1. Einleitung
1.1 Problemstellung und Stand der Forschung
Keine Schicht profitierte von der Industrialisierung in Deutschland so stark wie eine: Das Wirtschaftsbürgertum. In wenigen Jahrzehnten kristallisierte sich aus einfachen Händlern und Gewerbetreibenden eine aufstrebende und viel bewunderte Oberschicht. Bis heute wirkt die Strahlkraft schillernder Industrieller, wie Krupp oder Thyssen. Doch Deutschland war bis 1918 monarchisch. Die einstigen bürgerlich-liberalen Ideale, wie Demokratie, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, in der Revolution von 1848 noch vehement gefordert, blieben hinter dem bezeichnenden Pragmatismus der Bourgeoisie weitgehend zurück.
Die Feudalisierungsthese, zuerst von Max Weber1 aufgeworfen, beschäftigte lange Zeit die Historiker. Der Vorwurf: Die Imitation des adligen Lebens durch erfolgreiche bürgerliche Unternehmer führte dazu, dass die zur Herrschaft möglicherweise prädestinierten oberen Bourgeoisieklassen vor dem traditionsbewussten Adel kapitulierten. Wehler erklärt die These (die er nicht vertritt): „Indem [Wirtschaftsbürger] ein Rittergut erwarben, ihren demonstrativen Luxuskonsum pflegten, ihre Söhne in schlagende Verbindungen mit spätfeudalem Ehrenkodex schickten, später ein Reserveoffizierspatent von ihnen erwarteten, nach Kräften das Konnubium mit dem Adelsnachwuchs förderten, nach Auszeichnung mit dem Kommerzienratstitel und dem Roten-Adler-Orden lechzten und – Gipfel der Glückseligkeit im Elitenhimmel – nach der Nobilitierung gierten, seien […] einer Feudalisierung erlegen.“2 Auch die neuere Sozial- und Wirtschaftsgeschichte ist dieser These lange gefolgt. Die Feudalisierung oder, wie manche sie nennen, Aristokratisierung wurde oft als Interpretation für den so genannten deutschen Sonderweg gewählt. Doch: Wie weit waren unbestreitbarer Aufstieg der Bourgeoisie und Feudalisierung überhaupt miteinander verbunden? Waren das Deutsche Kaiserreich bzw. seine Wirtschaftsbürger so feudal wie oft behauptet wird?
In jüngerer Zeit untersuchten vor allem die Begründer der Bielefelder Schule, Hans-Ulrich Wehler und Jürgen Kocka, sowie die Historiker Hartmut Kaelble und Karl Möckl die Feudalisierungsthese. Deren Arbeiten dienten weitgehend als Basis dieser Arbeit.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Problemstellung und Stand der Forschung
- Begriffliche Abgrenzung: Bourgeoisie und Bürgertum
- Begriffsdefinition
- Angehörige und Umfang der Bourgeoisie in Deutschland
- Abgrenzung zum Bildungsbürgertum
- Herkunft und Aufstieg des Wirtschaftsbürgertums
- Herkunft der deutschen Bourgeoisie
- Machtgewinn der Unternehmer im Zuge der Industrialisierung
- Aufstieg der Großindustriellen im Wilhelminischen Zeitalter
- Die Feudalisierung des deutschen Unternehmertums
- Heiratsverhalten und Rekrutierung der elitären Bürgerschicht
- Orden, Titel und Nobilitierungen als „bürgerliche“ Statussymbole
- Imitation des adligen Lebensstils - Wohnsitze der Wirtschaftsbürger
- Fazit: Feudalisierung – ein überschätztes Phänomen?
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht den Aufstieg des Wirtschaftsbürgertums im 19. Jahrhundert und im Deutschen Kaiserreich und analysiert die Feudalisierungsthese, die besagt, dass das Wirtschaftsbürgertum durch die Imitation des adligen Lebensstils seinen Aufstieg zur Herrschaft verhinderte. Die Arbeit fokussiert sich dabei auf die Entwicklung und die Merkmale der Bourgeoisie in Deutschland und untersucht die These der Feudalisierung anhand von empirischen Daten.
- Begriffliche Abgrenzung von Bourgeoisie und Bürgertum
- Herkunft und Aufstieg des Wirtschaftsbürgertums im 19. Jahrhundert
- Machtgewinn der Unternehmer im Zuge der Industrialisierung
- Feudalisierung des deutschen Unternehmertums durch Imitation des adligen Lebensstils
- Diskussion der Feudalisierungsthese und ihre Relevanz für den „deutschen Sonderweg“
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Problemstellung ein und erläutert den Stand der Forschung zur Feudalisierungsthese. Kapitel 2 definiert den Begriff des Wirtschaftsbürgertums und grenzt ihn von anderen bürgerlichen Schichten ab. In Kapitel 3 wird die Herkunft und der Aufstieg des Wirtschaftsbürgertums in Deutschland untersucht. Das Kapitel beleuchtet die Veränderungen im Wirtschaftsleben, die zur Machtgewinnung der Unternehmer im Zuge der Industrialisierung führten. In Kapitel 4 wird die These der Feudalisierung des deutschen Unternehmertums diskutiert. Dieses Kapitel untersucht das Heiratsverhalten der Wirtschaftsbürger, die Nobilitierung und die Imitation des adligen Lebensstils als Indizien für die Feudalisierung.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den zentralen Begriffen des Wirtschaftsbürgertums, der Bourgeoisie, der Industrialisierung, der Feudalisierung, der Nobilitierung, des adligen Lebensstils und des „deutschen Sonderwegs“. Die Arbeit beleuchtet die Rolle des Wirtschaftsbürgertums in der deutschen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts und diskutiert die Feudalisierungsthese im Kontext des Aufstiegs des Unternehmertums in Deutschland.
- Quote paper
- Thorsten Breitkopf (Author), 2006, Der Aufstieg des Wirtschaftsbürgertums im 19. Jahrhundert und im Deutschen Kaiserreich, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/84421