusster und der indirekte Lernerfolg sorgt nachhaltig für eine stärkere Ausprägung eines gefestigten Persönlichkeitsbildes. Es bringt den Kindern und Jugendlichen auch einen sehr großen Gewinn, dass sie nicht nur so tun, als ob sie mitreden oder selbst Verantwortung tragen (s. Planspiele). Ihre Meinungen und Entscheidungen werden getragen und fließen mit allen Konsequenzen in Prozesse ein, was dazu führt, dass jene nachhaltig reflektiert werden.
Durch das aktive Mitwirken der Schüler und deren Mitgestalten bestimmter Themen wird eine Identifikation mit der Arbeit bewirkt, was bezweckt, dass die Lernenden bereit sind, mehr Verantwortung zu übernehmen. Dies stärkt sie natürlich auch nachhaltig in ihrer Persönlichkeitsentwicklung. Während der Umsetzungsphase wird auch die Motivation zur eigenen Mitarbeit gesteigert, da Themen besprochen und bearbeitet werden, die direkt aus dem Interessenfeld der Jugendlichen sowie aus deren Lebensalltag stammen. So wird in der Methodik der Bearbeitung eine Grundlage für nachhaltige Problemlösungen geschaffen. Nicht zuletzt wird neben dem Teamgeist und der Sozialität auch der Einzelne mit seinen ganz besonderen Fähigkeiten gefragt und kann sich nun mit voller Energie zur Lösung eines Problems in eine Gruppe einbringen. Kinder und Jugendliche mit individuellen Eigenschaften können ihre Begabungen in Projekten integrieren und dadurch sowohl ihre fachlichen Kompetenzen auf andere ausweiten, als auch soziale Kompetenzen fördern.
Die Aufgabe, anderen einen Wissensstoff zu vermitteln, soll die Bedürfnisse nach Sicherheit und den Aufbau des Selbstbewusstseins nach sozialem Anschluss und sozialer Anerkennung sowie nach Selbstverwirklichung und Sinn befriedigen. Während im lehrerzentrierten Unterricht in der Regel eine rezeptive Aufnahme von bereits linear geordneten Lerninhalten stattfindet (Linearität a priori), wird bei partizipatorischen Methoden wie LdL die Konstruktion von Wissen durch die Lehrenden angestrebt. Ausgehend von im Unterricht bereitgestellten, aber noch nicht geordneten Informationen stehen die Lerner und Lehrer bei LdL vor der Aufgabe, diese Informationen durch Bewerten, Gewichten und Hierarchisieren in Wissen umzuformen (Linearität a posteriori).
2.7 Eigene Vorstellungen zum Begriff „Lernen durch Lehren“
2.7.1 Begriffseingrenzungen
Im Folgenden möchte ich darlegen, wie ich den Begriff LdL aus der Sicht des Schulprojektes betrachte und an welchen Stellen er von theoretischen Positionen wie der von Martin oder Renkl abweicht. Dabei ist zunächst zu erwähnen, dass ich LdL als handlungsorientiertes (Unterrichts-) Konzept verstehe. Ich bin bemüht, das aktive Handeln des Schüler zu verstärken, mehr Lernkanäle anzusprechen, ihn dazu zu bewegen, komplexe Handlungsstränge zu planen und durchzuführen. Handlungen sollen mit Interaktionen verbunden sein. Gleichzeitig wird Wissenserwerb als konstruktiver Akt betrachtet. Das Wissen wird in Handlungskontexten gemeinsam auf der Grundlage intensiver Kommunikation aufgebaut. Im Vergleich zum Frontalunterricht werden vielfältige Lernebenen bewusst und systematisch angesteuert, nicht nur die inhaltlich-fachliche, sondern auch die affektive, die soziale und die methodische.
Die Übernahme von Lehrelementen (s. 2.7.2) durch Schüler im offenen und geschlossenen Chemieunterricht, aber auch in Projektformen steht dabei im Vordergrund aller Betrachtungen. Nicht nur der Rollenwechsel, sondern auch die inhaltliche, methodische und eventuell curriculare Öffnung des Unterrichts ist das Resultat. Durch die Integration von Lehrelementen in Unterrichtsprozesse werden Schüler direkt in diese einbezogen. Aus meiner Sicht ist also ein Referat oder die Leitung eines Experimentes eine Lehrleistung und gehört bei der Übernahme durch einen Schüler deutlich zum Konzept von LdL. Ich begründe dies in der enormen Nachhaltigkeit von Lehrhandlungen, welche von Lernenden durchgeführt werden. Denn diese bedeuten nicht nur ein Wechsel der Perspektive, sondern haben Folgen für den Unterricht, welche beständige Effekte auslösen. So kommen durch die Zurückhaltung des Lehrers im Unterrichtsprozess viel mehr Schüleräußerungen als gewohnt. Doch geschieht das nicht von heute auf morgen. Die Akteure brauchen eine gewisse Sicherheit, welche sie erlernen können. Die Lernenden müssen den von ihnen durchzuführenden Unterricht als Projekt begreifen, also eine langfristige und planerische Perspektive einnehmen. Selbst wenn diese Forderung nicht explizit vom Lehrer aufgestellt wird, befassen sich die Schüler methodisch und inhaltlich ganz von selbst mit der Weiterentwicklung des Unterrichts. Sie können ihre planerischen Fähigkeiten soweit entwickeln, dass sie sogar selbst Lernziele für den weiteren Verlauf des Unterrichts aufstellen können, also zu einer Art von curricularer Kompetenz gelangen. Die Aufgabe, den Lehrstoff Mitschülern zu vermitteln, bewirkt, dass die Schüler von der ersten Minute an nach dem Verteilen der Einzelaufgaben auf ein sehr anspruchsvolles Ziel, nämlich die Präsentation vor der Klasse, hinarbeiten. Die Entwicklung einer Präsentationsstrategie als Produkt des Projektes ist eine Kernaufgabe der Lehrtätigkeit.
Der Fakt, dass der Lehrer sich offenbar weniger in das Unterrichtsgeschehen einmischt und den Schülern in ihrer Kreativität freie Bahn lässt, täuscht sehr oft darüber hinweg, dass er trotzdem eine enorm wichtige Aufgabe zu erfüllen hat, nämlich weiterhin als Kommunikationspartner und Koordinator zu fungieren. Die Disziplin, die bei der Methode unbedingt notwendig ist, kann zudem meist nicht von den Schülern sondern nur vom Lehrer hergestellt werden.
Ich denke, dass in einer schulischen oder außerschulischen chemischen Veranstaltung ein übergeordnetes Ziel verfolgt werden sollte, nämlich naturwissenschaftliches Interesse zu wecken und Spaß an der Beantwortung von Forschungsfragen zu transportieren. Und dies gelingt meiner Meinung nach am besten, wenn Schüler aktiv in die Erkenntniswege mit integriert werden, was bedeutet, dass sie den Stoff didaktisch aufarbeiten und ihn präsentieren. Die unterrichtlichen Elemente, welche traditionell dem Lehrer zugeordnet werden, können in einem gewissen Umfang von Schülern übernommen werden und genau diesen Prozess verstehe ich als LdL.
2.7.2 Rolle des lehrenden Schülers
Der lehrende Schüler übernimmt die Handlungen des Lehrers mit allen Konsequenzen. Das bedeutet neben der Übernahme einer großen Verantwortung vor allem die Bedienung an einem Kompetenzrepertoire, welches im Unterrichtsprozess traditionell nur vom Tutor ausgeschöpft wird. Im Anhang IV soll verdeutlicht werden, welche Lehrerkompetenzen in der Methode LdL in einem besonderen (++), einem guten (+) und einem nicht ausreichenden (-) Maß vom lehrenden Schüler wahrgenommen werden können. Dabei beziehe ich mich ausschließlich auf persönliche Erfahrungen aus dem durchgeführten Schulprojekt und vernachlässige einen Literaturvergleich, da zum aktuellen Zeitpunkt keine gefestigten Ergebnisse diesbezüglich aus dem Bereich der Chemiedidaktik vorliegen.
Aus dem Anhang IV geht hervor, dass vor allem sozial-kommunikative, methodisch- strategische sowie affektive Kompetenzen bei der Methode LdL in einem besonderen Maß geübt und angeeignet werden können. Hier konnte ein sehr enger Zusammenhang zwischen der Vermittlung des Stoffes an Mitschüler und der Aneignung des Stoffes beobachtet werden. Denn durch die Durchdringung und intensive Auseinandersetzung mit Themen werden Probleme verstanden und verinnerlicht, was das Lernen von (integrierten) Fakten vereinfacht. Die intensive Bearbeitung eines Themas hat ein sehr gutes, aber spezielles Wissen zur Folge, welches der Schüler in seiner Lehrtätigkeit vermitteln kann. Natürlich wird durch die erhöhte kognitive Leistung ermöglicht, dass Inhalte nicht nur im Kurzzeitgedächtnis verweilen, sondern langfristig verstanden und gemerkt werden. Auch durch die Stärkung des Selbstwertes des lehrenden Schülers sind verbesserte kognitive Leistungen zu erwarten. Die Auseinandersetzung mit methodischen Variationen wie Reden und Vortragen vor Publikum führt zur Selbstverständlichkeit und zu einer Stärkung des Selbstvertrauens. Der Arbeitsschwerpunkt bei LdL liegt neben der Präsentation des erarbeiteten Stoffs in der Phase der Planung und Organisation von Unterrichtseinheiten, der gedanklichen Auseinandersetzung mit methodischen Mitteln sowie der Gestaltung der (Unterrichts-) Sequenz. Nur in einem kommunikativen Prozess, welcher sich nicht auf ein Unterrichtsgespräch beschränkt, können Themen diskutiert und der Wissensstand überprüft werden.
Doch gerade bei inhaltlich-fachlichen Kompetenzen sind Grenzen zu erkennen, welche auf das fehlende Überblickswissen bei Schülern zurückzuführen sind. Das Einordnen von Wissen, Führen beim Klassifizieren von Themen sowie erzieherische Aufgaben können nicht ausreichend realisiert werden. Aber auch strategische Tätigkeiten, welche sich mit der Verwaltung und Organisation beschäftigen, gehören weiterhin in den Arbeitsbereich des Lehrers. Hier sind die Realisierungsgrenzen im Unterricht bei lehrenden Schülern erreicht. Dies ist natürlich bei einer Betrachtung der Methode sehr entscheidend, denn man kann hier herausstellen, dass die Übernahme kompletter Sequenzen sowie Lehrhandlungen ohne einen anwesenden Lehrer weder im offenen noch geschlossenen Chemieunterricht möglich ist.
2.7.3 Rolle des betreuenden Lehrers
Da Probleme bei LdL kollektiv gelöst werden, stellt sich die Frage, wie man Denkkapazitäten aus der Umwelt mobilisieren und fruchtbar in den gemeinsamen Reflexionsprozess einbinden kann. Als Lehrer gilt es, die von Schülern mitgebrachte Energie und Reflexionsbereitschaft zu erkennen und auszuschöpfen. Die Position des Schülers ist im Lernprozess oft klarer als die des Lehrers, welcher bei LdL durch die enorme Schülerpartizipation eine neue Funktion in der Klasse einnimmt. Bei der Betrachtung der Lehrerrolle ist das Maß zwischen Aktivität und Zurückhaltung meiner Meinung nach das Mittel, welches über Erfolg und Misserfolg der Methode entscheidet. Der Leiter kann sich nicht als Moderator zurückziehen, da bestimmte Korrekturen und vor allem didaktische Inputs (gerade im Anfangsunterricht) notwendig sind. Andererseits muss er sich zurücknehmen, um den lehrenden Schülern eine zunehmende Sicherheit im Lehrverhalten zu vermitteln. Diese Fähigkeit des Abwägens der eigenen Initiativen muss vom betreuenden Lehrer beherrscht und deshalb auch geübt werden. Die Hauptaufgaben des Lehrers sind daher das unterstützende Leiten der (Unterrichts-) Prozesse und ein Eingreifen bei groben Fehlern, wobei darunter nicht unbedingt eine Berichtigung zu verstehen ist, sondern vielmehr eine Ableitung kausaler Beziehungen, welche neue Fragestellungen aufwerfen. Die Schüler sollen nach erfolgten Inputs in Form von Problemstellungen in der Lage sein, weiter selbstständig zu arbeiten und mögliche Fehler auszugleichen. Um schülerorientierten Unterricht durchzuführen, muss ein hohes Maß an Disziplin gewährleistet werden, welches vom betreuenden Lehrer sicherzustellen ist.
Wenn der Prozess der Planung und Durchführung erfolgt ist, muss die Frage nach dem Erfolg gestellt werden. Die Evaluation und Reflexion des Unterrichtsabschnitts ist notwendig, damit die Schüler begreifen, dass Unterrichten erlernt und ständig verbessert werden muss. Der selbstkritische Umgang und das reflektierende Denken müssen vom Lehrer geleitet werden und stellen meiner Meinung nach neben der Vorbereitung der Unterrichtsumgebung die Hauptrolle der Lehrerposition innerhalb von LdL dar.
3 Die Konzeption des Weinprojektes im Rahmen der Projektwoche
3.1 Begriffserklärung Schulprojekt
Die Bewältigung von komplexen Aufgaben, welche die Schüler in vielen Lebenssituationen vorfinden, ist das Hauptziel der Projektpädagogik29. Durch die Organisation von Lehr- und Lernsituationen im Hinblick auf demokratische Umgangsformen werden traditionelle Rollenverteilungen zwischen Lehrenden und Lernenden überwunden und die Verwirklichung der Schüler gefördert. Der eigentliche Begriff des Projektes und seine didaktische Konzeption wurden in den vergangenen Jahren oft verfälscht benutzt und die Umsetzung degenerierte im Schulalltag nicht selten zu einer Spaß- und Freizeitveranstaltung30. Die Projektpädagogik umschreibt ein philosophisch begründetes, lerntheoretisch reflektiertes, in der Geschichte der Pädagogik genau zu lokalisierendes didaktisches Modell.
Nach John Dewey, dem geistigen Oberhaupt der progressiven Erziehungsbewegung, gelten Erkenntnisse, welche nicht an ihren Handlungsfolgen zu messen sind und zur Bewältigung von Lebenssituationen nicht befähigen, als irrelevant und nicht überprüfbar. Im Mittelpunkt der pädagogischen Betrachtungen steht für ihn die Erfahrung.
„Ein Gramm Erfahrung ist besser als eine Tonne Theorie, einfach deswegen, weil jede Theorie nur in der Erfahrung lebendige und der Nachprüfung zugängliche Bedeutung hat.“31
[...]
1 Der Begriff Schüler bezeichnet im Folgenden sowohl Schüler als auch Schülerinnen.
2 Der Begriff Lehrer bezeichnet im Folgenden sowohl Lehrer als auch Lehrerinnen.
3 Vgl. Martin, 2002, S. 34.
4 Griechisches Sprichwort nach Alkaios (ca. 600 v. Chr.), übersetzt: „Im Wein liegt Wahrheit“.
5 Seneca: „docendo discimus“ lat.: Durch Lehren lernen wir (Vgl. Wörterbuch der Antike (1976), Stuttgart, S. 45).
6 „Lernen durch Lehren“ wird im Folgenden durch LdL abgekürzt.
7 Zimbardo, 1995, S. 760.
8 Vgl. Zimbardo, 1995, S. 760.
9 Vgl. Renkl, 1997, S. 64.
10,Vgl. Renkl, 1997, S. 51.
11 Vgl. Renkl, 1997, S. 51.
12 Vgl. Martin, Jean-Pol: Lernen durch Lehren. URL: http://www.ku- eichstaett.de/Fakultaeten/SLF/romanistik/didaktik/Forschung/ldl (28.03.2007).
13 Ruep, 1999, S. 34.
14 Ruep, 1999, S. 39.
15 Ruep, 1999, S. 39.
16 Ruep, 1999, S. 40.
17 Martin, Jean-Pol: Lernen durch Lehren (LdL). URL: http://www.ldl.de/material/aufsatz/warum- ldl.pdf (24.03.2007).
18 Vgl. Martin, 2002, S. 58.
19 Vgl. Martin, 1994, S. 395.
20 Martin, 1994, S. 403.
21 Vgl. Prokoph, Kerstin: Lernen durch Lehren. Von der Idee zu einem kleinen Netzwerk. In: Naturwissenschaften im Unterricht Chemie. Ausgabe 3/07, Heft 99, S. 36f.
22 Vgl. http://didaktik-projekte.chemie.uni-halle.de/lernen/frameset.html (14.04.2007).
23 Vgl. http://didaktik-projekte.chemie.uni-halle.de/lernen/frameset.html (14.04.2007).
24 Vgl. http://didaktik-projekte.chemie.uni-halle.de/lernen/frameset.html (14.04.2007).
25 Bezogen auf LdL im Sinne von Martin und Renkl.
26 Vgl. Schulgesetz des Landes Sachsen-Anhalt. URL: http://www.mk-intern.bildung- lsa.de/Bildung/ge-schulgesetz2004.pdf (07.06.2007)
27 Vgl. Meyer, 2004, S. 17f.
28 Renkl, 1997, S. 235.
29 Vgl. Kaiser, 1999, S. 26.
30 Vgl. Gudjons, 1984, S. 266.
31 Dewey, 2000, S. 193.
- Arbeit zitieren
- Nils Schäffner (Autor:in), 2007, Lernen durch Lehren im Fachbereich Chemie am Beispiel der Thematik "Rund um den Wein", München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/89480