Eine der einflussreichsten und bedeutendsten literarischen Epochen in Deutschland ist zweifellos die Weimarer Klassik. Sie brachte Persönlichkeiten wie Friedrich Schiller, Johann Gottfried Herder, Christof Martin Wieland oder Johann Wolfgang von Goethe hervor. Der erste Gedanke an diesen großen Dichter und Denker verbindet sich nicht nur bei Literaturliebhabern sofort mit dem an seinen „Faust“. Ein Werk, womit er zweifellos ein Menschheitsdrama von weltliterarischem Rang und zeitloser Gültigkeit schuf. Doch Goethe war nicht nur Dichter und Kritiker, er war als Universalgelehrter ebenso Naturforscher. Zahlreiche Entdeckungen im Bereich der Medizin und Naturwissenschaften entstammen seinen Gedanken. Seine wissenschaftliche Arbeit enthielt gleichsam eine Naturphilosophie, welche am deutlichsten bei der Metamorphose von Pflanzen deutlich wird. Indem er von einer ursprünglichen Identität aller Pflanzenteile ausgeht (vergleichbar vielleicht mit Durkheims Ursprung aller Religionen und Gesellschaftsformen, dem Totemismus), konstatiert er damit die Existenz einer Urpflanze, aus der alle weiteren Pflanzen sich entwickelt hätten, ohne sich gänzlich von ihren Vorfahren zu unterscheiden (vgl. Biedrzynsky 1994: 124). Goethe suchte somit in der Natur ein Modell für den universalen Zusammenhang aller Erscheinungen. Dieser Ansatz entsprach im Wesentlichen seiner grundsätzlichen Überzeugung von der in Kongruenzen und Oppositionen verbundenen Vielfalt der Schöpfung. So lässt sich möglicherweise der Gedanke einer geistesgeschichtlichen Epoche gut wiedergeben, denn in der Weimarer Klassik galt es, die Welt im Symbol zu erfassen, nach harmonischem Ausgleich der Gegensätze zu streben sowie nach Vollkommenheit und Übereinstimmung von Inhalt und Form zu suchen.
Man könnte meinen, dass, zwei Menschenalter später, der Philosoph und Pädagoge Ernst Cassirer in Goethes Tradition stand. Denn er sieht im Lauf der Dinge eine alles verbindende Einheit, welche auf ein teleologisches Ziel hinausläuft, wobei die Sprache nur eine Position einnimmt. Anderer Auffassung dagegen ist ein guter Freund und Nachbar Goethes, Johann Gottfried Herder. Zeitlosigkeit ist ein zentrales Element der Weimarer Klassik. Sie wählte Gegenstände zur Betrachtung, die „über allen Einfluss der Zeiten erhaben“ sind. So auch Herders Auffassung der Sprache. Ebenso lehnt Bühler ein in dynamischen Prozessen begriffenes Modell des Phänomens Sprache ab. Sprache ist Gesetzen unterworfen und diese gelten universell.
In dieser Arbeit soll es um die unterschiedlichen Positionen der Sprachtheorie Cassirers und der Bühlers gehen. Zwei Standpunkte, welche recht unterschiedlich, aber dennoch gemeinsam diskutierbar und vergleichbar sind. Zwei konträre Positionen treffen hierbei aufeinander: Ist die Sprache nur ein Werkzeug, mit dessen Hilfe wir kommunizieren und Dinge der uns umgebenden Welt oder Wirklichkeit beschreiben oder ist sie womöglich mehr als das? Ist Sprache (außerdem) Teil eines größeren Bedeutungszusammenhanges, einer umfassenderen Entwicklung mit teleologischem Ziel, das heißt mit einem für uns nicht beeinflussbarem Verlauf? Weiterhin: spiegelt sie die Wirklichkeit wider oder ist Sprache Kultur, also eine Erscheinung, welche die Welt mit einer Art verzerrender Brille sieht? Dies soll das Thema meiner Arbeit sein.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Einführende Fragestellung
- Argumentationsaufbau
- Hauptteil
- Die Sprache als biologische Erscheinung
- Karl Bühler
- Abwendung vom dynamischen Sprachmodell
- Die Axiome der Linguistik
- Die Sprache als universales Organon (1. Axiom)
- Die Zeichennatur der Sprache (2. Axiom)
- Sprechhandlung und Sprachwerk, Sprechakt und Sprachgebilde (3. Axiom)
- Wort und Satz. Das S-F System vom Typus Sprache (4. Axiom)
- Die Philosophie der symbolischen Formen, Ernst Cassirer
- Der Idealismus
- Der dynamische Seinsbegriff und die symbolischen Formen
- Die Kontinuität der symbolischen Formen
- Der (radikale) Konstruktivismus
- Bühler vs. Cassirer: Funktion und Stellenwert der Sprache
- Schluss
- Zusammenfassung
- Ausblick: Die symbolische Form der Religion, ein Beispiel
- Die Sprache der Religion
- Die Sinngebung als ein wesentliches Element des Lebens
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die unterschiedlichen Positionen der Sprachtheorie von Karl Bühler und Ernst Cassirer. Dabei wird die Frage nach dem Stellenwert der Sprache in den Mittelpunkt gestellt: Ist sie lediglich ein Werkzeug zur Verständigung oder Teil eines umfassenderen Bedeutungszusammenhangs?
- Untersuchung der Axiome von Bühlers Sprachtheorie
- Analyse von Cassirers Phänomenologie der symbolischen Formen
- Vergleich der Positionen von Bühler und Cassirer
- Bedeutung des Idealismus für Cassirers Denken
- Einführung des Konzepts des Sozialkonstruktivismus
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die zentrale Frage nach dem Stellenwert der Sprache im Kontext der Weimarer Klassik und führt die beiden zentralen Figuren der Arbeit, Bühler und Cassirer, ein. Kapitel 2.1 beleuchtet die Sprache als biologische Erscheinung und zeigt die Bedeutung der Sprache für die menschliche Entwicklung auf. Kapitel 2.2 widmet sich Bühlers Sprachtheorie, wobei seine Axiome und Abwendung vom dynamischen Sprachmodell vorgestellt werden. Kapitel 2.3 beschäftigt sich mit Cassirers Phänomenologie der symbolischen Formen und beleuchtet seinen Idealismus sowie den dynamischen Seinsbegriff. Im letzten Kapitel werden die Positionen von Bühler und Cassirer verglichen, wobei auch die Bedeutung des Sozialkonstruktivismus für die Fragestellung erläutert wird.
Schlüsselwörter
Sprache, Sprachtheorie, Karl Bühler, Ernst Cassirer, Phänomenologie der symbolischen Formen, Idealismus, Sozialkonstruktivismus, Werkzeug, Bedeutungszusammenhang, Verständigung, Kommunikation
- Arbeit zitieren
- Uta Beckhäuser (Autor:in), 2005, Ernst Cassirer, Die Sprache: Nur Werkzeug zur Verständigung oder Teil eines größeren Bedeutungszusammenhanges?, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/85700