In regelmäßigen Abständen stellt der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung fest, dass es Armut auch im wohlhabenden Deutschland gibt. Armut hat viele Ursachen, aber vor allem erschrecken den Bundesbürger Zeitungsartikel mit Überschriften wie: „Millionen arbeiten für einen Hungerlohn“ , oder seriöser in der Süddeutschen Zeitung: „Der Lohn der Arbeit reicht seltener. Mehr als 1,3 Millionen Menschen sind zusätzlich zu ihren Einkommen auf Zahlungen angewiesen.“
Armut trotz Vollzeiterwerbstätigkeit - das findet keiner gerecht und Franz Müntefering bringt es auf den Punkt, wenn er bemerkt: „Es verstößt gegen die Menschenwürde, wenn Menschen, die voll arbeiten, mit ihrem Einkommen unter dem Existenzminimum liegen.“
So ist es auch nicht verwunderlich, dass 70 Prozent der Bürger - sogar eine Mehrheit der Unions- und FDP-Anhänger - einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn befürworten. Ein Mindestlohn wird in vielen Staaten der Erde durch nationale Gesetzgebung garantiert und es stellt sich die Frage, ob ein flächendeckender Mindestlohn nicht auch für Deutschland ein gutes Instrument der Arbeitsmarktpolitik ist, um Armut zu vermeiden und (Lohn-)Gerechtigkeit zu gewährleisten.
Die Diskussion in Deutschland um gesetzliche Mindestlöhne ist leidenschaftlicher denn je, obwohl eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema schon seit ca. 100 Jahren stattfindet.
Eine intensive internationale wissenschaftliche Debatte wurde ausgelöst durch die Erhöhung des nationalen Mindestlohns in den USA zum 1. April 1990. Die OECD empfahl 1994 ihren Mitgliedsstaaten, „die Rolle der Mindestlöhne als Umverteilungsmittel zu überdenken und zu direkteren Instrumenten zu greifen.“
In Deutschland ist die politische Diskussion über Mindestlöhne vor allem eine Reaktion auf die von vielen Menschen als ungerecht empfundenen Arbeitsmarktreformen der Rot-Grünen Bundesregierung unter Bundeskanzler Schröder und die damals politisch kaum in Frage gestellte Argumentation der Wichtigkeit eines Niedriglohnsektors.
Die politischen Herausforderungen am Arbeitsmarkt in Deutschland sind trotz des deutlichen Rückgangs der Arbeitslosenzahlen groß, und vor allem im Niedriglohnbereich ist es notwendig, eine neue Ordnung zu schaffen.
Inhalt
A. Denn ein Arbeiter ist seines Lohnes Wert
B. Begriffe im Umfeld der Debatte
I. Lohn (Entgelt)
II. Mindestlohn
1. Tariflohn
2. Allgemeinverbindlicher Tariflohn
3. Arbeitnehmer-Entsendegesetz
4. Gesetzliche Mindestlöhne
5. Der implizite gesetzliche Mindestlohn
III. Sittenwidriger Lohn
C. Niedriglohnbeschäftigung in Deutschland
I. Was ist ein Niedriglohn?
II. Ausmaß des Niedriglohnsektors in Deutschland
III. Niedriglohn und Armut
IV. Ursachen für Niedriglöhne in Deutschland
1. Geringqualifizierte
2. Veränderte Rahmenbedingungen
D. Hauptargumente in der Debatte…
I. …für die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns
1. Bekämpfung der Armut
2. Schutz vor Ausbeutung
3. Stabilisierung der Gesamtwirtschaft
4. Stabilisierung des Sozialstaates
II. … gegen die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns
1. Mindestlöhne vernichten Arbeitsplätze
2. Mindestlöhne verhindern neue Arbeitsplätze
3. Mindestlöhne verhindern kaum Armut
E. Fazit
Literaturverzeichnis
A. Denn ein Arbeiter ist seines Lohnes Wert
In regelmäßigen Abständen stellt der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung fest, dass es Armut auch im wohlhabenden Deutschland gibt. Armut hat viele Ursachen, aber vor allem erschrecken den Bundesbürger Zeitungsartikel mit Überschriften wie: „Millionen arbeiten für einen Hungerlohn“[1][2], oder seriöser in der Süddeutschen Zeitung: „Der Lohn der Arbeit reicht seltener. Mehr als 1,3 Millionen Menschen sind zusätzlich zu ihren Einkommen auf Zahlungen angewiesen.“[3]
Armut trotz Vollzeiterwerbstätigkeit - das findet keiner gerecht und Franz Müntefering bringt es auf den Punkt, wenn er bemerkt: „Es verstößt gegen die Menschenwürde, wenn Menschen, die voll arbeiten, mit ihrem Einkommen unter dem Existenzminimum liegen.“[4]
So ist es auch nicht verwunderlich, dass 70 Prozent der Bürger - sogar eine Mehrheit der Unions- und FDP-Anhänger - einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn befürworten.[5] Ein Mindestlohn wird in vielen Staaten der Erde durch nationale Gesetzgebung garantiert und es stellt sich die Frage, ob ein flächendeckender Mindestlohn nicht auch für Deutschland ein gutes Instrument der Arbeitsmarktpolitik ist, um Armut zu vermeiden und (Lohn-)Gerechtigkeit zu gewährleisten.
Die Diskussion in Deutschland um gesetzliche Mindestlöhne ist leidenschaftlicher denn je, obwohl eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema schon seit ca. 100 Jahren stattfindet.[6]
Eine intensive internationale wissenschaftliche Debatte wurde ausgelöst durch die Erhöhung des nationalen Mindestlohns in den USA zum 1. April 1990.[7] Die OECD empfahl 1994 ihren Mitgliedsstaaten, „die Rolle der Mindestlöhne als Umverteilungsmittel zu überdenken und zu direkteren Instrumenten zu greifen.“[8]
In Deutschland ist die politische Diskussion über Mindestlöhne vor allem eine Reaktion auf die von vielen Menschen als ungerecht empfundenen Arbeitsmarktreformen der Rot-Grünen Bundesregierung unter Bundeskanzler Schröder und die damals politisch kaum in Frage gestellte Argumentation der Wichtigkeit eines Niedriglohnsektors.
Die politischen Herausforderungen am Arbeitsmarkt in Deutschland sind trotz des deutlichen Rückgangs der Arbeitslosenzahlen groß, und vor allem im Niedriglohnbereich ist es notwendig, eine neue Ordnung zu schaffen.
In der Koalitionsvereinbarung hat die derzeitige deutsche Regierung aus CDU/CSU und SPD sich geeinigt, „dass der so genannte Niedriglohnsektor an sich und seine Zusammenhänge mir der Gesamthöhe von Sozialtransfers an Bedarfsgemeinschaften einer Neuregelung bedürfen. Wir wollen einerseits sicherstellen, dass Löhne nicht in den Bereich der Sittenwidrigkeit heruntergedrückt werden können, aber andererseits Menschen mehr als bisher die Möglichkeit auch zur Beschäftigung mit niedrigen Einkommen anbieten. Trotz der sehr unterschiedlichen Programme der Parteien besteht Einigkeit, dass die große Koalition diese Fehlentwicklung beenden muss“[9]
In dieser Arbeit gehe ich der Frage nach, ob ein allgemeiner, flächendeckender, gesetzlicher Mindestlohn, ein geeignetes arbeitsmarktpolitisches Instrument ist, im Niedriglohnbereich eine „gute Ordnung“ zu schaffen.
Zunächst zeige ich, welche (Mindest-)Löhne es in Deutschland bereits gibt, da vor allem in der gesellschaftspolitischen Debatte diese Begriffe durcheinander geraten und des Öfteren gegeneinander ausgespielt werden.
Anschließend ist eine Bestandsaufnahme des Niedriglohnbereichs notwendig, da seine Existenz erst die Diskussion um Mindestlöhne ausgelöst hat. Diese „Diagnose“ führt am Schluss der Arbeit zu der Antwort, ob gesetzliche Mindestlöhne das geeignete „Mittel“ zur Bekämpfung der Armut ist.
Zuvor werden jedoch die wichtigsten Argumente für und wider gesetzliche Mindestlöhne dargestellt.
Die Begriffe flächendeckender Mindestlohn und gesetzlicher Mindestlohn werden synonym verwandt, wenn nicht der Text selbst etwas anderes aussagt.
B. Begriffe im Umfeld der Debatte
I. Lohn (Entgelt)
Der Lohn ist eine „Gegenleistung für erbrachte Leistung im Arbeitsvertrag. Er kann mit Rücksicht auf die Dauer der erbrachten Leistung erbracht werden (Zeitlohn), oder am Ergebnis der Arbeitsleistung gemessen werden (Leistungslohn oder Akkord-lohn)“[10].
In Deutschland werden die Löhne grundsätzlich frei vereinbart, wobei sich theoretisch die Höhe der Löhne durch Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt herausbildet. Wenn der Lohnsatz mit Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt übereinstimmt, spricht man von einem „markträumenden Gleichgewichtslohnsatz“[11]. Die Höhe des Lohns reicht nicht notwendigerweise aus, um das Existenzminimum eines Arbeitnehmers zu garantieren.
Allerdings, wenn auch die Löhne in Deutschland grundsätzlich frei vereinbart werden, so gibt es doch verschiedene Arten der Lohnregulierungen für unterschiedliche Geltungsbereiche, die auf verschiedene Weise Minimallohncharakter haben.
II. Mindestlohn
Der Mindestlohn ist der geringste an bestimmte Arbeitskräfte zu zahlende Lohn. Dabei muss unterschieden werden zwischen gesetzlichen und tariflichen Mindestlöhnen.
1. Tariflohn
Der Tariflohn ist ein im Rahmen des Tarifvertrages vereinbarter Mindestlohn, der vom tarifgebundenen Arbeitgeber der betreffenden Branche dem tarifgebundenen Arbeitnehmer zu zahlen ist.
Die Tarifbindung in Deutschland ist nach Branchen und Region unterschiedlich stark ausgeprägt und nimmt seit Jahren ab. Während in Ostdeutschland jeder vierte Betrieb tarifgebunden ist (Branchen- bzw. Haustarifvertrag), ist es in Westdeutschland fast jeder zweite. Darüber hinaus orientiert sich in Ostdeutschland aber jeder dritte Betrieb an einem Branchentarif. Unter Berücksichtigung dieser Orientierung an Tarifverträgen erhalten in Ostdeutschland immerhin 72 Prozent aller Beschäftigten eine dem Tarif entsprechende Bezahlung (in Westdeutschland 84 Prozent).[12]
Nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer haben somit häufig den gleichen Anspruch auf den Tariflohn, da in Arbeitsverträgen oft auf den geltenden Tarifvertrag der jeweiligen Branche Bezug genommen wird.
2. Allgemeinverbindlicher Tariflohn
Nach dem Tarifvertragsgesetz können in Deutschland Tarifverträge durch eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung (AVE) auch auf nicht tarifgebundene erstreckt werden. „Voraussetzung für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung ist der Antrag mindestens einer der Tarifvertragsparteien. Darüber hinaus müssen die an den Tarifvertrag gebundenen Arbeitgeber mindestens 50% der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden Arbeitnehmer beschäftigen (50%-Klausel), die AVE im öffentlichen Interesse liegen und der mit je drei Vertretern der Arbeitgeber und der Arbeitnehmerseite besetzte Tarifausschuss der Allgemeinverbindlichkeitserklärung zustimmen.“[13]
Dieses Instrument der Lohnregulierung kommt immer weniger zur Anwendung. Die Zahl der gültigen für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge ist innerhalb von elf Jahren von 627 auf 446 (im Jahr 2006) zurückgegangen[14].
Solche branchenbezogene tarifliche Mindestlöhne gelten z.B. für das Friseurgewerbe in Bayern und Bremen, für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in mehreren Bundesländern und für das Gebäudereinigerhandwerk bundesweit.[15]
3. Arbeitnehmer-Entsendegesetz
Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) ermöglicht die Erstreckung tarifvertraglicher Mindestlöhne in den betreffenden Branchen auch auf ausländische Firmen. Ihre in Deutschland eingesetzten Mitarbeiter müssen dann nach den deutschen Tarifen entlohnt werden. Voraussetzung dafür ist ein für allgemeinverbindlich erklärter tariflicher Mindestlohn.
[...]
[1] Lk. 10,7b; rev. Lutherbibel(1984)
[2] BILD, Berlin, Nr.11 vom 13.01 2007
[3] Süddeutsche Zeitung, München, Nr.268 vom 21.11.2007, S. 19
[4] Handelsblatt vom 26. März 2007, Online im Internet: URL: http://www.handelsblatt.com/News/printpage.aspx?_p=200050&_t=ftprint&_b=1245698 [19.11.2007]
[5] Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen, veröffentlicht am 22.06.07; Online im Internet: URL: http://www.tagesspiegel.de/politik/deutschland/;art122,2326912
[6] Vgl. Nathan (1920) S. V
[7] Vgl. Platzschke (2001) S. 1
[8] ebd. S. 2
[9] Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2007), S. 4
[10] Alpmann Brockhaus Fachlexikon Recht (2004), S. 857
[11] Gaul/Hayek (2005), S. 1
[12] Vgl. Bellmann/Dahms/Washe (2005), S. 93
[13] Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2007), S. 16
[14] Hans-Böckeler-Stiftung 2007. URL: http://www.boeckler.de/cps/rde/xchg/SID-3D0AB75D-5B59A4C4/hbs/hs.xsl/32015_85082.html [16.11.2007]
[15] Hans-Böckeler-Stiftung 2007. URL: http://www.boeckler.de/cps/rde/xchg/SID-3D0AB75D-5B59A4C4/hbs/hs.xsl/32014_85060.html [16.11.2007]
- Arbeit zitieren
- Markus Erhart (Autor:in), 2007, Mindestlöhne flächendeckend?, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/88310